Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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»Immer hat er sich für was Besonders gehalten«, fuhr dieser fort, ohne auf die Bemerkung achtzugeben. »Ha, wenn ich nur daran denke, was er mir einmal für eine Zumutung gemacht hat! Das war das einzige Mal, daß ich was Apartes in die Schule mitbrachte, wo ich mir was drauf zugut tun konnte. Der Herzog war eben vorher durch die Flecken gefahren, und da fand meine Mutter auf der Straße ein kleines Stück hellblauen Sammet, Gott weiß, woher und wie er auf den Boden gefallen war. Meine Mutter wußte nicht, was damit tun, nun zerschnitt sie's in Läpplein und machte mir eine Windmühle, wißt ihr, wies die Buben an Stecken haben; wenn sie damit springen, so dreht sich's herum. Das Ding sah hoffärtig aus, und die ganze Schule hatte Respekt davor. Den Sonnenwirtle aber verdroß es, daß er mir's zum erstenmal nicht gleichtun konnte; er ließ sich aber nichts anmerken, sondern verspottete mich und schalt mich den herzoglichen Windmüller. Da war's auch bei den andern aus, ich konnte mich allein an meiner Windmühle ergötzen; sie sahen mich nicht mehr darum an. Ein paar Tage drauf ist meine Windmühle weg. Ich hatte niemand anders in Verdacht als den Frieder und sagt's auch den andern Buben. Wie der's aber hört, so speit er Gift und Galle, paßt mir auf, und an der Rathausecke stellte er mich, wie ich mich unterstehen könne, ihn zu bezichtigen, daß er mich bestohlen habe. Jetzt, was meinet ihr, daß er mir zugemutet hat? Ein Messer nahm er in die Faust, und mir bot er ein anderes dar und sagte, ich solle mich wehren. Natürlich hab ich mich dafür bedankt, und dann fiel er über mich her und prügelte mich durch; denn er war weitaus der Stärkste von uns allen.«

»Und er hatte wirklich die Windmühle gestohlen?«

»Nein, ich fand sie hernach wieder; ich hatte sie nur verlegt. Auch hätt ich's nicht so schwer genommen, nicht einmal die Prügel bekümmerten mich, wiewohl er immer eine harte Tatze hatte. Nein, aber der Hochmut, daß er den fürnehmen Herrn spielen wollte und sich duellieren wie ein Edelmann, das hat mir ihn zuwider gemacht. Und er war dazumal ein Bub von zehn Jahren. Wenn das am grünen Holz so ist, wie wird's am dürren werden?«

»Duellieren hat er sich wollen, wie ein Offizier?« rief der Knecht. »Ei, so verrückt!«

»Da hat sich das adelige Blut frühzeitig geregt«, sagte der jüngere Müller lachend.

»Wenn die selige Sonnenwirtin nicht so ein kreuzbraves Weib gewesen wär«, versetzte der ältere Müller, »so könnt man auf allerlei Gedanken kommen.«

»Und was ist denn sein Vater Großes?« fuhr der Fischer eifrig fort. »Er mag meinethalb für ein paar Batzen hochmütig sein, aber alles hat seine Grenzen. Er ist Wirt, muß den Leuten für ihr Geld Kratzfüße machen; er ist Viehhändler, patscht jedem Roßkamm in die Hand; er ist Metzger, muß den Ochsen und Säuen im Gedärm herumfahren.«

»Es müßt's nur das Metzgerhandwerk machen«, sagte der ältere Müller, »damit übt er eine Art von Blutbann aus, und das ist doch was Adeliges.«

»Ja«, rief der andere, »und darin stehst du ihm nach, Finscherhanne. Denn du und die, über deren Leben und Tod du Gewalt hast, haben kein Blut.«

»Oder nur weißes.« Die andern lachten.

»Sorget nur nicht für mich!« sagte der Fischer etwas ärgerlich. »Meine Untertanen haben auch Blut.«

»Ja, und Galle.«

»Ja, und beißen können sie auch.«

»Aber der Ochs hat Hörner.«

»Wenn er zu hitzig stoßt, so brechen sie ab.«

»Wenn sie nur schon abgebrochen wären!« sagte der ältere Müller. »Aus dem Burschen könnt noch was Tüchtiges werden. Ich wollt, man tät ihn mir anvertrauen, ich zög ihn durchs Kammrad, daß er geschlacht würde.«

»Nichts Gewisses weiß man nicht, heißt's im Sprichwort«, erwiderte der jüngere.

»Ja, es ist nicht so leicht mit ihm fertig zu werden«, sagte der Fischer. »Er ist ein böser Bub.«

»Wenigstens mutwillig und unbändig«, versetzte der ältere Müller. »Unter allen Streichen, die ich von ihm weiß, hat mir einer immer am besten gefallen. Da war vor ein Jahr sieben oder achten ein Hausknecht hier in der ›Sonne‹, wißt ihr, der Mathes – ich seh ihn heut noch vor mir, 's ist so ein persönlicher langer Kerl gewesen, und etwas langsam im Geist. Der wollte gescheiter sein als der Frieder, und das konnte mein Frieder nicht vertragen. Was tut er also? Um Mitternacht schleicht er aus dem Bett, die Stiege hinunter, bricht den Fuhrleuten in die Güterwagen vor dem Haus auf der freien Straße ein und bringt den Raub seinem Vater übers Bett. Der Knecht, den andern Tag, der ist natürlich schön ausgelacht worden ob seiner Wachsamkeit. Und das hat der stolze Bub mehr als einmal getan, und der gute Mathes konnt ihn nie erwischen. Das Ding hat ihm das Leben so sauer gemacht, daß er's nicht in der ›Sonne‹ aushalten konnte. Es trieb ihn aus dem Dienst, ich glaub, er dient jetzt in Beutelsbach drüben, das alte Beuteltier.«

Der Müllerknecht hatte Mund und Augen aufgesperrt. »Verfluchter Bub!« sagte er endlich. »Das hat der ›Sonne‹ gute Kundschaft bringen können. Ich wär auch eingekehrt und hätt mich zum Spaß berauben lassen, pur aus Fürwitz.«

»Es ist doch eine gefährliche Übung«, sagte der Fischer. »Wenn die Katze das Mausen verschmeckt hat, so läßt sie nicht mehr davon, und was eine Distel werden will, das fängt zeitig an zu brennen. Es ist nicht lang angestanden, daß er seine Studiertheit an einer Geldkiste ausgelassen hat.«

»Was?« rief der Knecht. »Ist er im Ernst eingebrochen?«

»Pst, Peter, schrei leis!« erwiderte der Herr. »Ja, aber nur bei seinem Vater, und der hat's ja.«

»Vierhundertunddreißig Gulden sind doch keine Kleinigkeit«, sagte der Fischer.

»Vierhundertunddreißig Gulden?« rief der Knecht. »Da wundert's mich nicht, daß er im Zuchthaus sitzt. Und sein eigener Vater hat ihn hineinsperren lassen?«

»Er konnte es nicht vertuschen, wenn er auch gewollt hätte. Übrigens ist's nicht seine diesmalige Zuchthausstrafe, denn das ist schon die zweite. Damals aber war er erst vierzehn Jahr alt.«

»Das ist aber doch auch hart«, meinte der Knecht, »einen vierzehnjährigen Buben ins Zuchthaus zu schicken.«

»Laßt mich reden, ihr Mannen!« sagte der jüngere Müller. »Ich kann am besten erzählen, wie die Sach zugegangen ist, ich hab ja auch einen Spieß in selbigem Krieg getragen. Wahr ist's, und was wahr ist, das muß wahr sein, dem Frieder hat sich das Blättlein übel gewendet, wie ihm Gott seine Mutter nahm. Von der Stund an hatte alles, was er tat, eine andere Farbe.«

»Das ist eben der Unterschied«, fiel der ältere Müller ein, »ob man etwas mit Liebe ansieht oder mit Haß. Und den Haß, den hat das Ripp, die jetzige Frau, ins Haus gebracht; die Liebe aber ist mit der ersten ins Grab gegangen.«

»Verzogen war er, das ist richtig«, fuhr der jüngere fort. »Aber es kommt nur drauf an, was man dem Kind für einen Namen gibt. Vormals hieß man's artig, witzig, aufgeräumt; nachher hieß man's übermütig, tückisch, boshaft. Und wo man früher Anzeichen von Mannhaftigkeit gelobt hatte, da sah man jetzund nichts mehr als den hellen lautern Teufelstrotz.«

»Mir ist's von Anfang an so vorgekommen, selbiges Kind«, sagte der Fischer.

»Da sind deine Augen just für die Stiefmutter recht gewesen, Fischerhanne. Ich glaub auch, sie hat dir die Augen abgekauft; ich will davon schweigen, aber du hast immer einen Stein bei ihr im Brett gehabt, und ich weiß nicht, ob die Fische, die du ihr zugetragen hast, immer aus dem klaren Wasser gekommen sind.«

»Selbige Augen«, unterbrach ihn der andere Müller, »hat sie dann auch dem Sonnenwirt eingesetzt, und da hat der alte Esel seinen Sohn gleich in einem andern Lichte gesehen.«

»Freilich, weil er immer ärger geworden ist«, sagte der Fischer.

»Mach kein so krummen Kopf! Narr, er ist ärger geworden, weil man ihn ärger gemacht hat. Und das muß man sagen, für seine Schwestern hat er sich ritterlich gewehrt und hat nicht leiden wollen, daß man sie wie Stallmägd behandle.«

»Ja, und dann hat's eben wüste Auftritte gegeben.«

»Ja, und dann hat er seine Mutter geprügelt«, sagte der Fischer.

»Wenn er ihr doch nur ein Dutzend Rippen eingeschlagen hätte!« versetzte der ältere Müller. »Brauchst's ihr aber nicht wiederzusagen, Fischerhanne«, setzte er etwas erschrocken hinzu, »oder 's ist aus mit der Freundschaft. Du weißt, ein Mensch hat allezeit den andern nötig.«

»Wie kam er denn aber zum Stehlen?« fragte der Knecht.

»Ich will's dir sagen«, fuhr der jüngere Müller fort. »Wie er sah, daß er doch immer den kürzeren zog, weil sein Vater auf seiten der Stiefmutter war, wollte er in die Fremde gehen und begehrte einen Zehrpfennig nach Amerika.«

»Nach Amerika?« rief der Knecht. »Das ist ja ein Weltskerl!«

»Der Alte aber«, fuhr der Müller fort, »war dazumal schon b'häb geworden und behielt die Schlüssel zur Geldtruhe fest im Sack; auch meinte er, der Bub, der erst vierzehn Jahr alt war, sei noch zu jung zum Reisen, und darin hatte er gänzlich recht, denn der Bub ist nachher richtig auch nicht gar weit gekommen und nicht gar lang fortgeblieben. Der aber meinte, was man ihm nicht gutwillig gebe, das könne er ja mit Gewalt nehmen, und beerbte seinen Vater vor der Zeit, noch eh ihm der Alte aus der Helle gegangen war.«

»Oder aber«, sagte der ältere Müller, »er hat als sein eigener Richter seine Jahr' und seine Taschen vollgemacht und eben sein Mütterliches eingesackt.«


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