Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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»Auch wider den unteren Müller hätt ich eigentlich nichts einzuwenden«, hörte er seinen Vater sagen.

»Wie kommst du denn auf den?« fragte die Sonnenwirtin dagegen.

»Mir deucht's seit einem Vierteljahr oder so etwas her, daß er ein Aug auf das Mädle hat. Er hat mir schon so eine Art Wink gegeben, freilich nicht mit dem Holzschlegel, denn er hat gar einen besonderen Stolz. Aber er ist ordentlich, bringt sein Sächle vorwärts und tät auch sonst besser für ein junges Mädle passen als so ein alter Krachwedel.«

»Ei, Alterle, wie tust du doch so jung!« erwiderte die Sonnenwirtin. »Übrigens hab ich ebenmäßig nichts wider den Müller, und dem könntest du außerdem einen großen Gefallen erweisen. Ich hör, er will bauen, und da werden ihm ein paar tausend Gulden eine Frau erst recht wert machen.«

»Das geht nicht!« brummte er dagegen. »Von der ›Sonne‹ kann ich nichts weggeben. Die ist und bleibt der Grundstock in der Familie, die darf nicht einen Strahl von ihrem Glanz einbüßen.«

»Dann wird er wenig Lust haben«, sagte sie. »Zum Bauen hat er das Geld nötig. So wacker er ist, so ist er doch noch zu jung, als daß ihm jemand so viel leihen tät! Also muß er's erheiraten.«

»Soll anderswohin gehen.«

»Der Chirurgus dagegen sagt, es sei eine Schande für einen Mann, wenn er beim Heiraten aufs Geld sehe. Er begehrt nichts dazu, er sagt, deine Tochter wär ihm lieb, und wenn sie nackt und bloß zu ihm käme, er wolle sie schon ernähren.«

»Nu, wenn sich kein anderer meldet, so kann er sie haben.«

»Ja sieh, aber er pressiert eben und wird auch nicht gerad warten wollen, bis es uns gefällig ist. Mit dem Probieren ist's so eine Sach. Die Mannsleut sind nicht so uninteressiert heutzutage Wenn nun kein anderer käme, und der Chirurgus ging sonstwo auf die Brautschau, so blieb eben das Mädle sitzen, und das wär doch ein Spott und eine Schande.«

»Hm!« brummte der Sonnenwirt.

»Der Habich ist besser als der Hättich«, fuhr die Frau fort, »und wenn man einmal etwas tun will, so tut man's besser gleich, damit's nachher nicht zu spät ist. Mir kann's zwar soweit einerlei sein; es ist dein Kind und nicht meins. Was geht's mich an, wenn sie eine alte Jungfer werden will? Meinetwegen kann sie in der Wirtschaft bleiben, so lang sie mag. Deshalb ist mir's am liebsten, wenn ich dabei ganz aus dem Spiel bleiben kann. Nichts Schwereres für eine Stiefmutter, als solcherlei Pflichten zu erfüllen; denn wenn ich noch so gut sorge, so bin ich doch eben die rechte Mutter nicht und wird mir mein Sorgen noch obendrein verdacht. Mach du die Sach mit deiner Tochter ab. Sprich mit ihr und frage sie, was ihr gefällig sei.«

»Fragen!« brauste der Sonnenwirt auf. »Man wird so ein Ding noch lange fragen. Sie soll froh sein, wenn man sie versorgt. Nun ja, der Haue muß ein Stiel gedreht werden. Also, wenn kein anderer um den Weg ist, so mag's meinethalben der Chirurgus sein. Aber da soll er sich nur das Maul abwischen: bar Geld kriegt er keins von mir.«

»Sei ganz ruhig. Bis wann soll denn die Sach jetzt richtig werden?«

»Das überlaß ich dir.«

»Sieh, Schwan«, hob die Sonnenwirtin mit einem freundlichen und überzeugenden Tone an, »ich hab das schon vorausbedacht, denn ich muß ja doch an alles denken. Weißt, morgen ist ja der Monatstag, da kommen die geistlichen Herren wieder zusammen.«

»Hm«, brummte der Sonnenwirt.

»Der Amtmann wird auch dabeisein, vielleicht sogar der Vogt von Göppingen.«

»Hm, ja.«

»Und weil unser Haus eigentlich doch auch ein wenig über den Leisten geschlagen ist, so könnte man dem Ding einen Anstrich geben, daß es ein recht gesellschaftliches fürnehmes Aussehen bekäme. Weißt, auf so was verstehst du dich! Wenn die Herren dann aufstehen müssen und Gesundheit trinken, so wird der Verspruch zur Hauptsach, und die Herren mögen wollen oder nicht, sie sind dann eigentlich nur um des Verspruchs willen da.«

Der Sonnenwirt hatte immer beifälliger gebrummt. »Dabei soll's bleiben!« sagte er endlich. »Aber jetzt laß mich schlafen, hast mir die Zeit lang genug gemacht.«

Auch Friedrich hatte genug gehört. Leise, wie er gekommen war, schlich er hinaus und begab sich auf seine Kammer, wo er lange nicht schlafen konnte.

Als Magdalene am nächsten Morgen ihren Bruder auf der Treppe traf und begrüßte, klang ihre Stimme nicht mehr so entschlossen wie am Abend.

»Du machst ja ein Gesicht wie die Katz, wenn's donnert«, raunte er ihr zu; »stell dich krank, Magdalene, stell dich krank und mach, daß du nur über den Tag hinüberkommst.«

»Es wär keine Verstellung«, erwiderte sie, »wenn ich mich wieder legte.«

»Tu's, tu's!« rief er und sprang die letzten acht Staffeln mit einem Satz hinab.

Er ging den Fußweg am Bache hin, der mitten durch den Flecken läuft. Die Gänge der Mühle klapperten ihm eifrig entgegen. Von der Brücke aus sah er den jungen Müller im Hofe beschäftigt, allerlei Holz zusammenzusägen. Er blieb unschlüssig stehen, als aber jener aufblickte, setzte er sich in Bewegung, als ob ihn der Weg zufällig hier vorüberführe.

»Guten Morgen«, rief er in den Hof hinein.

»Schön' Dank.«

»Treibt's gut um?«

»Soso, lala«, war die verdrossene Antwort.

»Ich glaub, an dir ist ein Zimmermann verlorengegangen«, sagte Friedrich, indem er näher trat und sich gegen die Mauer lehnte.

»Hm, 's ist nur so ein wenig gebosselt.«

»Man sagt ja, du wollest bauen, Georg?«

»Willst mir dabei an die Hand gehen, Frieder?«

»Ja, ich! Was hätt'st du von mir? Soll ich dir Steine zutragen?«

»Hm, ja, aber solche, wo der Karl Herzog draufgeprägt ist.«

»Oder der alt Kaiser? Du hast's gut vor, Brüderle, solche Bausteine sind mir zu schwer, die muß ich liegenlassen.«

Die beiden sahen einander an, und ihre scheinbar gleichgültigen Mienen spielten ein langes stummes Frag-und-Antwort-Spiel.

»Ich muß eben sehen, wie ich ein Dukatenmännle ins Haus krieg«, sagte der Müller endlich. »Vielleicht wissen mir die Zigeuner eines.«

»Oder ein Bettelmädle mit ein paar tausend Gulden«, entgegnete Friedrich, den Stich verbeißend.

»Weißt mir eine?« fragte der Müller und sah ihn forschend an.

Friedrich schlug die Augen nieder und wühlte mit dem Fuß im Sägemehl, das am Boden lag. »Ist denn das Bauwesen so nötig?« fuhr er endlich in seiner Verlegenheit heraus.

»Justament so nötig, als dein Geschwätz unnötig ist«, war die Antwort.

»Oh, ich will nicht lang mit dir ränkeln, du zuckeriges Bürschle, du. Bau du meinetwegen so hoch, wie der babylonisch Turm gewesen ist.«

Dieses brummend, nahm Friedrich einen verdeckten Rückzug, das heißt, er setzte den eingeschlagenen Weg an der Mühle vorüber fort, um in einem weiten Bogen wieder nach Hause zu kommen.

Von Not und Eifer getrieben rannte er dahin, obgleich er eigentlich nicht wußte, warum er zu eilen habe; es war eine Aufregung in ihm, die seinem Gesicht in diesem Augenblick ein besonders kräftiges Aussehen gab. Die Leute, die auf der Straße oder an den Fenstern waren, mußten ihn unwillkürlich mit Wohlgefallen betrachten, und ein Mädchen, das ihm begegnete, grüßte ihn auf eine Weise, die trotz seiner gedankenvollen Selbstvergessenheit nicht unbemerkt von ihm blieb. Es war ein schlankes Mädchen mit gelben Zöpfen, noch sehr jung und von auffallend hellen Gesichtszügen; in ihren Mienen lag eine eigentümliche Mischung von Zutraulichkeit und Unschuld. Sie grüßte ihn mit dem gebräuchlichen Bauerngruße, das heißt, sie »wünschte ihm die Zeit«, aber mit einem Blicke, der, so schnell und schüchtern er vorüberglitt, eine Freundlichkeit, eine gewisse Teilnahme und Hingebung aussprach, die nur in einem Blicke so ausgesprochen und eben deshalb nicht weiter beschrieben werden kann. Genug, ihm war, als hätte sich das junge Mädchen mit diesem Blicke ganz und voll und warm in seine Arme gelegt, und er, für einen solchen Eindruck nichts weniger als unempfänglich, fühlte sich hingerissen, obgleich er sich erst einige Sekunden nach der Begegnung bewußt ward, daß er gegrüßt worden sei, daß er einen Blick dabei wahrgenommen und daß dieser Blick ihm gegolten habe. Jetzt erst blieb er stehen und sah ihr nach. Sie war schon ziemlich weit entfernt, und ihre Zöpfe flogen lustig hinter ihr her. »Ich kenn doch jedes Kind hier«, sagte er, »ist's vielleicht eine Fremde? Sie trägt sich übrigens ganz ebersbachisch. Aber das ist ein blitznettes Schelmengesicht!« – Er wäre ihr gerne nachgegangen, aber er scheute die Mühle. Auch fiel ihm nur allzubald die Sorge wieder aufs Herz, die ihn aus dem Hause getrieben hatte. Er wandte sich, durchmaß einige Gäßchen, ging weiter oben über das Wasser zurück und kam unverrichteterdinge nach Hause, wo ihm ein vielsagender Duft aus der Küche entgegenströmte.

Nach dem Essen, als er Gelegenheit fand, einen Augenblick mit seiner Schwester allein zu sein, fragte er sie: »Ist dir's noch wie gestern?«

Magdalene versuchte zu lachen; es wollte ihr aber nicht recht gelingen. »Ich tu's eben nicht!« flüsterte sie, indem sie in der gestrigen Haltung auf den Boden stampfte; aber ihre Stimme klang wie eine ohnmächtige Einsprache gegen das Schicksal, über ihre Augen flog ein Nebel. Die Geschwister hörten des Vaters Tritt; da stoben sie auseinander.

Friedrichs Beklemmung stieg immer höher. Der Geist der Gewalttätigkeit begann in ihm wach zu werden. Er ging unruhig durch das Haus und suchte ein Brett, das ihm gerecht wäre. Dann stieg er auf den Boden, um Erbsen zu holen. Er wollte dem Chirurgus einen halsbrechenden Empfang bereiten. »Wenn sie mich auch wieder nach Ludwigsburg schicken«, dachte er, »was tut's!« Als er aber mit seinen Vorbereitungen fertig war, fiel es ihm ein, daß die geistlichen Herren, die heute ihr »Kränzchen«in der »Sonne« hatten, mit nächstem anrücken würden, und er entsagte seinem Attentat. Vor der Klerisei hatte er einen wohlbegründeten Respekt. Nicht lange, so erschienen die ersten erwarteten Ankömmlinge. Von ihren weitschößigen schwarzen Röcken umrauscht, stiegen sie ernsthaft die Treppe empor, und ihre weißen Bäffchen oder Überschlägchen, wie man dieses geistliche Würdezeichen in Süddeutschland heißt, begleiteten ihre Unterredung, indem sie, beim Sprechen von den Halsmuskeln in Bewegung gesetzt, taktmäßig über der Brust auf und nieder klappten. Arglos überschritten die Pastoren die verhängnisvolle Staffel, die, wenn Gedanke und Tat ein Ding wären, ihnen ein Stein des Anstoßes und gewiß auch nicht geringen Ärgernisses geworden sein würde. Dem Chirurgus hatte es ein guter Geist eingegeben, daß er die Nachhut bildete, und so gelangte auch er wohlbehalten unter den Fittichen der geistlichen Nacht herauf. Die Herren verfügten sich in ihr besonderes Kabinett. Die übrigen Mitglieder der Gesellschaft ließen nun auch nicht länger auf sich warten; als die allerletzten kamen, um keine unschickliche Eile zu beweisen, der Pfarrer und, Saul unter den Propheten, der Amtmann des Orts. Mittlerweile fanden die dampfenden Schüsseln ihren Weg aus der Küche ins Kabinett. Die Sonnenwirtin und Magdalene trugen sie. Letztere hatte, als einen schwachen Versuch, sich mit Krankheit zu entschuldigen, ein Tuch um den Kopf gebunden, das ihr aber noch unterwegs von der sorgsamen Mutter abgerissen wurde. »Morgen kannst Kopfweh haben, soviel du willst«, sagte sie, »aber heut darfst nicht wehleidig sein.« Der Sonnenwirt begnügte sich, die Herren zu empfangen, ins Kabinett hineinzukomplimentieren und von Zeit zu Zeit nachzusehen, ob nichts fehle. Der Chirurgus durfte die Flaschen auftragen helfen, was dem Amtmann und dem Pfarrer Anlaß gab, ein wenig zu sticheln. Nachher hatte er die Ehre, einem von den Herren Schnupftabak zu besorgen, und zuletzt, als man nichts mehr von ihm wollte, zog er sich mit einer feinen Wendung zurück. Mit dem Hauptauftritt mußte man natürlich warten, bis die Herren ihre nächste Aufgabe, nämlich die teils gebackenen, teils blau gesottenen Forellen vom Tische verschwinden zu machen, bereinigt haben würden.

Friedrich war mit der Aufwartung im gewöhnlichen Wirtszimmer bei den Fuhrleuten betraut worden, erhielt aber nach einiger Zeit durch Vermittlung seiner Mutter, die ihm doch nicht recht traute, vom Vater den Befehl, in den Stall zu gehen und die Pferde zu füttern. Die unschuldigen Tiere mußten sich dabei manchen Puff gefallen lassen. Als er wieder heraufkam, sah er, was ihm sein Verstand schon gestern abend hätte voraussagen können, seine Schwester als »glückliche Braut«. Der Vater hatte sich inzwischen die Freiheit und die Ehre genommen, sie als solche im Kabinett vorzustellen, das man, um der Sache mehr Öffentlichkeit und Ansehen zu geben, gegen das Wirtszimmer offengelassen hatte. Die Herren wünschten Glück, stießen mit den Gläsern an und machten etliche versteckte skurrile Witze, alles das, wie es bei solchen Gelegenheiten zu geschehen pflegt. Magdalene knixte mit ängstlichem Lächeln und zwang die Tränen zurück, die freilich sehr nahe waren, aber wie hätte sie vor so gewaltigen Herren wagen können, einen Willen geltend zu machen? Der Chirurgus stand neben ihr, ganz grün vor Seligkeit. Die Sonnenwirtin freute sich, daß sie den niederdrückenden Einfluß, den die Herrengesellschaft auf das Mädchen üben würde, so sicher vorausberechnet hatte. Der Sonnenwirt schmunzelte und schwamm in Wohlbehagen über die honoratiorenschaftliche Haupt- und Staatsaktion. Friedrich seinerseits ließ im Wirtszimmer seine festliche Bewegung an einer Flasche aus, die, als sie mit lautem Klirren am Boden zerbrach, die allgemeine Stimmung durch Schrecken, Lachen, Zorn und Scheltworte hindurch in das gewöhnliche Geleise zurückbrachte. Die Türe des Kabinetts schloß sich wieder, die Wirtschaft ging ihren Gang. Nur eines hatte sich entschieden und unabänderlich festgestellt, nämlich, daß Magdalene jetzt das war, was sie vergangene Nacht um keinen Preis, selbst nicht um den Preis ihres Lebens, hatte werden wollen.


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