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»Paß auf, Beck!« sagte der obere Müller, mit seinem Knecht eintretend, im Hausgang zu dem Bäcker, der mit einem großen Kruge Wein gelaufen kam: »Paß auf, heut kriegst das Haus voll Leut! Der halb Fleck ist auf'm Marsch zu dir und will's probieren, ob dein Kesselfleisch so gut ist, wie's dein Weib selig hat machen können. Wir sind die ersten und wollen gleich ein gut's Plätzle besetzen.«
Der Bäcker lachte und stieß statt der Antwort die Türe auf, durch die man die Stube bereits überfüllt von Gästen sah. »Der Müller meint, er sei der erst zur Metzelsupp!« rief er diesen zu. Ein allgemeines Gelächter empfing den verspäteten Gast. »Mach nur, daß du hersitzst!« riefen einige, indem sie zusammenrückten und ihm und dem Knechte Platz machten: »'s ist eine Staatssau gewesen, aber kannst froh sein, wenn du nur noch das Schwänzle von ihr triffst!«
Ungeachtet dieser Drohung, die nicht so ernstlich gemeint war, ließen sich's der Müller und sein Knecht trefflich schmecken, während die Gäste den Bäcker lobten, der seit dem schon lange erfolgten Tode seiner Frau keine Metzelsuppe gegeben hatte, und sich zugleich darüber freuten, daß man bei den guten Aussichten auf das heurige Jahr auch einmal wieder einen billigen Wein trinken könne.
Nachdem der Müller seinen Magen gefüllt, sah er sich im Kreise der Gäste um. »Was, der Profoß ist auch da?« rief er. »Ich hab gemeint, Ihr lieget am Gliederweh darnieder und könnet kein Fuß und nächstens kein Zahn mehr regen.«
»Die alten Knochen sind's Leben gewohnt«, erwiderte der Invalide. »Ich hab auch glaubt, ich werd der Beckin Quartier machen, und jetzt ist sie mir lang vorangegangen. Ich hab eigentlich kein Gliederweh, 's sind eben Flüss, die mir im Leib rumziehen, bald da, bald dort, ich mein manchmal, sie fahren mir bis in die Krücken hinein, und oft werfen sie mich so bösartig ins Bett, daß ich schier nimmer aufstehen kann.«
»Lasset nur den Wein tapfer durch die Gurgel laufen, alter Kriegsknecht, der wird Euch die Flüss schon naustreiben. Daß dich! aber jetzt muß ich mich verwundern, daß der Fischerhanne auch so viel Courage hat und ins Wirtshaus geht! Nun, du darfst dir heut schon was gönnen: hast gewiß bei dem gestrigen Fang etwas Schön's verdient, gelt?«
Der Fischer schmunzelte. »Wenn man sich für den Flecken in Gefahr begibt«, sagte er, »so könnt man, denk ich, mehr ansprechen als die paar Gulden, aber doch ist's immer besser als gar nichts.«
»Die Gefahr muß nicht so groß gewesen sein«, bemerkte der Müller. »Wie ich hör, habt Ihr ihn mit der Schling gefangen?«
»Ja!« rief ein anderer. »Die Schling ist ein Einfall vom Fischerhanne gewesen. Das ist das sicherste Mittel, wenn einer nicht sich geben will, so zieht man eben zu, dann vergeht ihm die Kraft, und er wird zahm wie ein Lamm.«
»Ich hätt zugezogen, bis er hin gewesen wär«, versicherte der Fischer, »denn wenn der loskommen wär, so möcht ich doch auch sehen, wer mir behaupten könnt, es hab kein Gefahr gehabt.«
»Gottlob«, sagte der Müller, »daß der Kerl aufgehoben ist. Jetzt kann man doch wieder ruhig schlafen und ungeängstigt leben. Ich hoff, diesmal werden sie ihn fester verwahren, daß man endlich sicher vor ihm ist. Warum schüttelt Ihr den Kopf, Profoß? Meint Ihr, er werd doch wieder auskommen, oder wär's Euch lieb?«
»Nein«, erwiderte dieser, »für ihn selber wär's das best, er blieb gefangen, wie er ist. Was kann ihm die Freiheit wert sein, wenn die ganz Welt immer mit Stecken und Stangen auf ihn aus ist, um ihn zu fangen? Ich mein nur, 's ist halt doch kurios, daß ein ganzer Flecken mit so viel starken Männern vor dem einzigen Menschen zittert. Und was hat er eigentlich getan?«
»Was er getan hat?« schrie alles zusammen. »Ist er nicht von Hohentwiel ausbrochen?«
»Nun ja«, sagte der Invalide, »das tät jeder von uns auch, wenn ihm das Gefängnis entleidet wär und er wär so geschickt wie er, um eine halbe Unmöglichkeit zu vollbringen.«
»Und zweimal aus dem Zuchthaus!« sagte der Müller.
»Und hat sich beidemal freiwillig wieder gestellt«, entgegnete der Invalide. »Dazu gehört doch ein gutes Gewissen.«
Ein unwilliges, höhnisches Gelächter war die Antwort auf diese Bemerkung.
»Der Profoß hat immer ein wenig zu ihm gehalten«, bemerkte der Fischer.
»Er hat auch immer eine gute Seit gehabt«, versetzte der Invalide. »Wenn man übrigens kein anderen Grund hat, ihn zu fürchten, so müßt man eigentlich jeden, der stark und verschlagen ist, umbringen, damit er einem nicht schaden kann, wenn's ihm etwa einfallen sollt.«
»Hat er denn sonst nichts getan?« schrie der Müller. »Ich will die Diebstähl, die er bei seinem Vater begangen hat, nicht so hoch anschlagen: aber ist er nicht erst kurz verwichen dem Lammwirt in Metzig und Keller einbrochen und hat ihm Fleisch, Brot und Wein genommen?«
»Requiriert«, sagte der Invalide.
»Was?« schrien die andern.
»Requirieren heißt man das bei den Soldaten«, erläuterte der Invalide ruhig. »In der Kampagne, wenn's nichts zu beißen und zu brechen gibt, kommt man zum Bauern in die Visit und holt sich Fleisch, Brot, Wein, Hühner, Gäns, Eier, kurz, was man finden kann, und wenn das ein Verbrechen wär, so müßt vom General bis zum Gemeinen runter alles gehenkt werden. Der fürnehmst Offizier schämt sich nicht dran. Und da geht's oft zu, daß mir's in der bloßen Erinnerung weh tut. Der Frieder ist noch bescheiden, nimmt nicht mehr, als er für den Hunger und Durst braucht, und hat dem Lammwirt doch nicht das übrig Fleisch zu Fetzen verhauen und den Wein in Keller laufen lassen, wie's der Soldat oft und viel tut. Es ist jetzt ohnehin Krieg in der Welt; denket euch, der Feind komm in den Flecken, oder auch der Freund, denn 's macht's einer wie der ander, dann tätet ihr die Hundert oder Tausend gern gegen den einzigen Marodeur eintauschen und tätet sagen: der hat's doch noch gnädig gemacht.«
»Das ist was anders«, sagte der Müller. »Der Krieg verlangt's eben einmal so, er muß die Leut ernähren.«
»Wenn man mich lebenslang auf die Festung setzt und mich nach meinem Entkommen überall verfolgt und mein Weib einsperrt, das ist auch eine Art Krieg. Sag jeder von euch, was er tät, wenn er so nausgestoßen wär wie ein wild's Tier. Man kann doch nicht immer Rüben fressen, und im Winter wachsen nicht einmal Rüben. Und wenn er auch gar nichts nähm als eure Rüben, so tätet ihr doch auch sagen, es sei gestohlen.«
Seine Worte hatten, wenigstens vorübergehend, einen unverkennbaren Eindruck gemacht. Der Invalide fuhr, auf denselben bauend, fort: »Es ist, wie wenn die Leut ein bös Gewissen hätten, das sie an dem Menschen auslassen müßten. Er raubt nicht, er mordet nicht, und doch hat der Fleck eine Angst vor ihm, daß es eine wahre Schand ist. Noch eh er jemand außer seinem Vater ein Stückle Brot genommen hat, ist ein Schreck von ihm ausgangen, und wenn's geheißen hat: der Sonnenwirtle kommt, oder er ist da, so ist alles auf und davon, wie man sich vor einem wütenden Tier salviert. Der Nam ist vor ihm hergangen wie ein schwarzer Schatten, und mich sollt's nicht wundern, wenn er dem Schatten endlich folgt und in seine Fußstapfen tritt.«
»In was für Fußstapfen«, fragte der Fischer, »ist er denn gangen, wie er beim Pfarrer einbrochen ist und hat ihm den Kelch samt den Hostien gestohlen?«
»Für selbiges Stück hätt ich ihm das Fell recht brav vergerben mögen«, sagte der Invalide, »und dennoch hat sich's anders damit verhalten, als man's nennt. Ich frag jeden, der das Ding mit seinen fünf Sinnen ansieht, ob etwas Abgefeimt's dran ist, wie man's dafür ausgeben hat. Der Pfarrer verweigert ihm die Kopulation, weil er sie nicht zahlen kann. Darüber kann jeder andächtige, in Jesu Christo geliebte Zuhörer, wie man uns von der Kanzel anredet, denken, wie er will; ich find in der Bibel nichts davon, daß das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit bloß gegen Bezahlung zu haben sei und anders nicht; aber, wie gesagt, das geht mich nichts an, das kann jeder mit sich selbst ausmachen. Der Bub darauf – denn ein Bub ist er gewesen, wie mancher sonst, der im dreiundzwanzigsten Jahr heiratet, ebenmäßig ein Bub ist und erst von seinem Weib gezogen wird – der Bub, sag ich, bricht in der nächsten Nacht dem Pfarrer ein, ohne allen Schlachtplan, rafft zusammen, was er erwischt, natürlich Kleinigkeiten, läßt auch noch den Kelch samt Hostien mitlaufen und steckt die Sachen in seines Vaters Stroh, damit sie gleich am andern Morgen dem Knecht ganz gewiß in die Hand fallen müssen. Daß er Grütz im Kopf hat, das leugnet ihm sein ärgster Feind nicht ab. Heißt aber das Grütz, wenn man eine Tat tut, von der am anderen Tag jedes Kind sagen muß: das hat niemand anders getan als des Sonnenwirts Frieder! Heißt das Grütz, wenn man den Raub so versteckt, daß in der nächsten Stund alles rauskommen muß? Entweder hat er's absichtlich getan, weil er lieber wieder im Zuchthaus gewesen wär' als in der Welt haußen, oder er ist ganz rappelköpfig gewesen und hat gar nimmer gewußt, was er tut. Ein wüster Streich ist's gewesen, ja, das streit ich nicht, aber noch viel dümmer als wüst. Wo wird ein Dieb von Profession so wüst und dumm und bubenmäßig sein Mutwillen ausüben? Und doch hat man ihn zu einem Dieb und Räuber von Profession gestempelt und hat ihn lebenslänglich auf die Festung geschickt. Hätt man ihn mir geben, ich hätt ein paar Stecken an ihm verschlagen, und dann noch ein drüber, weil ich immer auf den Bursch was gehalten hab.«
»Auf die Art«, bemerkte der Fischer mürrisch, »kann man alles Lumpenpack in Schutz nehmen, bis man zuletzt selber ihresgleichen wird. Grad so hat der Sonnenwirtle auch angefangen: der hat zuerst sein'm Vater 'n Zigeuner ins Haus schleifen wollen, und nachher hat er sich mit dem Hirschbauern und seiner Tochter gemein gemacht, und so ist er von einem bösen Trappen auf den andern kommen.«
»Mir wird's ganz übel«, rief der Invalide, »wenn ich's mit anhören muß, wie einer, der selber arm ist, arme Leut verwirft. Wenn ein paar Arme beieinander sind, so klagen sie, man lass die Armut nicht gelten, und in der Kirch singen Arm und Reich miteinander, die Menschen seien alle gleich; sowie einer aber einmal darnach leben will, so fallen Arm und Reich über ihn her. Die Liebschaft hätt er unangefangen lassen können, ich hab's ihm mehr als einmal gesagt, wiewohl das Mensch auch nicht so übel gewesen wär; aber daß er sich zur Armut gehalten hat, grad das muß ihm einmal 'n Stuhl im Himmel erwerben, mag's in der schnöden Welt noch mit ihm gehen, wie's will.«