Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4.

Nach dem Essen ging die Jugend in den kleinen Saal, aus dem schon, als die Diener die Speisen reichten, die Klänge einer bekannten Jazz-Band zum Tanze lockten. Heinrich Morener aber führte die Frau Kommerzienrat Reichenbach in den Salon. Ziemlich unvermittelt begann er, als sie sich gesetzt hatten.

»Sie sehen, ich habe die Räume hier unverändert gelassen.«

»Man hatte es mir erzählt – und ich habe mich darüber gefreut.«

»Die Ehrlichkeit verlangt zu sagen, daß es nicht aus Pietät geschah.«

»Also teilen Sie den schlichten Geschmack meines seligen Mannes?«

»Ich verstehe nicht viel davon. Aber ich habe mir gedacht: wer weiß, wer nach mir hier leben wird.«

»Ihr Neffe vermutlich.«

»Gewiß. Er hat die größte Chance – vorausgesetzt, daß er meinen Wunsch erfüllt –« Er hielt inne, weil er hoffte, daß Frau Reichenbach ihn fragen würde: welchen Wunsch? Da das nicht geschah, so fragte er: »Sie erraten es nicht?«

»Sie wünschen sich vermutlich, daß er heiratet.«

»Und zwar so, daß die Reichenbachs hier wieder zu Hause sind.« – Er erwartete eine Antwort. Da sie ausblieb, so fuhr er fort: »Das, gnädige Frau, ist der Grund, aus dem ich mir die Freiheit nahm, Sie zu mir zu bitten.«

»Das heißt doch nicht, daß meine Tochter . . .?«

»Überrascht Sie das? Es ist nur folgerichtig. – Oder würden Sie es lieber sehen, wenn ich Sie um Ihre Hand bitte?«

Frau Reichenbach erhob sich und sagte kalt:

»Sie werden mich in diesem Hause nicht beleidigen.«

»Ich finde den Gedanken weniger kränkend als die Art, in der Sie ihn ablehnen.«

»Ich habe den Wunsch, den Namen meines Mannes bis an mein Ende zu tragen.«

»Niemand begreift das mehr als ich. Ich habe daher auch niemals den Versuch gemacht.«

»Sie vergessen schnell, Herr Morener!«

»Für einen Menschen wie mich ist es Bedingung, schnell zu handeln und ebenso schnell zu vergessen. Denn ich muß erlernen, was Ihnen im Blute liegt.«

»Um so vorsichtiger sollten Sie alles vermeiden, was möglicherweise Anstoß erregt.«

»Gerade aus seinen Verstößen lernt man am schnellsten. Aber indem man sie begeht und erkennt, muß man sie auch schon hinter sich haben.«

»Das gilt für Sie – aber nicht für Ihre Opfer.«

»Fällt es Ihnen so schwer, zu vergessen, daß ich Sie vor Jahren einmal begehrt habe?«

»Begehrt? – Berechnet haben Sie!«

»Gnädige Frau!«

»Sie glaubten, Ihr Geschäft mit meinem Mann zu einem schnelleren und für Sie günstigeren Abschluß zu bringen, wenn Sie in mir Ihre Verbündete hätten.«

»Ich habe heute den Mut, zu bekennen, daß es so war. Aber ich kann mein Gewissen nicht mit Fehlern belasten, die Jahre zurückliegen.«

»Sie verfolgen mit der Ehe Ihres Neffen und meiner Tochter nur den Zweck, die Distanz zwischen unseren Familien zu verwischen. Aber Sie dürfen das gleiche Interesse nicht bei uns voraussetzen.«

»Sie sind sehr stolz.«

»Stolz nicht, aber bitter. Und diese Bitterkeit Menschen wie Ihnen gegenüber, mag sie noch so ungerecht sein – ist das einzige, was uns dies veränderte Leben erträglich macht.«

»Durch diese Ehe würden sich die Verhältnisse mit einem Schlage ändern.«

»Ich glaube, daß meine Tochter in einem solchen Falle nur ihr Herz befragen wird.«

»Nicht einmal ich fühle mich stark genug, eine Entscheidung von dieser Bedeutung nur nach dem Gefühl zu treffen.«

»Sie, Herr Morener, hat der wirtschaftliche Aufstieg zu einem unfreieren Menschen gemacht als uns der Zusammenbruch. Früher hätten Sie eine Dame vom Varieté heiraten können – niemand hätte es Ihnen verübelt. Heute ist der Stammbaum für Sie wichtiger als der Mensch.«

»Es handelt sich nicht um uns, sondern um Ihr Kind und meinen Neffen.«

»Das müssen die beiden jungen Leute untereinander ausmachen. Ich bin in Sachen des Herzens nicht Anwalt meines Kindes.«

»Über meinen Neffen bin ich im klaren. Wenn Sie also glauben, daß auch das Herz Ihrer Tochter noch frei ist?«

»Sie hängt an ihrem Vetter.«

»An Heinz Reichenbach? – Aber liebe, gnädige Frau, das hieße ja Ihre finanzielle Misere verewigen.«

»Möglich, daß es nicht mehr ist als verwandtschaftliches Gefühl.«

»Würden Sie dann bitte Ihr Fräulein Tochter zu uns bitten?«

»Wie denn? Ich soll in Ihrer Gegenwart . . .«

»Sie könnte Fragen stellen, die nur ich beantworten kann.«

»Wie wenig kennen Sie mein Kind!«

»Lassen wir es darauf ankommen.«

Frau Reichenbach ging zur Tür und verständigte sich durch einen Blick mit ihrer Tochter, die gerade mit Reichenbach tanzte.

Heinrich Morener erhob sich, als Hanni ins Zimmer trat.

»Setz dich, bitte!« sagte die Mutter.

Aber Hanni, der man die innere Erregung ansah, erwiderte:

»Ich kann nicht – diese Baroneß!«

»Was ist mit ihr?« fragte Morener.

»Gleich nach dem Essen nahm sie mich beiseite und sagte: ›Haben Sie es bemerkt? Man will uns verkuppeln.‹«

»Was ist das für ein Wort!« rief Frau Reichenbach und wandte sich an Morener.

»Ich habe keine Silbe mit der Baroneß gesprochen, das Sie nicht gehört haben. Aber ich bin überzeugt, sie meint das ganz harmlos.«

Die beiden Frauen sahen ihn an, und Morener fuhr fort:

»Was kann sie anders meinen, als daß ich Sie bat, auf dem Tournier der Leute wegen auf seiten meines Neffen zu kämpfen?«

»Der Leute wegen?«

»Vielleicht auch mit Rücksicht auf die Gefühle meines Neffen.«

»Was sind das für Gefühle? – und was haben sie mit dem Sport zu tun?«

»Mein Neffe liebt Sie!«

»Das ist nicht wahr!«

Heinrich Morener ging zur Tür und rief:

»Karl!« – Dann wandte er sich wieder zu Hanni: »Er wird es Ihnen selber sagen.«

Als Karl Morener in den Salon trat, ging Hanni auf ihn zu, sah ihn scharf an und sagte:

»Mama fühlt sich nicht wohl! Wollen Sie uns bitte an den Wagen begleiten.«

Heinrich Morener warf den Kopf zurück und sagte:

»Ja – was heißt denn das?« – während Karl der Frau Kommerzienrat den Arm reichte und sie hinausführte.

Hanni blieb zurück, ging auf Morener zu und sagte:

»Sie wollten mich also doch verkuppeln.«

»Ich wollte Ihnen wieder emporhelfen – Ihnen und Ihrer Frau Mutter!«

»Danke,« erwiderte Hanni. »Ich habe nicht das Gefühl, daß wir gesunken sind.« Sie bewegte leicht den Kopf, wandte ihm den Rücken und ging.

Während Karl die beiden Damen an das Auto begleitete, saß Morener nachdenklich im Salon und sagte sich: Was hat man nun von seinem Geld, man bleibt diesen Menschen gegenüber doch, was man war. – Aber diese Erkenntnis war für ihn nur ein Grund mehr, um sich der Baroneß Nedlitz zu nähern – zumal sie ihm gefiel und der Aufmerksamkeit nach, die sie ihm während des Diners zuwandte, auch an ihm Gefallen zu finden schien.

Obgleich die Jazz-Kapelle, in dem Gefühl, von Morener überbezahlt zu werden, ohne Pausen spielte, tanzten die Baroneß und Reichenbach nicht mehr, sondern zogen sich in eine Nische des kleinen Saales zurück. Sie hatten sich zuvor viel voneinander erzählt. Nun aber sprachen sie nicht mehr, da die Baroneß mit den Vorgängen im Salon beschäftigt war und Reichenbach über die Gründe nachdachte, die Heinrich Morener veranlaßt haben könnten, seine Familie nach vier Jahren plötzlich ohne äußeren Anlaß einzuladen.

Da er es aber als unhöflich empfand, schweigend neben der Baroneß zu sitzen, so sagte er unvermittelt:

»In diesem Schloß habe ich meine Jugend verlebt – aber ich gebe mir Mühe, nicht daran zu denken.«

Hedda Nedlitz wandte sich zu ihm und erwiderte:

»Und ich sage mir jeden Tag und jede Stunde: denke daran, daß deine Vorfahren in Schlössern lebten – und ruhe nicht, bevor auch du wieder in dem Stil lebst, der dir zukommt.«

»Mit welchem Recht zukommt?« fragte Heinz Reichenbach. »Gerechterweise kommt einem doch nur zu, was man durch seine eigene Tüchtigkeit erworben hat.«

»So etwas sagen Sie?« erwiderte Hedda entsetzt. »Menschen, die ans Familien kommen wie wir. Menschen mit unserer Kinderstube, die vom ersten Tage verwöhnt worden sind und nie damit gerechnet haben, je Geld verdienen zu müssen – wo sollen wir denn die Tüchtigkeit hernehmen?«

»Für eine Frau wie Sie mag es nicht zutreffen. Da entscheidet das Schicksal – von dem wohl auch für uns mehr abhängt als von unserer Tüchtigkeit.«

»Ich verlasse mich lieber auf meinen Verstand.«

»Wir streiten uns um Begriffe – aber Sie haben schon recht: Menschen wie wir zwei mögen in allen nebensächlichen Dingen des Lebens noch so verschieden urteilen und handeln – in allem Wesentlichen stimmen wir doch überein.«

»Was nennen Sie das Wesentliche?«

»Die großen Momente im Leben – in denen die wahre Natur in uns so unvermittelt hervorbricht, daß wir die Äußerlichkeiten des Lebens völlig vergessen.«

»Wenn ich das große Los gewänne oder der Maharadscha von Johore um meine Hand anhielte – das wären für mich die großen Momente.«

»Bei denen Sie innerlich unbeteiligt blieben. – Nein! von innen muß es geschehen – nicht von außen –, daß Ihnen plötzlich die Erleuchtung kommt: alle bisherigen Vorstellungen von Welt und Menschen waren falsch – daß Sie mit einem Schlage ein anderer Mensch werden.«

»Einen solchen Moment wird es für mich nie geben.«

»Das bestimmen nicht Sie!«

»Sie sind ein Phantast! – Mit diesen Ideen werden Sie es nie zu etwas bringen.«

»Für jeden Menschen kommt einmal dieser Augenblick. Wissen Sie, was ich mir wünsche – ich möchte dabei sein dürfen, wenn Sie diese Stunde erleben.«

»Das klingt ja beinahe, als wenn Sie Ihr Schicksal mit meinem verknüpfen wollen.«

»Das Schicksal geht seinen Weg und kümmert sich nicht um unsere Wünsche.«

»Philosophierst du schon wieder,« sagte Karl, der eben mit Heinrich Morener in die Nische trat.

»Spielen Sie lieber eine Partie Schach mit meinem Neffen,« bat Heinrich Morener.

»Sie spielen Schach, Herr Reichenbach?« fragte Hedda erstaunt. »Mit dem Gefühl? – oder nehmen Sie da ausnahmsweise den Verstand zu Hilfe?«

»Für das Spiel reicht der Verstand aus,« erwiderte Heinz, »aber das Leben setzt sich darüber hinweg.«

»Ist das auch Ihre Meinung?« fragte Hedda und wandte sich an Heinrich Morener.

»Ich stehe auf dem Standpunkt, gescheit zu handeln ist besser als gescheit zu reden.«

»Also handeln wir!« sagte Hedda und sah Morener so scharf an, daß der verlegen sagte:

»Darf ich Sie noch ein Viertelstündchen langweilen?«

»Ich werde genau nach der Uhr sehen und nicht eine Minute länger bleiben,« erwiderte Hedda lächelnd.

Morener erschrak und sagte:

»So war das nicht gemeint.«

Er bot ihr den Arm und führte sie in den Salon.

»Ein sonderbarer Mensch, dieser Herr Reichenbach,« sagte Hedda.

»Etwas selbstbewußt – aber gewissenhaft.«

»Ich finde, er hat so etwas, was in die Zukunft weist.«

Morener lachte laut auf.

»Der und in die Zukunft weisend! Das dürfen Sie vielleicht von mir sagen – denn ich sehe darin keine Schmeichelei. Aber Heinz Reichenbach? Wenn der überhaupt irgendwohin weist, dann in die Vergangenheit.«

Im Salon vertauschte Morener schnell den Sessel, auf den sich Hedda eben setzen wollte, mit einem etwas tieferen, der daneben stand – und sagte:

»Hier sitzen Sie besser.«

»Also abergläubisch! Das hätte ich von Ihnen nicht gedacht.« – Und da Morener tat, als verstände er nicht, so fügte sie hinzu: »Auf dem Sessel, den Sie mir da eben entzogen haben, saß vorhin die Frau Kommerzienrat.«

»Allerdings.«

»Ich hatte mir gedacht, daß es nicht glücken würde.«

»Mein Neffe scheint Sie ja eingehend informiert zu haben.«

»Er nimmt Ihnen die Arbeit ab, das ist ja wohl seine Aufgabe.«

»Ich wünschte, er nähme es in geschäftlichen Dingen auch so genau.«

»Ist es Zufall, daß Sie die Beschwerden über Ihren Neffen bei mir anbringen?«

»Nein! denn ich glaube, daß Sie Einfluß auf ihn haben.«

»Während der Sommermonate.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Solange wir zusammen reiten und Tennis spielen.«

»Es gäbe ja eine Möglichkeit, diesen Einfluß auch auf die Wintermonate auszudehnen.«

»Indem Sie uns zum Wintersport nach St. Moritz schicken.«

»Als was – sollten Sie – ihn begleiten?«

Wieder sah Hedda ihm scharf in die Augen und sagte bestimmt:

»Als seine Tante.«

Morener sprang auf.

»Auch das hat Ihnen mein Neffe gesagt?«

»Wäre ich sonst hier?«

Morener konnte seine Erregung nicht verbergen.

»Sie könnten sich also entschließen . . .?«

»Wir sprachen vom Wintersport in St. Moritz, Herr Morener.«

»Ich weiß – aber Sie sagten . . .«

»Ich fragte, ob Sie zu Ihrem Neffen das Vertrauen hätten, ihn mit seiner Tante nach St. Moritz zu schicken?«

»Wenn Sie diese Tante wären?«

»Ich setz' den Fall.«

»Und Sie wünschen eine Antwort? Da ich die Zuneigung meines Neffen zu Ihnen kenne, so wäre ich mitschuldig, wenn ich Sie und ihn der Gefahr aussetzte . . .«

»Sie halten die Gefahr in Berlin für weniger groß?«

»Allerdings! Und zwar im selben Verhältnis, in dem die Gefahr der Entdeckung größer ist. Und da mein Neffe trotz allen guten Gefühlen – die er – was ich durchaus verstehe – für Sie hat, in letzter Linie ein Rechner ist, so würde er – was er in dem sehr viel sichereren St. Moritz wahrscheinlich nicht täte – sich in Berlin berechnen, was für ihn dabei auf dem Spiele steht.«

»Und meine Gefühle interessieren Sie gar nicht?«

»Für diesen besonderen Fall nicht. Denn, wenn Sie sich entschließen sollten, meine Frau zu werden, so weiß ich, daß Sie diesen Schritt nicht aus Liebe tun, sondern ans Klugheit.«

»Und wenn es so wäre?«

»Ihre Liebe könnte mir jeder rauben, der um dreißig Jahre jünger ist als ich. Nicht aber Ihre Klugheit. Sie ist mir im Gegenteil Gewähr dafür, daß Sie im Augenblick der Gefahr sich sagen werden: dazu haben Sie das Opfer nicht gebracht und mich geheiratet, um einer Liebelei wegen die Vorteile dieser Ehe aufs Spiel zu setzen.«

»Wie ist es möglich, daß Sie mich so richtig beurteilen, wo Sie mich gar nicht kennen?«

»Ich kenne Sie nicht erst seit heute, Baroneß.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Man hat Sie mir – natürlich ohne Ihr Wissen – von verschiedenen Seiten angetragen.«

»Mich – Ihnen? – Das ist unmöglich!«

»Verwandte von Ihnen, die es gut mit Ihnen meinen.«

»Doch nicht etwa meine Tante, die Gräfin . . .«

»Aber nein!«

»Was hat sie Ihnen von mir erzählt?«

»Daß Ihre Gläubiger im selben Augenblick aufhören werden, Sie zu belästigen, in dem ich meine Verlobung mit Ihnen bekanntgebe.«

»Glauben Sie das auch?«

Morener mußte über die Frage lächeln und erwiderte:

»Ich bin überzeugt davon.«

Hedda schien alles das schon viel zu lange zu dauern.

»Ich glaube, die Viertelstunde ist jetzt herum,« sagte sie.

Morener stand auf, trat vor den Sessel und fragte:

»Baroneß, darf ich Sie als meine Braut betrachten?«

Hedda erhob sich. Sie standen sich dicht gegenüber.

»Was werden die Leute sagen, wo wir uns heute zum ersten Male sehen?« fragte sie. »Aber das braucht ja niemand zu wissen. Wir können uns ja schon von meiner Tante her kennen.« – Sie sah ihn an. – »Ich hatte Sie mir – ja, wie sag ich nur? – viel härter und derber vorgestellt«. – Sie wies auf seinen Bart: »Der muß ab. Das ist das erste Opfer, das Sie mir bringen müssen.«

Morener versuchte eine schwache Verteidigung.

»Es gibt Frauen,« sagte er, »die lieben das.«

»Was können das schon für Frauen sein?« erwiderte sie. »Aus meinen Kreisen sicherlich nicht. – Da fällt mir ein . . .« – sie zögerte und trat einen Schritt zurück.

»So reden Sie!« drängte Morener.

»Sie heißen Morener.«

»Der Name ist ja wohl das einzige an mir, was Ihnen nicht fremd war.«

»Gewiß! – aber der Gedanke, daß ich in ein paar Wochen statt Hedda Hildegard Luise Baroneß von Nedlitz-Tornau-Neukirch einfach – Morener heißen werde . . .«

»Die Vornamen bleiben Ihnen.«

»Nein! Hedda Hildegard Luise – Morener, das klingt nicht! das ist unmöglich!«

»Das wäre doch bei meinem Neffen genau dasselbe gewesen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Er hat mich doch mit Ihrem Wissen gestern gebeten, in die Verbindung mit Ihnen einzuwilligen.«

»Selbstverständlich.«

»Und wenn ich ja gesagt hätte?«

»Wenn ich nicht genau gewußt hätte, daß Sie nein sagen, hätte ich ihn nicht zu Ihnen geschickt.«

»Das beruhigt mich. Aber warum haben Sie es dann getan?«

»Erraten Sie es wirklich nicht?«

»Nein! – Bitte sagen Sie's mir!«

»Dazu muß ich erst wissen, ob wir denn nun wirklich verlobt sind.«

»Ich für meine Person bin es! Aber da zu einer Verlobung unbedingt zwei gehören . . .«

Sie streckte ihm die Hand hin und sagte:

»Abgemacht!«

Jetzt war der Augenblick da, wo er sie – im Leben wie im Roman – an sich drücken und ihr einen Kuß – zum mindesten auf die Stirn drücken mußte. Beide hatten diesen Gedanken. Und während ihr das Wort: »später« auf den Lippen lag, lenkte er ab, indem er das Gespräch von zuvor wieder aufnahm, und fragte:

»Und jetzt darf ich auch wissen, weshalb . . .« Er bekam das »Du« nicht über die Lippen.

»Ich Ihren Neffen zu Ihnen schickte?« fiel sie ihm ins Wort. »Um Sie aufzumuntern. – Ich wußte, er würde Ihnen nur Gutes von mir erzählen.«

In diesem Augenblick hatte Morener so etwas wie eine Gemütsbewegung. Aber es war wohl mehr Eigenliebe als ein gutes Gefühl, als er jetzt den Arm um Hedda legte und mit veränderter Stimme beinahe zärtlich fragte:

»Dann hast du es dir wohl gar gewünscht, meine Frau zu werden?«

Hedda lächelte verschmitzt, legte kokett den Kopf an seine Schulter, sah zu ihm auf und erwiderte zärtlich:

»Ich habe damit gerechnet.« –

Im selben Augenblick sagte Heinz Reichenbach laut:

»Schach dem König!« und setzte seinen Gegner matt.

»Das klingt ja wie bestellt!« meinte Heinrich Morener und sah verdutzt nach der Ecke, in der die beiden spielten.

»Schon wieder abergläubisch?« fragte Hedda und rief dann zu dem Tisch hinüber:

»Wir haben unsere Rollen vertauscht, Herr Reichenbach. Sie haben mit dem Verstand gesiegt – bei uns hat das Herz entschieden,« – sie wies dabei auf Heinrich Morener, dessen Hand sie nahm und sagte: »Wir haben uns soeben verlobt.«

Die beiden jungen Leute sprangen auf. Reichenbach, dem es unerwartet kam, blieb beherrscht. Er trat an Hedda heran, verbeugte sich und wünschte Glück. Er reichte erst ihr, dann Morener die Hand.

Und Karl, dem diese Augenblicke Zeit ließen, sich zu sammeln, sagte scherzend:

»Also auch die Partie verloren.«

»Ich freue mich, daß du es nicht tragisch nimmst,« erwiderte Morener – »und werde dir das nächste Spielgewinnen helfen, indem ich dein Gehalt verdoppele.«

Er läßt mich meine Abhängigkeit fühlen, dachte Karl und dankte lächelnd. Aber Hedda trat an ihn heran, legte die Hand auf seine Schulter und sagte:

»Sie sehen, Karl, daß ich Ihnen auch als Tante nützlich sein kann.«

Morener trug dem Diener auf, Champagner zu bringen – und als Heinz Reichenbach sagte:

»Ich störe vielleicht bei dieser Familienfeier« – und sich zurückziehen wollte, rief Morener ihm zu:

»Was soll das heißen? Sie gehören zur Familie! – genau wie mein Neffe!« – Er erhob sein Glas. – »Die Familien von Nedlitz, Reichenbach und Morener gehören zusammen! Jeder für sich hat zwar eine Bedeutung – aber erst zusammen sind sie eine Macht und ein Programm: Sie sollen leben!«

»Hoch! – noch einmal hoch! – und zum dritten Male hoch!!« riefen alle. –

Eine Viertelstunde später fuhren zwei Automobile von Schloß Reichenbach über Brandenburg nach Berlin.

In dem einen saß Baroneß Nedlitz mit Heinrich Morener. Sie nahm den Verlobungskuß, den ihr Morener mehr feierlich als zärtlich nun doch auf die Lippen drückte, wie etwas Notwendiges entgegen, lehnte den Kopf an seine Schulter, sagte:

»Ich bin sehr müde – darf ich?« und schloß die Augen.

Dreißig Meter zurück am Steuer des offenen Sportwagens saß, wie auf der Hinfahrt, Karl Morener. Aber auf dem Sitz daneben, von dem noch ein Duft von Puder und Parfüm aufstieg, saß jetzt Heinz Reichenbach. Er wies auf das geschlossene Auto, das vor ihnen fuhr und fragte:

»Glaubst du, daß die beiden glücklich werden?«

»Darauf kann ich dir vielleicht in zwei Jahren einmal Antwort geben,« erwiderte Karl.


 << zurück weiter >>