Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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2.

Eines Tages sagte Karl Morener während eines Spazierganges zu Frau Hedda:

»Du verstehst das zwar besser als ich – aber glaubst du nicht, daß du nun mal Herrn Reichenbach zu dir bitten müßtest?«

Hedda blieb erstaunt stehen, sah ihn an und fragte:

»Wie kommst du darauf?«

»Er ist die Seele des Geschäfts.«

»Was habe ich mit dem Geschäft zu tun?«

»Es führt seinen Namen.«

»Fängst du auch schon an, wie dein Onkel? – Ist es nicht genug, wenn einer dem Wahn verfällt?«

»Was für ein Wahn? – Du bist noch immer angegriffen, Hedda! Ob es nicht gut wäre, wenn du auf ein paar Wochen . . .«

»In ein Sanatorium?« fiel sie ihm ins Wort. »Nie und nimmer! In so eine Anstalt kommt man leichter hinein als heraus.«

»Es braucht ja kein Sanatorium zu sein. Nur, daß du dich erholst – an der Riviera oder, wenn du den Schnee liebst, im Engadin.«

»Kämst du mit mir?«

»Bis ans Ende der Welt.«

»Das hast du schon einmal zu mir gesagt.«

»Und du hast mir damals spöttisch zur Antwort gegeben: eine Reise um die Welt ist eine teure Angelegenheit – weißt du es noch?«

Hedda schloß die Augen, holte tief Atem und sagte.

»Damals war ich noch ein freier Mensch.«

»Macht es dich unfrei, daß du mich lieb hast?«

»Karl! Wann je habe ich dir das gesagt?«

»Ich fühle doch, wie du dich quälst. Jeden Tag muß ich dich neu erobern.«

»Meinen Körper.«

»Ich beklage mich nicht – und habe mich damit abgefunden, daß dein Herz einem andern gehört.«

»Und doch fängst du immer wieder an, von Liebe zu sprechen – von meiner Liebe.«

»Kannst du es mir verdenken, daß ich mich selbst betrüge – und mir einzureden suche, daß du mich liebst?«

»Menschen in unserer Lage sollten den Mut haben, wahr gegen sich selbst zu sein.«

»Ich denke nicht viel, ich weiß nur, daß ich dich viel zu lieb habe, um dich je wieder herzugeben.«

»Und wenn dein Onkel eines Tages wieder gesund wird?«

»Dann werde ich vor ihn hintreten und ihm die Wahrheit sagen.«

»Da er klug ist, wird er uns verzeihen.«

»Damit ist uns nicht gedient. Er muß dich freigeben.«

»Und wenn er es verweigert?«

»Dann könnte ich . . .«

»Was könntest du?« trieb ihn Hedda an, und er fuhr fort und sagte:

»Zum Verbrecher werden.«

»Und du glaubst, wenn du ihn erschlagen hättest, ich könnte dann auch nur noch deine Hand berühren?«

»Vielleicht, daß du mich dann liebst.« –

»Das hältst du für möglich?«

»Du selbst hast einmal gesagt, ein ganzer Verbrecher sei dir lieber als ein halber Ehrenmann.«

»Wie gut du dir das gemerkt hast.«

»Denkst du anders heute?«

»Ich denke vor allem, daß man uns dann nicht viel Zeit lassen wird, über uns nachzudenken.

»Ich werde es trotzdem darauf ankommen lassen.«

»Dazu wird es nicht kommen. Ich wäre außerstande, wieder mit ihm zusammenzuleben, ohne daß er weiß, was zwischen uns vorgefallen ist. – Aber genau so unerträglich ist mir der Gedanke, daß er mir verzeiht und ich es seiner Gnade danke, wenn ich bei ihm bleibe.«

»Was gibt es da für einen Ausweg?«

»Mich öffentlich als deine Geliebte zu bekennen.«

»Wie kannst du meine Liebe so erniedrigen!«

»Das ist eine Phrase, Karl. Wenn der Fall aber eintritt, dann wirst du Gelegenheit haben, zu zeigen, was du als Mensch wert bist.«

»Ich warte nur auf den Augenblick, wo ich es dir beweisen kann.«

»Karl, das alles spricht sich leicht aus. Aber es klingt so konventionell, wenn du von dem Augenblick sprichst, auf den du wartest, und von deiner Liebe, die ich erniedrige. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Du mußt viel aufgeben, um mich zu gewinnen. Nicht nur deine Stellung und deine Aussichten hier – auch den guten Ruf. Denn es wird einen Skandal geben und die Menschen werden hinter uns herschreien.«

»Wir werden so weit fortgehen, daß es uns nicht erreicht.«

»Mich stört es nicht. Es wäre viel qualvoller für mich, hierzubleiben und die anständige Frau zu spielen, die ich nicht bin.«

»Müssen wir denn warten, bis er zurückkommt?«

»Ich bin nur ihm Rechenschaft schuldig. Und ich werde mich erst frei fühlen, wenn er weiß, wie sehr ich ihn gekränkt habe.«

»Wenn er nun stirbt oder nie mehr gesund wird?«

»Dann werde ich nie mehr froh werden.«

»Auch nicht, wenn wir fort von hier gehen?«

»In dem Fall ginge ich nicht fort – ich bliebe doch überall die Gefangene, die ich jetzt bin, und würde das schlechte Gewissen überallhin mitnehmen.«

»Ich möchte dir so gern jetzt schon helfen.«

»Spar dir deine Kräfte!« sagte sie, und als sie ein paar Schritte weiter gegangen waren, fuhr sie fort: »Armer Karl! ich bin eine unbequeme Geliebte!«

»Was für ein Wort, Hedda!«

»Du verträgst die Wahrheit also noch immer nicht! – aber komm jetzt – ich bin müde – wir wollen hineingehen.«

Als sie durch die Halle gingen, blieb Hedda plötzlich stehen, sah Karl an und fragte:

»Warum wünschtest du, daß ich Heinz Reichenbach empfange?«

»Ich sagte ja schon . . .«

»Richtig! weil er die Seele des Geschäfts ist – und das Bankhaus seinen Namen trägt. – Hattest du sonst noch Gründe?«

»Ich will dich nicht auch noch belasten. Du nimmst so schon alles so schwer.«

»Ich verlange von dir, daß du es mir sagst.«

»Heinz trägt sich mit dem Gedanken, aus Berlin fortzugehen.«

»Auf wie lange?«

»Für immer.«

Hedda zuckte leicht zusammen, schloß die Augen für einen Augenblick und führte die Hand zur Stirn.

»Und wohin – will er?« fragte sie.

»Nach Rio – um dort eine Filiale ins Leben zu rufen.«

»Aus geschäftlichen Gründen also?«

»Er behauptet es – aber ich glaube es nicht.«

»Kannst du übersehen, ob eine derartige Gründung notwendig und aussichtsreich ist?«

»Offen gesagt, nein.«

»Was sagen die beiden Direktoren?«

»Da Herr Reichenbach es bestimmt, so halten sie es auch für richtig.«

»Und wieso glaubst du, daß es aus anderen Gründen geschieht?«

»Heinz ist in seinem Wesen vollkommen verändert.«

»Seit wann?«

»Seit zehn Monaten etwa. – Ich glaube bestimmt, – daß eine Frau dahinter steckt.«

»Hast du ihn danach gefragt?«

»Mehrere Male schon.«

»Und was hat er dir geantwortet?«

»Daß meine Vermutung falsch sei.«

»Weiß er von uns?«

»Wie kannst du glauben?«

»Hat er mehr Grund, offen zu dir zu sein, als du zu ihm?«

»In unserem Falle, da ist es ganz etwas anderes.«

»Das wird Reichenbach von seinem Fall auch denken. – Aber vielleicht geht er fort, damit Hanni Reichenbach aufhört, sich Hoffnungen zu machen?«

»Ausgeschlossen.«

»Dann soll ich ihn kommen lassen, um ihm sein Geheimnis zu entlocken? Zu welchem Zweck?«

»Ich will im Interesse der Bank, daß er diese abenteuerliche Idee aufgibt und hierbleibt. Er hat sich nach Onkel Hei . . .«

»Fürchtest du dich, seinen Namen auszusprechen?«

»Aber nein! Jedenfalls hat Reichenbach seitdem die Leitung in Händen. Ich wüßte gar nicht, wie wir ohne ihn auskommen sollen.«

»Würdest du bleiben, wenn man dich aus dem gleichen Grunde vor dieselbe Frage stellt?«

Karl stutzte und sagte:

»Nein!«

»Also würde es auch zwecklos sein, daß ich mit ihm spreche.«

»Du bist die einzige, auf deren Urteil er gibt . . .«

»Woher weißt du das?«

»Von ihm.«

»Spricht er von mir?«

»Bei jeder Gelegenheit – und stets mit der größten Hochachtung.«

»Wie kommt ihr überhaupt dazu, über mich zu sprechen?«

»Er fürchtet immer, daß du zuviel allein bist und zu wenig Ablenkung hast.«

»So besorgt ist er um mich?«

»Wirklich! man merkt es ihm an, wie er sich deinetwegen Sorgen macht.«

»Ist dir da noch nie der Gedanke gekommen, daß er am Ende meinetwegen . . .?«

»Wie denn? – du meinst doch nicht . . .«

»Daß er vor mir nach Rio flieht?«

»Du machst dir einen Scherz mit mir.«

»Ich behaupte nichts – ich gebe nur zu erwägen. So ganz unmöglich wäre es vielleicht nicht.«

»Seht ihr euch etwa hinter meinem Rücken?«

»Was fällt dir ein. Wenn ich mit ihm zusammenkommen wollte – bildest du dir ein, du könntest mich daran hindern?«

»Natürlich!« ereiferte sich Karl. »Jetzt fällt es mir erst auf, wie er bei jeder Gelegenheit das Gespräch auf dich bringt – um mich auszuhorchen – aus Eifersucht – er soll man ruhig nach Rio fahren. Hier könnte es sonst am Ende noch ein Renkontre geben.«

»Aber Karl, du benimmst dich wie ein Junge! – Das war doch nur so eine Idee von mir.«

»Nein! nein! dein Instinkt ist schon richtig. Es lag eben zu nahe – daher bin ich nicht selbst darauf gekommen.«

»Jedenfalls hast du nun wohl kein Interesse mehr daran, daß ich ihm diese Reise ausrede?«

»Ich werde mich mit aller Entschiedenheit dafür einsetzen, daß er nach Rio geht.«

»Im Geschäftsinteresse?«

Karl lächelte und sagte:

»Es war schon ganz klug von dir, daß du die Verantwortung für die Bank nicht mir aufgebürdet hast. Ich käme sonst mit meinem Gewissen in Konflikt.«

»Ich glaube, Karl, daß du dich mit deinem Gewissen sehr schnell verständigt hättest.«

»Wo ich die Möglichkeit sehe, mir deine Liebe zu erringen, setze ich mich über Gewissen und Gesetze hinweg.«

»Aber nicht über den Verstand, wenn ich bitten darf. Das könnte sonst üble Folgen haben – auch für mich.«


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