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Die Sampofahrer kommen an einen Wasserfall; unterhalb des Wasserfalles haftet das Boot auf dem Rücken eines großen Hechtes 1–94. Der Hecht wird getötet, seine obere Hälfte ins Boot geschafft, gekocht und zerstückelt 95–204. Wäinämöinen macht aus den Backenknochen des Hechts seine Kantele, auf welcher der eine und der andere zu spielen versucht, ohne es jedoch zu vermögen 205–542.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Steuert mit dem Boote vorwärts
Von der langen Landzung' Ende,
Aus des armen Dorfes Nähe;
Steuert singend durch die Wogen,
Voller Freude durch die Fluten.
Auf der Landspitz' stehen Mädchen,
Schauen ringsumher und lauschen:
»Was für Jubel ist im Meere,
Was für Sang dort auf den Fluten,
[10]
Jubel so wie vordem niemals,
Schönrer Sang als je gehört ward?«
Steuerte nun Wäinämöinen
Einen Tag durch Landgewässer,
Einen dann durch Sumpfgewässer,
An dem dritten Tag durch Ströme.
Da gedachte Lemminkäinen
Einst gehörter Zauberworte
Für die Näh' des Feuerstromes,
Für des heil'gen Flusses Wirbel;
[20]
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
»Stau', o Sturz, dein Überschäumen,
Wasser, dein gewalt'ges Wallen!
Stromesjungfrau, Schaumestochter,
Setz' dich auf den Sprudelfelsen,
Laß dich auf dem Steinblock nieder,
Nimm die Wogen in die Arme,
Drück' die Brandung mit den Händen,
Press' den Schaum mit deinen Fäusten,
[30]
Daß er auf die Brust nicht spritze,
Nicht die Köpfe uns benetze!
»Alte in den Wogen unten,
Die du bei dem Schaume weilest!
Steige schwimmend auf zum Schaume,
Heb' die Brust du auf die Wogen,
Um den Gischt hoch anzuhäufen,
Um die Wellen zu bewachen,
Daß sie nicht den Schuldentblößten,
Nicht den Fehlerfreien stoßen!
[40]
»Steine in des Flusses Mitte,
Felsen in des Schaumes Wölbung
Mögen ihre Stirne senken,
Ihren Kopf nach unten drücken
Auf der Bahn des roten Bootes,
Auf dem Weg des teer'gen Nachens!
»Sollte dies genug nicht scheinen,
Kimmo, du, o Sohn des Kammo!
Bohr' ein Loch mit deinem Bohrer,
Haue du hier eine Öffnung
[50]
Mitten durch des Stromes Felsen,
An der bösen Klippe Seite,
Daß das Boot nicht haften bleibe,
Unbeschädigt weiter laufe!
»Sollte dies genug nicht scheinen,
Wirt des Wassers in den Fluten,
Mach' zu Moos die starren Steine,
Mach' das Boot zur Hechtesblase,
Wenn es durch die Wogen ziehet,
Durch der Wellen Berge eilet!
[60]
»Jungfrau an dem Wasserfalle,
Die du in dem Flusse weilest!
Drehe einen weichen Faden
Aus der weichen Flachsesknocke,
Zieh den Faden durch das Wasser,
Durch die Flut den blaugefärbten,
Daß an ihm mein Nachen laufe,
Mit beteerter Wölbung ziehe,
Daß den Weg auch schlichte Männer,
Unerfahrne selbst ihn finden.
[70]
»Melatar, du Weib voll Milde!
Nimm dein Steuer, Wohlgesinnte,
Womit du den Nachen lenkest,
Durch die Zauberfluten eilest,
An der Mißgunst Haus vorüber,
An der Zauberkünstler Fenster!
»Sollte das genug nicht scheinen,
Ukko, du, o Gott im Himmel!
Lenk' das Boot du mit dem Schwerte,
Lenk' es mit der blanken Klinge,
[80]
Daß der Plankennachen laufe,
Daß das fichtne Fahrzeug eile!«
Selbst der alte Wäinämöinen
Steuerte die Wogen teilend,
Steuerte durch Felsenspalten,
Durch den Schaum voll wilden Brausens,
Hängen blieb dort nicht der Nachen,
Stecken nicht das Boot des Kund'gen.
Erst als es danach gekommen
In die weitgedehnten Wasser,
[90]
Blieb das Boot im Laufe stecken,
Hielt der Nachen ein im Eilen;
Haftet fest auf einer Stelle,
Kann vom Fleck sich nicht bewegen.
Selbst der Schmieder Ilmarinen,
Lemminkäinen auch, der Muntre,
Stoßen in das Meer das Ruder,
In die Flut die Fichtenstange,
Suchen eifrig zu befreien
Ihren festgefahrnen Nachen;
[100]
Doch das Boot will sich nicht regen,
Frei kommt nicht der Plankennachen.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
»O du muntrer Lemminkäinen,
Bücke dich um nachzuschauen,
Worauf denn das Boot wohl haftet,
Worauf unser Nachen stecket
In den weitgedehnten Fluten,
In den überstillen Tiefen,
[110]
Ob auf Klippen oder Stämmen,
Ob auf einer andern Hemmnis.«
Lemminkäinen leichtgemutet
Wendet sich um nachzuschauen,
Schauet unterhalb des Bootes,
Redet Worte solcher Weise:
»Sitzet nicht auf einer Klippe,
Einer Klippe, einem Stamme;
Auf der Schulter eines Hechtes,
Auf des Wasserhundes Hüftbein.«
[120]
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
»Alles findet man im Wasser,
Stämme sind drin und auch Hechte;
Halten wir auf Hechtes Rücken,
Auf des Wasserhundes Hüftbein,
Fahre mit dem Schwert ins Wasser,
Schlage du den Fisch in Stücke!«
Lemminkäinen leichtgemutet,
Dieser Schelm mit roten Wangen,
[130]
Zog die Klinge aus dem Gurte,
Von der Hüft' den Knochenbeißer,
Fuhr ins Wasser mit der Klinge,
Hieb hinab am Rand des Bootes,
Stürzte selber in das Wasser,
Fuhr ins Meer mit seinen Fäusten.
Faßte nun Schmied Ilmarinen
Bei den Haaren diesen Helden,
Hob den Mann aus Meeresfluten,
Redet selber diese Worte:
[140]
»Alle sind gemacht zu Männern,
Sind gemacht zu Bartesträgern,
Daß erfüllt ein Hundert werde,
Voll ein Tausend sich gestalte.«
Zog das Schwert aus seinem Gurte,
Aus der Scheid' das wilde Eisen,
Daß den Fisch er jetzt zerhaue,
Schlug hinab am Rand des Bootes;
Doch in Stücke sprang die Klinge,
Ohne daß der Hecht was merkte.
[150]
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
»Nicht seid ihr des Mannes Hälfte,
Nicht das Drittel eines Helden;
Kommt Bedürfnis nach dem Manne,
Hat des Mannes Sinn man nötig,
Ist der Sinn recht unbeträchtlich,
Alle Einsicht ist verschwunden.«
Selber zieht er seine Klinge,
Greift er nach dem scharfen Eisen,
[160]
Stößt die Klinge in die Fluten,
An des Bootes Rand zum Grunde,
In des Hechtes breiten Rücken,
In des Wasserhundes Rippen.
Stecken bleibt das Schwert, das starke,
Haftet in des Fisches Rachen;
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Zieht den Fisch nun in die Höhe,
Zieht den Hecht hoch aus dem Wasser:
In zwei Stücke bricht der Hecht da,
[170]
In die Tiefe stürzt der Fischschweif
Und der Kopf fällt in den Nachen.
Wieder kann das Fahrzeug laufen,
Kommt das Boot von seiner Stelle;
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Lenkt das Boot zu einer Insel,
Treibt es eilig hin zum Strande,
Dann beschaut von allen Seiten
Er den großen Kopf des Hechtes,
Selber spricht er diese Worte:
[180]
»Wer der älteste der Jungen,
Soll den Hecht hier mir zerspalten,
Soll den Fisch in Scheiben schneiden,
Soll den Kopf in Stücke schlagen!«
Sprachen aus dem Boot die Männer,
Von dem Borde so die Weiber:
»Holder sind des Fängers Hände,
Heiliger sind seine Finger.«
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Holt das Messer aus der Scheide,
[190]
Von der Hüft' das kalte Eisen,
Daß den Hecht er damit spalte,
Diesen Fisch in Stücke schneide,
Selber spricht er diese Worte:
»Wer die jüngste von den Jungfraun,
Soll den Hecht hier für mich kochen,
Mir zu einem Frühstücksbissen,
Mir zu einem schönen Schmause!«
Kochen gingen nun die Jungfraun,
Ihrer zehn wohl um die Wette;
[200]
So nun ward der Hecht gekochet
Zu den Bissen eines Mahles,
Auf der Klippe blieben Knochen,
Fischesgräten auf dem Felsen.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Blickte hin auf diese Gräten,
Sah sie an von allen Seiten,
Redet Worte solcher Weise:
»Was wohl könnte hieraus werden,
Aus den Zähnen dieses Hechtes,
[210]
Aus den weitgestreckten Kiefern,
Wär'n sie in des Schmiedes Esse,
Bei dem kund'gen Hämmerkünstler,
In der Hand des klugen Mannes?«
Sprach der Schmieder Ilmarinen:
»Nichts kann aus dem Nutzenlosen,
Aus des Fisches Gräten werden,
Gar nichts in des Schmiedes Esse,
Bei dem kund'gen Hämmerkünstler,
In der Hand des klugen Mannes.«
[220]
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
»Dennoch kann aus diesen Gräten
Eine Kantele entstehen,
Wenn der Kundige sich findet,
Draus ein Saitenspiel zu formen.«
Da kein anderer sich zeigte,
Da kein Kundiger hervortrat,
Draus ein Saitenspiel zu formen,
Ging der alte Wäinämöinen
[230]
Selber nun an das Gestalten,
Machte selbst er sich zum Künstler;
Formt' ein Saitenspiel aus Gräten,
Formt' ein Werkzeug ew'ger Freude.
Woher nahm er wohl den Boden?
Aus des großen Hechtes Kiefer.
Woraus machte er die Wirbel?
Aus des großen Hechtes Zähnen.
Und woraus sind denn die Saiten?
Aus dem Haar des Hiisi-Wallachs.
[240]
War das Saitenspiel bereitet,
War Schön-Kantele nun fertig,
Aus des Hechtes Gräten ward sie,
Aus den Flossen sie gestaltet.
Kamen nun die jungen Männer,
Kamen die beweibten Helden,
Kamen halberwachsne Knaben,
Kamen auch die kleinen Mädchen,
Jungfraun kamen, alte Weiber,
Kamen Frauen mittlern Alters
[250]
Um die Kantele zu sehen,
Um das Saitenspiel zu schauen.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Ließ die Jungen, ließ die Alten,
Ließ die Leute mittler Jahre
Mit den Fingern munter spielen
Auf dem Sanggerät aus Gräten,
Auf der Kantele aus Fischbein.
Spielten Junge, spielten Alte,
Spielten Leute mittler Jahre;
[260]
Junge spielten, Finger sprangen,
Alte übten, Köpfe wankten,
Freude wollte nicht entstehen,
Frohes Spiel sich nicht erheben.
Sprach der muntre Lemminkäinen:
»O ihr Kinder halber Einsicht,
O ihr Mädchen stumpf von Sinnen,
Und du andres Volk voll Jammer!
Nicht verstehet ihr zu spielen,
Ordentlich nicht vorzutragen;
[270]
Gebet mir die gute Harfe,
Tragt Schön-Kantele herüber,
Stellt sie her auf meine Kniee,
An die Spitzen meiner Finger!«
Hat der muntre Lemminkäinen
Nun die Kantele in Händen,
Hat vor sich das Freudenwerkzeug,
Hält es unter seinen Fingern;
Rückt zurecht das Saitenspiel dann,
Wendet es nach allen Seiten,
[280]
Doch nicht tönen will die Harfe,
Will nicht Freude von sich geben.
Sprach der alte Wäinämöinen:
»Nicht ist bei den jungen Leuten,
In dem wachsenden Geschlechte,
Auch nicht bei den alten Leuten,
Wer auf dieser Harfe spielen,
Freude aus ihr wecken könnte;
Sollte Pohjola wohl besser
Auf der Harfe spielen können,
[290]
Daraus Freudenklänge wecken,
Wenn ich sie nach Pohja brächte?«
Bracht' die Harfe nach Pohjola,
Führte sie nach Sariola;
Spielten Knaben in Pohjola,
Spielten Knaben, spielten Mädchen,
Spielten auch beweibte Männer,
Spielten Frauen, die verehlicht,
Spielte selbst die alte Wirtin,
Dreht' und wendete die Harfe,
[300]
Faßte fest sie mit den Fingern,
Hielt sie mit den Fingerspitzen.
Spielten Knaben in Pohjola,
Spielten Leute jeder Gattung,
Nicht zu merken war dort Freude,
Keine Melodie im Spiele;
Ganz verwickelt war'n die Saiten,
Elend wimmerten die Haare,
Hart erklangen alle Töne,
Greulich war das Spiel der Harfe.
[310]
Schlief ein Blinder in dem Winkel,
Auf dem Ofen dieser Alte,
Wachte auf dort auf dem Ofen,
Fuhr empor von seiner Schlafstatt,
Knurrte so auf seinem Sitze,
Murmelte in seinem Winkel:
»Höret auf und laßt das Spielen,
Macht dem Lärmen nun ein Ende!
Bläst mir Löcher in die Ohren,
Sprenget mir den Kopf in Stücke,
[320]
Gehet mir durch alle Haare
Und entführt den Schlaf auf lange!
»Bringt des Suomivolkes Harfe
Nicht zum Vorschein wahre Freude,
Lockt sie nicht zu süßem Schlummer,
Nicht zu angenehmem Schlafe,
O, so werft sie in das Wasser,
Senkt sie in des Meeres Fluten;
Oder traget sie zurücke,
Bringt das Saitenspiel hinüber
[330]
In die Hände, die es schufen,
Zu den Fingern, die es fügten!«
Schnell entgegnen da die Saiten,
Tönt die Kantele zur Antwort:
»Will nicht in das Wasser gehen,
In die Fluten niedersinken,
Bei dem Spielmann will ich klingen,
In des Meisters Hand erschallen.«
Ward die Harfe nun bedächtig,
Ward gar vorsichtig getragen
[340]
In die Hand, die sie gebildet,
Auf die Kniee ihres Schöpfers.
Anmerkungen
Vers 48. Der Vers lautet im Original: Kivi Kimmo Kammon poika, d. h. Kimmo Stein, der Sohn des Kammo. Kimmo ist nach Ganander der Herr der Steine; ein Stein ist sein Wohnsitz; doch wird auch er selbst zuweilen in der Gestalt eines Steines vorgestellt, wie ja die volkstümliche Phantasie häufig ein Ding und seinen Dämon miteinander verwechselt oder vielmehr als im Wesen identisch behandelt. Die Zauberrunen nennen ihn einen rollenden Stein, ein Ei der Erde, einen Kloß des Ackers.
71. Melatar (von mela, kurzes Steuerruder): eine im Wasserfall wohnende freundliche Göttin, die die Schiffe auf den rechten Weg leitet.
74 ff. Die Wasserfälle wurden wegen der Gefahren, die sie darstellten, als verzaubert angesehen.
89 ff. Dasselbe wird in einer Variante von der Bootfahrt Jesu mit Petrus und Andreas auf dem See Genezareth erzählt. Kaarle Krohn versucht u. a. in einer Untersuchung über das Motiv vom gefangenen Unhold (Finnisch-ugrische Forschungen VII) und in seinem Vortrag über germanische Elemente in der finnischen Volksdichtung (Zeitschrift für deutsches Altertum 21) die Erzählung des Epos auf christliche und biblische Elemente zurückzuführen.
123 f. Sprichwörtlich geworden (jedes Ding hat sein Gutes und sein Böses).
141 f. Diese sprichwörtliche Wendung bedeutet etwa: Von solchen gehen zwölf auf ein Dutzend.
224 ff. Kantele: das finnische Nationalinstrument; sie hat die Gestalt eines länglichen Dreiecks und war einst mit nur fünf Saiten von Roßhaar bespannt; jetzt hat sie deren acht bis sechzehn von Metall, auch hat sie ihre Form mehr oder weniger verändert; »die älteste war aus einem großen birkenen, auf einer Seite ausgehöhlten Brett gemacht, auf der anderen waren fünf Saiten, durch Pflöcke befestigt, angebracht; so war der Kasten ohne Boden, dessen Stelle der Tisch, auf welchen das Instrument beim Spielen gelegt wurde, vertrat«. Die Kantele wird wie die Zither mit den Fingern gespielt, wobei sie entweder auf einem Tische oder auf den Knien des Spielenden ruht. – Über die finnische Musik s. Proceedings of the International Folklore Congress, London 1892.
Ein Volkslied, mit dem Lönnrot seine Sammlung »Kanteletar« eröffnet hat, sagt vom Ursprung der Kantele:
»Wahrheit sprechen die gewiß nicht,
Lügen nur mit leeren Worten,
Die vom Saitenspiele sagen,
Von der Kantele verkünden,
Daß sie Wäinämöinens Werk ist,
Daß des Hohen Hand sie formte,
Daß aus eines Fisches Rückgrat,
Aus dem Kiefer sie geschaffen.
Sorge fügte sie zusammen,
Schmerzen haben sie gebildet,
Elend schnitzte ihre Decke,
Leiden liehen ihr den Boden,
Mißgeschick spann ihr die Saiten,
Drangsal drehte ihr die Wirbel.
Darum wird sie nimmer klingen,
Nie in muntern Weisen tönen,
Nimmermehr zur Freude wecken,
Nie zur Fröhlichkeit beleben,
Weil die Sorge sie gebildet,
Gram ihr die Gestalt gegeben.«
(Deutsch von Hermann Paul.)