Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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14.

Am Abend desselben Tages noch wurde Heinz Reichenbach in das Untersuchungsgefängnis nach Moabit überführt. Der Haftbefehl wurde aufrechterhalten. Fluchtverdacht und Verdunkelungsgefahr als vorliegend erachtet. Karl Morener, der noch am selben Abend mit Hanni Reichenbach zusammen versuchte, zu ihm zu gelangen, wurde bedeutet, daß man aus naheliegenden Gründen gerade ihm den Zutritt verwehren müsse. Welcher Art diese Gründe waren, konnte er nicht erfahren. Hanni Reichenbach stellte man anheim, am Vormittag des nächsten Tages wiederzukommen. Decken, Wäsche, Toilettengegenstände, Lebensmittel und Zigaretten, die sie ihm brachte, versprach man, an den Angeschuldigten weiterzuleiten.

Ein alter Aufsichtsbeamter, der jeden Gegenstand prüfte, bestaunte die englische Ledertasche, die Elfenbeingarnitur, die seidene Wäsche, die feinen Delikatessen, führte die Zigaretten unter die Nase und meinte:

»Da scheinen wir ja einen feinen Gast bekommen zu haben.«

»Behandeln Sie ihn nur recht gut,« bat Hanni – »er ist nämlich unschuldig.«

»Natürlich! Das sind se hier alle! Die sind alle hier nur zum Vergnügen. Um auszuruhen. Ruhiger und billiger können sie's in keinem Sanatorium haben. Was hat er'n eigentlich ausgefressen?«

»Nichts!« erwiderte Hanni. »Sie glauben doch nicht etwa auch . . .?«

»Ich glaube janischt. Wenn von dem, was hier jelogen wird, sich hinterher nur einmal was als wahr herausstellt – dann find' ich mich nicht mehr zurecht und lasse mich pensionieren.«

»Lassen Sie mich wenigstens mit ihm telephonieren,« bat Hanni.

»Wa . . wa . . was – wollen Sie? – Ach so! Sie meinen, von unseren Gästen hat jeder sein' Apparat am Bett? Einmal drücken der Hausknecht, zweimal der Oberkellner und dreimal drücken das Stubenmädchen. Das würde 'ne schöne Drückerei geben. Sie scheinen ja 'ne komische Vorstellung von so'm Untersuchungsgefängnis zu haben. In Ihrer Familie scheint noch nich ville vorjekommen zu sein.«

»Es ist das erstemal in hundertfünfzig Jahren.«

»Was? – Wie alt sind Sie?«

»In unserer Familie hat noch nie jemand etwas mit den Gerichten zu tun gehabt.«

»Ach so, Sie rechnen das Alter von der ganzen Familie zusammen. – Sie wollen wohl beweisen, daß der Angeschuldigte nicht der einzige Fall – er zeigte auf die Stirn – in der Familie ist.«

»Wir verreden hier unsere Zeit,« sagte Karl Morener und sah auf die Uhr.

»Wieso Ihre Zeit? meine Zeit! Mein Dienst ist um sieben Uhr dreißig zu Ende. Jetzt ist es bereits sieben Uhr dreißig – und bis ich mit den Sachen zu dem in seine Zelle komme, vergehen noch zwei Minuten.«

»Zelle? – er ist doch nicht im Gefängnis?« fragte Hanni erregt.

»Noch nicht,« erwiderte der Aufsichtsbeamte. »Ich hab das noch so an mir, weil ich einundzwanzig Jahre im Zuchthaus war.« – Hanni wich vor dem Beamten zurück, der fortfuhr: »Als Wächter natürlich.«

»Sagen Sie ihm wenigstens, daß wir hier gewesen sind,« bat Hanni.

»Das wird er ja wohl an den Sachen merken.«

»Und bestellen Sie ihm Grüße von uns.«

Der Beamte versprach es – und Karl Morener verließ mit Hanni, die zusammenfuhr, als das Torgitter geöffnet wurde und wieder ins Schloß fiel, das Untersuchungsgefängnis. –

Es war inzwischen dunkel geworden.

»Ich darf Sie nach Hause fahren?« fragte Karl, als sie vor seinem Auto standen.

»Nach Haus? was soll ich da? Ich hätte doch nicht fünf Minuten Ruhe.«

»Was glauben Sie, daß wir jetzt hier noch für ihn tun können?«

»Der Anwalt hat vielleicht etwas erfahren.«

»Die Verdachtsmomente, derentwegen man ihn in Haft behält, kennen wir ja. Mehr wird er auch nicht wissen.«

»Fragen wir ihn.«

»Er wird kaum noch im Bureau sein.«

»Dann wird man uns sagen, wo wir ihn finden.« –

Sie stiegen ein und fuhren in die Kurfürstenstraße. –

»Ich ertrage die Vorstellung, daß Heinz da unter Verbrechern sitzt, einfach nicht. Jeder Mensch, der ihn auch nur oberflächlich kennt, lacht doch, wenn er hört, daß man ihn wegen Einbruchs in seine Bank« – sie stutzte und berichtigte sich – »seine Bank ist es zwar nicht – aber daß Heinz Reichenbach stiehlt oder einbricht oder überhaupt etwas tut, was nicht anständig ist, das ist doch so ausgeschlossen, daß man nicht begreift, wie es Menschen geben kann, die ihm das zutrauen.«

»Für die Behörden ist er zunächst mal ein Mensch wie jeder andere,« erwiderte Karl. »Aber im Verlaufe der Untersuchung werden wir sie mühelos davon überzeugen, und sie wenden genau so von ihm denken wie wir.«

»Sie werden das tun? – und mir helfen und ihm?«

»Ja, zweifeln Sie einen Augenblick daran?«

»Ich habe das Gefühl, daß Sie ihn nicht mögen.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Sie sind so verschieden.«

»Nein! Nein! jetzt meinten Sie etwas anderes – und zwar etwas Bestimmtes, sagen Sie es mir. – Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten und ehrlich miteinander sind, wird er darunter zu leiden haben.«

»Sie haben recht – und ich wünschte, ich könnte Vertrauen zu Ihnen haben.«

»Sie dürfen es! – Also bitte, woraus schließen Sie, daß ich Ihrem Vetter nicht wohl will?«

Hanni wandte sich zu ihm und sagte:

»Sehen Sie mich an!«

Karl Morener sah ihr fest in die Augen und fragte:

»Also?«

»Sie lieben ein und dieselbe Frau!«

»Ja!«

»Frau Hedda Morener.«

»Ich wäre unaufrichtig, wenn ich es leugnen würde – obschon ich mich mit diesem Geständnis in Ihre Hände gebe.«

»Weiß mein Vetter das?«

»Nein!«

»Darf er es wissen?«

»Unter keinen Umständen.«

Sie reichte ihm die Hand und sagte:

»Vertrauen gegen Vertrauen. Er wird es nicht erfahren – durch mich nicht.«

»Und woher wissen Sie es?«

»Als ich in Mamas Gegenwart in Verbindung mit der Kuanyin von einer Frau sprach, haßten Sie ihn.«

»Ich gebe es zu – aber glauben Sie, daß ich seine Ehre deshalb mit weniger Eifer verteidigen werde?«

»Die Versuchung läge nahe.«

»Mit solchen Mitteln um eine Frau zu kämpfen, wäre erbärmlich.«

»Ich habe Ihnen abzubitten. In meiner Sorge um Heinz habe ich schlecht von Ihnen gedacht und seinen Feind in Ihnen gesehen. Sie glauben nicht, wie froh ich bin, daß ich mich getäuscht habe.«

Der Wagen hielt in der Kurfürstenstraße. – Der Rechtsanwalt arbeitete noch in seinem Bureau. Karl Morener und Hanni Reichenbach wurden sofort vorgelassen. – Die Eröffnungen, die Dr. Eltzbach ihnen machte, waren klar und kurz:

»Vorweg! Ich kenne Herrn Reichenbach – bin also überzeugt, daß er mit dieser ganzen Geschichte weder direkt noch indirekt etwas zu tun hat. Das Zusammentreffen unglücklicher Zufälle belastet ihn. Die Feststellungen haben bereits heute ergeben, daß er seit über einem Jahre das erstemal des Nachts außerhalb des Hauses verbracht hat. Wo er war, will er nicht sagen. Die Untersuchung hat ergeben, daß ein Einbruch nicht stattgefunden hat, sondern nur vorgetäuscht ist. Der Geldschrank ist mit den passenden Schlüsseln geöffnet worden. Diese Schlüssel besaß nur er. Sie wurden auch am heutigen Morgen noch an seinem Schlüsselbund gefunden – sind ihm also nicht gestohlen worden. Der nächtliche Einstieg in den Raum, in dem sich der Geldschrank befand, ist aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Bureau in der darüberliegenden Etage erfolgt. Dies Bureau ist sein Bureau. Die Beschädigungen an den Türen und Schlössern des Geldschranks sind erfolgt, um einen Einbruch vorzutäuschen Sie rühren unter keinen Umständen von gewerbsmäßigen Verbrechern her. Sie sind so gewaltsam und laienhaft erfolgt, daß man wohl annehmen kann, daß der Täter sich dabei verletzt hat. Ein unglücklicher Zufall will, daß die Hände des Herrn Reichenbach Risse und Abschürfungen aufweisen, die sehr wohl von einer solchen Tätigkeit herrühren können. – Was Untersuchungsrichter und Staatsanwalt aber noch nicht wissen und was sie hoffentlich auch nicht in Erfahrung bringen: Herr Reichenbach ist in dieser Nacht in übler Gesellschaft gewesen.«

»Das ist nicht wahr!« widersprach Hanni, und Karl Morener fragte:

»Woher wissen Sie das?«

»Er hat es mir selbst vor wenigen Stunden anvertraut. Da Sie seine Freunde sind, so brauche ich damit nicht hinter dem Berge zu halten.«

»Das hat er Ihnen vorgelogen,« sagte Hanni, »weil er die Dame nicht kompromittieren will.«

»An diesen nächtlichen Besuch bei einer Dame glaube ich nicht mehr. Vielmehr bin ich der Meinung – und nach dieser Richtung forsche ich auch weiter –, daß Herr Reichenbach ein Doppelleben geführt hat. Derartiges gibt es . . . es ist nicht einmal ungewöhnlich. Er ist in letzter Zeit weniger seinen künstlerischen Neigungen nachgegangen und hat sich scheinbar mit um so größerem Eifer psychologischen Studien zugewandt. Nichts ist auf dem Gebiete reizvoller und ergiebiger, als das Studium von Dirnen und Verbrechern. Wenn die Angestellten im Hause bekunden, daß er des Nachts sonst stets zu Hause gewesen sei, so ist darauf zu erwidern, daß er natürlich vermieden hat, seine nächtlichen Eskapaden bekannt werden zu lassen. Er wird es also so eingerichtet haben, daß die Dienerschaft weder sein Weggehen, noch seine Rückkehr bemerkt hat. Ein Verkehr in Verbrecherkreisen ist natürlich mit Gefahr verbunden. Auch wenn man ihm vielleicht das menschliche Interesse geglaubt hat, so ist er in den Augen dieser Leute doch immer ein Außenseiter geblieben – und wenn es natürlich auch unter diesen Leuten manchen im Grunde anständigen Menschen gibt, den die Verhältnisse erst zu dem gemacht haben, so werden die meisten von ihnen in Reichenbach doch nichts anderes als ein Objekt gelegentlicher Ausbeutung gesehen haben. Ich bin auf Grund meiner Forschungen, die ich im Anschluß an meine Unterredung mit Herrn Reichenbach im Untersuchungsgefängnis hatte, der Ansicht, daß diese Verbrecher, mit denen er verkehrte und die genau wußten, wer er war, nur auf die Gelegenheit gewartet haben, einen großen Coup durch ihn zu landen. Sie haben – wahrscheinlich ohne daß er es merkte – von ihm alles erfahren, was sie wissen wollten: seinen Namen, seinen Beruf, die Art der Ausübung, die Verhältnisse in der Bank. Als sie dann – um in ihrer Sprache zu reden – alles ausbaldowert hatten, sind sie zu dem großen, gewiß seit langem vorbereiteten Coup geschritten. Sie haben ihn mit wer weiß was für Mitteln in einen Betäubungszustand versetzt, ihm die Schlüssel entwendet und das große Ding gedreht – an sich mit großem Raffinement und in der Absicht, den Verdacht auf ihn zu lenken. Sie haben ihm dann die Schlüssel wieder zugesteckt und getan, als ob nichts vorgefallen wäre. Aber wie diese Verbrecher bei aller Gerissenheit sich meist durch irgendeine Dummheit zu verraten pflegen, so auch in diesem Fall. Einmal dabei, wollten sie ganze Arbeit tun und haben ihn hinterher noch mit Gewalt ausgeplündert – ihm sogar sein Automobil gestohlen. Es ist dann zu Streitigkeiten gekommen – wohl gar zu Schlägereien – und Reichenbach hat gegen Morgen den ersten besten Arzt der Gegend aufgesucht, dem er unter dem ersten Eindruck manches erzählt, das Wesentliche aber natürlich verschwiegen hat.«

»Das ist ja ungeheuerlich!« sagte Hanni, die, ebenso wie Karl, in atemloser Spannung der Erzählung des Anwalts gefolgt war.

»Wie war es Ihnen denn möglich, das alles in so kurzer Zeit herauszubringen?«

»Sehr einfach! Ich habe seinem Diener den Auftrag gegeben, mir von jedem Besuch und telephonischen Anruf sofort Mitteilung zu machen. Unter etwa dreißig Telephongesprächen war die Anfrage eines Arztes nach dem Befinden Reichenbachs. Ich habe mich sofort mit vier Ärzten dieses Namens in Verbindung gesetzt, von denen einer denn auch der richtige war. Ich bin seit einer Stunde von ihm zurück. Er hat mir erzählt, was er wußte – es genügt vollkommen, um den Fall in allen seinen Punkten aufzuklären. Da die finanziellen Verhältnisse Reichenbachs die besten sind, ein Motiv zur Tat also nicht gegeben ist, so wird man meinen Gedankengängen, zumal sie de facto keine Werturteile, sondern lediglich eine Zusammenstellung von Tatsachen sind, folgen müssen.«

»Vorausgesetzt, daß es gelingt, die wahren Täter zu fassen.«

»Das ist Sache der Polizei – der ich mit der Feststellung dieses Tatbestandes bereits einen großen Dienst erweise. »

»Und wann wird man ihn freilassen?«

»Das kann meines Erachtens nur noch eine Frage von Tagen sein.«


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