Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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3.

Der alte Morener hatte dem jungen Reichenbach weniger seiner Tüchtigkeit wegen, die es gewiß verdient hätte, als aus Achtung vor seinem Namen, den er der Bank um jeden Preis erhalten wollte, neben seinem Gehalt auch eine Beteiligung am Gewinn zugesichert. So kam Heinz Reichenbach schnell wieder in glänzende Verhältnisse, die ihm jedoch kein Anlaß waren, seine einfache, der großen Welt abgekehrte Lebensführung zu ändern. Zwar trieb er auch weiterhin allerlei Sport – aber er mied gesellschaftlichen Verkehr und kam außer mit seiner Tante Reichenbach und deren Tochter Hanni außerhalb des Geschäftlichen nur mit Karl Morener zusammen. Auch dieser Umgang entsprach weder besonderer Sympathie noch dem Bedürfnis, einen Menschen zu haben, mit dem er sich aussprach. Fragte er sich, was ihn mit diesem ihm so wesensfremden Karl Morener zusammenführte, so mußte er sich gestehen, daß es die Aussicht war, etwas von Frau Hedda zu hören, die ihn seit jenem ersten Zusammentreffen bei dem alten Morener beschäftigte. In einer völlig auf das Äußere gestellten Zeit, deren Charakter es war, alles gleichzumachen – in der daher auch die Frauen einander zum Verwechseln glichen, war es eine Ausnahme, einer Frau zu begegnen, die sich wie Hedda Morener ihre Eigenart bewahrte. Zwar machte auch sie der Zeit Zugeständnisse – denn was war ihre Ehe mit Heinrich Morener anderes als ein Kompromiß? – aber sie blieb darum doch sie selbst und handelte unter eigener Verantwortung. Da sie überdies jung, schön und klug war, so steigerte das sein Interesse und rief Gefühle wach, die – ohne daß er sich Rechenschaft darüber gab – von Liebe nicht weit entfernt waren. Zwar sagte er sich, daß sie als Heinrich Moreners Frau selbst dann für ihn unerreichbar blieb, wenn auch sie in ihm mehr sah als den jungen Mann aus gutem Hause. Aber seine Leidenschaft, alles Schöne, das er sah, zu pflegen, auch wenn er es nicht wie sein geliebtes Porzellan hinter Glas bringen, sondern nur in seiner Vorstellung bewahren konnte – diese Leidenschaft hatte zur Folge, daß er einen Kult mit dieser Frau trieb, der durch die Aussichtslosigkeit, sie je zu besitzen, noch eine Steigerung erfuhr. Es war ihm nicht entgangen, daß sie von der ersten Begegnung an, wo immer sie zusammentrafen, seine Unterhaltung suchte . . . Und als sie eines Tages – durch ihn angeregt – begann, chinesisches Porzellan zu sammeln und sich von ihm an der Hand seiner Sammlungen in die Mysterien dieser einzigen Kunst einführen ließ, ihn bei jedem Stück, das sie erwarb, als Sachverständigen hinzuzog – da fühlte er die Gemeinsamkeit zweier Menschen so stark, daß er trotz aller Schwierigkeiten und Widerstände an einen Zusammenschluß dachte.

Sie begeisterte sich an einer Kuanyin aus weißem Jade, dem schönsten Stück seiner Sammlung, an der er mit besonderer Liebe hing. Am nächsten Tage sandte er ihr die Göttin in einem Beet lila Tulpen und schrieb: »Die Göttin in Ihrer Nähe zu wissen, steigert deren Wert ins Unermeßliche.«

Sie bat ihn zu sich. Sie wollten gemeinsam einen würdigen Platz für die Statue suchen. Er fühlte, daß es der Abend der Erfüllung werden würde. Sie aßen zusammen und dann suchten sie – und fanden in Heddas Schlafgemach den für die Göttin würdigen Platz. Aber als er jetzt den Arm um sie legte, sie an den ersten Abend ihres Zusammenseins erinnerte, sie an sich zog und von dem Schicksal sprach, das sich jetzt erfüllte – riß sie sich los, wehrte ab und rief:

»Glaube mir nicht! – Es hat keinen Zweck! – Es ist nicht Schicksal! Aber ich kann dich nicht belügen.« – Und schluchzend erzählte sie ihm alles.

Er nahm sie bei der Hand und führte sie in den Salon zurück. Sie setzten sich dicht zueinander – so wie sie zuvor gesessen hatten. Aber statt der Leidenschaft, mit der zuvor zwei Körper sich suchten, war es jetzt der Gleichklang zweier Seelen, die sich einander nahe fühlten. Er verzieh ihr – und sie fühlte, als sie den Kopf auf seinen Schoß legte und ihre Tränen seine Hände näßten, daß das Schicksal doch über sie entschieden hatte.

Das lag nun zehn Monate zurück. Seitdem hatten sie sich nicht wiedergesehen. Frau Hedda hatte aufgehört, Porzellan zu sammeln. In Heinz Reichenbachs Sammlung aber blieb trotz schönster Stücke, die er hinzu erwarb, die Stelle leer, an der die Kuanyin gestanden hatte. Die Lücke fiel ins Auge. Jeder fragte. Viele glaubten an einen unglücklichen Zufall, dem das Porzellan zum Opfer gefallen war. Heinz Reichenbach gab dann stets zur Antwort:

»Es gibt keinen Zufall! Auch dies ist keiner. Ich habe für das Stück, das hier fehlt, einen würdigeren Platz gefunden.« –

An einem Sonntagvormittag gegen elf Uhr rief Frau Kommerzienrat Reichenbach bei ihrem Neffen an und stellte ihren Besuch für den Nachmittag in Aussicht. Da es, zumal im Sommer, nichts Seltenes war, daß die Verwandten zu ihm hinauskamen, so legte Heinz dem Besuch keine besondere Bedeutung bei. Er sandte sein Auto in die Stadt, war aber überrascht, als gegen die Gewohnheit die Tante ohne ihre Tochter kam.

»Und Hanni?« fragte er.

»Sie weiß nicht, daß ich bei dir bin. Sie ist bei einer Freundin eingeladen. Die seltene Gelegenheit, dich allein zu sprechen, mußte ich benutzen.«

»Endlich!« erwiderte Heinz und führte seine Tante zur Veranda, auf der der Teetisch gedeckt war.

»Wieso sagtest du endlich?« fragte Frau Reichenbach, als sie sich gesetzt hatten.

»Weil ich hoffte, daß du dich überzeugt hast, wie unberechtigt und unverwandtschaftlich dein Widerstand gegen meine dir angebotene Hilfe ist.«

»Hattest du mir nicht versprochen, davon nie mehr zu reden?«

»Bis du selber kämst – aber nun bist du da, und ich freue mich! Denn, wenn ich in der glücklichen Lage bin, euch das Leben zu erleichtern, so verdanke ich das in erster Linie Onkel Leonard, der damals dafür gesorgt hat, daß ich in der Firma blieb.«

»Du verdankst es in erster Linie deiner persönlichen Tüchtigkeit.«

»In allen Banken sind Angestellte, die tüchtiger sind als die Direktoren und die doch nie aufrücken – einfach weil ihnen die Protektion fehlt. Da der alte Morener aber alles, was Reichenbach ist, anbetet, so hat er mich groß werden lassen – statt ein paar anderer im Haus, die es genau so verdienen.«

»Das mag sein, Heinz, obgleich ich es nicht glaube. Denn ich kenne deine Bescheidenheit. – Deshalb aber komme ich nicht!«

»Nicht?« fragte er erstaunt, und Frau Reichenbach erwiderte:

»Aber da du wieder die Rede darauf bringst – gut – ich laß mit mir darüber sprechen – obschon es mir gegen das Gefühl geht – unter einer Bedingung.«

»Daß du mir das Geld zurückgibst, wenn du in die Lage kommst – einverstanden!«

»Das wäre eine Heuchelei! Du weißt so gut wie ich, daß ich nie in diese Lage kommen werde.«

»Ich dachte daran, daß Hanni vielleicht mal einen reichen Mann heiratet. Aber du hast recht! Denn von dem würdest du es vermutlich noch weniger nehmen als von mir.«

»Gerade Hannis wegen komme ich zu dir.«

»Interessiert sich jemand für sie?«

»Viele interessieren sich – es will sie sogar einer heiraten.«

»Wer ist das?«

»Ein Anwalt mit guter Praxis – der weiß, daß sie nichts besitzt außer ihrem hübschen Gesicht und dem guten Namen.«

»Und der trotzdem?« – Heinz war ganz aufgeregt. »Tante!« rief er. »Wenn es so etwas heute noch gibt, fange ich wieder an, an die Menschen zu glauben! – Wie heißt der Anwalt? Ich muß sofort zu ihm. Der muß von jetzt an unsere Prozesse führen! – Oder . . .« Er stockte plötzlich, wurde nachdenklich und sagte: »So ein Mann ist am Ende nicht tüchtig!«

»Ob tüchtig oder nicht tüchtig, bleibt sich in diesem Falle gleich.«

»Erlaub mal, wenn Hanni seine Frau wird.«

»Sie wird es aber nicht.«

»Und weshalb nicht? Was hast du gegen ihn einzuwenden?«

»Ich nichts. Aber Hanni hat in einem Fall wie diesem ja wohl auch noch ein Wort mitzureden.«

»Sie liebt ihn nicht?«

Frau Reichenbach sah ihren Neffen erstaunt an und sagte:

»Wenn du Frauen auch nur ein Hundertstel so gut zu beurteilen verständest wie chinesisches Porzellan, würdest du diese Frage nicht stellen.«

»Du meinst, Hanni sei nicht imstande zu lieben?«

»Lassen wir das,« wehrte Frau Reichenbach ab. »Ich bin weder des Finanziellen noch dieses Anwalts wegen, der bereits weiß, daß er nichts zu hoffen hat, zu dir gekommen.«

»Sondern?«

»Um dich zu bitten, diese Reise nach Rio aufzugeben.«

Heinz war erstaunt und fragte:

»Wieso?«

»Erspar es mir, dir die Gründe zu nennen. – Aber glaube mir, du tust ein gutes Werk, wenn du bleibst.«

»Wem nütze ich damit? In wessen Auftrag kommst du?« fragte Heinz erregt, dessen Gedanken sofort bei Hedda waren.

»Im eigenen.« – Und da er das nicht verstand, so fügte sie hinzu: »Als Mutter!«

Heinz sprang auf – und Frau Reichenbach, der dies Geständnis im selben Augenblick, in dem sie es ablegte, auch schon leid tat, fuhr fort:

»Nun weißt du's! Und nun wollen wir kein Wort mehr davon reden – nie mehr! Überlege, ob dir Hanni das Opfer wert ist. Es genügt, daß sie dich hier weiß. Irgendwelche Hoffnung auf dich macht sie sich nicht! Aber, daß du fortgehst für immer – ich glaube, das würde sie nicht ertragen.«

Heinz war erschüttert.

»Das ist ja furchtbar!« rief er. »Die arme Hanni! Und ich habe nie etwas davon bemerkt.«

»Das verstehe ich nicht. Es sei denn, daß auch du . . .«

Sie war zu taktvoll, um es auszusprechen.

»Erraten, Tante! – Mir geht es wie Hanni – auch ich liebe – und du bist der erste Mensch, dem ich mich anvertraue.«

Frau Reichenbach nahm seine Hand und sagte:

»Mein armer Junge! Ich bin doch dazu da, um euch zu helfen – wenn ihr mich braucht. Was für einen anderen Zweck hätte mein Leben sonst noch? Ich habe dich immer als meinen Sohn betrachtet. Alles hast du mir erzählt. Jede Dummheit hast du mir gebeichtet. Wie bedrückt warst du oft. Aber habe ich dich auch nur einmal aus den Armen gelassen, ohne daß dir wieder leicht ums Herz war?«

»Es ist so furchtbar schwer, Tante!«

»Ist es ein Geheimnis?«

»Nein! – und ja! Ihr zuliebe habe ich mir geschworen, daß es nie über meine Lippen kommt.«

»Kann sie dich davon entbinden?«

Reichenbach schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich habe sie seit Monaten nicht gesehen. Es ist daher unmöglich, sie darum zu bitten.«

»Dann mußt du schweigen und dürftest es mir auch nicht sagen, wenn ich deine Mutter wäre.«

»Ich muß mit mir selber fertig werden. – Aber was wird aus Hanni? Wer hilft der?«

»Als wenn das Schicksal sich gegen die Reichenbachs verschworen hätte.«

»Sag' das nicht, Tante! Denn wer weiß, ob in meinem Fall die Erfüllung nicht die größte Enttäuschung wäre.«

»Dann gehst du also ihretwegen fort?«

»Ja.«

»Du fliehst vor ihr? Du willst versuchen, sie zu vergessen?«

»Nein. Aber ich glaube, daß es ihr Wunsch ist, mir nicht mehr zu begegnen.«

»So sehr liebst du sie, daß du ihr ein derartiges Opfer bringst? Verdient sie das?«

»So wie ich sie sehe« – und er blickte wieder auf die leere Stelle, an der die Kuanyin gestanden hatte –, »verdient sie es. Ob sie es wirklich wert ist, ob Gott oder der Teufel in ihr steckt – bei welcher Frau weiß man das? Selbst wenn man ständig mit ihr zusammenlebt?«

»Erlaube!« widersprach Frau Reichenbach.

»Gewiß! Für dich und Hanni und tausend andere gilt das nicht. Aber es gibt eine Art Frauen, zu denen sie gehört, die selbst nicht wissen, ob sie das Gute des Bösen oder das Böse des Guten wegen tun.«

»Und so einer Frau wegen . . .« Frau Reichenbach brach

ab. Sie wußte, daß man der Liebe nicht mit Vernunft beikam. Völlig verändert sagte sie plötzlich:

»Wenn es so um dich steht, Heinz, dann rate auch ich dir, geh fort! Weit fort! – Wo du keine Aussicht hast, ihr je zu begegnen.«

»Jetzt rätst auch du mir . . .?«

»Ja, denn du hast dir in deiner Phantasie ein Bild vorgezaubert, dessen Entgötterung ich nicht erleben möchte. Suche es dir zu erhalten – solange wirst du glücklich sein.«

»Und an Hanni denkst du gar nicht?«

»Nicht mehr im Zusammenhang mit dir, mein Junge!« Sie küßte ihm die Stirn und sagte: »Leb' wohl! Und wenn du eine Mutter brauchst, so weißt du, wo du sie findest.«

Heinz küßte ihr die Hand und begleitete sie hinaus. Er sah nicht mehr, wie sie auf dem Flur plötzlich stehenblieb, in den Knien wankte und, an eine Säule gelehnt, laut seufzend sagte:

»Meine armen Kinder!«


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