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Frau Hedda hatte Reichenbach gebeten, sich nicht gleich am selben Abend zu entscheiden, ob er imstande sei, ihre Bitte zu erfüllen und die Reise aufzugeben. Er war noch nicht in Berlin, da stand sein Entschluß schon fest. Er hielt vor einem Nachtcafé, das um ein Uhr schloß, um bei erhöhtem Betrieb um fünf Uhr früh wieder zu öffnen. Er stellte den Wagen ab und stand gleich darauf in einem kleinen Raum, in dem Frauen und Männer, denen man ihr Gewerbe auf hundert Schritte ansah, tanzten und lärmten. Der seltene Gast fiel um so mehr auf, als sich alle hier untereinander kannten, jedem Fremden daher mit Mißtrauen begegneten. Eins der Mädchen flüsterte dem Wirt etwas zu, woraufhin der dicht an Reichenbach herantrat und leise zu ihm sagte:
»Mach, daß du mit deiner Karre wegkommst. Die Luft ist dick!«
Reichenbach verstand ihn nicht, sagte:
»Einen Kognak und einmal Telephon!« – Ließ ihn stehen und ging auf den Fernsprecher zu. Der Wirt jagte ihm nach, riß ihm, als er trotz des Lärms die Nummer bereits genannt hatte, den Hörer aus der Hand und sagte:
»Laß mir den Wagen! Dir jagen sie ihn doch wieder ab.« – Dann zog er die Brieftasche heraus und hielt ihm ein Bündel Banknoten vor die Nase: »Zwo Mille! Na? Einverstanden?«
»Der Wagen gehört mir und ist unverkäuflich.«
Ein Höllengelächter ging durch den Raum. Ein paar Kerle, die an der Tür standen, verständigten sich. – Reichenbach, der mit seinen Gedanken ganz wo anders war und dem das alles viel zu lange dauerte, hielt einen Fünfzigmarkschein hoch und rief:
»Der gehört euch, wenn ihr zwei Minuten lang ruhig seid und mich telefonieren laßt.«
Ein Hallo folgte den Worten. Aber gleich darauf trat Totenstille ein. Alle sahen Reichenbach an, der in den Apparat sprach:
»Ihr Wunsch ist erfüllt! Weiter wollte ich nichts sagen! Gute Nacht!«
Er hängte den Hörer wieder an. – Man umringte ihn. – Er drängte zur Tür – stolperte über ein paar Stufen – stand auf der Straße und sah, daß sein Auto verschwunden war. – Er ging ins Lokal zurück und schlug Lärm. – Man beförderte ihn unsanft wieder auf die Straße. – Er lief bis zur nächsten Ecke und wieder zurück. Er rief laut nach einem Schupo. Im selben Augenblick hatte er einen Stoß im Genick, verlor für Augenblicke das Bewußtsein – fiel nach vorn über und schlug sich Knie und Hände auf. – Als er sich mühsam wieder erhoben hatte, nahm ihn ein Weib unter den Arm und sagte:
»Komm!«
Er ließ sich von dem Mädchen bis zu einem Auto führen, dankte ihm und wollte ihm einen Zehnmarkschein geben. Da nahm er wahr, daß seine Brieftasche fort war – auch die Uhr mit Kette – und die Perle, obgleich sie gesichert war.
»Zum nächsten Polizeirevier!« rief er dem Chauffeur zu. Aber der war schon von seinem Sitz herunter, zog ihn unsanft aus dem Wagen heraus und sagte:
»Kein Geld und nächstes Polizeirevier, das kennen wir! Unterwegs schießen Se sich womöglich 'ne Kugel in den Kopf und versauen mir den Wagen. Das machen Se gefälligst anderswo ab.«
Er schlug die Tür zu, sprang auf seinen Sitz und fuhr davon.
Reichenbach schleppte sich ein paar Straßen weiter. Nach zwanzig Minuten stieß er endlich auf einen Polizeibeamten. Er ging auf ihn zu und sagte:
»Ich bin ausgeraubt und überfallen worden.«
»Wo?« fragte der Beamte und sah ihn mißtrauisch an.
»Das kann ich nicht genau angeben.«
»Dann wenden Sie sich gefälligst an das zuständige Polizeirevier.«
Reichenbach faßte sich an den Kopf und sah ihn entgeistert an.
»Man hat mir mein Automobil gestohlen,« sagte er, »vielleicht interessiert Sie das.«
»Sehen Sie, daß Sie weiterkommen und machen Sie hier keinen Auflauf,« befahl der Beamte.
»Auflauf? Hier ist doch weit und breit kein Mensch außer mir.«
»Noch ein Wort und ich verhafte Sie wegen ruhestörenden Lärms.«
Er entfernte sich schnell, suchte vergeblich ein leeres Auto, sah an einem Haus das Schild eines Arztes, zog an der Nachtglocke und erzählte dem Arzt, der ihn halbbekleidet, der Nachttaxe wegen aber doppelt erfreut, unter den Arm nahm und zu sich hinaufführte, den ganzen Vorfall von dem Augenblick an, in dem er das fragwürdige Lokal betreten hatte.
»Sie hatten eine Panne?« fragte der Arzt.
»Wie kommen Sie darauf? Ich habe den Wagen erst seit drei Wochen – er läuft vorzüglich. – Im übrigen bin ich nicht einer Autoreparatur wegen bei Ihnen, sondern um feststellen zu lassen, ob ich meine Knochen noch alle beisammen habe.«
Diese Feststellung dauerte nur wenige Minuten. Als sie erfolgt war, sagte der Arzt:
»Darf ich mir die Frage erlauben, wie Sie dazu kamen, ein derartiges Lokal aufzusuchen?«
»Nein! Das dürfen Sie nicht! Das ist durchaus meine persönliche Angelegenheit.«
»Aber vielleicht darf ich wissen, wen ich vor mir habe?«
»Reichenbach – hoffentlich genügt Ihnen das.«
»Doch nicht etwa von dem bekannten Bankhaus . . .?«
»Gebrüder Reichenbach & Co. am Gendarmenmarkt,« ergänzte Heinz.
»Ich werde mir erlauben, Sie persönlich nach Haus zu fahren.«
»Das wird mir ein Vergnügen sein, Herr Doktor. Nur möchte ich Sie bitten, geräuschlos und diskret! Ich wünsche nicht, daß man erfährt, wann und wie ich nach Haus gekommen bin.«
Wieder einer der Reichen, die ein Doppelleben führen, dachte der Arzt, bestellte telephonisch ein Automobil und fuhr – es war inzwischen sechs Uhr geworden – Heinz Reichenbach bis vor seine Haustür. Weitere Hilfe lehnte Heinz ab, dankte, verabschiedete sich und bat um Zusendung der Liquidation.
»Ganz nach Belieben!« erwiderte der Arzt und verbeugte sich tief.