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Erste Rune

Eingang V. 1–102. Die Tochter der Luft läßt sich ins Meer hinab, wo sie von dem Winde und den Wogen geschwängert zur Wassermutter wird 103–176. Eine Ente baut ihr Nest auf ihrem Knie und legt dort Eier 177–212. Die Eier rollen ins Meer hinab und zerbrechen, aus ihren einzelnen Teilen entstehen Erde, Himmel, Sonne, Mond und Sterne 213–244. Die Wassermutter schafft Landzungen, Busen, Uferland, Tiefen und Untiefen des Meeres 245–280. Wäinämöinen wird von der Wassermutter geboren und treibt lange auf den Wogen einher, bis er endlich ans Ufer gelangt 281–344.

Werde von der Lust getrieben,
Von dem Sinne aufgefordert,
Daß ans Singen ich mich mache,
Daß ich an das Sprechen gehe,
Daß des Stammes Lied ich singe,
Des Geschlechtes Sang ich sage;
Worte schmelzen mir im Munde,
Es entschlüpfen mir die Töne,
Wollen meiner Zung' enteilen,
Wollen meine Zähne spalten. [10]

Goldner Freund, mein lieber Bruder,
Teurer, mit mir aufgewachsen!
Komm jetzt um mit mir zu singen,
Um vereint mit mir zu sprechen,
Da wir hier zusammentrafen,
Von verschiednen Seiten kommend;
Selten kommen wir zusammen,
Selten finden wir einander
In den kargen Länderstrecken,
Auf des Nordens armem Boden. [20]

Laß uns Hand in Hand nun legen,
Unsre Finger sich verschränken,
Einen muntern Sang zu singen,
Unsern besten vorzutragen,
Daß die Teuern ihn vernehmen,
Die Geliebten ihn erfahren,
In der Jugend, die emporsteigt,
In dem wachsenden Geschlechte –
Diese Worte, die erhaltnen,
Diese Lieder, die erschlossnen [30]
Aus dem Gürtel Wäinämöinens,
Aus der Esse Ilmarinens,
Von dem Schwerte Kaukomielis,
Von dem Bogen Joukahainens,
Von des Nordgefildes Marken,
Von den Fluren Kalewalas.

Diese sang voreinst mein Vater,
Wenn er an dem Beilschaft schnitzte,
Diese lehrte mich die Mutter,
Wenn sie ihre Spindel drehte, [40]
Da ich als ein Kind am Boden,
Vor den Knien ihr mich wälzte,
Als ein jämmerlicher Milchbart,
Als ein Milchmaul klein von Wuchse;
Über Sampo fehlten nimmer,
Über Louhi Zauberworte:
Alt ward in den Worten Sampo,
Louhi schwand im Zaubersange,
In den Liedern starb Wipunen,
In dem Spiele Lemminkäinen. [50]

Gibt noch manche andre Worte,
Zaubersprüche, die ich lernte,
Die vom Wegrand ich gelesen,
Von der Heide abgebrochen,
Vom Gesträuche abgerissen,
Von den Zweigen abgepflücket,
Die gepreßt ich aus den Gräsern,
Von den Stegen aufgehoben,
Da ich ging als Hirtenknabe,
Als ein Kindlein auf die Weide, [60]
Auf die honigreichen Wiesen,
Auf die goldbedeckten Hügel,
Folgend Muurikki der schwarzen,
An der bunten Kimmo Seite.

Lieder schenkte selbst der Frost mir,
Sang gab mir der Regenschauer,
Andre Lieder brachten Winde,
Trugen mir des Meeres Wogen,
Worte fügten mir die Vögel,
Sprüche schuf des Baumes Wipfel. [70]

Sammelt' sie zu einem Knäuel,
Band zusammen sie zum Bündel;
Tat das Knäuel auf den Karren,
Warf das Bündel in den Schlitten;
Führte sie in meine Wohnung,
Mit dem Schlitten zu der Darre;
Tat sie auf des Speichers Bretter,
In den kupferreichen Kasten.

Lagen lange in der Kälte,
Weilten lange in dem Dunkel; [80]
Soll das Lied ich aus der Kälte,
Aus dem Frost den Sang ich holen,
Meinen Kasten in die Stube,
Zu dem Tische meine Kiste,
Unter diese schönen Balken,
Dieses Dach, das weitberühmte,
Meine Liedertruhe öffnen,
Des Gesanges Schrein erschließen,
Soll das Knäuel ich entwirren,
Lösen dieses Bündels Knoten? [90]

Werd' ein gutes Lied nun singen,
Daß es wunderschön ertöne,
Hab' ich Roggenbrot gegessen
Und vom Gerstentrank getrunken;
Sollte man kein Bier mir bringen
Und kein Dünnbier mir hier reichen,
Singe ich mit magrem Munde,
Singe ich bei bloßem Wasser
Zu der Freude unsres Abends,
Zu des schönen Tages Zierde, [100]
Oder zu der Lust des Morgens,
Zum Beginn des neuen Tages.

Hörte oftmals also sagen,
Hörte oft im Liede singen:
Einzeln nahen uns die Nächte,
Einzeln leuchten uns die Tage,
Einzeln ward auch Wäinämöinen,
Dieser ew'ge Zaubersänger,
Von der schönen Lüftetochter,
Die ihm Mutter war, geboren. [110]

Jungfrau war das Kind der Lüfte,
Sie, die schöne Schöpfungstochter,
Trug gar lang ihr einsam Dasein,
Alle Zeit ihr Mädchenleben
In der Lüfte weiten Höfen,
Auf den flachgebahnten Planen.

Einsam ward ihr dort das Leben,
Unbehaglich ihr das Dasein,
Immerfort allein zu weilen,
So als Jungfrau dort zu hausen [120]
In der Lüfte weiten Höfen,
In der langgestreckten Öde.

Nieder ließ sich da die Jungfrau,
Senkt' sich auf des Wassers Fluten,
Auf des Meeres klaren Rücken,
Auf die freie Wogenfläche;
Fing ein Sturmwind an zu blasen,
Aus dem Osten böses Wetter,
Trieb das Meer zu wildem Schäumen,
Daß die Wellen wütend wogten. [130]

Sturmwind wiegte dort die Jungfrau,
Mir ihr spielt' des Meeres Welle
Auf dem blauen Wasserrücken,
Auf den weißbekränzten Fluten;
Schwanger blies der Wind die Jungfrau
Und das Meer verlieh ihr Fülle.

Und es trug des Leibes Schwere,
Seine Bürde sie mit Schmerzen
Ganze siebenhundert Jahre,
Trug sie neun der Mannesalter, [140]
Ohne daß das Kind geboren,
Daß zum Vorschein es gekommen.

Also schwamm als Wassermutter
Bald nach Osten, bald nach Westen,
Bald nach Norden, bald nach Süden,
Sie zu allen Himmelsrändern,
Angstvoll ob der Frucht des Windes,
Ob des Leibes schwerer Bürde,
Ohne daß das Kind geboren,
Daß zum Vorschein es gekommen, [150]

Fing da leise an zu weinen,
Redet Worte solcher Weise:
»Weh mir Armen ob des Schicksals,
Wehe mir ob meines Wanderns!
Dahin bin ich nun geraten,
Unterm Himmel hinzuirren,
Daß der Sturmwind mich hier wiege,
Daß die Welle mit mir spiele,
Auf den weiten Wasserstrecken,
Auf den schrankenlosen Fluten. [160]

»Wäre besser mir gewesen,
Wär' ich Jungfrau in den Lüften,
Als daß hier als Wassermutter
Durch die fremde Zeit ich treibe;
Frostig ist mir hier das Leben,
Schmerzhaft ist es hier zu weilen,
In den Wogen so zu irren,
In dem Wasser so zu wandern.

»Ukko, du, o Gott der Höhe,
Du der Himmelswölbung Träger! [170]
Komm herbei, du bist vonnöten,
Komm herbei, du wirst gerufen,
Lös' das Mädchen von den Qualen,
Von den argen Wehn das Weib du,
Komm geschwind, herbei komm eilend,
Eilend her, denn man bedarf dein!«

Wenig Zeit war hingegangen,
Kaum ein Augenblick verflossen,
Sieh, herbei eilt eine Ente,
Fliegt heran der schöne Vogel, [180]
Sucht zum Nest sich eine Stelle,
Späht nach einem Platz zur Wohnung.

Fliegt nach Osten, fliegt nach Westen,
Fliegt nach Norden und nach Süden,
Kann kein solches Plätzchen finden,
Nicht die allerschlechtste Stelle,
Wo ihr Nest sie machen könnte,
Eine Stätte sich bereiten.

Langsam schwebt sie, schaut ringsum sich,
Sie besinnt und überlegt es: [190]
»Baue ich mein Haus im Winde,
Auf den Wogen meine Wohnung,
Wird der Wind das Haus zerstören,
Weit die Wogen es entführen.«

Da erhebt die Wassermutter,
Sie, der Lüfte schöne Tochter,
Aus dem Meere ihre Knie,
Aus der Flut die Schulterblätter,
Wo die Ent' ein Nest sich bauen,
Wo sie friedlich weilen könnte. [200]

Entlein nun der schöne Vogel
Schwebt herbei und schaut rings um sich,
Sieht das Knie der Wassermutter
Auf dem blauen Meeresrücken,
Hält's für einen Wiesenhügel,
Meint, es wäre frischer Rasen.

Hin nun fliegt sie, schwebet langsam,
Läßt sich auf das Knie dann nieder;
Bauet dort ihr Nestlein fertig,
Legt hinein die goldnen Eier, [210]
Goldner Eier ganze sechse,
Siebentes ein Ei von Eisen.

Setzt sich brütend auf die Eier,
Wärmt gemach des Knies Wölbung;
Brütet einen Tag, den zweiten,
Brütet auch am dritten Tage;
Schon bemerkt's die Wassermutter,
Sie, der Lüfte schöne Tochter,
Spürt nun, daß es heißer wurde,
Daß die Haut beginnt zu glühen, [220]
Meint, daß ihr die Knie brennen,
Alle Adern ihr zerschmelzen.

Hastig rührt sie ihre Knie,
Schüttelt heftig ihre Glieder,
Daß die Eier in das Wasser,
In die Flut des Meeres stürzen,
In der Flut in Stücke brechen
Und in Splitter sich zerschlagen.

Nicht verkommen sie im Schlamme,
Nicht die Stücke in dem Wasser, [230]
Sondern werden schön verwandelt,
Schön gestaltet alle Splitter:
Aus des Eies untrer Hälfte
Wird die niedre Erdenwölbung,
Aus des Eies obrer Hälfte
Wird des hohen Himmels Bogen;
Was sich Gelbes oben findet,
Fängt als Sonne an zu strahlen,
Was sich Weißes oben findet,
Das beginnt als Mond zu scheinen; [240]
Von dem Sprenkligen im Eie
Werden Sterne an dem Himmel,
Von dem Dunkeln in dem Eie
Wird Gewölke in den Lüften.

Und die Zeiten schwinden rascher,
Immer fort und fort die Jahre
Bei der jungen Sonne Leuchten,
Bei des jungen Mondes Glanze;
Immer schwimmt die Wassermutter,
Sie, der Lüfte schöne Tochter, [250]
In den schlummerstillen Wellen,
Auf der nebelreichen Fläche,
Vor sich hat sie nur die Fluten,
Hinter sich den hellen Himmel.

Endlich in dem neunten Jahre,
Zu der Zeit des zehnten Sommers
Hebt ihr Haupt sie aus dem Meere,
Ihre Stirn sie aus den Wogen,
Sie fängt an, ein Werk zu schaffen,
Anzufertigen beginnt sie [260]
Auf dem klaren Meeresrücken,
Auf der weiten Wogenfläche.

Wo die Hand nur hin sie streckte,
Hoben sich schon Landesspitzen,
Wo sie mit dem Fuße rührte,
Bildeten sich Fischesgruben,
Wo ins Wasser sie sich tauchte,
Senkten sich des Meeres Tiefen,
Wo die Hüfte hin sie wandte,
Da erschienen ebne Ufer, [270]
Wo den Fuß zum Land sie lenkte,
Wurden Lachsessammelplätze,
Wo der Kopf dem Lande nahte,
Da erwuchsen breite Buchten.

Schwamm noch weiter von dem Lande,
Ruht' ein wenig auf dem Rücken,
Schuf so Klippen in dem Meere,
Riffe, die dem Aug' verborgen,
Wo die Schiffe oft zerschellen,
Wo der Männer Leben endet. [280]

Schon gebildet waren Inseln,
Klippen in dem Meer begründet,
Festgestellt der Lüfte Pfeiler,
Flur und Felder schon geschaffen,
Bunt die Steine schon gesprenkelt,
Wohlgefurchet schon die Felsen,
Wäinämöinen nur der Sänger
War und blieb noch ungeboren.

Wäinämöinen alt und wahrhaft
Wandert noch im Leib der Mutter [290]
Dreißig Sommer nacheinander,
Eine gleiche Zahl von Wintern,
In den schlummerstillen Wellen,
Auf der nebelreichen Fläche.

Er besinnt und überlegt es,
Wie zu sein und wie zu leben
In dem nimmerhellen Raume,
In der unbequemen Enge,
Wo er nicht das Nordlicht schauen,
Nicht die Sonne kann gewahren. [300]

Darauf spricht er diese Worte,
Läßt sich solcherart vernehmen:
»Lös', o Mond, befrei', o Sonne,
Bringe mich, o Bär am Himmel,
Von den ungewohnten Türen,
Von den unbekannten Pforten,
Hier aus diesem kleinen Neste,
Aus dem engen Aufenthalte!
Daß ich auf der Erde wandre,
Wie ein Menschenkind im Freien, [310]
Daß des Himmels Mond ich schaue,
Daß die Sonne ich gewahre,
Daß den Bären ich erblicke,
Daß die Sterne ich betrachte!«

Da der Mond ihn nicht erlöset,
Nicht die Sonne ihn befreiet,
Wird das Sein ihm unbehaglich,
Ihm das Leben dort verdrießlich;
Sprengt der Festung schmale Pforte
Mit dem Finger ohne Namen, [320]
Schlüpfet durch das Schloß, das starre,
Mit des linken Fußes Zehe,
Kriechet mit der Hand zur Schwelle,
Auf den Knien durch das Vorhaus.

Stürzt nun häuptlings sich ins Wasser,
Wendet mit der Hand die Wogen;
Also bleibt der Mann im Meere,
So der Held im Flutgetriebe.

Ruht im Meere fünf der Jahre,
Fünf der Jahre, ja gar sechse, [330]
Selbst das siebente und achte;
Endlich hält er ein im Meere,
An der Landzung' ohne Namen,
An dem baumentblößten Strande.

Rafft sich auf den Knien zum Lande,
Wendet mit der Hand sich hastig,
Hebt sich um den Mond zu schauen,
Um die Sonne zu gewahren,
Um den Bären zu erblicken,
Um die Sterne zu betrachten. [340]

Also wurde Wäinämöinen,
Dieser mächt'ge Zaubersänger,
Von der Lüfte schöner Tochter,
Die ihm Mutter war, geboren.


Anmerkungen

Vers 21 ff. Jakob Tengström sagt (1795) vom Runengesange ( runo bedeuket im Finnischen Vers, Lied, Gedicht): »Zumal ward es beim Zusammensein und bei Gelagen als das höchste Vergnügen angesehen, wenn nach der ersten Bewirtung mit Speise und Trank ein oder mehrere Sänger vortraten, um die anwesenden Gäste mit ihren Liedern zu ergötzen; wobei es so zuging, daß entweder der Dichter selbst, oder eine andere, meist ältere Mannsperson, die solch alte oder auch neuere Gesänge aus dem Gedächtnis wiederholen konnte, sich auf einen Stuhl oder eine Langbank setzte, vorgebeugt zu einem anderen ihm Knie an Knie und Hand in Hand gegenübersitzenden Sänger, säistäjä von säistää, Strähne zum Seil drehen, Seile spinnen: der »den Faden, die Saite des vom ersten stufenweise ersonnenen und entwickelten Liedes wendet und dreht« (Comparetti) genannt, der ihm beim gemeinsamen Gesange derart half, daß, wenn der erste mit ernster Miene, in langsamem Takt und mit genau danach abgemessenen wiegenden Körperbewegungen allein den ersten Vers bis gegen seinen Schluß gesungen hatte, daß dann der andere bei den zwei oder drei letzten noch übrigen Silben des Verses einfiel, die dann gemeinsam abgesungen wurden. Der Gehilfe wiederholte darauf allein in gleichem Takt, aber mit einer gewissen Brechung im Ton und Stimme, denselben Vers, währenddessen dann der Dichter oder Hauptsänger Zeit hatte, die nächste Zeile zu erfinden oder sich ihrer zu erinnern, bis er bei den letzten Silben des wiederholten vorhergehenden Verses wieder ein Duo mit seinem Mithelfer begann und bis zum Schluß des Verses fortsetzte, worauf er wieder allein den folgenden vorsang, der wie der frühere dann gleich von Kameraden nachgesungen wurde, und so weiter mit allen übrigen, bis das Gedicht vollendet war. Dann ward gewöhnlich reichliche Bewirtung die Belohnung der Sänger und eine Aufmunterung, in ihrer, für die versammelte Gesellschaft so angenehmen Kunst weiter fortzufahren. Hatten aber diese entweder den Vorrat von Runen, die sie wußten, erschöpft, oder begannen sie sonst zu ermüden und die Stimme zu senken, so mangelte es selten an anderen, die ihren Platz einnehmen konnten und wollten. Die Anwesenden, Alte und Junge, versammelten sich allesamt rings um die Singenden und hörten mit größter Freude und Aufmerksamkeit auf ihre Lieder, die so die Zeiten hindurch von Geschlecht zu Geschlecht gingen, ohne schriftlich aufgezeichnet zu sein, wie es ja früher auch mit den ältesten Nationalgesängen vieler anderen Völker geschehen ist. Da dieser Zeitvertreib sich vor allen anderen gesellschaftlichen Vergnügungen die besondere Gunst des Volkes erworben hatte, so konnte das Singen oft ununterbrochen bis tief in die Nacht fortgesetzt werden, bis ihm dann schließlich entweder ein neues Mahl oder auch Schlaf und Rausch ein Ende machte.«

In einem Liede der Lönnrotschen Volkslieder-Sammlung Kanteletar heißt es:

Wenn wir unser Lied beginnen,
Uns zum Singen vorbereiten,
Setzen wir uns auf den Stein dort,
Nehmen Platz zu beiden Seiten,
Oder setzen uns im Schatten
Auf die weichen Rasenmatten,
Prüfen leise unsre Stimmen,
Bis der rechte Ton gefunden,
Lösen unsern Liederknäuel,
Wenn der Knoten aufgebunden;
Legen dann nach alter Sitte
Unsre Hände ineinander,
Wiegen singend auf und nieder,
Singen unsre besten Lieder ...

(Deutsch von Hermann Paul, Kanteletar, Helsingfors 1882)

31. S. Anmerkung zu Vers 107.

32. S. Anmerkung zu Rune VII, Vers 328.

33. S. Anmerkungen zu Rune XI, V. 3, 9 und 62.

34. S. III. Rune.

36. Als Elias Lönnrot aus den finnischen Volksgesängen dieses Epos gestaltete (s. Einführung), wählte er zur Bezeichnung für die Heimat der Helden den in der Volksdichtung verhältnismäßig selten vorkommenden Namen Kalewala, d. h. der Wohnsitz oder das Land Kalewas. Kalewa ist der Name eines mythischen Urriesen, des Vaters vieler Riesen und Heroen; »Sohn Kalewas« ist ein Beiwort, mit dem das Epos auch seine Helden bezeichnet. (Über die zweifelhafte Volkstümlichkeit dieser letzteren Sohnschaft vgl. Kaarle Krohn, Finnisch-ugrische Forschungen IV, S. 17 f.) Den Namen Kalewa deutet Comparetti (Der Kalewala, deutsche Ausgabe, Halle 1892, S. 189) als »der Felsige«, womit die – von Julius Krohn in seiner Geschichte der finnischen Literatur erwähnte – Tatsache übereinstimmt, daß das Volk zuweilen große Felsen Kalewas Sitze nennt; so wäre der Kalewa des Mythos, nach einem Ausdruck von Neus (Ehstnische Volkslieder, Reval 1854, S. 5), »die vergöttlichte nordische Felsennatur«. Dagegen leitet Setälä, der die Texte, in denen der Name Kalewa oder Kalew vorkommt, wohl am gründlichsten untersucht hat (Kullervo-Hamlet, Helsingfors 1911, S. 85-101 ff.), den Namen von dem litauischen kálwis, dem estnischen kalew ab, das Schmied bedeutet; eine Ableitung, die bereits Ahlqvist (Die Kulturwörter der westfinnischen Sprachen, Helsingfors 1875) vermutungsweise ausgesprochen hatte; im Finnischen heißt der Schmied freilich nicht kalew, sondern seppä. Um die Vieldeutigkeit der Kalewa-Vorstellung zu kennzeichnen, sei auch erwähnt, daß bei dem finnischen Landvolk noch jetzt das herbstliche Wetterleuchten Kalewas Schwert oder Kalewas Feuer heißt (Lencqvist, De superstitione veterum Fennorum, Abo 1782, § VI. Schott, Über die finnische Sage von Kullerwo, Berlin 1852, S. 24). So konnte es geschehen, daß Kalewa als Himmelsgott aufgefaßt wurde. Hingegen heißt es in einem Volksliede, das Lönnrot in seine Sammlung Kanteletar aufgenommen hat:

Ruft der Kuckuck des Kalewa Noch im Hain von Kalewala?
Bellen noch Kalewas Hunde
In dem Hain von Kalewala?
Blicken noch Kalewas Töchter
Durch die Fenster Kalewalas?

(Deutsch von Schott, a. a. O. S. 24 f.)

Verwandter Art sind die Verse eines estnischen Volksliedes (Verhandlungen der Gelehrten Esthnischen Gesellschaft, Bd. II, Heft 2, § 54):

Unter Kalews Grabeshügel
Schlummern alte heil'ge Tage.

In diesen beiden Liedern erscheint Kalewa als der Urvater oder der Geist der Urzeit. Das war er jedenfalls in Lönnrots Darstellung. Doch wird Kalewala, sein Wohnsitz, »im allgemeinen Sinne als Grund und Boden, und nicht im nationalen als das finnische Vaterland verstanden, es werden weder seine Grenzen noch seine geographische Umschreibung angegeben« (Comparetti), wie überhaupt die Ortsbestimmungen des Epos von einer sehr vagen und schwankenden Art sind.

Nach den Ausführungen Richard Schmidt's (Anzeiger der Finnisch-ugrischen Forschungen II, 48 ff.) empfiehlt es sich, das Wort Kalewala – gleichviel ob es das Epos oder die Heimat der Helden bezeichnet – als Neutrum zu gebrauchen.

45. S. Anm. zu Rune VII, V. 311.

46. S. Anm. zu Rune VII, V. 169.

49. S. Anm. zu Rune XVII, V. 13 ff.

50. S. Anm. zu Rune XI, V. 3 und 9.

47 ff. Der Sinn dieser schwer übersetzbaren Verse ist die Unerschöpflichkeit des Liedes: alle Wesen, alle Gegenstände des Liedes schwinden, aber es selbst lebt ewig erneuert über sie alle hinaus (vgl. Tallgren, Studi di filologia moderna III, S. 270).

63 f. Muurikki, die Schwarze, und Kimmo, die Scheckige: Namen von Kühen.

107. Wäinämöinen: der mächtigste der Helden, der weiseste der Zauberer und der kunstreichste der Sänger; »der finnische Orpheus«, der Heilbringer des finnischen Mythos: »Eh' geschaffen Wäinämöinen War, der ew'ge Zaubersprecher, ... Trübe war es auf der Erde, Trostlos waren alle Lande, Selbst den Göttern fehlte Freude Und den Seligen selbst Wonne.« Doch tritt Wäinämöinen in der Dichtung vielfach nicht als Heros, sondern als göttliches Wesen auf, wie denn in dem alten Kalewala (der ersten 1835 veröffentlichten Ausgabe) die Weltschöpfung nicht seiner Mutter, sondern ihm selbst zugeschrieben wird; als Gott, der Lieder schmiedet, wird er schon von Bischof Agricola (1551) erwähnt, die Zauberrunen rufen ihn um Heilung an, und Lencqvist erzählt (1782), ein karelischer Zauberer (» unus ex mystis Careliorum haud infimae famae«) habe auf die Frage, wer seinen heidnischen Vorfahren als oberster Gott gegolten habe, geantwortet: »Der alte Wäinämöinen und Jungfrau Maria, die Mutter« (nach einer finnischen Version: das Mütterchen); auch in einem Liede wird er neben Gott (Jumala) und Maria als Helfer genannt. Castrén (Vorlesungen über die finnische Mythologie, deutsche Ausgabe, St. Petersburg, 1853, S. 298 ff.) hat Wäinämöinen mit Odin verglichen. Nach Kaarle Krohn (Finnisch-ugrische Forschungen II, 211 ff.) ist Wäinämöinen ursprünglich eine sangesmächtige Gottheit des Wassers, ein Neck, wie denn sein Name vermutlich von väinä, breiter Fluß, Sund, abzuleiten ist und die Windstille im Wasser in der Provinz Sawolax der Weg des Wäinämöinen genannt wurde; eben dahin weist sein Beiname Suwantolainen, von Schiefner zumeist mir »der Wogenfreund« übersetzt, der von suvanto, d. i. eine ruhigfließende Stelle im Fluß, stammt (vgl. auch Ohrt, Kalevala, Kopenhagen 1908, II 122 f).

111 ff. Hier wird als Wäinämöinens Mutter Ilmatar oder Luonnotar, die Tochter der Luft oder der Natur, im folgenden als sein Vater der Wind bezeichnet. In dem alten Kalewala fehlen diese Angaben völlig: die Mutter des Helden hat keinen Namen, von seinem Vater wird nichts berichtet. Die Erzählung der zweiten Fassung scheint auf einer Kombination des Motivs von Wäinämöinens Geburt mit dem Lied von der Jungfrau, die vom Wind geschwängert wurde, zu beruhen (vgl. Kaarle Krohn, Die Geburt Väinämöinens, Finnisch-ugrische Forschungen IV, 11–9). – Den Namen Ilmatar entnahm Lönnrot einem christlichen Zauberliede, wo die Jungfrau Maria so genannt wird.

169. Ukko, der Greis, der Urvater, ist der Name des Himmelsgottes. Er wird auch, weil er vornehmlich in der Mitte des Himmels wohnt, des Himmels Nabel, und weil er ihn regiert, der Träger des Firmaments genannt, ferner der Herr über den Wolken, der goldene König, der Weißhäuptige usw. Er wird als ein alter Mann in blauen Strümpfen und bunten Schuhen vorgestellt. Der Regenbogen ist sein Bogen, der Blitz sein Schwert, die feuerfarbene Wolke sein Gewand. Eine Zauberrune feiert ihn als den Urheber des Herdfeuers (vgl. XLVII. Rune des Epos). Schon Ganander ( Mythologia Fennica 1789) stellt Ukko mit Thor zusammen. Das Volkslied hat die mythische Überlieferung mit dem christlichen Gottesbegriff verschmolzen.

179. In dem alten Kalewala, wo der Vogel nicht auf der Jungfrau, sondern auf Wäinämöinens Knie nistet, ist es nicht eine Ente, sondern ein Adler; in andern Varianten der Erzählung eine Schwalbe.

229 ff. In dem alten Kalewala geschieht die Verwandlung auf Wäinämöinens Geheiß. – Das Motiv des Welteis kehrt bekanntlich in mehreren Kosmogonien wieder, am ausgebildetsten wohl in der indischen (s. insbesondere Chândogya-Upanishad III 19). Vgl. Kellgren, Mythus de ovo mundano, Helsingfors 1849. Bachofen, Versuch über die Gräbersymbolik der Alten, Basel 1859, S. 20 ff.

320. So wird der Ringfinger genannt.


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