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Karl Morener bat den Direktor Urbach, Frau Hedda von den Vorgängen in Kenntnis zu setzen und ihn bei ihr mit einer wichtigen Besprechung auf der Polizei zu entschuldigen.
Direktor Urbach verfuhr der Schloßherrin auf Reichenbach gegenüber vollkommen sachlich: Er berichtete von dem Einbruch – der Höhe der gestohlenen Summe – den polizeilichen Ermittlungen – dem Verdacht – der Verhaftung. – Alles das trug er wie ein Ressortminister in knapper und gewandter Rede vor, ohne auf den Eindruck zu achten, den seine Mitteilungen auf Frau Hedda machten. Es fiel ihm daher auch nicht auf, daß sie, so oft dabei von Karl Morener die Rede war, Fragen stellte, die darauf ausgingen, genau zu erfahren, wie Karl Morener sich nach dem Einbruch, vor allem der Polizei und Heinz Reichenbach gegenüber, benommen hatte. Da Urbach aber auf solche Fragen stets nur erwiderte: »Korrekt!« so hatte sie, als der Direktor mit dem Ausdruck des Bedauerns und der Teilnahme sich entfernte, über das Tatsächliche hinaus eigentlich nichts erfahren.
Daß sich die Verhaftung Reichenbachs sehr bald als ein Mißgriff herausstellen würde, war ihr nicht einen Augenblick lang zweifelhaft. Sie fand das Ganze auch nicht so überaus erschütternd wie Frau Reichenbach. Sich mit Wichten herumzuschlagen, machte nach ihrer Ansicht nun mal einen Teil des Lebens aus. Wie der Hehler verächtlicher als der Stehler, so war der Verleumder verächtlicher als der Verleumdete. – Kam es im Falle Reichenbach aber hart auf hart, gelang es nicht, den wirklichen Täter zu ermitteln, so war es eben ihre Pflicht, zu bekennen, daß er bei ihr gewesen war. Tat sie das jetzt schon, so würde das vielleicht für ihren Leumund sprechen, und man würde sagen: wenn sie etwas zu verbergen hätte, würde sie schweigen. Rückte sie hingegen mit ihrer Erklärung erst heraus, wenn es Matthäi am letzten war, so war damit für die primitive Psyche des Europäers erwiesen, daß sie etwas zu verbergen hatte. Aber was ging sie die Psyche dieser Leute an? Sie schwor – und man hatte ihr zu glauben.
Weit mehr interessierte sie die Rolle, die Karl Morener in dieser Affäre spielte. Jetzt hatte er die Möglichkeit, zu beweisen, was er wert war. Er fürchtete Reichenbach, weil er vermutete, daß es zwischen ihm und ihr irgendein Geheimnis gab, dem er schon lange auf den Grund zu kommen suchte. Jetzt, wo Reichenbach am Boden lag, genügte vielleicht ein Stoß, den er ihm heimlich versetzte, um ihn unmöglich – auch bei ihr – zu machen. Und auf der anderen Seite: auch für den Nachweis seiner Unschuld, für seine Rehabilitation konnte Karl Morener mehr tun als irgendein anderer. Tat er das, obschon er damit einem ihm gefährlich dünkenden Rivalen auf die Beine half, so verdiente er mehr Achtung, als sie ihm bisher entgegenzubringen vermochte. Und da sie, wenn auch ohne Glücksgefühl, ihr Schicksal nun einmal mit seinem verknüpft hatte, so wünschte sie, daß er sich laut und offen für Reichenbachs Unschuld, von der er – das wußte sie – genau so fest überzeugt war wie sie, einsetzen würde.
Das lag so nahe, daß Karl Morener es selbst sich sagte. Seine Liebe zu Frau Hedda litt unter dem, was Hanni Reichenbach, ohne zu ahnen, wie es ihn traf, erzählt hatte, nicht. Wohl aber erfuhren seine erneut auf eine harte Probe gestellten Gefühle für Heinz Reichenbach eine Erschütterung. Er beschwerte daher sein Gewissen keineswegs, wenn er sich nicht für ihn einsetzte wie für einen Freund, und Wesentliches nicht unternahm, um diesen in seinen äußeren Erscheinungen mysteriösen Einbruch aufzuklären.
Heinz Reichenbach wurde wenige Stunden nach seiner Einlieferung im Polizeipräsidium dem Untersuchungsrichter vorgeführt. Der behandelte ihn durchaus in gesellschaftlichen Formen und erklärte:
»Der Schein spricht gegen Sie. Das besagt natürlich gar nichts. Ich lasse daher zunächst mal alle Momente, aus denen heraus man Sie hierher zitiert hat, beiseite. Ich unterstelle es als wahr, daß Sie aus – nennen wir es mal chevaleresken Gründen sich weigern, zu sagen, wo Sie die Nacht verbracht haben. Da Sie unverheiratet sind, so kann diese Rücksicht nicht Ihrer Gattin gelten, sondern lediglich der Dame, bei der Sie die Nacht verbracht haben. Wenn diese Dame aber erfährt, in welche Lage Ihre Rücksichtnahme Sie gebracht hat, so wird sie vermutlich von sich aus sprechen. Während ich im Stadium der Ermittlungen die Angelegenheit noch diskret behandeln könnte, würde das in einem späteren Stadium kaum noch möglich sein. Denken Sie, wenn diese Dame es aus gesellschaftlichen Rücksichten oder aus Scham oder aus Furcht vor ihrem Gatten über sich bringt, zu schweigen und dann in der Hauptverhandlung von ihrem Gewissen geplagt, plötzlich vor die Richter und die Geschworenen tritt und Sie entlastet, dann haben Sie zwar ihre Cause célèbre – aber die Dame, die Sie schonen wollen, ist bis auf die Knochen blamiert.«
»Derartiges kommt wohl in Filmen vor – aber nicht im Leben.«
»Ich habe einen derartigen Fall in meiner Praxis schon zweimal erlebt.«
»Ich werde Ihr dritter Fall nicht sein.«
»Wie stellen Sie sich zu folgendem Kompromiß: Lassen Sie die Dame entscheiden! Ich gebe Sie bis heute abend frei, Sie besprechen den Fall mit ihr und verpflichten sich mir ehrenwörtlich, auf alle Fälle bis abends sieben Uhr wieder hier zu meiner Verfügung zu sein.«
»Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Herr Amtsrichter,« erwiderte Reichenbach – »aber ich kann Ihr Angebot nicht annehmen.«
»Da ich die Dame erst erfinden müßte – und Sie werden nicht zweifeln, daß ich sie für Geld vor sieben Uhr abends gefunden hätte. Ich würde mich vielleicht verleiten lassen, Ihr Vertrauen schwer zu täuschen.«
»Können Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß hinter Ihrer Weigerung keine Frau steht?«
»Als Angeschuldigter – oder als was sonst ich hier vor Ihnen sitze – ist meine Vereidigung ja wohl ausgeschlossen.«
»Zunächst sprechen wir hier mal miteinander als Mensch zu Mensch.«
»Dann bitte ich Sie, mich von jetzt ab als Angeschuldigten zu betrachten, da Sie mich sonst zwingen würden, Ihnen die Antwort zu verweigern.«
»Den Untersuchungsrichter zu belügen, würde Ihr Gewissen demnach nicht belasten?«
»Unter Umständen nicht – den Menschen aber allemal.«
»Gut! So frage ich Sie denn als Untersuchungsrichter: Haben Sie heute nacht irgendwo eine geschäftliche Zusammenkunft gehabt, über die Sie nicht aussagen möchten?«
Reichenbach überlegte einen Augenblick, ob er diese goldene Brücke, von der er annahm, daß der Untersuchungsrichter sie ihm aus Menschlichkeit baute, betreten sollte. Er hatte anfangs Bedenken, ob er damit dem Prestige des Bankhauses schaden könnte – und er erwiderte schließlich:
»Ja! – und zwar Geschäfte privater Natur, über die ich der Bank keine Rechenschaft schulde.«
»Geschäfte, durch die Sie die Bank geschädigt hätten?« Reichenbach überlegte abermals.
»Sie können die Aussage darüber verweigern, aber das wird man dann zu Ihren Ungunsten auslegen.«
»Dann sage ich lieber gleich, daß Ihre Vermutung zutrifft.«
Der Untersuchungsrichter war mit dem Resultat seiner Vernehmung sichtlich zufrieden. Er machte sich Notizen.
»Dann mache ich Sie darauf aufmerksam, daß auf Einbruchsdiebstahl Zuchthaus steht. Obgleich Sie noch nicht vorbestraft sind, wird man Ihnen als strafverschärfend die gehobene Stellung, die Sie in der Bank bekleiden, anrechnen und Ihnen mildernde Umstände versagen. Sie wären also ein erledigter Mann. Wenn Sie aber hinter dem Rücken der Bank privatim Geschäfte tätigen – selbst unter Preisgabe von Geheimnissen und zum Schaden der Bank, die Sie bezahlt, so ist das eine sehr viel harmlosere Angelegenheit, die sich vielleicht sogar auf dem Wege des Zivilprozesses erledigen läßt.«
»Das ist eine viel größere Gemeinheit und zeugt von niedriger Gesinnung! Und so etwas ist straffrei?«
»Wenn Sie Glück haben und nicht gegen einen Paragraphen des Strafgesetzbuches verstoßen.«
»Also ich widerrufe! Wenn ich mir vorstelle, ich soll öffentlich bekennen, eine derartige Schweinerei begangen zu haben!«
»Ein Abenteuer hingegen mit einer Frau – das ist schnell vergessen – für beide Teile.«
»Im Vergleich dazu, schon.«
»Also sagen Sie es endlich! – Ich vernehme die Dame in der diskretesten Form. Niemand erfährt etwas davon – und morgen sitzen Sie wieder in Ihrem Bureau.«
»Darf ich dabei sein?«
»Kommen Sie!« sagte der Untersuchungsrichter und stand auf. »Wir fahren zusammen hin – oder, wenn Sie es für richtig halten, melden Sie uns an.«
Reichenbach überlegte – erhob sich – trat dicht an den Untersuchungsrichter heran, der schon an der Tür stand, und fragte:
»Und wenn Sie festgestellt haben, daß ich bis gegen Morgen bei der Dame war – wird sie dann nie mehr und in keiner Form im Zusammenhang mit mir belästigt werden?«
»Das glaube ich Ihnen versprechen zu können.«
Reichenbach streckte ihm die Hand hin und sagte:
»Ihr Wort darauf.«
Der Untersuchungsrichter überlegte einen Augenblick lang, schlug ein und fragte:
»Wohin fahren wir?«
Statt einer Antwort fragte Reichenbach:
»Werden Sie die Dame auch nicht quälen?«
»Nicht mehr, als unbedingt nötig ist, um die Überzeugung zu gewinnen, daß die Angaben auf Wahrheit beruhen.«
»Sie kann doch nicht mehr tun, als es Ihnen sagen.«
»Es werden doch Zeugen da sein, die Sie gesehen haben? – Ein Mädchen oder ein Diener oder eine Zofe.«
»Die wollen Sie auch vernehmen?«
»In Form der Unterhaltung. Sie werden gar nicht merken, ob es sich um den Einbruch in ein Bankhaus oder in eine Ehe handelt.«
»Aber – daß es sich – um uns beide handelt – das werden sie merken.«
»Auch das läßt sich vermeiden.«
»Wenn ich Ihnen sage – und wenn die Dame es Ihnen bestätigt, daß die Dienerschaft gegen ein Uhr schlafen gegangen ist – verzichten Sie dann darauf, sie zu vernehmen?«
»Das wird nicht gehen. Ich werde doch – wenn auch diskret – feststellen müssen, was nach ein Uhr geschah.«
»Ich sagte Ihnen doch, die Leute haben geschlafen.«
»Gut, aber so eine Zofe weiß am Ende mehr. Man sieht es einem Zimmer an – verzeihen Sie! – wohl auch einem Bett – und schließlich auch einer Dame, in deren Diensten man steht, ob sie nachts über allein gewesen ist.«
»Danach wollen Sie fragen?« rief Reichenbach empört.
»Auf wie lange Sie Ihre nächtlichen Besuche für gewöhnlich auszudehnen pflegten. – Vielleicht hat der Diener Ihre Schuhe geputzt oder die Zofe Ihnen des Morgens den Kaffee serviert, alles das würde natürlich Ihre sofortige In-Freiheit-Setzung zur Folge haben.«
Reichenbach hing seinen Hut, den er schon in der Hand hatte, wieder an den Riegel, sah den Untersuchungsrichter entgeistert an und sagte:
»Und Sie glauben, das werde ich zulassen?«
»Ja, wie dachten Sie sich das?« fragte der – und Reichenbach erwiderte in seiner Erregung stoßweise:
»Ich nahm an – Sie würden mir gestatten – in Ihrer Gegenwart natürlich – der Dame die Gründe zu nennen – die mich zwingen, wenn auch nicht berechtigen – sie zu fragen – ob und wie lange ich heute nacht – bei ihr gewesen bin – in allen Ehren natürlich!«
Der Untersuchungsrichter schüttelte den Kopf und sagte:
»Nein! – Das darf mir nicht genügen.«
»Dann müssen wir es lassen.«
»Aber ich bitte Sie, Herr Reichenbach . . .!«
»Kein Wort mehr davon! – Ich verbiete Ihnen . . .!«
»Was erlauben Sie sich! Sie wissen scheinbar noch immer nicht, in welcher Lage Sie sich eigentlich befinden. Ich gebe mir die erdenklichste Mühe, die Verdachtsmomente, die für Ihre Täterschaft sprechen, zu entkräften – und Sie führen sich hier in einer Weise auf und verbieten mir, von dieser . . .«
Der Untersuchungsrichter zitterte vor Empörung. Aber auch Reichenbach beherrschte sich nicht mehr und wiederholte:
»Ich verbiete Ihnen, auch nur ein Wort über diese Dame . . .«
»Das wird eine nette Dame sein!«
Reichenbach stürzte auf den Untersuchungsrichter zu. Der hielt ihn an den Handgelenken fest, sah die Hautabschürfungen und Risse an Reichenbachs Händen, stutzte, überlegte – und lachte dann triumphierend auf.
Reichenbach erriet seine Gedanken, wies auf seine Hände und sagte:
»Sie glauben doch nicht etwa . . .?«
»Nein!« erwiderte der Untersuchungsrichter. »So richtet man sich bei einer Frau nicht zu. Wohl aber, wenn man in einen Geldschrank einzubrechen oder einen solchen Einbruch vorzutäuschen sucht.«
Er ließ Reichenbachs Hände los. Dann rief er einen Polizeibeamten und befahl ihm, den Angeschuldigten abzuführen. –