Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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Der Hirschbauer und sein Weib sahen einander an; diese Erklärung lautete ganz anders als das, was die Sonnenwirtin ihnen geringschätzig und spöttisch vorgesagt hatte, um sie gegen ihre Tochter und deren Liebhaber aufzureizen.

»Seine Mutter«, hub der Hirschbauer wieder an, »hat uns gesagt, daß Er mit leichtem Herzen fortgeh und selber froh sei, der Fessel wieder ledig zu werden. Und wenn nun das auch nicht so ist und Er andere Absichten hat, so wird Er mir doch nicht zumuten wollen, daß ich meine Tochter einer Familie aufdringen soll, die nichts von ihr wissen will.«

»Laßt das gut sein, Vater«, sagte Friedrich. »Die Sach ist nicht mehr anders zu machen. Das Mädle will mich, und ich will sie; uns zwei reißt niemand mehr auseinander. Also handelt, wie ein rechtschaffener Vater an seinem Kind handeln soll, und tretet nicht auch noch zu unsern Feinden.«

Die beiden Alten eiferten und schalten heftig über diese eigenmächtige Art, eine Liebschaft anzufangen, und namentlich meinte die Hirschbäuerin, ihre Tochter hätte wohl eine Züchtigung dafür verdient. Auch beteuerte sie, sie habe nie daran gedacht, daß er darum in ihr Haus gekommen sei, um durch ein Liebesverhältnis mit ihrer Tochter seinen Eltern Verdruß zu machen, und wälzte jede Verantwortlichkeit dafür feierlich von sich ab. Allein, ungeachtet des polternden Tones waren beide sichtbar besänftigt durch die Offenheit, mit welcher der junge Mann seine Gesinnung ausgesprochen hatte. Sie gaben sich jedoch Mühe, dies nicht merken zu lassen, und der Hirschbauer sagte: »Man spricht auch, daß Er so gewalttätig sei und daß man von Ihm nichts als Ungelegenheiten haben werde; Er soll ja haben verlauten lassen, wenn Er Seinen Willen nicht durchsetze, so werde Er alles über einen Haufen stechen und den Flecken anzünden.«

»Das ist nicht wahr!« rief Friedrich entrüstet, »es ist kein solches Wort aus meinem Mund gangen. Wer hat das gesagt? Er soll sich stellen und mich überführen.«

Der Hirschbauer schwieg.

»Ich weiß schon«, fuhr Friedrich fort. »Meine Stiefmutter – Ihr müßt sie nicht meine Mutter heißen –, die sucht mich auszurotten, sie gönnt mir das Schwarze unterm Nagel nicht. Aber saget selber: wie stimmen ihre Reden zusammen? Wie kann sie denn behaupten, ich möcht über alle Berg und aus diesen Banden los sein, wenn sie hinwieder von mir sagt, ich sei auf meinen Willen so versessen, daß ich sengen und brennen wolle, wenn ich Eure Tochter nicht krieg? – Ohne die hätt ich bei meinem Vater ein leichteres Spiel. Wenn meine Schwester und ihr Mann, der Chirurgus, nicht wären, so ging ich gar nicht fort, denn sie tät mich in meiner Abwesenheit vollends ganz untergraben, aber ich hoff, die zwei werden mich verteidigen.«

»Vielleicht«, sagte der Hirschbauer nach einigem Besinnen, »ließ sich ein Wort mit Seinem Herrn Schwager reden und auch mit dem Herrn Pfarrer. Wenn die beiden Herren etwas bei Seinem Vater ausrichten, so könnt man ja noch einmal von der Sach reden. Aber so, wie's jetzt steht, kann ich nicht nur so ohne weiteres meine Einwilligung geben, denn ich will mir nicht nachsagen lassen, daß ich mich mit den Meinigen in eine Familie eingedrungen hab, wo wir überlästig sind.«

»Redet mit dem Pfarrer und dem Chirurgus, wenn ich fort bin«, sagte Friedrich, »denn fort muß ich jedenfalls auf einige Zeit, das tut mein Vater nicht anders. Und füget mir's dann zu wissen, wie die Unterredung ausgefallen ist. Jetzt aber bin ich längst Zeit dagewesen, und Ihr werdet es nicht anders als billig finden, daß ich von meinem Schatz unter vier Augen Abschied nehm, denn mein Schatz ist und bleibt sie, und wenn der Himmel einfällt. Nun behüt euch Gott, Vetter und Bas, und geb, daß ich bald Schwährvater und Schwieger zu euch sagen kann. Haltet mir mein Schatz gut; ich will nicht, daß sie euch zur Last fallen soll, und werd das Kostgeld für sie bezahlen, so lang sie bei euch im Haus ist, denn ich seh sie als mein Eigentum an und will sie bei euch eingestellt haben, wie das Lamm, das ihr gehört.« – Hiermit legte er lachend einen guten Teil des Reisegeldes, das ihm sein Vater gegeben hatte, auf den Tisch, denn er hatte unter dem Reden wahrgenommen, daß sich die zerbrochene Scheibe noch in dem Zustande, wie sie von Christinen verstopft worden war, befand, und daraus den Schluß gezogen, daß die Armut der Leute nicht einmal gestattet habe, den Glaser zu holen. »Ihr zwei aber«, sagte er zu den beiden Söhnen, die ebenfalls in der Stube anwesend waren, sich aber so wenig wie Christine ins Gespräch mischten, »ihr zwei kommt in einer Stunde ins Beckenhaus, wir müssen den Abend noch einen Abschiedstrunk miteinander tun.«

Er gab dem Bauer und der Bäuerin die Hand zum Lebewohl, und sie ließen es schweigend geschehen, daß er sein Mädchen am Arme nahm und mit sich aus der Stube zog. Ein Seufzer der Bäuerin, den man verschieden auslegen konnte, und ein Kopfschütteln des Bauern, das schon nicht so viele Deutungen zuließ, war alles, was nach seinem Weggehen geäußert wurde.

Christine fiel ihm draußen laut weinend um den Hals. »Wenn mich nur mein Vater geschlagen hätt«, schluchzte sie, »vielleicht wär mir's leichter geworden. Sieh, es hat mir Stich auf Stich durchs Herz geben, wie ich gehört hab, daß du fortgehst; mein Herz hat sich ganz zusammengezogen, und seitdem tut mir's fortwährend weh. Ach Gott, was soll aus mir werden, wenn ich dich nicht mehr hab!«

»Mach mir das Herz nicht schwer«, sagte er. »Sieh, es ist mir ja schrecklich, daß ich von dir gehen muß, aber es kann nicht anders sein, und ich bin bei dir und du bei mir, wo ich auch sein mag in der Welt. Es ist wohl weit weg, aber doch nicht so gar weit, daß wir nicht einander schreiben oder sogar zueinander kommen könnten, wenn's not tut. Denk dir alle Möglichkeiten der Reih nach, so muß es uns doch zuletzt nach Wunsch und Willen gehen. Entweder gibt mein Vater nach, wenn er unsere Beständigkeit sieht, dann ist ja alles recht und gut; oder wir müssen warten, bis er das Zeitliche segnet, dann ist's zwar schlimm, aber doch besser als gar nichts; oder er verstoßt mich, wenn er mir den Sinn nicht brechen kann, dann kann er mir aber auch nichts mehr verbieten, und heißt's eben: Mann, nimm deine Hau, ernähr deine Frau; oder find ich vielleicht in der Fremde bei meinem Vatersbruder oder sonstwo eine Heimat, man kann ja nicht wissen, wie's geht in der Welt, dann laß ich dich nachkommen; wenn's vielleicht fürs erst nur ein Dienst wär, den ich dir da drunten verschaffen könnt, so wären wir doch näher beieinander und könnten's nach und nach weiter bringen. Kurzum, ich mag mir ausdenken, was ich will, das End vom Lied ist eben immer, daß wir Mann und Weib werden.«

»Ja, aber da drunten gibt's gewiß schöne Jungfern, die mich bei dir ausstechen.«

»Sorg du nicht für mich, hab du vielmehr acht, daß du mich nicht von den Ebersbacher Buben aus deinem Herzen vertreiben läßt.«

»Ei, so laß doch endlich das Geschwätz mit den Buben sein!« sagte sie schmollend.

»Was dir recht ist, muß mir billig sein«, erwiderte er. »Such du mich nicht hinterm Ofen, dann guck ich auch nicht, ob du dahinter steckst.«

Nachdem sie noch längere Zeit in solchen Wechselreden verbracht, sagte Friedrich: »Ich muß jetzt gehen, ich hab noch Geschäfte mit meinem Pfleger. Ich nehm aber jetzt nicht Abschied von dir, denn ich tu's nicht anders, ich komm heut zu dir in deine Kammer, nachdem's jetzt mit deinen Eltern so gut wie richtig ist.«

»Sei aber vorsichtig«, sagte sie, »und mach kein Geräusch, sonst könntest bald sehen, daß es nicht so richtig ist, wie du meinst.«

»Hab du keine Angst«, erwiderte er.

Friedrich begab sich zu seinem Vormund, einem im Flecken angesehenen Ratsherrn, um ihm einen Abschiedsbesuch zu machen und zugleich aus seinem mütterlichen Vermögen einen Zuschuß zu seinen Reisemitteln zu verlangen, welche soeben einen beträchtlichen Ausfall erlitten hatten. Der Vormund aber schlug ihm sein Ansinnen rundweg ab; er wußte ihm haarklein vorzurechnen, was er von seinem Vater zu Weihnachten und was er heute von ihm als Reisegeld erhalten habe, schärfte ihm die Tugend der Sparsamkeit ein, machte ihm derbe Vorwürfe über die dumme Liebschaft, die ihn aus dem Vaterhause treibe, und ermahnte ihn schließlich, sein Hab und Gut nicht »an Menschen zu hängen«. »Ich wär nicht zu Ihm gekommen, wenn ich nicht Geld braucht hätt!« sagte Friedrich und wetterte im Fortgehen die Türe hinter sich zu. Mit tausend Verwünschungen kehrte er dem Hause des Vormundes den Rücken und sagte dann zu sich: »Ich darf mich wohl zusammennehmen, wenn ich bis zu meinem Ziel kommen soll, ohne unterwegs zu betteln oder zu stehlen; und zu meinem Vetter sollt ich doch wenigstens auch noch ein paar Batzen mitbringen, sonst ist's ja eine Schand; und meiner Christine muß ich doch auch was schicken, denn leerer Gruß geht barfuß. Der Teufel hol den Hornabsäger, den Kümmichspalter, der mir mein eigen Geld vorenthält. Ich darf, weiß Gott, auf dem Weg kein einzigmal was Warm's essen, wenn ich mit meinem Zehrpfennig langen soll.«

Er ließ aber im Bäckerhause nichts von seiner Verlegenheit merken, sondern plauderte treuherziger und fröhlicher, als es ihm eigentlich um das Herz war, mit seinen Schwägern, wie er sie offen vor den Leuten nannte, und als die Bäckerin teilnehmend bemerkte, sie sei nur noch begierig, was diese Geschichte für ein Ende nehmen werde, die sich in ihrem Haus angesponnen habe, rief er leichtfertig lachend: »Das wird eine schöne Eh geben, wo der Mann die Häfen verbracht und das Weib die Schüsseln!«

Lachend gingen seine Gesellen mit ihm fort. Auf dem Wege eröffnete er ihnen, daß er diese Nacht in ihrem Hause bei ihrer Schwester zuzubringen gesonnen sei. Sie fanden das in der Ordnung und ließen ihn mit sich ein.


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