Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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Elftes Kapitel

In der »Sonne« wurde der Neujahrstag mit einem Familienessen gefeiert. Die beiden Schwiegersöhne hatten sich mit ihren Frauen nach der Kirche zur Gratulation eingefunden und blieben nach hergebrachter Weise zu Tische da. Als Friedrich nach Hause kam, fand er schon die ganze Familie versammelt. »Da muß irgendwo ein Rädle gebrochen sein«, dachte er, denn der Empfang war in der Tat ein sehr wunderlicher. Der Chirurg wußte seinem Gesicht einen gewissen verlegenen Ausdruck zu geben; der Handelsmann, ein kugelrundes Figürchen in hellgelbem Rock, himmelblauer Weste und mit lang herabfallenden weißen Halstuchzipfeln, drückte seine kleinen Äuglein listig zusammen und ließ dabei die vorspringenden wulstigen Lippen offenstehen, so daß sie gleichsam einen stummen, aber sichtbaren Seufzer eines ehrbaren Verwerfungsurteils bildeten; die beiden Frauen schlugen die Augen nieder und schienen sich kaum entschließen zu können, dem Bruder die Hand zu geben, als dieser mit einem treuherzigen »Prosit 's Neujahr!« auf sie zugegangen kam. Der Sonnenwirt sah dieser gezwungenen Begrüßung etwas verwundert zu; er kannte augenscheinlich den Grund derselben noch nicht, mochte aber denken, sein Sohn werde es bei der Verwandtschaft durch irgendein nicht gar zu bedeutendes Ungeschick verschüttet haben; wenigstens ließ er das, was vor seinen Augen vorging, geschehen, ohne sich mit Fragen dareinzumischen. Friedrich aber hatte sogleich an dem zuverlässigsten Wetterglase erkannt, daß etwas Schweres gegen ihn im Werke sein müsse, nämlich an dem gelben Gesichte seiner Stiefmutter, welchem ein offener triumphierender Hohn eine Art von Blüte verlieh. Es war ihm übrigens jede Verlegenheit erspart, denn die Kinder des Krämers, die dieser mitgebracht hatte, deckten mit ihrem Jubelnden Empfange alle Lücken in der Liebe der Erwachsenen zu: sie hatten dem Großvater geschriebene Neujahrswünsche überreicht und als Gegengeschenk neue Kreuzer nebst mürbem Gebäck erhalten; jetzt sprangen sie im vollen Jubel ihres Glückes an dem kinderfreundlichen jungen Oheim empor und nahmen ihn in Beschlag, bis das Essen aufgetragen war.

Solange das Gesinde, das diesmal an einem besonderen Tische speiste, sich in der Stube befand, wurde von der Witterung und von der heutigen Predigt gesprochen, welche sich der mit einem guten Gedächtnis begabte Chirurg sehr ausführlich anzueignen gewußt hatte. Nachdem aber Knechte und Mägde sich entfernt und auch die Kinder auf Befehl ihres Vaters, jedes ein Stückchen Kuchen in der Hand, die Stube verlassen hatten, begann dieser mit mutwilligem Blinzeln: »Ist der Schwager heut auch in der Kirche gewesen?«

Friedrich wurde rot. »Ich hab Gott anders gedient«, sagte er.

»Vielleicht zu Haus eine schöne Predigt gelesen oder ein Stück in Arndts Wahrem Christentum?«

Friedrich schwieg, der inquisitorische Ton, aus welchem eine geheime Bosheit sprach, machte ihm das Blut, aber jetzt nicht aus Scham, nach dem Kopfe steigen.

Der Sonnenwirt, der noch mächtig am Braten arbeitete, hielt einen Augenblick inne, um zu schauen, wo die Sache hinauswolle, und sah bald den Tochtermann, bald den Sohn mit fragenden Blicken an.

Die Sonnenwirtin hatte dem ersteren, der den Laufgraben mit so viel Geschick eröffnet, einen Blick der Zufriedenheit zugeworfen. Nun rückte sie selbst ins Feld, um ihm zu Hilfe zu kommen. »Wenn er's nicht sagen will, wo er gewesen ist, so muß ich das Maul für ihn auftun«, sagte sie. »Des Hirschbauern seiner Jungfer Tochter hat er den Morgensegen vorgebetet, just unter der Kirch. Nun gibt's zwar Freigeister, die alles auf die leicht Achsel nehmen [dabei ließ sie einen Blick an ihrem Manne hinstreifen] und Spülwasser löscht auch den Durst, wie das Sprichwort sagt; aber noch sagen, man hab Gott gedient, das ist eine Sünd, die unser Herrgott gewißlich zu den anderen Missetaten mit aufhaspeln wird. Ich hab mich's von deinem Hab und Gut kosten lassen«, setzte sie gegen ihren Mann hinzu, »daß die Person, von der ich die Sach weiß, nichts weitersagt, damit's nicht vor den Pfarrer kommt, was dein christlich gesinnter Sohn unter Gottesdienst versteht.«

Der Krämer kicherte und riß einige Witze, die Friedrich beinahe außer sich brachten; aber er schwieg noch, denn die plötzliche Entdeckung, daß er nicht bloß, wie ihm schon zuvor klargewesen, verraten, sondern daß sein Geheimnis in die schlimmsten Hände überliefert sei, hatte ihn etwas seiner Fassung beraubt.

»Wer hat dir denn die Sach hinterbracht?« fragte der Sonnenwirt seine Frau.

»Das darf ich nicht sagen«, antwortete sie, »ich hab Stillschweigen angeloben müssen, kannst dir wohl denken warum, aber die Person ist zuverlässig.«

»Und doch möcht ich raten«, sagte der Chirurg mit einem wohlwollenden Blicke auf seinen jungen Schwager, »solchen unbekannten Personen nicht allzuviel zu trauen. Man muß einen nicht gleich auf eine bloße Delation hin verdammen.« – Der Chirurg war weltklug; er wollte es mit der angegriffenen Partei nicht verderben; auch hatte er, seit sein Ziel erreicht war, seiner Schwiegermutter mehrfach gezeigt, daß er nicht ganz und gar in ihr Hörnlein zu blasen gesonnen sei. Dabei mochte er ein wenig von der Abneigung seiner Frau angesteckt worden sein, gegen welche er sich oft über die Unselbständigkeit und Untertänigkeit des Krämers lustig machte.

Die Sonnenwirtin hatte inzwischen in dem Gesichte ihres Stiefsohnes gelesen. »Was brauchen wir weiter Zeugnis?« rief sie. »Er leugnet's ja selber nicht, daß er sich mit dem schlechten Mensch eingelassen hat.«

Der Sonnenwirt hatte eben die Gabel mit einem Stücke Braten erhoben; es war aber in Gottes Ratschluß vorgesehen, daß er dasselbe nicht in den Mund bringen sollte, denn Friedrich fuhr auf, durch das böse Wort aus seiner Befangenheit herausgerissen, und rief: »Über mich kann man sagen, was man will, das will ich alles geduldig tragen, aber auf das Mädle laß ich nichts kommen, denn das Mädle ist brav, und wer schlecht von ihr reden will, der kann sich vor mir in acht nehmen; ich leid's von niemand, selbst von Vater und Mutter nicht! Es ist mir leid, Vater, daß die Sach so vor Euch gebracht worden ist, denn ich hab's ganz anders fürgehabt, wie Ihr Euch wohl selber einbilden könnt. Aber nun es einmal ohne meine Schuld heraus ist, will ich's Euch frei bekennen: das Mädle ist mein Schatz, und ich hab's treulich und ehrlich mit ihr und will keine andere heiraten als das Christinele allein. Ich hab mir Eure Einwilligung zu einer gelegeneren Zeit erbitten wollen, aber jetzt ist eben die Gelegenheit vom Zaun gebrochen.«

Ein starres, sprachloses Staunen hatte sich der Familie auf dieses unumwundene Geständnis bemächtigt; der Sonnenwirt hatte die Gabel mit dem Braten auf das Tischtuch fallen lassen, wo sie, über den Rand hinausragend, keinen Halt fand und, der Sonnenwirtin unterwegs das Taffetkleid beschmutzend, ihren Fall auf den Boden fortsetzte. Die Anstifterin des Auftritts konnte deshalb an dem ersten Geräusche der Explosion keinen Anteil nehmen; sie schoß mit einem wütenden Blicke auf ihren ungeschickten Eheherrn hinaus, um die Flecken an ihrem Kleide wo möglich zu vertilgen. Nachdem die bestürzten Geister sich wieder etwas gesammelt hatten, machten sich die Gefühle über das unerhörte Unterfangen des jungen Menschen in verschiedener Weise Luft. Der Krämer stieß ein schrillendes Gelächter aus, das dem Geheul eines jungen Hundes nicht unähnlich klang, und seine kleinen Äuglein verschwanden in den Fettbergen, womit sie umgeben waren. Seine Frau, Friedrichs älteste Schwester, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und lamentierte. Der Chirurgus bewegte den seinigen gravitätisch hin und her und begnügte sich, durch die stumme Gebärde seine erste, aber unvorgreifliche Mißbilligung an den Tag zu legen, während seine Frau schmerzlich ausrief: »Ach, Bruder, wirst denn gar nie gescheit werden?«

Der Sonnenwirt hatte gleichfalls einige Zeit gebraucht, um aus einer Art von Erstarrung zu sich zu kommen. Als er sich erholt hatte, streckte er den Finger gebieterisch gegen seinen Sohn aus. »Laß dir im Hirn verganten!« rief er, »vor allem aber reis dich, daß ich dich heut nicht mehr sehen muß, und hörst? Komm mir ein paar ganze Tage gar nicht vors Angesicht.«

Friedrich stand gelassen auf, um dem Gebote seines Vaters zu gehorchen. »Ihr werdet noch besser von der Sach denken lernen, Vater«, sagte er, indem er sich zum Gehen anschickte.

»Still!« rief der Alte, »sei ganz still, red gar nichts, denn jedes Wort, das aus deinem Munde geht, ist ein Nagel zu meinem Sarg.«

Der Sohn schwieg und ging schnell zur Türe hinaus.

»Es ist doch schrecklich«, jammerte die Krämerin, »daß sich der Bub gar nicht geben will. Kaum meint man, man hab ihn auf dem rechten Weg, so kommt wieder ein ärgerer Streich.«

»Ja«, sagte der Krämer, »das gäb eine Eh, die man aus dem Heiligen verhalten müßt.«

»Freilich, wie die Lumpensippschaft, aus der das liederlich Ding abstammt«, ergänzte seine Frau.

»Ach Gott, ich will ihr ja sonst weiter nichts nachgered't haben«, sagte ihre jüngere Schwester, die sich zur Heirat mit dem Chirurgen bequemt hatte, »aber sie hat eben gar nichts als 'n Gott und 'n Rock.«

»Eine schöne Partie für uns!« rief die Krämerin. »Der Bub ist einmal im Kopf nicht richtig. Bei seiner Tauf ist der vorig Amtmann zu Gevatter gestanden, und jetzt will er uns ein solches Bauernmensch in die Familie bringen.«

»Ich möcht nur wissen, mit was sie ihm angetan hat!« seufzte die Chirurgin.

»Pah!« lachte der Krämer, »sie handelt mit kurzer War, und da beißt so ein Unverstand gleich an.«

»Ja«, sagte seine Frau, »Schwarz ist auch eine Farb.«

»Für den Liebhaber!« fiel die Sonnenwirtin ein, die eben wieder in die Stube getreten war. »Der Geschmack verbirgt sich nicht. Es heißt nicht umsonst: Sage mir, mit wem du umgehst, so will ich dir sagen, wer du bist. Diese Liebschaft bringt's einmal recht an den Tag. Da kann man wohl auch sagen: Hudel sind't Lumpen, Hutsch sind't kein Hätsch.«

Der Sonnenwirt, dem es bei all seinem eigenen Verdrusse doch durch die Seele schnitt, seine Frau in seiner Gegenwart so von seinem Sohne reden zu hören, sagte unmutig zu ihr: »Das Zeugnis muß ich dir geben, daß du mir da ein schönes Zugemüs angerichtet hast. Hättest's nicht besser anbringen können als just überm Essen. Wenn du den Neujahrsschmaus bereitest, von dem darfst du nicht fürchten, daß er nichts übriglassen werde.«

»Da muß ich freilich sehr um Verzeihung bitten«, entgegnete sie, »wenn ich gewußt hätt, daß dir das Essen wichtiger ist als der Lebenswandel deines Sohnes, so hätt ich geschwiegen; aber ich hab eben gemeint, ich müss reden, solang's noch Zeit ist und eh er vollends ganz in den Abgrund taumelt.«

Der Sonnenwirt trommelte am Fenster. »Hab ich mir denken können«, schnauzte er nach einer Weile herum, »daß der Bub so aus der Art schlagen und mit der dummen Liebschaft Ernst machen würd? Jetzt muß man freilich mit ihm Ernst machen«, fuhr er gegen den Chirurgen fort, dem er noch am liebsten ein Wort gönnen möchte, »und wenn man zu den schärfsten Mitteln greifen müßt, so ist das Unglück nicht so groß, als wenn man der Sach den Lauf läßt. Hier muß man mit der Katz durch den Bach.«

»Das ist gar kein Zweifel, Herr Vater«, entgegnete sich räuspernd der Chirurgus, »diese Liebschaft ist ein Übel, eine Art Geschwür, das man um keinen Preis aufkommen lassen und im Notfall mit Schneiden und Brennen beseitigen müßte. Jedoch möchte ich unmaßgeblich raten, nicht allsofort zum Äußersten zu schreiten, sondern erst gelindere Mittel zu versuchen.«

»Ja«, setzte seine Frau hinzu, »und seine Schwestern sollen's auch nicht vergessen, wie er sich ihrer angenommen hat und ihnen immer ein guter Bruder gewesen ist.«

»Was«, rief die Sonnenwirtin ihr empört entgegen, »das soll ihm noch als eine Tugend angerechnet werden, daß er den häuslichen Frieden untergraben hat und Hader angestiftet und hat seine ruchlose Hand gegen seine Mutter aufgehoben? Und darob lobt man mir ins Gesicht, wie wenn ich nicht die Frau im Haus mehr wär?«

»Still jetzt!« rief der Sonnenwirt, auf den Tisch schlagend, »ich hab genug an dem Neujahrsschmaus, will nicht auch noch einen Nachtisch dazu!«

Die Familie ging mit einem sauren Abschied auseinander. Der Sonnenwirt lehnte eine Einladung des Krämers ziemlich trocken ab, nahm seinen Hut und schloß sich im Weggehen dem Chirurgen an.


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