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Wieder waren zwei Jahre vergangen. Eine Reihe namhafter Privatfirmen waren in dem Bankhaus Gebrüder Reichenbach aufgegangen, ohne daß Morener einen Teilnehmer aufgenommen hätte. An der Börse hatte man vor seiner Tüchtigkeit und seinem Glück gleich großen Respekt. Je erfolgreicher Morener in seinem Bemühen war, der Bank gerade die Kundschaft wieder zuzuführen, die mit dem Austritt Leonard Reichenbachs verschwunden war, um so eifriger ahmte er die Methoden seines Vorgängers nach und hielt sich von Spekulationen und Geschäften fern – auch wenn sie großen Gewinn versprachen –, denen er seinen Aufstieg verdankte. Aber das geschah weniger aus Überzeugung als aus dem Wunsche heraus, mit der Zurückgewinnung der Kunden sich auch deren Salons zu erschließen. Hierzu war der Weg über Frau Reichenbach, die nur ihrer sportliebenden Tochter wegen noch gelegentlich Verkehr pflegte, der gegebene. Aber es hatte bisher an einem Anlaß gefehlt, die nach dem Tode Reichenbachs völlig abgeschnittene Verbindung wiederherzustellen.
Morener ärgerte sich über sich selbst, wenn er sich wie jetzt bei derartigen Gedanken ertappte. Ein Mann von meinem Format pfeift auf derart äußerliche Dinge, redete er sich zu, fühlte aber im selben Augenblick, daß er sich belog und gestand sich, daß diese krankhaft gesteigerte Sehnsucht, auch Leonard Reichenbachs gesellschaftliche Stellung zu erobern, ihm mehr wert war als alle geschäftlichen Erfolge. –
Der Privatsekretär meldete Herrn Karl Morener. Sofort reagierte sein Gehirn mit dem Gedanken: vielleicht durch ihn! – Er saß in seinem Bureau, einem großen hellen Raum, in dem außer einem großen Perserteppich nur ein paar Sessel und ein Riesenschreibtisch standen. An den Wänden hingen die Bilder der Reichenbachschen Chefs, die für ihn mehr als nur dekorativen Wert hatten, und an denen die Übernahme von Bank und Schloß beinahe gescheitert wäre.
Als sein Neffe Karl, der zusammen mit Heinz Reichenbach seit zwei Jahren Prokura hatte, das Bureau betrat, sah Morener zur Uhr und sagte:
»Guten Morgen, mein Junge! So früh habe ich dich hier noch nie gesehen.«
Karl, eine durchtrainierte Sportfigur, der bei aller äußeren Pflege – ja, je mehr er sich pflegte, um so deutlicher – etwas vom Professional anhaftete, erwiderte kühl:
»Es ist dein Wunsch, daß ich Sport treibe und Gesellschaften besuche. Wenn ich morgens reite, vormittags Tennis spiele, nachmittags Golf und abends Bridge – ich bitte dich, wo soll ich da die Zeit hernehmen, mich um das Geschäft zu kümmern?«
Karl ließ sich, ohne die Anforderung seines Onkels abzuwarten, in einen Sessel fallen, der gegenüber dem Schreibtisch stand, und sagte in einem Ton, der nicht erkennen ließ, ob es ganz ernst gemeint war.
»Ich freue mich, Onkel, daß du meine Verdienste anerkennst. Das gibt mir den Mut . . .«
Heinrich Morener stützte die Arme auf die Stuhllehne, rückte den schweren, breiten Körper näher an den Tisch heran, streckte den mächtigen Kopf mit der breiten Nase und den stechenden Augen vor und fragte:
»Wieviel?«
»Heute komme ich nicht, um etwas zu holen.«
»Nanu? – Bringst du mir am Ende gar etwas?«
»Ja! Eine Frau! Schön, jung, aus einem alten Stall, Rasse, Uradel.«
»So eine Frau könnte mich reizen.«
»Dich?« – Karl sah erschrocken den Onkel an.
»Ja! – Oder bringst du mir etwa eine Nichte? In dem Fall interessiert mich in erster Linie, zu wissen, ob sie vermögend ist.«
Karl erhob sich und sagte kalt:
»Ich danke dir für deine Aufklärung.«
»Bleib!« befahl Morener. Karl nahm wieder Platz –
»So! und nun klär' mich auf!«
»Ich wußte nicht, daß du mit deinen fünfzig Jahren . . .«
»Vierundfünfzig,« berichtigte Morener.
». . . noch an eine Ehe denkst. Infolgedessen hoffte ich als einziger Verwandter . . .«
»Du weißt nun also, daß das ein Irrtum war.«
»Ja!« – Karl war schon wieder im Begriff sich zu erheben. »Bleib!« wiederholte Morener. Diesmal mit größerer Bestimmtheit. »Wer ist die schöne, junge, rassige Frau aus altem Stall?«
»Du denkst doch nicht etwa im Ernst daran?«
»Ich denke daran – und du wirst mir dazu verhelfen.«
»Auch dann, wenn ich dir sage, daß ich sie liebe?«
»Das habe ich in den letzten Jahren schon zu oft von dir gehört. Arbeite mehr und du wirst weniger Zeit finden, dich zu verlieben.«
»Es ist ernster als sonst.«
»Das sagst du jedesmal. Ich brauche es also nicht ernst zu nehmen. Du wirst am Leben bleiben – auch wenn aus dieser Ehe nichts wird.«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Ich weiß es – das genügt. Aber was wichtiger ist und worüber ich schon lange mit dir sprechen wollte, da es auch dich angeht, ist folgendes: Je deutlicher das Selfmadetum unserer Zeit den Stempel aufdrückt, um so stärker leide ich darunter, ein Selfmademan zu sein. Früher war man als so ein Außenseiter ein Ausnahmemensch, von dem jeder sprach. Man war zum mindesten eine Persönlichkeit, die sich aus der Masse hob. Heute ist man im besten Falle der Typ einer Massenneuerscheinung.«
»Das kannst du doch von dir nicht sagen.«
»Auch du heißt Morener – und ich wünschte, daß man es auch von dir nicht sagte.«
»Wenn die Baronin von Nedlitz meine Frau wird . . .« Er erschrak. »Jetzt habe ich ihren Namen genannt.«
»So wird man sagen: wieder eine Adlige, die sich an einen Neureichen verkauft. Wenn du aber die Tochter des verstorbenen Kommerzienrats Reichenbach heiratest . . .«
»Du hast diese Idee noch immer nicht aufgegeben?«
». . . so wird es heißen: die Reichenbachs und die Moreners bleiben unter sich. Und da die Reichenbachs Patrizier sind, so wird man sehr bald auch die Moreners dazu rechnen.«
»Ein sonderbarer Ehrgeiz, Onkel – und, glaube mir, ein sehr unzeitgemäßer.«
»Ein sehr gesunder, mein Junge! wenn unsere demokratische Zeit auch kein Verständnis dafür hat. Tradition ist das einzige, was man nicht kaufen kann. Das sieht man am besten an uns. Selbst da bedarf es noch einer Generation – und bleibt auch dann noch immer eine Täuschung. Wenn du aber Hanni Reichenbach heiratest, haben wir, was wir brauchen – und es macht nichts aus, daß sie arm ist. Denn unter uns, mein Junge, die Millionen, die hier verankert sind, gehören ihr so gut wie mir. Ja, ich habe das Gefühl, sie erst durch diese verwandtschaftliche Verbindung mit Reichenbachs rechtmäßig zu besitzen und hier Herr im Haus zu sein.«
»Das ist übertrieben und weit hergeholt, Onkel! Früher hattest du weniger Bedenken. Ich erinnere mich an Fälle, wo selbst ich . . .«
»Ich weiß – und will mich nicht daran erinnern. Ich bin ein anderer Mensch geworden. Der alte Reichenbach hatte schon recht, wenn er von dem Geist des Hauses sprach, dem auch der Stärkste sich nicht entziehen kann.«
»Wenn es so ist, wie du sagst, dann solltest du die Kommerzienrat Reichenbach um ihre Hand bitten.«
»Unmöglich! Daß du das nicht fühlst! Die Witwe eines Kommerzienrat Reichenbach, die einen Morener heiratet, schadet sich, ohne mir zu nützen.«
»Das ist wahr.«
»Gerade das Gegenteil von dem, was ich anstrebe, würde erreicht: die Familie Reichenbach, die ich mir nutzbar machen will, ginge damit in der zur Zeit wirtschaftlich stärkeren Familie Morener unter.«
»Und bei mir wäre das anders?«
»Was sich die Jugend erlauben darf, paßt nicht für das Alter. Du könntest dich im Fall dieser Ehe: Karl Morener-Reichenbach nennen. Niemand wird Anstoß daran nehmen. Täte ich das, so würde man lächeln. Die Gesellschaft hat für solche Dinge eine feine Nase. Bei euch jungen Menschen aber, die man seit Jahren zusammen beim Golf und Tennis sieht, wird man den Zusammenschluß als etwas Natürliches und Gegebenes hinnehmen und sagen: sie lieben sich.«
»Was also soll ich tun?«
»Die Baronin Nedlitz in meinem Namen bitten, morgen abend um sieben an einem kleinen Familienessen auf Schloß Reichenbach teilzunehmen.«
»Und wer wird außer dir und ihr noch an diesem Familienessen teilnehmen?«
»Frau Kommerzienrat Reichenbach mit Tochter – und du.«
»Das kann ja sehr gemütlich werden.«
»Gemütlich kaum – aber vielleicht für uns alle von Bedeutung. – So! und nun geh!«
Karl erhob sich und ging hinaus. – Heinrich Morener lehnte sich in den Sessel zurück und war zufrieden, die Angelegenheit, die ihn schon lange beschäftigte, endlich in Fluß gebracht zu haben.
Am nächsten Abend aber . . .