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Siebente Rune

Wäinämöinen schwimmt mehrere Tage auf dem offenen Meere, der Adler trifft ihn dort an und noch immer dankbar dafür, daß Wäinämöinen die Birke beim Fällen der Waldung stehen ließ, nimmt er ihn auf seinen Rücken und trägt ihn an den Rand des Nordlands, von wo ihn des Nordlands Wirtin in ihre Behausung nimmt und ihn auf das beste empfängt 1–274. Wäinämöinen hat dennoch Verlangen nach seiner Heimat, des Nordlands Wirtin will ihn aber nicht allein dahin ziehen lassen, sondern ihm auch die Tochter zur Ehe geben, falls er ihr den Sampo schmieden könne 275–322. Wäinämöinen verspricht ihr, daß er in der Heimat angekommen den Schmied Ilmarinen senden werde, damit er den Sampo schmiede, und erhält von ihr sowohl Schlitten als Pferd, um nach der Heimat zurückzukehren 323–368.

Wäinämöinen alt und wahrhaft
Schwamm so durch die tiefen Wogen,
Wandert wie ein Zweig der Tanne,
Wie ein dürres Reis der Fichte,
Wandert sechs der Sommertage,
Sechs der Nächte nacheinander,
Vor sich nur des Meeres Fluten,
Hinter sich den klaren Himmel.

Schwimmt sodann noch zwei der Nächte
Zwei der allerlängsten Tage; [10]
Endlich in der Nächte neunter,
Nach Verlauf des achten Tages
Überfällt ihn große Plage,
Fühlt er tiefes Mißbehagen,
Denn der Zehe fehlt der Nagel
Und dem Finger die Gelenke.

Wäinämöinen, er, der Alte,
Spricht da selber diese Worte:
»Wehe mir, dem armen Jungen,
Wehe mir, dem Unglücksjungen, [20]
Daß das eigne Land verlassend
Aus der Heimat ich gegangen,
Um nun unter freiem Himmel
Tag' und Monde hier zu wandern,
Von dem Sturme stark geschaukelt,
Von den Wogen arg gewieget,
Auf den weiten Wasserstrecken,
Auf den schrankenlosen Fluten;
Frostig ist mir hier das Leben,
Schmerzhaft ist es hier zu weilen, [30]
Immerfort in diesen Wogen,
Auf dem Wasser hinzuziehen.

»Weiß ja nicht, wie ich hier leben,
Wie ich mich verhalten solle
Jetzt in diesen schlechten Zeiten,
In den harten Unheilsstunden:
Soll mein Haus im Wind ich bauen,
Auf den Wogen meine Stube?

»Baute ich mein Haus im Winde,
Fänd's im Winde keine Stütze, [40]
Baut' ich meine Stub' im Wasser,
Würd' das Wasser sie entführen.«

Her von Lappland kam ein Vogel,
Aus dem Dämmerland ein Adler,
Nicht gehört er zu den größten,
keineswegs auch zu den kleinsten,
Streift das Meer der eine Flügel,
Reicht der andre an den Himmel,
Durch die Wogen fegt der Bürzel,
An die Klippen schlägt der Schnabel, [50]

Fliegt umher und hält dann inne,
Schaut sich um und blickt nach hinten,
Sieht den alten Wäinämöinen
Auf dem blauen Meeresrücken:
»Weshalb bist du, Mann, im Meere,
Du, o Held, im Schoß der Wogen?«

Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
»Deshalb bin ich Mann im Meere,
Ich, der Held, im Schoß der Wogen, [60]
Ging zum Nordland um zu freien
Um des Düsterlandes Jungfrau.

»Ritt im Trabe meines Weges
Längs der großen Meeresfläche,
Da geriet ich eines Tages
Um die Zeit der Morgenstunde
An die Bucht von Luotola,
An die Strömung von Joukola,
Da ward mir mein Roß erschossen,
Von dem Pfeil, der mich bedrohte. [70]

»Stürzte darauf in das Wasser,
Mit den Fingern in die Fluten,
Daß der Sturm mich heftig wiegte,
Daß die Wogen mich bewegten.

»Her von Nordwest kam ein Sturmwind,
Her von Ost ein starker Windstoß,
Dieser trieb mich weit vom Lande,
Führt' mich fort in ferne Strecken;
Ward geschaukelt viele Tage,
Schwamm umher gar viele Nächte [80]
In den weiten Wasserstrecken,
In den schrankenlosen Fluten;
Kann auch nimmer hier erfahren,
Merken nicht und nicht begreifen,
Wie ich endlich sterben werde,
Was wohl früher wird geschehen,
Ob vor Hunger ich verkomme,
Ob ins Wasser ich versinke.«

Sprach der Aar, der Lüfte Vögel:
»Sei du keineswegs bekümmert, [90]
Setze dich auf meinen Rücken,
Richt' dich auf am Bürzelknochen,

Will dich aus dem Meere tragen,
Wohin auch dein Sinn begehret;
Wohl gedenk' ich noch des Tages,
Denke noch der guten Zeiten,
Als die Waldung von Kalewa,
Osmos Hain du niederbranntest,
Doch die Birke du verschontest,
Ihn, den schlanken Baum, dort ließest [100]
Einen Ruheplatz den Vögeln,
Selber mir zu einem Sitze.«

Drauf erhebet Wäinämöinen
Seinen Kopf rasch aus den Fluten,
Steigt dann mutig aus dem Meere,
Hebt sich kräftig aus den Wogen,
Setzt sich auf des Adlers Flügel,
Auf des Vogels Bürzelknochen.

Fort trägt drauf der Lüfte Vogel
Wäinämöinen, ihn, den Alten, [110]
Führt ihn auf der Bahn der Winde,
Auf des Frühlingssturmes Wegen
Zu des Nordens weilen Grenzen,
Nach dem trüben Sariola;
Läßt dort Wäinämöinen nieder,
Selber rauscht er durch die Lüfte.

Wäinämöinen weinte dorten,
Weinte dort und klagte grämlich
An dem Strand des weiten Meeres,
An der unbekannten Spitze, [120]
Wohl mit hundert Seitenwunden,
Tausendfach vom Wind geschlagen,
Mit dem Barte voller Unrat
Und den wild zerzausten Haaren.

Weinte zwei, ja drei der Nächte,
Weinte ebensoviel Tage,
Wußte keinen Weg zu gehen,
Keinen Pfad dort aufzufinden,
Der ihn nach der Heimat führte,
Nach bekannten Länderstrichen, [130]
In das Land, wo er geboren,
Wo bis dahin er gelebet.

Nordlands Magd, die kleine Jungfrau,
Dieses hellgelockte Mädchen,
Hatte mit der Sonn' gewettet,
Mit der Sonne, mit dem Monde,
Stets zugleich sich zu erheben
Und zusammen zu erwachen;
Aber sie stand auf vor ihnen,
Vor dem Mond und vor der Sonne, [140]
Eh' den Hahn sie hören konnte,
Eh' der Henne Sohn gekrähet.

Zu Beginn schor sie fünf Schafe,
Schor sodann auch noch sechs Lämmer,
Sammelte zum Tuch die Wolle,
Wählt' sie aus zu dem Gewande,
Lang bevor der Morgen graute,
Eh' die Sonne sich erhoben.

Wusch darauf die langen Tische,
kehrte rein des Bodens Bretter [150]
Mit dem zweigereichen Besen,
Mit dem blätterreichen Quaste;
Scharrt' den Kehricht dann zusammen
Sorglich auf der Kupferschaufel,
Bracht' den Unrat fort nach außen,
Durch die Tür zum Ackerfelde,
Zu des letzten Feldes Kante,
An des untern Zaunes Ende;
Blieb dort bei dem Kehricht stehen,
Horchte auf und dreht' den Körper, [160]
Hörte von dem Meer her weinen,
Von dem andern Flussesufer.

Hastig eilte sie nach Hause,
Eilt' behende in die Stube,
Sprach, als sie dort angekommen,
Und berichtete getreulich:
»Hörte von dem Meer her weinen,
Von dem andern Flussesufer.«

Louhi, sie, Pohjolas Wirtin,
Nordlands zähnearme Alte, [170]
Eilte nach dem Hof geschwinde
An die Öffnung ihrer Pforte,
Neigte dann ihr Ohr zu lauschen,
Redet selber diese Worte:
»Also weinen nimmer Kinder,
Also jammern nimmer Weiber,
Also weinen bärt'ge Helden,
Männer mit behaartem Kinne.«

Stieß den Nachen in das Wasser,
In die Flut den dreibretthohen, [180]
Selbst begann sie schnell zu rudern,
Ruderte und strebte eilends
Hin zum alten Wäinämöinen,
Zu dem Helden, der da weinte.

Wirklich weinte Wäinämöinen,
Jammerte der Freund der Wogen
An dem Bach beim Weidenbusche,
Vor dem dichten Faulbaumhaine,
Mund und Bart, die bebten beide,
Doch er öffnet nicht die Lippen. [190]

Sprach die Wirtin von Pohjola,
Sprach ihn an und redet also:
»O du alter Mann im Elend,
Bist in fremdes Land geraten!«

Wäinämöinen alt und wahrhaft
Hebt sein Haupt da in die Höhe,
Redet Worte solcher Weise:
»Weiß das selber zur Genüge,
Daß ich bin in fremdem Lande,
Auf ganz unbekannten Strecken; [200]
In der Heimat war mir wohler
Und zu Hause stand ich höher.«

Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,
Redet Worte solcher Weise:
»Möchte gern von dir erfahren,
Und erlaubt sei es zu fragen,
Wer denn bist du von den Männern,
Wer wohl aus der Zahl der Helden?«

Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber solche Worte: [210]
»Ward genannt in frühern Zeiten,
Ward zuvor betrachtet immer
Als Erfreuer an dem Abend,
Als ein Sänger in den Tälern,
Auf den Fluren von Wäinölä,
Auf den Flächen Kalewalas;
Glaube mich in meinem Elend
Selber fast nicht mehr zu kennen.«

Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,
Redet Worte solcher Weise: [220]
»Steig, o Mann, nun aus der Nässe,
Komm, betritt die neuen Pfade,
Daß dein Unglück du erzählest,
Dein Geschick du mir berichtest!«

Nahm den Mann so fort vom Weinen,
So den Helden vom Gewimmer,
Zog ihn in das Boot behende,
Setzt' ihn an des Fahrzeugs Steuer,
Machte selbst sich an das Rudern,
Ruderte mit allen Kräften [230]
Grades Weges nach Pohjola,
In ihr Haus führt sie den Fremden.

Speiste da den Hungermatten,
Trocknete den ganz Durchnäßten,
Wärmte ihn gar manche Stunde,
Wärmte ihn und schafft' ihm Hitze,
Machte bald den Mann genesen
Und gesund den starken Helden;
Fragt' ihn dann und forschte fleißig,
Redet selber diese Worte: [240]
»Weshalb hast, o Wäinämöinen,
Du, o Wogenfreund, geweinet
In dem schlechten Aufenthalte,
An dem Strande dieses Meeres?«

Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
»Habe Grund genug zum Weinen,
Grund genug mich abzuhärmen,
Hab' gar lang im Meer geschwommen
Und die Wogen fortgestoßen [250]
In den weiten Wasserstrecken,
In den schrankenlosen Fluten.

»Deshalb weine ich so lange,
Quäl' ich mich solang ich lebe,
Daß ich aus dem Heimatlande,
Aus vertrauten Länderstrecken
Zu der fremden Tür gekommen,
Zu den unbekannten Pforten,
Wo mich alle Bäume beißen,
Jeder Ast sucht mich zu schlagen, [260]
Jede Birke will mich stechen,
Jede Erle will mich schneiden;
Nur der Wind ist mein Bekannter,
Nur die Sonne mir befreundet
In den fremden Länderstrecken,
Bei den unbekannten Türen.«

Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,
Redet darauf diese Worte:
»Weine nicht, o Wäinämöinen,
Klage nicht, o Freund der Wogen; [270]
Gut ist's hier für dich zu weilen,
Schön die Zeit hier zuzubringen,
Lachs vom Teller hier zu essen,
Von dem andern Fleisch der Säue.«

Sprach der alte Wäinämöinen
Selber Worte solcher Weise:
»Nimmer mag ich fremde Speise,
Sei der Hof mir noch so gastlich;
Mehr doch gilt der Mann im Lande,
Und zu Hause steht er höher; [280]
Gib, o gütiger Jumala,
Gnadenreich gewähr's, o Schöpfer,
Daß nach Hause ich gelange,
Nach dem lieben Heimatlande!
Besser ist's im eignen Lande
Wasser aus dem Schuh zu trinken,
Als im fernen fremden Lande
Honigtrank aus goldner Schale.«

Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,
Redet Worte solcher Weise: [290]
»Was denn wirst du mir wohl geben,
Wenn ich dich nach Hause schaffe,
An den Saum des eignen Feldes,
Hin zur Badstub' deiner Heimat?«

Sprach der alte Wäinämöinen:
»Was wohl wünschst du zu erhalten,
Wenn du mich nach Hause schaffest,
An den Zaum des eignen Feldes,
Daß den Kuckuck dort ich rufen,
Dort die Vögel singen höre? [300]
Willst du eine Mütz' voll Goldes,
Einen Hut voll schönen Silbers?«

Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,
Redet Worte solcher Weise:
»O du weiser Wäinämöinen,
Zaubersprecher aller Zeiten,
Nimmer werd' nach Gold ich fragen,
Nimmer mich um Silber kümmern:
Gold taugt uns zum Kinderspielwerk,
Silber uns zu Schlittenschellen; [310]
Kannst du mir den Sampo schmieden,
Mir den bunten Deckel hämmern
Aus der Schwanenfeder Spitze,
Aus der Milch der güsten Färse,
Einem einz'gen Gerstenkorne,
Einer einz'gen Schafwollflocke,
Ja, dann geb' ich meine Tochter,
Dir die Liebliche zum Lohne,
Bringe dich zum Heimatlande,
Daß du dort die Vögel singen, [320]
Dort den Kuckuck rufen hörest
An dem Saum des eignen Feldes.«

Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
»Nicht kann ich den Sampo schmieden,
Nicht den bunten Deckel hämmern;
Bring' mich nach dem Heimatlande,
Werde Ilmarinen senden,
Daß den Sampo er dir schmiede,
Dir den bunten Deckel hämmre, [330]
Deine Tochter sich gewinne,
Daß die Jungfrau er beglücke.

»Dieser ist ein Schmied, wenn einer,
Ist ein Meister in den Künsten,
Hat den Himmel schon geschmiedet,
Hat der Lüfte Dach gehämmert,
Nirgend sieht man Hammerspuren,
Nirgend eine Spur der Zange.«

Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,
Redet Worte solcher Weise: [340]
»Dem nur geb' ich meine Tochter
Und versprech' mein Kind nur jenem,
Der den Sampo für mich schmiedet,
Der den bunten Deckel hämmert
Aus der Schwanenfeder Spitze,
Aus der Milch der güsten Färse,
Einem einz'gen Gerstenkorne
Und aus einer Schafwollflocke.«

Schirrt drauf an das muntre Füllen,
Spannt das braune vor den Schlitten, [350]
Setzt den alten Wäinämöinen
In den hengstgezognen Schlitten,
Spricht drauf Worte solcher Weise,
Läßt sich selber so vernehmen:
»Heb' dein Haupt nicht in die Höhe,
Strecke nicht hervor den Körper,
Wenn das Roß nicht schon ermüdet,
Wenn nicht schon der Abend da ist;
Hebst dein Haupt du in die Höhe,
Reckest du den Kopf nach außen, [360]
Wird gewißlich Unheil kommen,
Dich ein bös' Geschick ereilen.«

Schlug der alte Wäinämöinen
Nun den Hengst, auf daß er liefe,
Daß der Mähne Flachs sich rührte,
Lärmte so des Weges weiter
Aus dem nimmerhellen Nordland,
Aus dem düstern Sariola.


Anmerkungen

Vers 67. Luotola (Klippenheim): ungefähr gleichbedeutend mit Joukola.

114. Sariola, oder wie es zumeist genannt wird, Pohjola: das mythische Nordland, dessen Bewohner denen Kalewalas vorwiegend feindlich gegenüberstehen. Die Lage des Landes ist unbestimmt: zuweilen läßt das, was von Pohjola gesagt wird, an Lappland denken, doch gibt es im Epos auch mehrere Stellen, die eine Identifizierung beider unmöglich machen. Im engeren Sinne bedeutet Sariola oder Pohjola den Hof der Louhi.

169. »Pohjola hat einen Herrn, vor allem aber eine Herrin, eine Frau, die mit Beiwörtern von schlimmer, böser und auch schmähender Bedeutung bedacht wird. Die weibliche Idee ist die hier vorherrschende, weil im Zauberliede, in dem der Begriff von Pohjola sich durch die Definition der Plage, insbesondere der Kälte, bildete, Pohjola vorherrschend die Erzeugerin und Gebärerin der Übel ist, sich also in einem weiblichen Wesen personifiziert, das sich einem der Winde paarend, die Kälte, einem anderen, den Wolf, und wieder einem anderen, den Hund erzeugt und auch die Krankheiten hervorbringt. Daher das ständige Beiwort Hure, das in den magischen und epischen Liedern die Frau von Pohjola begleitet, die ihrer bösartigen Natur wegen als schwarze, zahnlose Alte dargestellt wird und eine ebenfalls schwarze Tochter hat, welche blind ist, sie selbst, sowie ihr Volk und alle, die das Dunkel bewohnen. Pohjola hat, weil es der Sitz der Plage und der Finsternis ist, daher einige Ähnlichkeit mit Manala und dem Totenreiche.« (Comparetti, Der Kalewala, S. 182 ) Im Epos ist sie im Brautwerbungszyklus durchaus vermenschlicht, im Samporaubszyklus kommt ihr Hexencharakter zur Darstellung; daß dieser Unterschied nicht bloß in der Handlung, sondern auch in der verschiedenartigen Herkunft der beiden Liederzyklen begründet ist, hat schon Castrén (Vorlesungen S. 283) hervorgehoben.

311. Die Bedeutung des Sampo, dessen Verfertigung und späterer Raub der wesentlichste Gegenstand des Epos sind, wird von den Forschern von je sehr verschieden aufgefaßt: es soll das Firmament (Schiefner), die Wolke (Mannhardt), den Regenbogen (Schwartz), die Sonne (Donner), ein Fabeltier (Setälä), einen Tempel (Castrén), ein Schiff (ältere Deutung, von Lönnrot angeführt, der selbst im Sampo »Bildung und Kultur« sieht), eine Zaubertrommel (Friis), eine Mühle (Grimm) u. a. bedeuten. Das Letztere ist er jedenfalls, woher immer auch sein Name stammen und was immer er ursprünglich bedeuten mag, im Epos; natürlich kann nicht eine wirkliche Mühle, sondern nur ein mythisches Werkzeug gemeint sein, ein Talisman und Symbol des Wohlstands und der geordneten Wirtschaft. Nach Julius Krohns Meinung, Kalewala-Studien (Zeitschrift für Volkskunde I), beruht der Sampo-Begriff des Epos auf einer Verschmelzung der – der skandinavischen Sage von der Gold, Frieden und Glück mahlenden Handmühle Grotte verwandten – Vorstellung von einer Wundermühle mit der mythischen Gestalt des Weltpflügers und Fruchtbarkeitsgottes Sampsa Pellerwoinen (vgl. Anmerkung zu II 13), der in einer Variante den Namen Sampo trägt (vgl. auch O. Donner, Der Mythus von Sampo, Acta Societatis Fennicae X., der die Gleichung Sampsa = Sampo = Sonne aufstellt, und Kaarle Krohn, Sampsa Pellerwoinen, Finnisch-ugrische Forschungen IV.; auf den Zusammenhang von Sampsa und Sampo hatte schon Grimm hingewiesen).

314. Daß die Milch einer unfruchtbaren Kuh zur Herstellung des Sampo mit verwandt werden soll, ist eine Variante, die im alten Kalewala fehlte (als viertes war der Splitter einer Spindel genannt) und durch ihren besonderen mythischen Witz hervorsticht.

328. Ilmarinen: der ewige Schmied, neben Wäinämöinen der vorderste Held des Epos, in seinem Wesen der Zauberer als Schmied (als Verfertiger magischer Waffen und Werkzeuge), wie jener der Zauberer als Sänger (als Erfinder magischer Worte und Weisen). Er tritt als Wäinämöinens Bruder auf, doch stehen etliche Stellen im Widerspruch dazu. Viel deutlicher war beider Zusammenhang in dem alten Kalewala zum Ausdruck gebracht, wo Wäinämöinen sie beide »Kinder von derselben Mutter, von demselben Weib getragen« nennt und Ilmarinen gleichmäßig als Bruder anspricht. Ursprünglich bezeichnet der Name Ilmarinen (von ilma: Luft) einen Luftgott, der Sturm und Windstille bewirkt (vgl. außer Julius Krohns und Kaarle Krohns Ausführungen zum Gegenstand auch O. Donner, Der finnische Gott Ilmarinen, in: Festgruß an Rudolf von Roth, Stuttgart 1893); in einem Lied rufen die Seeleute »Ilmarinen, den fröhlichen Vogel« an, er möge ihnen sanften Wind blasen. In den epischen Runen ist Ilmarinen ebenso wie Wäinämöinen zu einem zauberkundigen Heros umgeprägt worden, der jedoch im Gegensatz zu jenem von passiver und schwerfälliger, wiewohl gleichmäßig tüchtiger Natur ist.


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