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Frau Hedda hatte jetzt häufig Stunden, in denen sie sich vorwarf, schlecht an ihrem Manne gehandelt zu haben. Mit einem Gefühl, das alles eher als Freude und viel eher Unbehagen war, dachte sie an den Tag, an dem sie mit Karl das Schiff nach Amerika besteigen sollte. Ihrer Tante Amalie hatte sie sich in allem, was Karl anbetraf, anvertraut. Die alte Dame fühlte sich mit verantwortlich. Aber Hedda lehnte das ab. »Allenfalls hast du es um ein paar Tage beschleunigt – geschehen wäre es auch ohne dich.«
»Derlei und Ärgeres geschieht alle Tage,« erwiderte die Gräfin Wahl-Reuth, »ohne daß man davon großes Wesen macht. Wenn dein Mann zurückkommt, verläßt du diesen jungen Mann. Und alles ist wieder, wie es vorher war.«
»Liebe Tante, deiner Natur mag das entsprechen – meiner nicht.«
»Du hast als Kind immer mit dem Kopf durch die Wand rennen wollen und dir dabei Beulen genug geschlagen.«
»Ich habe nie die Unwahrheit gesagt, das ist alles.«
»Eigensinn ist das! Wenn man sich durch eine kleine Lüge Unannehmlichkeiten ersparen kann – sich und anderen – so tut man's! Im übrigen hast du in diesem Falle ja gar nicht nötig, die Unwahrheit zu sagen – du brauchst nur zu schweigen.«
»Als wenn das nicht dasselbe wäre!«
»Eine ganz klare und natürliche Situation, vor die sich täglich Hunderte von Frauen gestellt sehen, komplizierst du durch deinen Starrsinn!«
»Gib dir keine Mühe, Tante! Du stimmst mich nicht um.«
»Wenn du nicht eine so große Egoistin wärst, würdest du dir sagen, daß es deine Pflicht ist, einem so kranken Manne diese Enttäuschung zu ersparen.«
»Das hättest du mir früher sagen sollen.«
»Konnte ich ahnen, daß du eine so alltägliche Begebenheit derart tragisch nimmst? Ich habe dir eine kleine Erleichterung schaffen wollen – weiter nichts. Daß du mit einem Fauxpas gleich deine Seele verkaufst, habe ich nicht für möglich gehalten.«
»Ich mache dir ja keinen Vorwurf. Du hast es sicher gut gemeint.«
»Ich habe an deine selige Mutter gedacht.«
Hedda trat an die Gräfin heran, legte die Arme um ihre Taille, küßte sie auf die Stirn und sagte.
»Mach dir um mich keine Sorgen, Tanten Ich weiß genau, was ich tue und was mir gut ist.«
»Wenn du auf deiner Torheit bestehst, deinen Mann bei seiner Heimkehr damit zu überraschen, daß du mit seinem Neffen – ja, ist das denn möglich? im zwanzigsten Jahrhundert! – Hedda, ich glaube, du lebst noch in der Vorstellung deiner Ahnen von vor achthundert Jahren! Die Zeit der Ritter und Troubadoure ist vorüber. Es gibt ernstere Dinge als das bißchen Liebe.«
Hedda schüttelte den Kopf und sagte:
»Mit Liebe hat das nichts zu tun . . . Ich liebe weder den einen, noch . . .« Sie überlegte. »Ob ich meinen Mann liebe, darüber bin ich mir selbst nicht klar. Aber ich glaube beinahe, daß ich ihn in den letzten Monaten auch mit dem Herzen liebgewonnen habe.«
»Man liebt immer den Mann, der gerade nicht da ist.«
»Was bist du doch für eine gescheite Frau!«
»So gescheit, Hedda, daß ich dich bitte: laß mich die Angelegenheit mit deinem Mann ins reine bringen.«
»Tantchen, davon kann keine Rede sein! Aber wenn du es mal mit Karl versuchen willst?«
»Wie? Ich soll?«
»Feststellen, ob seine Liebe wirklich so groß ist.«
»Das habe ich schon getan.«
»Wie – du hast mit ihm gesprochen?«
»Bevor ich zu dir kam. Ich habe mir gesagt, mit einem Mann werde ich eher fertig als mit dir. Aber da bin ich auf Granit gestoßen. Wäre ich doch einmal in meinem Leben so geliebt worden!«
»Du glaubst auch nicht, daß man ihn bestimmen könnte, mich allein reisen zu lassen?«
»Nicht von hier bis Potsdam. Und wenn du darauf bestehst, in einem Freiballon nach Neuyork zu fahren – er fährt mit!«
»Er hat mein Wort.«
»Dein Mann hat es auch gehabt.«
»Du meinst, auf einen Wortbruch mehr oder weniger kommt es nicht an.«
»Ich meine, daß du die Männer zu ernst nimmst. Eine so gescheite Frau wie du spielt mit ihnen.«
»Du irrst! Ich nehme mich ernst.«
Die Gräfin sah verdutzt ihre Nichte an und sagte:
»Ach so! – Dann freilich. – Ja, das darf man nicht. – Nähme ich mich ernst, ich würde in ewigen Konflikten mit mir leben.«
»Wer sich so frei machen kann!«
»Man muß es nur verstehen, sich nicht wichtig zu nehmen. – Meist genügt es schon, daß man sich nicht wichtiger nimmt, als die anderen einen nehmen. – Weißt du, dann bekommt man so ein leichtes Gefühl – als wenn man schwebt und die Dinge nur so berührt, statt sich – wie du es tust – an ihnen festzubeißen.«
»Ich verstehe, Tante! Du bist klüger als ich. Und ich habe immer geglaubt, daß du gedankenlos dahin lebst.«
»Das kommt daher, weil ich es mit den Gedanken genau so mache wie mit den Dingen. Möglichst nicht zu Ende denken – die meisten Fehler kommen durch zu vieles Denken. Man muß die Augen offen halten und sich treiben lassen – dann behält man Atem und kann über jedes Hindernis, an dem man sich sonst festrennt, leicht hinübergleiten.
»Willst du mir eine Liebe tun, Tante?«
»Jede! Und je mehr ich für dich tun kann, um so glücklicher machst du mich.«
»Nimm dich meines Mannes an, wenn ich fort bin.«
»Ich kann es gar nicht hören! So ein Wahnsinn! Und an dein Kind denkst du nicht? Es ist einfach deine Pflicht, bei ihm zu bleiben.«
»Davon gerade wollte ich sprechen. Ich habe das Gefühl, daß ich dem Kind ein Unrecht tue, wenn ich es mit mir nehme.«
»Unnatürlich ist das aus dem Munde einer Mutter.«
»Glaube mir, es fällt mir schwer genug. Aber als die Geliebte Karl Moreners habe ich kein Recht als Mutter auf dies Kind.«
»Wie kann man so hart gegen sich selbst sein?«
»Wenn es anfängt, zu denken, wird es mich fragen: wer ist der Mann? – Was soll ich ihm antworten?«
»Freilich – daran habe ich nicht gedacht. – Also was willst du, daß mit dem Kinde geschieht?«
»Nimm du es! – Du wirst es zu einem glücklichen Menschen erziehen.«
»So leicht gibst du es auf?«
»Nicht das Kind gebe ich auf. Mich habe ich aufgegeben. – Solange ich lebe, wird es mein einziger Gedanke sein.«
»Armes Kind!« sagte die Tante und legte den Arm um ihre Nichte. »Wie schwer du dir das alles machst.«
»Tust du mir die Liebe?«
»Ich verspreche es dir.«
Hedda schmiegte sich fest an ihre Tante und fühlte, während die Tränen unaufhaltsam flossen, daß ihr leichter wurde.