Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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2.

Tatsächlich verschlimmerte sich Heinrich Moreners Zustand mit beängstigender Schnelle. Das lag zum Teil auch daran, daß er dies Doppelleben auf die Dauer nicht ertrug. Die gesellschaftlichen Verpflichtungen, die ihn oft drei- bis viermal in der Woche zwangen, bis in den frühen Morgen wach zu bleiben, die wenigen Stunden, die er tagsüber, aus Bedürfnis und wohl auch aus Klugheit, seiner Frau schenkte, zwangen ihn zu immer intensiverer Arbeit im Bureau. Seine Willenskraft und Fähigkeit, sich zu konzentrieren, machten ein paar Monate lang diese Lebensführung möglich. Aber dann kamen Stunden, in denen das Denkvermögen plötzlich aussetzte. Bis in die kleinsten Details fertige Pläne waren wie weggewischt. Auch mit körperlichen Schwächezuständen waren diese Erscheinungen, die er vor seiner Frau geheimzuhalten suchte, verbunden. Das führte dahin, daß er sich in ständiger Angst, sein Gedächtnis zu verlieren, überall – beim Reiten, auf den Abendgesellschaften, des Nachts, wenn er wach lag – examierte, um festzustellen, ob er die Geschäfte, die hinter ihm lagen oder deren Abschluß bevorstand, auch noch im Kopfe habe. Das zermürbte ihn vollends. Und eines Morgens fand man ihn völlig apathisch und erschöpft in seinem Bette auf, ohne daß er den Willen oder die Kraft fand, sich zu erheben oder sich auch nur über sein Befinden zu äußern. Die Ärzte veranlaßten seine sofortige Überführung in ein Sanatorium, wo man nach eingehender Untersuchung, die er völlig teilnahmlos über sich ergehen ließ, erklärte: völlige Nervenerschöpfung, stark angegriffenes Herz – die Behandlung erfordert für die nächsten Monate unbedingte Ruhe. Infolgedessen kann der Patient weder seine Gattin, noch sonst jemanden empfangen. Die voraussichtliche Heilung, über deren Zeitpunkt nichts gesagt werden kann, hat zur Voraussetzung, daß jede Erregung von dem Kranken ferngehalten wird.

Frau Hedda hatte trotz Widerspruchs der Ärzte der Überführung beigewohnt und stundenlang in einem Vorraum des Sanatoriums auf den ärztlichen Befund gewartet. Als der leitende Arzt ihr jetzt das Resultat mitteilte, erwiderte sie:

»Das sind ja Redensarten!«

»Erlauben Sie!« widersprach gekränkt der Arzt.

»Daß seine Nerven erschöpft sind, weiß ich auch ohne Sie. Und wie lange er Ruhe braucht, und was als Ruhe für ihn in Betracht kommt, kann ich besser beurteilen als die Ärzte.«

»Dann bitte ich Sie, Ihren Gatten wieder mitzunehmen.«

»Nein! Ich habe ihn hierhergebracht, weil er natürlich nur zur Ruhe kommen kann, wenn er aus seiner bisherigen Umgebung heraus ist. In einem Sanatorium ist er daher relativ schon am besten aufgehoben. Ob dies oder ein anderes bleibt sich gleich.«

»Dann verstehe ich nicht, was Sie wollen, gnädige Frau.«

»Ich will wissen, ob Sie sein Blut untersucht haben.«

»Noch nicht – aber wir werden es selbstverständlich tun.«

»Das allein interessiert mich. Ob Paranoia oder nicht.«

»Sie vermuten?«

»Ich habe keinerlei Anhaltspunkte – aber ich erwarte ein Kind.«

»Die Wissenschaft ist so weit vorgeschritten, daß . . .«

»Danke! – Ich bringe kein Kind zur Welt, um es nach der Geburt den Ärzten auszuliefern. Wann also?«

»Ihre Mitteilung nötigt mich als Arzt, zunächst eine Frage an Sie zu richten.«

»Bitte.«

»Uns ist klar, daß Ihr Gatte irgendeinen Schreck oder eine Enttäuschung erlebt haben muß. Eine geschäftliche Ursache hierfür liegt nach Angabe des Prokuristen Reichenbach nicht vor. Wir haben die Ursache also innerhalb der Familie zu suchen.«

»Bitte, suchen Sie –! Ich weiß nichts davon.«

»Die Ursache finden, heißt den Herd der Krankheit finden – und das wiederum ist die Voraussetzung für eine erfolgversprechende Behandlung.«

»Sie sagen mir auch damit nichts Neues.«

»Dies Neue, gnädige Frau, erführe ich gern von Ihnen.«

»Was wollen Sie wissen?«

»Ob vielleicht dies Kind, das Sie erwarten . . .«

»Warum reden Sie nicht?«

»Sie sind eine junge und schöne Frau.«

»Ich verbitte mir solche Reden!«

»Es ist meine ärztliche Pflicht und die Sorge um Ihren Gatten, die mich zu dieser Indiskretion zwingt.«

»Reden Sie endlich!« drängte Hedda.

»Hatten Sie dieses Kindes wegen einen Auftritt mit Ihrem Gatten?«

»Mein Mann weiß nichts – von diesem Kinde. – Genügt Ihnen das?«

»Sie haben es ihm verheimlicht? Aus welchem Grunde?«

»Um ihn zu überraschen.«

Der Arzt machte ein ungläubiges Gesicht, und Frau Hedda fuhr fort:

»Da er es nicht weiß, kann es also auch nicht der Grund für seine Krankheit sein.«

»Vielleicht irren Sie sich – und er weiß es doch, wenn auch nicht durch Sie.«

»Ich muß zu ihm!« drängte Hedda bestürzt.

»Das ist nicht möglich!«

»Es macht ihn vielleicht gesund.«

»Er wird Ihnen nicht glauben.«

Hedda starrte den Arzt an und fragte:

»Was . . . wird . . . er mir . . . nicht glauben?«

»Wie wollen Sie ihm beweisen, daß es sein Kind ist?«

»Ja, das will ich ja gar nicht. Ich will es ihm ausreden – und ihn belügen.«

»Gnädige Frau! Ich bin ernstlich besorgt. Sie reden da Dinge . . .«

»Die Sie nicht verstehen. Das glaube ich gern.«

»Sie sehen doch, ich bin Ihrem Geheimnis und damit der Ursache seines Zusammenbruchs auf die Spur gekommen.«

»Das reden Sie sich ein. Aber ich wiederhole Ihnen, mein Mann weiß von nichts. Und wenn Ihnen sein Leben lieb ist, schweigen Sie. Er darf es von keinem andern als von mir erfahren.«

Aber der leitende Arzt schüttelte nur lächelnd den Kopf und sagte:

»Wenn es Sie beruhigt, verspreche ich es Ihnen. Für die nächsten Wochen ist es sowieso ausgeschlossen, von etwas anderem als absolut gleichgültigen Dingen mit ihm zu sprechen.«

Hedda verabschiedete sich mit den Worten:

»Und Sie vergessen nicht, mir wegen der Blutuntersuchung Bescheid zu geben.«

»Noch heute im Verlauf des Tages,« erwiderte der leitende Arzt, »da Sie so großen Wert darauf legen.«

Hedda Morener fuhr nach Hause, gab den Befehl, daß sie für niemanden – auch telephonisch – als für den leitenden Arzt des Sanatoriums zu sprechen sei, ging in ihr Zimmer, schloß sich ein, setzte sich an den Apparat – und wartete.

Nach drei Stunden meldete sich der Arzt.

»Ja . . . und?« rief Frau Hedda – heiser vor Erregung.

»Der Befund ist negativ,« meldete der Arzt und hörte deutlich, wie Frau Hedda tief aufatmete und den Hörer fallen ließ. Daß sie zufrieden lächelte und die Hände auf den Leib preßte, sah er nicht.


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