Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundzwanzigste Rune

Lemminkäinen, voll Ärger darüber, daß er nicht zur Hochzeit eingeladen worden, beschließt dennoch nach dem Nordland zu ziehen, ohne auf das Verbot seiner Mutter und das vielfache Verderben zu achten, das ihm nach den Worten seiner Mutter daselbst droht 1–382. Er begibt sich auf den Weg und kommt vermöge seiner Zauberkraft glücklich durch alle gefahrvollen Stellen 383–776.

Ahti weilte auf der Insel,
An der Bucht der Kaukospitze,
Ackerte auf seinem Felde
Und durchfurchte seine Fluren,
War gar fein sein Ohr gebildet,
Sein Gehör war scharf geartet.

Hörte Lärmen her vom Dorfe,
Hört' Geräusch vom Seegestade,
Von dem glatten Eise Tritte,
Von der Flur des Schlittens Rasseln; [10]
Durch den Sinn fährt ihm der Einfall,
Durch das Hirn ihm der Gedanke:
Hochzeit hält das Volk Pohjolas,
Heimlich hält es ein Gelage.

Bog den Kopf, den Mund verzog er,
Schüttelte die schwarzen Haare,
Gar erbost, verließ sein Blut da
Seiner armen Wangen Fläche;
Stand zur Stunde ab vom Pflügen,
Mitten auf dem Feld vom Furchen, [20]
Stieg zu Pferde auf der Stelle,
Ritt gerades Wegs nach Hause
Zu der vielgeliebten Mutter,
In die Nähe dieser Alten.

Sprach, als er sein Ziel erreichte,
Redet angekommen also:
»Liebe Mutter, teure Alte,
Schaffe Speise gar geschwinde,
Daß der Hungrige sie esse,
Daß der Gier'ge sie verschlinge; [30]
Laß zugleich die Badstub' heizen,
Laß mir schnell ein Bad bereiten,
Daß der Mann den Leib sich wasche,
Daß der Helden Zier sich rein'ge!«

Schafft die Mutter Lemminkäinens
Darauf Speise gar geschwinde,
Daß der Hungrige sie esse,
Daß der Gier'ge sie verschlinge,
Während man das Bad bereitet,
Man in Ordnung bringt die Badstub'. [40]

Lemminkäinen leichtgemutet
Nahm in Eile ein die Speise,
Eilends ging er nach dem Bade,
Schritt er nach dem Badehause;
Dort nun wusch sich blank der Buchfink,
Säuberte den Leib der Dompfaff,
Wusch die Stirn zu Flachses Weiße
Und den Hals zu hellem Glanze.

Kam zur Stube aus dem Bade,
Worte solcher Weise sprach er: [50]
»Liebe Mutter, teure Alte,
Geh zur Kammer auf dem Berge,
Bringe mir mein Hemd, das feine,
Hol' den Rock, den wohlbestellten,
Daß ich mich mit ihm bekleide,
Ihn an meine Glieder lege!«

Fragte ihn zuvor die Mutter,
Forscht' ihn aus die alte Hausfrau:
»Wohin gehest du, mein Söhnchen,
Gehst du einen Luchs zu jagen, [60]
Gehst ein Elen einzuholen,
Gehst ein Eichhorn du zu schießen?«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Mutter, die du mich getragen,
Gehe keinen Luchs zu jagen,
Geh' kein Elen einzuholen,
Auch kein Eichhorn mir zu schießen;
Gehe zu dem Schmaus Pohjolas,
Zu dem heimlichen Gelage; [70]
Bringe mir mein Hemd, das feine,
Hol' den Rock, den wohlbestellten,
Daß zur Hochzeit ich ihn anzieh',
Beim Gelage ihn gebrauche!«

Ihrem Sohn verbot's die Mutter,
Ihrem Mann riet ab die Gattin,
Warnten ihn zwei gute Frauen,
Drei der Schöpfungstöchter wehrten
Lemminkäinen hinzuziehen
Zu dem Schmause von Pohjola. [80]

Sprach die Mutter zu dem Sohne,
So die Alte zu dem Kinde:
»Gehe nicht, mein liebes Söhnchen,
Du, mein Söhnchen, lieber Kauko,
Zu dem Schmause von Pohjola,
Zum Gelag des großen Haufens,
Nicht gebeten bist du dorthin,
Wirst dort keineswegs erwartet!«

Lemminkäinen leichtgemutet
Ließ sich solcherart vernehmen: [90]
»Eingeladen kommen Schlechte,
Ungebeten eilt der Gute;
Habe eine ew'ge Ladung,
Eine unabläss'ge Botschaft:
Dieses Schwertes Feuerschneide,
Diese funkenreiche Klinge.«

Lemminkäinens Matter suchte
Immer noch ihn abzuhalten:
»Gehe doch nicht, liebes Söhnchen,
Zu dem Schmause von Pohjola! [100]
Reich an Schrecken ist die Straße,
Große Wunder auf dem Wege,
Dreimal droht der Tod dem Manne,
Dreimal droht ihm das Verderben.«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Immer sehn den Tod die Alten,
Überall sie das Verderben,
Niemals wird der Mann sich fürchten,
Nie so sehr in Acht sich nehmen; [110]
Aber sei dem wie ihm wolle,
Sage mir, damit ich's höre,
Wie ist denn der Schrecken erster,
Wie der letzte doch beschaffen?«

Sprach die Mutter Lemminkäinens,
Gab zur Antwort so die Alte:
»Sag' den Tod dir nach der Wahrheit,
Nicht nach deinem eignen Wunsche,
Sage dir der Tode ersten,
Dieses ist der Tode erster: [120]
Bist ein wenig du gewandert,
Einen Tag du schon gereiset,
Kömmet dir ein Strom voll Feuer
Auf des Weges Mitt' entgegen,
In dem Strom ein Feuersprudel,
In dem Sturz ein Feuereiland,
Auf dem Land ein Feuerhügel,
Auf dem Holm ein Feueradler:
Nächtens wetzt er seine Zähne,
Schärft bei Tage seine Klauen [130]
Für die Fremden, die da kommen,
Für die Leute, die ihm nahen.«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Davon mögen Weiber sterben,
Nimmer so ein Held vergehen;
Weiß dagegen schon ein Mittel,
Einen guten Rat zu finden:
Schaff' aus Erlenholz ein Roß mir,
Einen Helden mir aus Erlen, [140]
Daß er mir zur Seite wandre,
Daß vor mir einher er ziehe;
Selber tauche ich als Ente
In die Wogen rasch hinunter,
Unter jenes Adlers Klauen,
Unter jenes Vogels Krallen;
Mutter, die du mich getragen,
Sag' den andern mir der Tode!«

Sprach die Mutter Lemminkäinens:
»Dieses ist der Tode zweiter: [150]
Bist ein wenig du gewandert
In dem Lauf des zweiten Tages,
Kommt da eine Feuergrube,
Liegt dir mitten auf dem Wege,
Streckt sich weithin gegen Osten,
Ohne Ende hin nach Westen,
Angefüllt mit heißen Steinen,
Voll von Blöcken, die da glühen;
Hundert sind dorthin geraten,
Tausend dort hineingesunken, [160]
Hundert schwertbewehrte Männer,
Tausend eisenfeste Rosse.«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Davon wird der Mann nicht sterben,
Nimmer so ein Held vergehen;
Kenne einen Rat dagegen,
Einen Rat und einen Ausweg:
Zaubre aus dem Schnee den Mann mir,
Einen Helden aus dem Eise, [170]
Dräng' ihn in des Feuers Masse,
Treib' ihn in die Pein der Flammen,
Daß er in den Gluten bade
Mit dem Badequast aus Kupfer;
Selber schlüpf' ich von der Seite,
Dränge ich mich durch das Feuer,
Daß der Bart mir nicht versenget,
Nicht verbrannt die Locken werden;
Mutter, die du mich getragen,
Sag' den letzten mir der Tode!« [180]

Sprach die Mutter Lemminkäinens:
»Dieses ist der Tode dritter:
Bist du noch ein Stück gegangen,
Einen Tag sodann gewandert,
Bis zur Pforte von Pohjola,
Zu der allerengsten Stelle,
Stürzt ein Wolf sich dir entgegen
Und ein Bär ist ihm zur Seite
An der Pforte von Pohjola,
In dem allerengsten Gange; [190]
Hundert wurden dort verschlungen,
Dort zerrissen tausend Helden,
Weshalb sollt' man dich nicht fressen,
Nicht den Unbeschützten töten?«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Mag das Jungschaf man verzehren,
Blutig es in Stücke reißen,
Nicht den Mann, auch nicht den schlechtsten,
Nicht den trägsten auch der Helden! [200]
Bin umgürtet mit der Binde,
Mit dem Leibgurt eines Mannes,
Trage eines Helden Spangen,
Werde nimmermehr geraten
In das Maul dem Wolf Untamos,
In des bösen Untiers Rachen.

»Weiß ein Mittel gegen Wölfe,
Einen Rat auch gegen Bären:
Zaubre Zügel an das Wolfsmaul,
Eisenketten an den Bären, [210]
Oder stoße ihn zu Häcksel,
Siebe ihn in kleine Stücke;
Komme darauf in das Freie,
Bringe meinen Weg zu Ende.«

Sprach die Mutter Lemminkäinens:
»Bist dann nimmer noch zu Ende;
Hattest du auf deinem Wege,
Auf der Reise große Wunder,
Drohten dir schon drei der Schrecken,
Drohte dreifach das Verderben, [220]
Wartet, bist du hingekommen,
Dein am Ort der schlimmste Schrecken:
Bist ein wenig du gewandert,
Kommst du zu dem Hof Pohjolas,
Eisern ist der Zaun geschmiedet
Und von Stahl die Umfangsmauer,
Von der Erde bis zum Himmel,
Von dem Himmel bis zur Erde,
Speere sind die Zaunstaketen,
Sind mit Schlangen ganz durchflochten, [230]
Sind mit Nattern festgebunden,
Sind mit Eidechsen bekleidet;
Lassen ihre Schwänze spielen,
Lassen ihre Köpfe zischen,
Heiser in den Lüften rauschen,
Kopf nach außen, Schwanz nach innen.

»Auf der Erde liegen Schlangen,
Nattern ausgestreckt am Boden,
Zischen oben mit den Zungen,
Schwingen unten ihre Schwänze; [240]
Eine, gräßlicher als alle,
Liegt querüber vor dem Tore,
Länger als des Daches Balken,
Dicker als des Ganges Stützen,
Zischet oben mit der Zunge,
Hebet drohend ihren Rachen,
Hebt ihn gegen keinen andern,
Hebt ihn gegen dich, den Armen.«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli: [250]
»Davon mögen Kinder sterben,
Nimmer so ein Held vergehen;
Weiß das Feuer zu bezaubern
Und die Flammen zu ermüden,
Weiß die Schlangen wegzubannen
Und die Nattern fortzutreiben;
Pflügte noch am vor'gen Tage
Einen Acker voll von Schlangen,
Ackerte ein Feld voll Nattern
Mit ganz unbedeckten Händen, [260]
Hielt die Schlangen mit den Fingern,
In den Händen fest die Nattern,
Tötete der Schlangen viele,
Hunderte von schwarzen Nattern,
Schlangenblut ist an den Nägeln,
Natternfett noch an den Händen;
Werde nicht so bald drum stürzen,
Keineswegs so bald geraten
In der Schlange Schlund als Bissen,
Nicht der Nattern Beute werden; [270]
Selbst zerdrücke ich die Schlechten,
Press' die Garstigen zusammen,
Bann' die Schlangen auf die Seite,
Aus dem Wege fort die Nattern,
Schreite in den Hof Pohjolas,
Dringe in der Stube Innres.«

Sprach die Mutter Lemminkäinens:
»Gehe nimmer du, mein Söhnchen,
Nach der Stube von Pohjola,
In das Wohnhaus Sariolas! [280]
Schwertumgürtet sind dort Männer,
Helden dort in Kriegesrüstung,
Von dem Hopfentrank berauschet,
Wild vom übervielen Trinken,
Zaubern dich, den Unglücksel'gen,
An des Schwertes Feuerspitze;
Beßre wurden so verzaubert,
Stärkre also überwunden.«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli: [290]
»Habe früher schon geweilet
In den Stuben von Pohjola,
Mich verzaubert nicht ein Lappe,
Zwingt kein Turjaländer nieder,
Selbst verzaubre ich den Lappen,
Zwinge jeden Turjaländer,
Sing' entzwei ihm seine Schultern,
In das Kinn ihm eine Öffnung,
Singe ihm entzwei die Kiefer,
Singe ihm die Brust in Stücke.« [300]

Sprach die Mutter Lemminkäinens:
»O mein Sohn, mein unglücksel'ger,
Denkst du noch an frühre Dinge,
Prahlst du mit dem einst'gen Gange:
Freilich hast du schon geweilet
In den Stuben von Pohjola,
Bist dort in dem See geschwommen,
Hast versucht die Laichkraut-Seen,
Bist den Strom hinabgefahren
Mit der Strömung hingestürzet, [310]
Hast erprobt Tuonis Wasser
Und gemessen Manas Fluten;
Wärest dort noch heut'gen Tages
Ohne deine schlimme Mutter.

»Höre nun, was ich dir sage:
Kommst du nach Pohjolas Stuben,
Ist der Holm gefüllt mit Stäben
Und der Hof mit lauter Stangen,
Alle voll von Menschenköpfen;
Ohne Kopf der Pfähle einer, [320]
Daß auf dieses Pfahles Spitze
Dort dein Haupt gepflanzet werde.«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Narren mögen das beachten,
Taugenichtse das bedenken,
Fünf, ja sechs der Kriegesjahre,
Wohl auch sieben Kampfessommer,
Helden können drauf nicht achten,
Nicht im mindesten es meiden; [330]
Bringe mir mein Kriegeshemde,
Meine alte Kampfesrüstung,
Selbst hol' ich das Schwert des Vaters,
Schaue meines Alten Klinge,
Hat gar lange kalt gelegen,
Lange an geheimer Stelle,
Hat beständig dort geweinet,
Nach dem Träger dort verlanget!«

Nahm darauf das Kriegeshemde,
Nahm die alte Kampfesrüstung, [340]
Seines Vaters treue Klinge,
Seines Alten Kriegsgesellen;
Stützt die Spitze auf den Boden,
Stößt die Schneide auf die Diele,
In der Hand biegt sich die Klinge
Wie des Faulbaums frischer Wipfel,
Wie der wachsende Wacholder;
Sprach der muntre Lemminkäinen:
»Schwerlich ist in Nordlands Stuben,
In den Räumen Sariolas, [350]
Wer mit diesem Schwert sich messen,
Diese Klinge schauen möchte.«

Von der Wand nimmt er den Bogen,
Nimmt den festen von dem Pflocke,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
»Werde einen Mann den heißen,
Den als Helden anerkennen,
Der mir meinen Bogen krümmen,
Der die Sehne spannen könnte [360]
In den Stuben von Pohjola,
In den Räumen Sariolas.«

Lemminkäinen leichtgemutet,
Er, der schöne Kaukomieli,
Ziehet an das Kriegeshemde,
Leget an die Kampfesrüstung,
Redet dann zu seinem Knechte,
Läßt auf diese Art sich hören:
»O du Knecht, den ich gekaufet,
Den mit Geld ich mir gewonnen! [370]
Rüste eilends mir mein Streitpferd,
Schirre an das edle Kampfroß,
Daß ich zu dem Schmause ziehe,
Zum Gelag des Lempohaufens!«

Gar gehorsam, wohlberaten,
Geht geschwind der Knecht zum Hofe,
Schirret an das mut'ge Streitroß,
Rüstet wohl das feuerrote,
Spricht, als er zurückgekommen:
»Hab' getan, was mir befohlen, [380]
Hab' das Roß schön ausgerüstet,
Hab' das Pferd wohl angeschirret.«

Kam dem muntern Lemminkäinen
Schon die Zeit um fortzugehen,
Treibt die Rechte, wehrt die Linke,
Seine Fingersehnen schmerzen;
Ging drauf wie er es beschlossen,
Ging geradwegs, ohne Bangen.

Ihrem Sohne riet die Mutter,
Ihrem Kinde so die Alte [390]
An der Türe, unterm Balken,
An dem Ruheplatz des Kessels:
»O mein einz'ges, liebes Söhnchen,
Du mein Kind und meine Stütze!
Eilst du zu dem Trinkgelage,
Kommest du wohin du wolltest,
Trink zur Hälfte nur die Kanne,
Nur zur Mitte du die Schale,
Andern laß die andre Hälfte,
Sie, die schlechtre, einem Schlechtern, [400]
Schlangen ruhen in der Schale,
Würmer auf der Kanne Boden!«

Ferner ratet sie dem Sohne,
Gibt dem Kinde feste Weisung
An dem letzten Feldesende,
Bei der allerletzten Pforte:
»Eilst du zu dem Trinkgelage,
Kommest du wohin du wolltest,
Sitze halb nur auf dem Sitze,
Schreite nur mit halbem Schritte, [410]
Andern laß die andre Hälfte,
Sie, die schlechtre einem Schlechtern,
So nur kannst ein Mann du werden,
Dich als echter Held bewähren,
Mitten durch die Scharen schreitend,
Durchs Getümmel offen gehend,
In dem Haufen starker Helden,
In der Menge mut'ger Männer!«

Darauf setzte Lemminkäinen
Eilig sich in seinen Schlitten; [420]
Schlug das Roß mit seiner Gerte,
Strich es mit der perlenreichen,
Munter flog das Roß von dannen,
Lief das Pferd mit ihm ins Weite.

War ein wenig nur gefahren,
Nur ein Stündchen weit gereiset,
Einen Birkhahnschwarm erblickt er,
Eilig flattern auf die Hühner,
Hastig rauschen fort die Vögel
Vor dem raschen Lauf des Rosses. [430]

Liegen bleiben ein'ge Federn
Auf dem Weg von Birkhahnflügeln,
Diese sammelt Lemminkäinen,
Steckt sie sorgsam in die Tasche,
Weiß ja nicht, was da mag kommen,
Was geschehen auf der Strecke:
Alles kann im Haus man brauchen,
Kann in Nöten man verwenden.

Fährt ein wenig nur noch weiter,
Wandert nur ein Stücklein Weges, [440]
Da beginnt das Roß zu schnaufen,
Fängt das Schlappohr an zu stutzen.

Lemminkäinen leichtgemutet,
Er, der schöne Kaukomieli,
Hebet sich auf seinem Sitze,
Beugt sich vor um zuzuschauen;
Sieht, wie's seine Mutter sagte,
Wie die Alte ihm bekräftigt:
Zieht ein Strom sich voller Feuer
Vor dem Pferde in die Quere, [450]
In dem Strom ein Feuersprudel,
In dem Sturz ein Feuereiland,
Auf dem Land ein Feuerhügel,
Auf dem Holm ein Feueradler,
Seine Kehle schäumet Feuer,
In dem Schlunde fließen Flammen,
Feurig glühen seine Federn,
Knistern von den Feuerfunken.

Lange sah er schon den Kauko,
Schon von ferne Lemminkäinen: [460]
»Wohin willst du, Kauko, gehen,
Wohin, Lemminkäinen, reisen?«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Gehe zu dem Schmaus Pohjolas,
Zu dem heimlichen Gelage;
Wende dich zur Seit' ein wenig,
Weich ein Stückchen aus dem Wege,
Laß den Wandersmann nach vorne
Und zumal den Lemminkäinen, [470]
Seitlich laß ihn weiter reisen,
An der Kante vorwärts ziehen!«

Solche Antwort gab der Adler,
Kreischend mit der Feuerkehle:
»Lasse wohl den Wandrer vorwärts
Und zumal den Lemminkäinen,
Lass' durch meinen Schlund ihn schreiten,
Ihn durch meine Kehle wandern,
Dorthin soll dein Weg dich führen,
Dorthin sollst von hier du ziehen [480]
Zu dem langen Gastgebote,
Zu der Feier ohne Ende.«

Wenig achtet's Lemminkäinen,
War darum nicht sehr in Sorgen,
Rasch griff er in seine Tasche,
Fuhr behend in seinen Beutel,
Nahm heraus die Birkhahnfedern,
Rieb behutsam sie zu Flocken
Zwischen seinen beiden Händen,
Zwischen allen seinen Fingern, [490]
Da entstand ein Birkhuhnhaufen,
Eine Schar von Haselhühnern;
Trieb sie in den Schlund des Adlers,
In den Rachen ihm zur Nahrung,
In die Kehle voller Feuer,
In des Flammenvogels Zähne;
Selber kam er so von dannen,
Macht sich frei am ersten Tage.

Schlug das Roß mit seiner Gerte,
Rauschte mit der perlenreichen, [500]
Grade eilt sein Roß von dannen,
Rennt mit Lärm das Füllen weiter.

Fuhr ein wenig auf dem Wege,
Ritt ein kleines Stückchen vorwärts,
Plötzlich scheut das gute Rößlein,
Fängt da wieder an zu wiehern.

Ahti hebt sich von dem Sitze,
Macht sich auf um zuzuschauen,
Sieht, wie's seine Mutter sagte,
Wie die Alte ihm bekräftigt: [510]
Eine Feuergrube dehnt sich,
Liegt ihm mitten auf dem Wege,
Streckt sich weithin gegen Osten,
Ohne Grenze hin nach Westen,
Angefüllt mit heißen Steinen,
Voll von Blöcken, die da glühen.

Wenig achtet's Lemminkäinen,
Also betet er zu Ukko:
»Ukko, du, o Gott der Höhe,
Lieber Vater in dem Himmel! [520]
Send' aus Nordwest eine Wolke,
Eine zweite du aus Westen,
Eine dritte aus dem Osten,
Laß sie steigen aus dem Nordost,
Stoß die Ränder aneinander,
Laß den Zwischenraum sich füllen,
Sende klafterhohen Schneefall,
Lasse Schnee in Speerschaftshöhe
Auf die heißen Steine fallen,
Auf die Blöcke, die da glühen!« [530]

Ukko, er, der Gott der Höhe,
Er, der Vater in dem Himmel,
Schickt aus Nordwest eine Wolke,
Eine zweite dann aus Westen,
Eine dritte aus dem Osten,
Läßt sie steigen aus dem Nordost,
Stößt die Wolken aneinander,
Läßt die Zwischenräume schwinden;
Sendet klafterhohen Schneefall,
Läßt den Schnee in Speerschaftshöhe [540]
Auf die heißen Steine fallen,
Auf die Blöcke, die da glühen;
Aus dem Schnee entsteht ein Weiher,
Dort ein See mit starken Wogen.

Darauf zaubert Lemminkäinen
Dorthin eine Eisesbrücke
Über diesen schnee'gen Weiher
Von dem einen Rand zum andern,
So entkommt er dieser Drangsal,
Macht sich frei am zweiten Tage. [550]

Schlug das Roß mit seiner Peitsche,
Rauschte mit der perlenreichen,
Hastig trabt das Roß von dannen,
Eilet weiter auf dem Wege.

Lief nun eine Meil', die zweite,
Rannte noch ein kleines Stückchen,
Hält dann plötzlich wieder inne,
Rührt sich nicht von seiner Stelle.

Lemminkäinen leichtgemutet
Springt gleich auf um zuzuschauen; [560]
Steht ein Wolf dort an der Pforte,
Steht ein Bär ihm gegenüber
An der Pforte von Pohjola,
An des langen Ganges Ende.

Greift der muntre Lemminkäinen,
Selbst der schöne Kaukomieli
Gar behende in die Tasche,
Suchet rasch in seinem Beutel,
Holt des Mutterschafes Wolle,
Reibt behutsam sie zu Flocken [570]
In der Höhlung seiner Hände,
Zwischen allen seinen Fingern.

Bläst dann einmal auf die Hände,
Schafe läßt er rasch enteilen,
Eine ganze Lämmerherde,
Eine Herde lust'ger Böcklein;
Auf die Schafe stürzt der Wolf sich,
Und der Bär an seiner Seite,
Lemminkäinen leichtgemutet
Wandert weiter auf dem Wege. [580]

Fuhr noch eine kleine Strecke,
Kam zum Hofe von Pohjola;
Das Geheg' war ganz aus Eisen,
War aus Stahl der Zaun bereitet,
Hundert Klafter in der Erde,
Tausend Klafter hin zum Himmel,
Speere waren die Staketen,
Ganz mit Schlangen sie durchflochten
Und mit Nattern festgebunden
Und mit Eidechsen bekleidet, [590]
Ließen ihre Schwänze spielen,
Ließen ihre Köpfe zischen,
Schwangen die gewalt'gen Köpfe,
Köpf nach außen, Schwanz nach innen.

Lemminkäinen leichtgemutet
Fing nun an zu überlegen:
»Ist wie's meine Mutter sagte,
Wie die Alte wiederholte:
Hier der Zaun, der ungeheure,
Von der Erde bis zum Himmel, [600]
Tief zwar kriechen unten Schlangen,
Tiefer ist der Zaun gezogen,
Hoch zwar fliegen oben Vögel,
Höher ist der Zaun gezogen.«

Dennoch war da Lemminkäinen
Nicht in Not und in Bedrängnis,
Holt sein Messer aus der Scheide,
Holt hervor den Stahl, den wilden,
Hauet auf den Zaun mit Hitze,
Bricht in Stücke die Staketen, [610]
Macht ein Loch im Eisenzaune,
Stürzt die starke Natternhürde
Zwischen fünf der festen Pfähle,
Zwischen sieben hohen Stangen;
Selber fährt er darauf weiter
Zu dem Tore von Pohjola.

Auf dem Weg lag eine Schlange,
Quergelagert an dem Eingang,
Länger als die Stubenbalken,
Dicker als die Eingangsstützen, [620]
Hundert Augen hat die Schlange,
Tausend Zungen hat die Natter,
Augen von des Siebes Größe,
Zungen dick wie Speeresschäfte,
Zähne wie der Stiel der Harke,
Sieben Boote mißt ihr Rücken.

Nicht getraut sich Lemminkäinen
Mit den Händen anzugreifen
Diese hundertäug'ge Schlange,
Diese tausendzüng'ge Natter. [630]

Spricht der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Schwarzes Kriechtier, unterird'sches,
Wurm du von Tuonis Farbe,
Der du in den Stoppeln schleichest,
An des Lempokrautes Wurzel,
Durch den Rasen dich bewegest,
An der Bäume Wurzel kriechest!
Wer wohl sandt' dich aus den Stoppeln,
Trieb dich von des Grases Wurzeln, [640]
Auf dem Boden hier zu kriechen,
Auf dem Wege hier zu schleichen?
Wer erhob wohl deinen Rachen,
Wer entsandte dich und machte,
Daß den Kopf du aufrecht haltest,
Du den Hals nach oben streckest,
War's dein Vater, deine Mutter,
War's der älteste der Brüder,
War's die jüngste deiner Schwestern,
War's ein andrer Stammverwandter? [650]

»Schließ den Mund, den Kopf verstecke
Und verbirg die leichte Zunge,
Wickle dich nun ganz zusammen,
Ringle dich zu einer Rolle,
Gib den Weg mir frei, den halben,
Laß den Wandrer weiter ziehen,
Oder gehe fort vom Wege,
Gehe, Böse, ins Gestrüppe,
Weich hinweg in Heidekräuter,
Geh, verbirg dich in dem Moose, [660]
Gleite wie ein Büschel Wolle,
Schwinde wie ein Span der Espe!
Steck' den Kopf du in den Rasen,
Birg ihn in dem morschen Grabe,
In dem Torf ist deine Wohnung,
Unterm Rasen deine Stätte;
Hebest du den Kopf von dorten,
Wird ihn Ukko dir zerschlagen
Mit den stahlbeschlagnen Pfeilen,
Mit den wilden Eisenschloßen!« [670]

Also redet Lemminkäinen,
Nicht beachtet es die Schlange,
Zischet unablässig weiter,
Streckt hervor die grause Zunge,
Saust mit aufgesperrtem Rachen
Nach dem Kopfe Lemminkäinens.

Da gedenket Lemminkäinen
Jener alten Zauberworte,
Die gehört er von der Alten,
Von der Mutter er gelernet; [680]
Spricht der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Wenn du dieses nicht beachtest,
Wenn du nicht von hinnen weichest,
Wirst in arger Pein du schwellen,
Wirst in schwerer Not dich blähen,
Wirst, o Böse, du zerbersten,
Schlechte du, in drei der Stücke,
Wenn ich deine Mutter suche,
Wenn ich deine Alte finde; [690]
Kenne, Untier, deinen Ursprung,
Weiß, wie, Scheusal, du entstanden,
Syöjätär ist deine Mutter,
Dieses Meerweib deine Alte.

»Syöjätär, sie spie ins Wasser,
Warf den Speichel in die Wogen,
Dieser ward gewiegt vom Winde,
Von dem Wasserzug geschaukelt,
Ward gewiegt dort sechs der Jahre,
Ward getrieben sieben Sommer [700]
Auf dem klaren Meeresrücken,
Auf den hochgetürmten Wogen,
Länglich zog ihn dort das Wasser,
Sonnenschein verlieh ihm Weichheit,
An das Land trug ihn die Brandung,
Zu dem Strande ihn die Fluten.

»Kamen drei der Schöpfungstöchter
Zu dem Strand des wilden Meeres,
Zu des lauten Meers Gestade,
Sahn am Strand den Speichel liegen, [710]
Sprachen Worte solcher Weise:
›Was wohl könnte daraus werden,
Wenn der Schöpfer ihm das Leben,
Wenn er Augen ihm verliehe?‹

»Diese Rede hört der Schöpfer,
Läßt sich solcherart vernehmen:
›Schlechtes kommt nur von dem Schlechten,
Böses von der Bösen Auswurf,
Wenn ich ihm das Leben gäbe,
Wenn ich Augen ihm verliehe.‹ [720]

»Diese Worte hörte Hiisi,
Der zu böser Tat Bereite,
Machte selber sich zum Schöpfer,
Hiisi gab dem Speichel Leben,
Diesem Geifer einer Garst'gen,
Den Syöjätär ausgeworfen;
Daraus wurde eine Schlange,
Wurde eine schwarze Natter.

»Woher kam ihr wohl das Leben?
Aus dem Kohlenhaufen Hiisis. [730]
Woraus ward das Herz geschaffen?
Aus dem Herzen der Syöjätär.
Woher kam das Hirn der Schlechten?
Aus dem Schaum des heft'gen Stromes.
Woher kam der Sinn dem Untier?
Aus dem Gischt des Wasserfalles.
Woher kam der Kopf der Schlimmen?
Aus dem Samen einer Bohne.

»Woher kamen denn die Augen?
Aus des Lempoflachses Samen. [740]
Woher denn des Scheusals Ohren?
Aus dem Laub der Lempobirke.
Woraus ward der Mund geschaffen?
Aus der Spange der Syöjätär.
Woraus ward der Schlechten Zunge?
Aus dem Speere Keitolainens.
Woraus denn der Argen Zähne?
Aus der Tuonigerste Acheln.
Woraus denn der Garst'gen Zahnfleisch?
Aus der Kalmatochter Zahnfleisch. [750]

»Woraus ist gebaut der Rücken?
Aus des Hiisi Feuergabel.
Woraus ist der Schwanz gebildet?
Aus des bösen Kobolds Haarzopf.
Woraus sind die Eingeweide?
Aus des Todesgottes Gürtel.

»Dieses war dein Stamm, o Schlange,
Dies die Kunde deiner Ehre;
Schwarzes Kriechtier, unterird'sches,
Wurm du von Tuonis Farbe, [760]
Von der Erd- und Heidefarbe,
Von der Farb' des Regenbogens!
Geh dem Wandrer aus dem Wege,
Weich dem Helden, der da reiset,
Gib dem Wandrer frei die Straße,
Laß den Lemminkäinen ziehen
Zu dem Schmause von Pohjola,
Zu dem wohlbestellten Mahle!«

Sieh, da krümmte sich die Schlange,
Macht' sich fort die hundertäug'ge, [770]
Wandte sich die dicke Natter,
Kroch davon zu andern Orten,
Gab dem Wandrer frei die Straße,
Ließ den Lemminkäinen ziehen
Zu dem Schmause von Pohjola,
Zu dem heimlichen Gelage.


Anmerkungen

Vers 14. Heimlich, d. h. ohne mich einzuladen.

205. Der Name Untamo kann hier wohl nur dadurch erklärt werden, daß der Vers aus einer Kullerwo-Rune stammte (Parallelstellen und eine kühne Deutungs-Anregung, die einen Wolf der Amleth-Sage heranzieht, bei Setälä, Kullerwo-Hamlet); doch ist auch zu berücksichtigen, daß Pohjola XV 576 Untamola (von Schiefner durch »Schlummerland« übersetzt, nach uni, Traum und Schlaf; vgl. den Untamo von V 17) genannt wird.

257 ff. Eine Tat, die XIX 91 ff. dem Ilmarinen zugeschrieben wurde.

308. Die mit schwimmendem Laichkraut ( potamogeton natans) bedeckten Seen.

437 f. Sprichwörtlich.

746. Keitolainen: ein böser Dämon; im Zauberlied neben Lempo und Piru genannt; nach Ganander ein Waldgott, nach Rennwall einer von der Schar Keitos, des Metallgottes, was zur Bezeichnung »der Speer Keitolainens« besser paßt; doch werden im Zauberlied Keito und Keitolainen durchaus identifiziert.


 << zurück weiter >>