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In diesem Augenblick ging die Türe auf, und herein trat der Sohn des Hauses. Aus seinem von der Wanderung geröteten Gesichte leuchtete das verklärende Gefühl einer guten Tat, einer Tat, welche dem Himmel die erste Genugtuung für bisher begangene Fehltritte darbieten sollte. Dieser Ausdruck gab seinem Gesicht eine auffallende Ähnlichkeit mit den Zügen seiner Schwester. Da stieß er unter der Türe auf den Fischer, der ihm wie ein böses Vorzeichen entgegentrat, und sein Gesicht verfinsterte sich. Einen Augenblick maß er ihn schweigend mit, den Augen. »Du auch da, Giftmichel?« sagte er, indem er an ihm vorüberging. Der Fischer fletschte die Zähne gegen ihn und machte sich hinaus.
Friedrich blieb ein wenig stehen, um sich zu sammeln; dann näherte er sich dem Tische und trat zu seinem Vater, der bereits durch einen Wink der Frau auf ihn aufmerksam gemacht worden war und ihm schweigend entgegensah.
»Grüß Gott, Vater!« redete er ihn an. »Da bin ich wieder und versprech Euch, daß es mit Gottes Hilfe nun anders werden soll, denn ich bin nun kein Kind mehr, und wenn ich Euch bisher oft durch meinen Unverstand betrübt habe, so hab ich mir jetzt vorgenommen, Euch hinfüro ein treuer, gehorsamer Sohn zu sein.«
»Mach keine unnötigen Redensarten!« sagte der Alte. »Wenn dir's Ernst ist, so tu's, ohne davon zu reden; aber versprich nichts, was du nicht halten kannst. Setz dich und iß.«
»Ja, Vater, aber ich hab zuvor eine großmächtige Bitte«, fuhr Friedrich fort, ohne sich durch den Empfang irremachen zu lassen. »Ich möcht eine Seele vom Verderben retten, und das kann ich nicht, wenn Ihr mir nicht dazu helft.«
Der Alte erhob sein Gesicht. Die Stiefmutter sah ihn mit gespannter Neugier und finsterer Miene an. Er hatte sie noch nicht gegrüßt, er hatte nur für seinen Vater Augen gehabt.
»Ihr meint gewiß, Vater«, sprach er weiter, »da, wo ich herkomme, hab ich nur lauter schlechtes Zeug gelernt. Aber so ist's nicht, vielmehr bin ich in gute Hände geraten und hab Christentum gelernt. Ich hab gelernt, daß jeder gute Christ und redliche Mensch seinen verachteten Mitbrüdern aufhelfen müsse. Weil das aber nicht einer für alle tun kann, so mein ich, es sei genug, wenn ein Mensch oder eine Familie sich eines einzigen annimmt.«
»Wo will denn das hinaus?« fragte der Alte barsch.
»Vater, ich hab Euch einen Menschen mitgebracht, der keine Heimat hat, eine vater- und mutterlose Waise, denn das ist er, und wenn auch seine Eltern noch leben. Und ich bitt Euch, so lieb Euch Euer Sohn sein mag, der Euch freilich schon Kummer und Verdruß gemacht hat – so lieb es Euch sein mag, daß der ungeratene Sohn noch was Ordentliches in der Welt werde, so hoch bitt ich Euch, Vater: laßt den Menschen, den ich mitbringe, als Euren Knecht in Eurem Hause sein.«
»Wo ist er denn?« fragte der Alte ungeduldig.
»Er wartet hinterm Haus am Garten.«
Die Stiefmutter gab dem Chirurgus einen Wink, und er schlich sich unbemerkt hinaus.
»Wer ist er denn?« fragte der Alte weiter.
Friedrich schwieg eine Zeitlang in sichtlicher Verlegenheit; die siegesfrohe Zuversicht, die er bei seinem Eintreten gezeigt hatte, war allmählich von ihm gewichen. »Vater«, hob er endlich an, »Ihr werdet in Eurem Herzen nicht sogleich die Stimme finden, die für ihn spricht. Man hat gegen diese Leute manches einzuwenden, und das ist auch kein Wunder, denn man behandelt sie auch danach.«
»Mach's kurz und gut«, rief der Alte unwirsch. »Wenn's was Rechtes ist, so sag's frei heraus, und ist's was Dummes, so halt das Maul! Was brauchst du mir durch die Ränkeleien da das Essen zu verderben.«
Indessen war der Chirurg wieder eingetreten. »Es ist ein Zigeuner«, sagte er langsam und nachdrücklich, indem er zu dem Tisch trat.
»Ein Zigeuner?« rief die Stiefmutter und schlug ein gellendes Gelächter auf. Die beiden Müller und der Knecht, welche aufmerksam zugehört hatten, lachten aus vollem Halse mit. Auch das Gesinde am Tische stimmte in das Gelächter ein, doch nur allmählich und schüchtern, da der Sonnenwirt nicht mitlachte, sondern die Stirne in dräuende Falten gelegt hatte. Magdalene war mit einem wehmütigen Blick auf den Bruder hinausgegangen.
»Ich weiß wohl, Vater, daß es eine Zumutung ist«, fuhr Friedrich unerschrocken fort. »Aber soll's denn der arme Teufel büßen, daß seine Eltern Zigeuner gewesen sind?«
Der Chirurgus unterbrach ihn. »Das hängt vielleicht«, sagte er mit etwas näselnder Stimme, »das hängt vielleicht mit der Prädestination zusammen, die der Herr Pfarrer predigt.«
»Ich red mit meinem Vater und nicht mit Ihm!« warf Friedrich stolz von der Seite dem Chirurgus zu. »Wie kann man denn verlangen, daß diese Leute ehrlich werden sollen, wenn man nicht endlich einen Anfang mit ihnen macht? Und wie kann man denn anders anfangen als mit dem christlichen Zutrauen, das man in einem christlichen Hause einem von diesen armen Leuten schenkt? Wenn man dann in einem Hause angefangen hat, so machen's die andern nach, und eben darum sprech ich zu Euch, Vater, weil Ihr ein angesehener Mann seid und ein Beispiel geben könnt.«
Die Stiefmutter hatte inzwischen Blick und Winke mit dem Chirurgus ausgetauscht. »Wie sieht er denn aus?« fragte sie jetzt mit dem Tone der Neugier.
»Er schielt auf einem Aug und sieht aus wie ein leibhaftiger Galgenvogel«, antwortete der Chirurgus.
»Was will denn Er?« fuhr Friedrich erzürnt herum. »Wenn man Ihn auf ein Erbsenfeld setzen tät, so könnt man vor den Spatzen sicher sein.«
Der alte Sonnenwirt fuhr auf und versetzte seinem Sohne eine derbe Ohrfeige: »Ich will dir unartig gegen meine Gäste sein. Man muß dir die Äste abhauen, wenn du zu krattelig wirst. Halt 's Maul jetzt und pack dich. Ich will dich heut nicht mehr vor Augen haben. Das fehlte mir noch, einen Zigeuner ins Haus zu nehmen. Das wär eine Gesellschaft für dich.«
Friedrich sah seinen Vater an. Einen Augenblick hatte seine Hand gezuckt; dann aber wandte er sich ruhig nach der Türe. »Ich glaub, ich wollt, ich wär wieder im Zuchthaus«, sagte er, während er hinausging.
Die beiden Müller zahlten ihre Zeche und standen auf. Der Sonnenwirt, der sich ebenfalls erhoben hatte, wünschte ihnen, freundlicher als zuvor, gute Nacht. »Der Bursch ist doch ziemlich mürb geworden«, sagte er zu dem älteren, »er hat nicht gegen die Ohrfeige rebelliert, und es hat den Anschein, als ob er jetzt das vierte Gebot in Ehren halten wollte.«
Der Müller, geschmeichelt durch diese vertrauliche Anrede, blieb etwas zurück, während der jüngere nebst dem Knecht die Wirtsstube verließ. »Ja«, sagte er zum Sonnenwirt, »der Frieder ist nicht so unrecht, man wird's noch erleben. Nun, die Zigeunergedanken werden ihm schon vergehen. Um den ist mir's gar nicht angst. Man muß ihn eben jetzt noch ein wenig kurz aufzäumen, dann wird er schon gut tun. Und das bißle Ungelegenheit, das er in seiner unverständigen Jugend gehabt hat, wird ihm unter vernünftigen und christlich denkenden Leuten ins künftige nicht aufgerechnet werden. Er ist ja guter Leute Kind. Ja, ja, Herr Sonnenwirt, der kann sich einmal seine Frau holen, wo er will. Wofern aber jemals eins so töricht sein wollt und wollt ein Haar in der Partie finden, so will ich nur so grob sein und will's frei heraussagen, Herr Sonnenwirt, für mein Gretle wär er mir immerhin gut genug. Jetzt habt Ihr gehört, wo Ihr anklopfen könnt, wenn Ihr keine bessere Schmiede wisset.«
In dem Gesichte des Alten, das erst ganz wohlgefällig ausgesehen hatte, zog allmählich der Ausdruck unendlich Spottes auf. Er sah den Müller mit halb zugekniffenen Augen an, so daß dieser in Verlegenheit geriet und die Hände aus den Wamstaschen, wo sie während seiner Rede gesteckt hatten, hervorholte. »So, meint Ihr?« erwiderte er trocken und stieß dann ein hochmütiges Gelächter aus.
»Nichts hab ich gemeint!« rief der Müller wütend. »Ihr könnt meinethalben Euren Galgenstrick verknöpfeln und verhandeln, wo Ihr wollt.« Er ging und schlug die Türe hinter sich zu, daß das Haus davon erdröhnte.
Indessen war Friedrich zu dem Zigeuner hinabgegangen, der, verabredetermaßen seines Bescheides harrend, an dem Gartenzaune lehnte. Er reichte ihm ein Fläschchen, ein Brot, eine Wurst und ein Stückchen Geld. Das letztere hatte er sich unterwegs von seiner Schwester geben lassen; bei den Lebensmitteln mochte ihm in etwas uneigentlicher Form die Lehre des Waisenpfarrers vorgeschwebt haben. »Da nimm, iß und trink«, sagte er mit einer sonderbaren Hast und Heftigkeit, »und dann mach, daß du zum Teufel kommst.«
Der Zigeuner griff gleichmütig zu, dann heftete er sein scheeles Auge auf den Wohltäter. »Was, und mit dem Dienste ist's nichts?« sagte er.
»Schweig still und mach mich nicht scheu! Ich bin so schon wild genug. Trink deinen Kirschengeist! Sieh, ich hab dir Wort gehalten, soviel an mir gewesen ist.«
Der Zigeuner schnitt eine höhnische Fratze: »Blitz und Mord!« rief er, »so wohlfeile Versprechen kann mir ein jeder tun und mich ein paar Stunden umführen. Ich seh schon, wie's steht. Das Christentum hat, scheint's, auf einmal ein Loch gekriegt und, nach dem einen feurigen Backen zu schließen, gar noch einen Plätz auf das Loch.«
Friedrich stieß einen Schrei aus, wie nur der tollste Jähzorn ihn eingeben kann, warf sich über den Zigeuner her und ließ ihn seine Faust aus Leibeskräften fühlen. Der Zigeuner war bloß darauf bedacht, sein Fläschchen vor Schaden zu hüten, übrigens wehrte er sich nicht gegen die Schläge, die er in reichlichem Maße bekam, sondern brach statt dessen in ein schallendes Gelächter aus.
Bei diesem Lachen hielt Friedrich betroffen inne. »Hund, was lachst?« fragte er zornig.
Der Zigeuner schüttelte sich. »Herzensbruder«, sagte er, »ich muß lachen, daß dich das Mitleid und der Jammer zum Prügeln treibt. So was ist mir noch nie vorgekommen.«
Er leerte das Fläschchen auf einen Zug, schleuderte es mit einem »Juhu« hoch empor, und während es klirrend zu Friedrichs Füßen niederfiel, schallte das Jodeln des Zigeuners schon aus einiger Ferne herüber. Verblüfft starrte Friedrich ihm nach.