Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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6.

Das schleichende Tempo, in dem Heinrich Moreners Genesung vor sich ging, das ewige Warten auf eine Nachricht der Ärzte, die, kam sie endlich, nie etwas Positives enthielt, sich vielmehr stets darauf beschränkte, auf die Zukunft zu vertrösten, wirkte lähmend auf Frau Heddas Spannkraft und Entschlußfähigkeit. Sie hatte sich allmählich daran gewöhnt, unbequeme, Entscheidung heischende Gedanken mit der Bemerkung abzutun: es eilt ja nicht. Das wirkte naturgemäß auch auf Karl Morener. Während er sich in den ersten Wochen die Börsenkurse aus Belgrad auf drahtlosem Wege geben ließ, genügte es ihm bald, sie durch die üblichen Telegramme, die das Bankhaus erhielt, kennenzulernen. Oft, wenn er gerade auswärts war, erinnerte er sich erst bei der Lektüre der Abendblätter an sein Termingeschäft. So sicher fühlte er sich infolge der immer noch drohenden Lage auf dem Balkan.

Um so überraschender kam ihm die Nachricht eines Mittagsblattes, das von einer ultimativ gehaltenen Note Englands und Frankreichs an die albanische Regierung zu berichten wußte. Diese sensationell aufgemachte Notiz, die aus angeblich gut unterrichteter Quelle stammte, traf die Berliner Börse in der zweiten Mittagsstunde und hatte eine gewaltige Hausse in albanischen und jugoslawischen Werten zur Folge. Man hielt auf Grund der englischen und französischen Note die Kriegsgefahr für behoben. Innerhalb weniger Minuten sah Karl Morener nicht nur den sicher geglaubten Gewinn von hunderttausend Mark verloren. – Er errechnete sich darüber hinaus einen Verlust von über siebzigtausend Mark.

Eine Viertelstunde lang saß er völlig konsterniert vor dem Zeitungsblatt, auf dessen Rand er die Zahlen geschrieben und die Resultate errechnet hatte. Dann nahm er den Hörer vom Haustelephon und verband sich mit dem Arbeitszimmer Heinz Reichenbachs.

»Heinz,« rief er in den Apparat. »Ich wollte nur wissen, ob wir in letzter Zeit albanische Werte gekauft haben?«

»Massenhaft,« erwiderte Heinz. »Für die Bank und unsere Kunden. So billig kommen wir nie wieder dazu.«

»Du hältst die Zeitungsnotiz also nicht für eine Ente?«

»Ich bin im Gegenteil davon überzeugt, daß die beunruhigenden Nachrichten der letzten Wochen auf Börsenmanöver zurückzuführen sind.«

»Du glaubst, daß die Papiere weiter anziehen werden?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Ich nicht!« erwiderte Karl und hing den Hörer an. Er hörte nicht mehr, als Heinz noch sagte:

»Ich habe eben den Auftrag gegeben, weiter zu kaufen, da ich auf direktem Wege feststellen konnte, daß die Nachricht stimmt und Albanien eingelenkt hat. Die Papiere müssen also weiter steigen.«

Kleine Naturen sind meist ungerecht – zumal, wenn es ihnen schlecht geht. Infolgedessen empfand Karl die Worte Reichenbachs unsinnigerweise als gegen sich gerichtet – ja es war ihm, als wenn bei seinen Worten ein leiser Hohn mitgeklungen hätte. Um das glauben zu können, redete er sich ein, Heinz habe aus seiner Frage entnommen, daß er in albanischen und serbischen Werten à la baisse spekuliert habe. Er ging sogar noch einen Schritt weiter. Er verdächtigte ihn, gegen seine Überzeugung gesprochen zu haben – nur, weil er ihm nicht gönnte, selbständig und durch eigene Tüchtigkeit Geld zu verdienen. Diese feindliche Einstellung trieb ihn, statt Deckungskäufe vorzunehmen und sein Risiko zu verringern, abermals à la baisse zu spekulieren – mit dem Erfolg, daß er nach wenigen Tagen vor einem Minus von einer viertel Million Mark angelangt war. Sich bis zum Stichtag in acht Tagen diese Summe zu verschaffen, schien unmöglich.

Der einzige Gedanke, der ihn auch jetzt beherrschte, war: Hedda auf keinen Fall zu verlieren. Daneben schwand jedes Bedenken. Die Nachrichten aus der Schweiz über seinen Onkel lauteten so günstig, daß man damit rechnen mußte, sich eines Tages plötzlich vor die Tatsache seiner Heimkehr gestellt zu sehen. In dieser Lage gab es nicht viel zu überlegen. Es hieß: handeln. Wie – das war die Frage, auf die er keine Antwort wußte.

Als er, wie täglich, gegen Abend auf Schloß Reichenbach war und Frau Hedda ihm von den günstigen Nachrichten aus der Schweiz erzählte, sagte er:

»Dann sind wir also endlich am Ziel unserer Wünsche.«

»Du sagst das weniger freudig, als du bisher davon zu sprechen pflegtest.«

»Möglich, daß die Verantwortung, dich hier aus allem herauszureißen, mich ernster als sonst erscheinen läßt.«

»Du reißt mich doch nicht heraus! Höchstens ich dich! Ich bin der treibende Teil. Mich trifft die Verantwortung – mich allein.«

»Aber geschäftlich bin ich es – wenigstens meinem Onkel gegenüber.«

»Karl! Seit wann bist du in der Bank unentbehrlich?« fragte Frau Hedda mit leisem Spott. »Aber wenn du Bedenken hast – bitte! Ich gebe dich frei!«

»Wenn du mich nicht mitnimmst, lädtst du eine große Verantwortung auf dich. Denn an dem Tage, an dem du gehst, gehe auch ich – und zwar für immer!«

»Weshalb so pathetisch, Karl? Du wirst dich meinetwegen doch nicht umbringen.«

»Ich schwöre dir, daß ich es tue.«

»Das ist ja gräßlich – und so gar nicht originell.«

»Ich gehe nicht auf Wirkung aus. Ich will nur dich. Alles andere ist mir völlig gleichgültig.«

»Du großer Junge!« sagte Hedda. »Was könntest du für ein schönes und ruhiges Leben führen!«

»An einem ruhigen Leben liegt mir nichts. Und schön ist es für mich nur an deiner Seite.«

»Also, es bleibt dabei! Hast du alles vorbereitet?«

»Ja.«

»Um Geld brauchst du dich natürlich nicht zu kümmern.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Ich weiß doch, daß du über deine Verhältnisse lebst und nichts erspart hast. Aber ich habe besser gewirtschaftet. Hier sind meine Ersparnisse.« Sie reichte ihm einen Scheck. – »Etwas über hunderttausend Mark. Das hilft uns über den Anfang hinweg. – So nimm schon!«

Karl sah auf den Scheck – er hob den Arm – ließ ihn aber gleich wieder herabgleiten – schüttelte den Kopf und sagte:

»Nein! – Ehe ich das tue – und von dir Geld nehme – eher beschaffe ich es mir weiß Gott woher.«

»Ich bestehe darauf!«

»Verlange von mir, was du willst – ich gebe dir nach – in allem! – Aber von einer Frau, die ich liebe, Geld zu nehmen? – Nein!«

»Donnerwetter! Du bist ja ein Kerl!« rief Hedda erfreut.

Und Karl, der sich an seinen eigenen Worten berauschte, fühlte sich plötzlich als Held.

»Ich habe das Geld längst!« log er. »Und zwar durch ein Termingeschäft à la hausse in albanischen Werten.«

»Tüchtig also auch! Du glaubst gar nicht, Karl, um wie viel leichter du mir damit den Schritt machst!«

Karl genoß stolz den Triumph. Er hatte das Gefühl, daß Hedda sich ihm unterwarf, ihn als Herrn über sich anerkannte. – Ihm wurde in dieser Stunde klar, daß man eine Frau, die man besaß, noch lange nicht erobert hatte. Jetzt erst gehörte sie ihm – und er war entschlossener denn je, vor nichts zurückzuschrecken, um sie festzuhalten. –

Die ganze Nacht über saß Karl wach und suchte nach einem Ausweg. Mehrmals ertappte er sich dabei, daß seine Gedanken zu dem Scheck zurückkehrten. Aber – jedesmal sagte er sich: wenn ein Weg unmöglich ist, dann ist es der. Denn im selben Augenblick hätte ich sie auch verloren. – Gegen Morgen fuhr er gegen seine Gewohnheit nach Schloß Reichenbach und bat Hedda um eine Unterredung.

»Du hast meinen geschäftlichen Ehrgeiz derart angeregt,« sagte er, »daß ich mich mit dem Gedanken trage, drüben ein Bankgeschäft zu eröffnen – und zwar in Rio.«

»Rio? Etwa mit Reichenbach zusammen?«

»Statt seiner. Aber ich will aus seinen Verbindungen und Vorarbeiten profitieren.«

»Er fährt also nicht?«

»Dafür mußt du sorgen.«

»Wie kommst du darauf?«

»Ich habe mir überlegt, daß es deinem Manne gegenüber geradezu verbrecherisch wäre, wenn wir plötzlich alle drei auf und davon gehen – und ihn allein lassen. Meinen Fortgang wird er geschäftlich weniger spüren – aber Reichenbach ist der einzige, der ihn über alle Vorgänge während seiner Krankheit genau unterrichten kann.«

»Diese Einsicht kommt dir etwas spät.«

»Ich habe immer nur an uns beide gedacht.«

»Ich sehe ein, daß du recht hast. Aber er wird sich wundern, wenn ich mich plötzlich um ihn und um das Geschäft kümmere.«

»Du kannst es mit der bevorstehenden Rückkehr deines Mannes begründen – das entspricht ja auch der Wahrheit.«

»Er wird womöglich denken, mir liegt persönlich daran, daß er bleibt.«

»Laß es ihn denken! Auf andere Weise wirst du ihn kaum bestimmen.«

»Er wird sich Hoffnungen machen.«

»Und sich getäuscht sehen, wenn du plötzlich fort sein wirst.«

»Ich täusche einen Menschen nicht gern – besonders einen Menschen wie ihn, den ich keiner Schlechtigkeit für fähig halte.«

»Hast du ihn erprobt?«

»Erprobt in dem Sinne nicht. – Aber den Beweis seiner anständigen Gesinnung hat er mir gegeben.«

»Es ist nicht jeder Mensch das, was er scheint.«

»Was willst du damit sagen?«

»Daß Reichenbach uns Moreners haßt, ist doch klar. Denn er wäre der natürliche Erbe seines Onkels gewesen.«

»Für so klein halte ich ihn nicht.«

»Weil du so offen bist, glaubst du, daß andere es auch sind.«

»Er ist ein Fatalist.«

»Er gibt sich dafür aus. – Aber ich halte ihn für berechnend. Auf jeden Fall muß er bleiben, bis er Gelegenheit hatte, deinem Mann Rechenschaft über seine Tätigkeit im letzten Jahr zu geben.«

»Du tust ja gerade, als ob er etwas zu verbergen hätte.«

»Ich traue ihm keine Unredlichkeit zu. Aber die Eile, mit der er ohne rechten Grund fortdrängt, verpflichtet mich, wachsam zu sein.«

»Du gefällst mir immer mehr! In dir steckt, scheint mir, ein kleiner Heinrich Morener.«

»Weshalb ein kleiner! Wenn ich die Schule und die Erfahrung meines Onkels hätte – wer weiß, ob ich es nicht genau so weit gebracht hätte.«

»Was nicht ist, kann noch werden, Karl! – Ich werde also Heinz Reichenbach zu mir bitten und ihm klarzumachen suchen, daß es seine Pflicht ist, zum mindesten die Rückkehr meines Mannes abzuwarten.«

»Ich komme dann heute abend also nicht.«

»Du meinst, ich soll ihn zum Essen laden?«

»Da er sich mittags nicht einmal die Zeit zum Fortgehen nimmt, so wirst du ihm schon etwas vorsetzen müssen.«

»Und du bist gar nicht eifersüchtig?«

»Seit gestern nicht mehr – denn seit gestern weiß ich, daß ich dich erobern werde.«

»Wie sich das anhört! Ich glaube, dir kommt das alles wie ein Roman vor.«

»Ich bin kein Phantast. Aber manchmal frage ich mich selbst, ob ich träume oder das alles wirklich erlebe.«

»Wenn wir uns jetzt, statt zu handeln, in Träumereien verlieren, kann es uns passieren, daß dritte unser Schicksal bestimmen.«

»Sei unbesorgt! Dazu wird es nicht kommen. Denn ich bin entschlossen, zu handeln.«

»Du sprichst, als wenn du auf der Bühne ständest,« sagte Frau Hedda – und als sie ihm jetzt die Hand reichte, fühlte sie deutlich, daß sie mit ihrem Herzen ganz woanders war.


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