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Der Reim

Er ist das Ufer, wo sie landen,
sind zwei Gedanken einverstanden.

Hier sind sie es: die Paarung ist vollzogen. Zwei werden eins im Verständnis, und die Bindung, welche Gedicht heißt, ist so für alles, was noch folgen kann, zu spüren wie für alles, was vorherging; im Reim ist sie beschlossen. Landen und einverstanden: aus der Wortumgebung strömt es den zwei Gedanken zu, sie ans gemeinsame Ufer treibend. Kräfte sind es, die zu einander wollen, und münden im Reim wie im Kuß. Aber er war ihnen vorbestimmt, aus seiner eigenen Natur zog er sie an und gab ihnen das Vermögen, zu einander zu wollen, zu ihm selbst zu können. Er ist der Einklang, sie zusammenzuschließen, er bringt die Sphären, denen sie zugehören, zur vollkommenen Deckung. So wird er in Wahrheit zu dem, als was ihn der Vers definiert: zum Ziel ihrer spracherotischen Richtung, zu dem Punkt, nach dem die Lustfahrt geht. Sohin gelte als Grundsatz, daß jener Reim der dichterisch stärkste sein wird, der als Klang zugleich der Zwang ist, zwei Empfindungs- oder Vorstellungswelten zur Angleichung zu bringen, sei es, daß sie kraft ihrer Naturen, gleichgestimmt oder antithetisch, zu einander streben, sei es, daß sie nun erst einander so angemessen, angedichtet scheinen, als wären sie es schon zuvor und immer gewesen. Ist diese Möglichkeit einmal gesetzt, so wird der Weg sichtbar, wie es gelingen mag, dem Reim eine Macht der Bindung zu verleihen, die jenseits des bisher allein genehmigten Kriteriums der »Reinheit« waltet, ja vor der solche Ansprüche überhaupt nicht geltend gemacht werden könnten. Denn nicht das Richtmaß der Form, sondern das der Gestalt bestimmt seinen Wert. Den Zwang zum Reim bringt innerhalb der Bindung des Verses nicht jede dichterische Gestaltung, die diese auferlegt, er kann sich aber, wie am Ende einer Shakespeare-Schlegel'schen Tirade gleichsam als das Fazit einer Gedankenrechnung ergeben, worin die Angleichung der dargestellten Sphären ihren gültigen Ausdruck findet. Der ganzen Darstellung förmlich entwunden, dem gegenseitigen Zwang, der zwischen der Materie und dem Schöpfer wirksam ist, lebt er in einer wesentlich anderen Region des Ausdrucks als das äußerliche Spiel, das er etwa in einer dürftigen Calderon-Übersetzung oder gar in einem Grillparzerschen Original vorstellt. Die Notwendigkeit des Reimes muß sich in der Überwindung des Widerstands fühlbar machen, den ihm noch die nächste sprachliche Umgebung entgegensetzt. Der Reim muß geboren sein, er entspringt dem Gedankenschoß; er ist ein Geschöpf, aber er ist kein Instrument, bestimmt, einen Klang hervorzubringen, der dem Hörer etwas Gefühltes oder Gemeintes einprägsam mache. Die gesellschaftliche Auffassung freilich, nach der der Dichter so etwas wie ein Lebenstapezierer ist und der Reim ein akustischer Zierat, hat an ihn keine andere theoretische Forderung als die der »Reinheit«, wiewohl dem praktischen Bedürfnis auch das notdürftigste Geklingel schon genügt. Aber selbst eine Kritik, die über den niedrigen Anspruch des Geschmackes hinausgelangt, ist noch weit genug entfernt von jener wahren Erkenntnis des Reimwesens, für die solches Niveau überhaupt nicht in Betracht kommt. Wenn man den ganzen Tiefstand der Menschheit, über den sie sich mit ihrem technischen Hochflug betrügt, auf ihre dämonische Ahnungslosigkeit vor der eigenen Sprache zurückführen darf, so möchte man sich wohl von einer kulturellen Gesetzgebung einen Fortschritt erhoffen, die den Mut hätte, die Untaten der Wortmißbraucher unter Strafsanktion zu stellen und insbesondere das Spießervergnügen an Reimereien durch die Prügelstrafe für Täter wie für Genießer gleichermaßen gefahrvoll zu machen.

Entnehmen wir dem Reim »landen – einverstanden« das Reimwort »standen« als solches, wobei wir uns denken mögen, daß es als abgeschlossene Vorstellung den Sinn eines Verses erfülle. In dem Maß der Vollkommenheit, wie hier die äußere Paarung (landen – standen) in Erscheinung tritt, scheint die innere zu mangeln, die das tiefere Einverständnis der beiden Gedanken voraussetzt. Im Bereich der schöpferischen Möglichkeit – jenseits einer rationalen Aussage, die sich mit etwas Geklingel empfehlen läßt – wird kaum ein Punkt auftauchen, wo »landen« und »standen« Gemeinschaft schließen möchten. Doch nicht an der Unterschiedlichkeit der Vorstellungswelten, welche in der äußeren Übereinstimmung umso stärker hervortritt, soll die Minderwertigkeit eines Reimes dargetan sein. Vielmehr sei fühlbar gemacht, wie durch die Verkürzung des zweiten Reimworts, gerade durch eine Präzision, die den reimführenden Konsonanten mit dem Wortbeginn zusammenfallen läßt, das psychische Erlebnis, an dem der Reim Anteil hat, verkümmert wird. Widerstandslos gelangt der Reim zum Ziel der äußeren Deckung, hier, wo jede Reimhälfte isoliert schon bereitsteht, sich der anderen anzuschmiegen. Wie lieblos jedoch vollzieht sich dieser Akt! Denn es ist ein erotisches Erfordernis, daß eine der beiden Hälften sich von ihrer sprachlichen Hülle erst löse oder gelöst werde, um die Paarung zu ermöglichen, hier die zweite, die von der reimwilligen ersten angegangen und genommen wird. Dieser, der auf die eigene Wortenergie angewiesenen, obliegt es, das Hindernis zu überwinden, das ihr jene durch eine Verknüpfung mit ihrer sprachlichen Region entgegenstellt. Man könnte gleicherweise sagen, daß die Liebe keine Kunst ist und die Kunst keine Liebe, wo nichts als ein vorübergehendes Aneinander erzielt wird. Setzen wir den Reim »landen« und »sich fanden«, so wäre schon ein Widerstand eingeschaltet, dessen Überwindung dem Vorgang eine Lebendigkeit zuführt, die das Reimwort »fanden« als solches in der Berührung mit »landen« entbehrte. Nun ermesse man erst den Zuschuß, der erfolgt, wenn die eine Reimhälfte mit einer Vorsilbe, gar mit zweien behaftet oder mit einem zweiten Wort verbunden ist. Welch einen Anlauf hat da die andere zu nehmen, um trotz der Hemmung solcher Vorsetzungen zum Reimkörper selbst zu gelangen! Welche »Kraft« stößt, ungeachtet der Leiden, an »Leidenschaft«! Nur dort, wo die gedankliche Deckung der Sphären schon im Gleichmaß der Reimwörter vollzogen ist, wie bei »landen – stranden«, muß aus der Wortumwelt nicht jene Fördernis erwartet werden, die der Reim dem Hindernis, dem Zwang zur Eroberung verdankt, wiewohl auch hier ein »landet – gestrandet« als der stärkere Reim empfunden werden mag und es sonst erst aller rhythmischen Möglichkeit und umgebenden Wortkraft bedürfen wird, um der gefälligen Glätte entgegenzuwirken, die das Ineinander der Reimpartner gefährdet. Wem es eine Enttäuschung bereiten sollte, zu erfahren, daß Angelegenheiten, von denen er bisher geglaubt hat, sie würden von einer »Inspiration« besorgt, dem nachwägenden Bewußtsein, ja der Willensbestimmung zugänglich sind, dem sei gesagt, daß ein Gedicht im höchsten Grade etwas ist, was »gemacht« werden muß (es kommt von »poiein«); wenngleich es natürlich nur von dem gemacht werden kann, der »es in sich hat«, es zu machen. Man mag sich sogar dazu entschließen, man braucht keiner andern Anregung ein Gedicht zu verdanken als dem Wunsch, es zu machen, und innerhalb der Arbeit können dann jedes Wort hundert Erwägungen begleiten, zu deren jeder weit mehr Nachdenken erforderlich ist als zu sämtlichen Problemen der Handelspolitik. Sollte es wirklich vorkommen, daß ein Lyriker barhaupt in die Natur stürzen muß, um seinen Scheitel ihren Einwirkungen auszusetzen und eigenhändig erst den Falter zu fangen, den er besingen will, so hätte er diesen umgaukelt, er wäre ein Schwindler, und ich würde mich außerdem verpflichten, ihm auch den Trottel in jeder Zeile nachzuweisen, die durch solche Inspiration zustandegekommen ist.

Betrachten wir weiter den Fall, von dem als einem Beispiel und Motto diese Untersuchung ausgeht – wobei wir ganz und gar den Sinngehalt des einzelnen Reimworts ausschalten wollen –, so würde also das Höchstmaß der äußeren Deckung: landen – standen den niedrigsten Grad der dichterischen Leistung vorstellen, den höheren: landen – verstanden, den höchsten: landen – einverstanden, weil eben hier mit einem durch den Silbenwall gehemmten und mithin gesteigerten Impetus das Ziel der Paarung erreicht wird; weil der Reim einen stärkeren Anlauf nehmen mußte, um stärker vorhanden zu sein. Er mußte sich sogar den Ton der Stamm- und eigentlichen Reimsilbe erobern, der auf die erste der beiden Vorsilben abgezogen war, und es bleibt eine geringe Diskrepanz zurück, dem Ohr den Einklang reizvoll vermittelnd: nicht unähnlich dem ästhetischen Minus, das dem erotischen Vollbild zugute kommt, ja von dem allein es sich ergänzen könnte. Das Merkmal des guten Reimes ist nebst oder auch jenseits der formalen Tauglichkeit zur Paarung die Möglichkeit der Werbung. Sie ist in der wesentlichen Bedingung verankert: vom Geistigen her zum Akt zu taugen. Denn die Deckung der Sphären muß mit der der Worte so im Reim vollzogen sein, daß er auch losgelöst von der Wortreihe, die er abschließt, das Gedicht zu enthalten scheint oder die aura vitalis des Gedichtes spüren läßt. Der Reim ist nur dann einer, wenn der Vers nach ihm verlangt, ihn herbeigerufen hat, so daß er als das Echo dieses Rufes tönt. Aber dieses Echo hat es auch in sich, den Ruf hervorzurufen. Die zwei Gedanken müssen so in ihm einverstanden sein, daß sie aus ihm in den Vers zurückentwickelt werden könnten. Herz – Schmerz, Sonne – Wonne: dergleichen war ursprünglich ein großes Gedicht, als die verkürzteste Form, die noch den Gefühls- oder Anschauungsinhalt einschließen kann. Wie viel sprachliches Schwergewicht müßte nunmehr vorgesetzt sein, um dem Gedanken die Befriedigung an solchem Ziel zu gewähren! Doch eben an der Banalität des akustischen Ornaments, zu dem das ursprüngliche Gedicht herabgekommen ist, gerade am abgenützten Wort kann sich die Kraft des Künstlers bewähren: es so hinzustellen, als wäre es zum ersten Male gesagt, und so, daß der Genießer, der den Wert zum Klang erniedrigt hat, diesen nicht wiedererkennt. Die Vorstellung, daß der Reim in nichts als im Reim bestehe, ist die Grundlage aller Ansicht, die die lesende und insbesondere – trotz ihren tieferen Reimen – die deutschlesende Menschheit von der Lyrik hat. Er ist ihr in der Tat bloß das klingende Merkzeichen, das Signal, damit eine Anschauung oder Empfindung, eine Stimmung oder Meinung, die sie ohne Schwierigkeit als die ihr schon vertraute und geläufige agnosziert, wieder einmal durchs Ohr ins Gemüt eingehe oder in die Gegend, die sie an dessen Stelle besitzt. Da Kunst ihr überhaupt eine Übung bedeutet, die nicht nur nichts mit einer Notwendigkeit zu schaffen hat, sondern eine solche geradezu ausschließt – denn sie möchte dem Aufputz ihrer »freien« Stunden auch nur die Allotria seiner Herstellung glauben –, so vermag sie vor allem dort nicht über formale Ansprüche hinauszugelangen, wo hörbar und augenscheinlich die Form dargebracht ist, um ihr das, was sie ohnehin schon weiß, zu vermitteln: am Reim. Wie der Philister den letzten Lohn der erotischen Natur entehrt und entwertet hat, so hat er auch die Erfüllung des schöpferischen Aktes im Reim zu einem Zeitvertreib gemacht. Wie aber der wahrhaft Liebende immer zum ersten Male liebt, so dichtet der wahrhaft Dichtende immer zum ersten Mal, und reimte er nichts als Liebe und Triebe. Und wie der Philister in der Liebe ästhetischer wertet als der Liebende, so auch in der Dichtung ästhetischer als der Künstler, den er mit seinem Maße mißt und erledigt. Daraus ist die Forderung nach dem »reinen Reim« entstanden, die unerbittliche Vorstellung, daß das Gedicht umso besser sei, je mehr's an den Zeilenenden klappt und klingt, und der Hofnarr des Pöbels umso tüchtiger, je mehr Schellen seine Kappe hat, bei noch so ärmlichem Inhalt dessen, was darunter ist.

In dieser Vorstellung hat das erotische Prinzip der Überwindung des Widerstandes zum Ziel der Gedankenpaarung keinen Raum. Da gilt nur das äußere Maß und eben diesem, welches fern aller Wesenheit bloß nach dem Schall gerichtet ist, wird auch der Mißreim genügen. Umgekehrt wird die Erfassung des Reims als des Gipfels der Gedankenlandschaft zwar auch dem verpönten »unreinen Reim« solche Eignung zuerkennen, aber umso hellhöriger alles abweisen, was nur so klingt wie ein Reim, oder klingen möchte, als wäre es einer. Und solche Sachlichkeit darf auch vor den Lakunen eines Dichtwerks, und wäre es das größte, nicht haltmachen. Wie wenige deutsche Ohren werden das Geräusch vernommen haben, womit der Mephistopheles seinen dramatisch so fragwürdigen Abgang vollzieht und worin die Torheit, die seiner sich am Schluß »bemächtigt« – mit einer Kläglichkeit des Ausdrucks, die fast der Situation gerecht wird – einer Erfahrenheit antwortet, die sich »beschäftigt« hat. Wenn das teuflische Mißlingen hier nur durch einen Mißreim veranschaulicht werden konnte, so wäre solches immerhin gelungen. Doch ließe sich das Kapitel der Beiläufigkeiten, mit denen dichterische Werte besät sind und deren jede ein Kapitel der Sprachlehre rechtfertigen würde, in der deutschen Literatur gar nicht ausschöpfen. Beträchtlich in diesem Zusammenhange dünkt mir die Erscheinung eines Dichters wie Gottfried August Bürger, der außer starken Gedichten eine ungereimt philiströse Reimlehre geschrieben hat – welche als literarhistorisches Monstrum dem polemischen Unfug Grabbes gegen Shakespeare an die Seite gestellt werden kann –, nebst dieser Theorie aber auch wieder Reime, die es mit seinen abschreckendsten Beispielen aufzunehmen vermögen. Von irgendwelcher gedanklichen Erfassung des Problems weit entfernt und mit einer Beckmesserei wütend, die ziemlich konsequent das Falsche für richtig und das Richtige für falsch befindet, begnügt er sich, die »echt hochdeutsche Aussprache« als das Kriterium des Reimwertes aufzustellen. Somit dürfe sich nicht nur, nein, müsse sich Tag auf sprach, Zweig auf weich, Pflug auf Buch, zog auf hoch reimen. Welcher Toleranz jedoch sein Ohr fähig war, geht daraus hervor, daß er den Mißreim des gedehnten und des geschärften Vokals zwar tadelt, aber, wo es ihm darauf ankommt die Ungleichheit der Schlußkonsonanten zu verteidigen, das Beispiel »Harz und bewahrt's« als tadellosen Reim gelten läßt (anstatt hier etwa »Harz und starrt's« heranzuziehen). Nachdem er aber »drang und sank« in die Reihe der »angefochtenen Reime« gestellt hat, »deren Richtigkeit zu retten« sei, erklärt er kaum eine halbe Seite später, »am unrichtigsten und widerwärtigsten « seien die Reime g auf k und umgekehrt, und nimmt da als Beispiel: »singt und winkt«. Wozu wohl gesagt werden muß, daß, wenn der grundsätzliche Abscheu vor solchen Reimen schon eine unvermutete Ausnahme der Sympathie zuläßt, diese doch weit eher dem Präsens-Fall gebührt als dem andern, weil dort die Gleichheit der Schlußkonsonanten den Unterschied von g und k deckt, während er bei »drang« und »sank« offen und vernehmbar bleibt. Wird doch vom feineren Gehör selbst der zwischen lang (räumlich, sprich lank) und lang' (zeitlich, sprich lang) empfunden und eben darum, wo die Form »lange« nicht vorgezogen wird, durch den Apostroph bezeichnet: die Bank, auf die ich etwas schiebe, reimt sich also auf lang, solang' sie die Metapher bleibt, der die räumliche Vorstellung zugrunde liegt; sie ließe sich jedoch, in die Zeitvorstellung aufgelöst, nicht so gut auf lang' reimen (höchstens im Couplet, wo die Musik die Dissonanz aufhebt, oder zu rein karikaturistischer Wirkung wie bei Liliencron: »Viere lang, zum Empfang«). Auf lang reimt sich Bank, auf lang' bang. Ist es also schon ein Mißgriff, den Reim »drang und sank« zu empfehlen, so ist es völlig unbegreiflich, daß er als die Ausnahme von einer Unmöglichkeit gelten soll, die ein paar Zeilen weiter mit dem durchaus möglichen »dringt und sinkt« belegt wird. Das Wirrsal wird noch dadurch bunter, daß der Reimtheoretiker neben solches Beispiel als gleichgearteten Fehler das Monstrum »Menge und Schenke« setzt und neben dieses wieder den zweifellos statthaften Reim »Berg und Werk«. Dafür ergeben ihm, in anderem Zusammenhang, »Molch und Erfolg« eine tadellose Paarung zweier Vorstellungswelten, deren Harmonie ihm offenbar so prästabiliert erscheint, daß er den Schritt vom Molch zum Erfolch vielleicht auch dann guthieße, wenn die Aussprache ihm ein besonderes Opfer auferlegte. (Wiewohl mit jenem ein Dolch oder ein Strolch, im Sinne des Strengen mit dem Zarten oder des Starken und des Milden, einen bessern Klang gäbe.) Doch während er eben für das »g« auf dem echt hochdeutschen »ch« besteht und solchen phonetischen Problemen zugewendet ist, macht er sich über eine innere Disposition des Worts zum Reim, also über das worauf es ankommt, nicht die geringsten Gedanken, und wenn ich mich bei einer Methode, der nur das entscheidend ist, worauf es nicht ankommt: das nebensächlich Selbstverständliche oder das ungewichtig Unrichtige, überhaupt aufhalte, so geschieht es, um an dem Exempel eines Dichters die allgemeine Unzuständigkeit des Denkens über den Reim anschaulich zu machen. Wie dieser Bürger, so denkt jeder Bürger über die Dichtkunst, ohne doch gleich ihm ein Dichter zu sein. Er hat natürlich ganz recht mit der Meinung, daß der Reim des gedehnten und des geschärften Vokals keiner sei. Wenn aber »Harz« und »bewahrt's«, so unbequem sie es schon von der Natur ihrer Vorstellung aus haben, zu einander finden können, dann möchte man doch fragen, warum »so unrein und widerwärtig als möglich« Fälle wie »schwer und Herr«, »kam und Lamm« sein sollen. Und vor allem, wieso denn eine Widerwärtigkeit, die sich ergibt, »wenn man geschärfte Vokale vor verdoppelten Konsonanten und gedehnte vor einfachen aufeinander klappt«, unter anderen Beispielen durch solche darzustellen wäre wie: »siech und Stich«. »Fläche und bräche«, »Sprache und Sache«. Wo ist da bei aller Unterschiedenheit im Vokal die zwischen einem verdoppelten und einem einfachen Konsonanten? Aber von diesem Wirrwarr abgesehen und von unserm guten Recht, hier die Reimmöglichkeit zu verteidigen, beweist insbesondere der Versuch, »Sprache und Sache« als einen Fall von Unreinheit und Widerwärtigkeit hinzustellen, nichts anderes als die Weltenferne, in der sich solche Doktrin vom Wesentlichen einer Sphäre hält, die sich hier schon im Material des gewählten Beispiels beziehungsvoll erschließt. Denn man dürfte wohl nicht leugnen können, daß zwischen Sprache und Sache eine engere schöpferische Verbindung obwaltet als zwischen »Harz und bewahrt's« (Reimpartner, denen nachgerühmt wird, daß sie für jedes deutsche Ohr »vollkommen gleichtönend« seien), ja als zwischen Molch und Erfolch. Und beinahe möchte ich vermuten, daß es im Kosmos überhaupt keinen ursächlicheren Zusammenhang gibt als diesen und auch keinen anderen Fall, wo gerade die leichte vokalische Unstimmigkeit den vollen Ausdruck dessen bedeutet, was als Zwist und Erdenrest einer tiefinnersten Beziehung, eines Gegeneinander und zugleich Ineinander vorhanden bleibt und einen Reim, der von Urbeginn da ist, noch im Widerstreit der Töne beglaubigt. Die strengste Verpönung des vokalischen Mißreims wird bei nur einigermaßen gedanklicher Anschauung eben diesen Ausnahmsfall zulassen und ihn nicht mit dem Schnelligkeitsmesser in der Hand in die Reihe der Mißbildungen wie »schämen und dämmen«, »treten und betten« verweisen. Aber Bürger, der das Gesetz, daß g wie ch auszusprechen sei, als Grundlage der Reimkunst statuiert, ist im Vokalischen unerbittlich und will sogar naturhafte Verbindungen wie »Tränen und sehnen«, »sehnen und stöhnen«, »Blick und Glück« höchstens als »verzeihliche Reime« gelten lassen. Warum er jedoch in dieser Reihe auch an »Meer und Speer« Anstoß nimmt, ist wieder rätselhaft. »Ein Dichter von feinem Ohr«, sagt er, werde »zumal in denjenigen lyrischen Gedichten, worin es auf höchste Korrektheit angesehen ist, sich erst nach allen Seiten hin drehen und wenden, und nur dann nach solchen Reimen greifen, wenn gar kein Ausweg mehr vorhanden zu sein scheint«. Trotz allem Anteil, den ich dem Wollen und Erwägen an der Erschaffung des Verses einräume und wiewohl ich es für die eigentliche Aufgabe des Dichters halte, sich nach allen Seiten des Wortes hin zu drehen und zu wenden, so möchte ich mir den Prozeß doch weniger mechanisch, weniger als den einer Ansehung auf höchste Korrektheit vorstellen, vielmehr glauben, daß die Formgebundenheit zwar kein Mißlingen verzeihlich und keine Relativität begreiflich macht, daß aber der scheinbar und von außen gesehn minderwertige Reim dem Gesetz der gleichen Notwendigkeit folgt wie alles andere und daß sich eben Blick auf Glück und Tränen auf sehnen selbst dann reimen müßten, wenn sie es nicht dürften und nicht an und für sich unbedenkliche Reime wären. Aber Beispiele für mangelnden Wohlklang sind diesem Onomatopoieten, Wortmaler, Dichter des »Wilden Jägers« und Vortöner Liliencrons plötzlich wieder Reime wie »ächzen und krächzen« (wo doch der Mißklang der Reimwörter keinen Mißklang des Reimes ergibt), und in derselben Kategorie »horcht und borgt« (wiewohl man ja »horcht« sagen muß und es an anderer Stelle ausdrücklich verlangt wird), und dann ein Reim – einen bessern findst du nicht – wie »nichts und Gesichts«. »Die Gesetze wenigstens des feineren Wohlklangs« erscheinen ihm beleidigt durch männliche Reime wie »lieb und schrieb«, wenn sie allzunahe beieinander vorkommen, und in ebensolchem Falle durch weibliche wie »heben und geben«, »lieben und trieben«, »loben und toben«; denn ein wichtiges Erfordernis des Wohlklanges sei »Mannigfaltigkeit der Schlußkonsonanten«. Da kann man nur die Inschrift auf dem Teller zitieren, den man in deutschen Hotelportierlogen häufig angebracht sieht: »Wie man's macht, ist's nicht recht«, ohne daß einem gesagt würde, wie man's recht machen soll, insbesondere um die Mannigfaltigkeit der Schlußkonsonanten bei weiblichen Reimen herbeizuführen. Dagegen zeigt sich der Unerbittliche befriedigt von Reimen auf »bar, sam, haft, heit, keit, ung«: an ihnen – nämlich als männlichen Reimsilben, welche »voll betont sein müssen« – sei »in dieser Rücksicht nichts auszusetzen«, also wenn sich etwas auf »Erfahrenheit« reimt – aber nicht etwa Zerfahrenheit, was insbesondere in diesem Zusammenhang ein richtiger Reim wäre, sondern zum Beispiel: »Tapfer keit«. (Was schon fast an die französische Allreimbarkeit hinanreicht, und in Bürgers »Lenore« reimen sich sogar Verzweife lung und Vors ehung.) Weniger taugen ihm die Ableitungssilben »ig« und »ich«, noch weniger »en« (das wäre allzu französisch): so sind ihm »Huldigen und Grazien für männliche Reime nicht tönend genug«. Eine Einsicht, die ihn freilich nicht gehindert hat, gerade diese beiden Wörter für tauglich zu halten, sich in der »Nachtfeier der Venus« auf einander männlich zu reimen:

Sie wird thronen; wir Geweihte
Werden tief ihr huldig en.
Amor thronet ihr zur Seite,
Samt den holden Grazi en.

Wie man da überhaupt zu einem »männlichen Reim« kommen kann, ist unvorstellbar, aber Bürger hat sogar nichts dagegen, daß man »Tapfer keit und Heiter keit« reime, und vielleicht hat er es irgendwo getan. Mit nicht geringem Selbstbewußtsein findet er nach all dem: »es täte not, daß das meiste«, was er da vom Reim gesagt habe, »Tag für Tag durch ein Sprachrohr nach allen zweiunddreißig Winden hin sowohl den deutschen Dichtern als auch den Dichter- und Reimerlingen zugerufen würde. Wie? Auch den Dichtern? Jawohl!« Denn es ärgere weit mehr, »wenn ein so guter Dichter, als z. B. Herr Blumauer, ein so nachlässiger Reimer ist«, als wenn es sich um einen ausgemachten Dichterling handle. Von der gleichen Empfindung für einen weit größeren Dichter beseelt, hätte diesem ein kritischer Zeitgenosse eine Reimtheorie vorhalten müssen, wenngleich nicht die von Gottfried August Bürger, an die er sich leider doch zuweilen gehalten hat. Nur zu begreiflich die Bescheidenheit, mit der er sie »Kurze Theorie der Reimkunst für Dilettanten« betitelt. Es dürfte der perverseste Fall in der Literaturgeschichte sein, daß ein wirklicher Dichter wie ein Schulfuchs, dem die Trauben des Geistes zu sauer sind, von diesen redet, völlig ahnungslos, in Aussprechschrullen verbohrt (vom »Achton« und »Ichton« des ch, den das g habe) und auf allen falschen Fährten pedantisch. Ernsthaft spricht er, wenngleich ablehnend, von einem »Vorschlag«, der gemacht worden sei, »wegen unserer Armut an Reimen bloß ähnlich klingende Reimwörter gutzuheißen«, und im Allerformalsten bleibt er mit der Erkenntnis befangen, daß »dem Dichter, der seine Kunst, seine Leser und sich selbst ehrt und liebt, wie er soll, auch das Kleinste keine Kleinigkeit ist«. Nur ein Schimmer einer naiven Ahnung vom Wesentlichen taucht auf, wenn er mahnt, abgebrauchte Reime wie Liebe, Triebe, Jugend, Tugend zwar zu meiden, »ohne jedoch hierin gar zu ängstlich zu sein. Die Schönheit des Gedankens muß man darüber nicht aufopfern«. Es könne »sehr oft mit sehr alten und abgedroschenen Reimen ein sehr neuer und schöner Gedanke bestehen, und wenn dies ist, so vergißt man des abgenutzten Reimes völlig«. Hier ist immerhin an das Geheimnis gerührt, dessen Enthüllung ergeben würde, daß es auf nichts von dem ankommt, was da durch ein Sprachrohr nach allen zweiunddreißig Winden hin den Dichtern hätte beigebracht werden sollen und was hoffentlich kein Radio nachholen wird: weil das Problem eben darin liegt, daß zwar noch immer Liebe und Triebe ein Gedicht machen können, aber nicht die Grazien, denen wir huldigen.

Einen Verdruß wie über Herrn Blumauer kann man, wie gesagt, Bürger nachempfinden, und selbst über noch bessere Dichter. Derartige Grazienreime sind ja die Schillerlocke einer ganzen »ersten Periode«, geradezu die Geistestracht des Stadiums, wo sich »zitterten« auf »Liebenden« reimt und »Segnungen« auf »Wiedersehn«. Daneben ist es schon ein Ohrenschmaus, wenn sich »Blüten« zu »hienieden« findet und dergleichen mehr, was Bürger auf das mißachtete, von der »echt hochdeutschen Aussprache« abweichende Schwäbisch hätte zurückführen müssen, wenn er es sich nicht selbst geleistet hätte. Dort gehen »Werke« von geringer dichterischer Höhe und »Berge« von Pathos eine Paarung ein, an der der Theoretiker Bürger freilich sogar im Singular Anstoß nimmt. Aber noch in der »dritten Periode« ist Fridolin – in einem der peinlichsten Gedichte, deren Ruhm jemals im Philisterium seinen Reim fand – »ergeben der Gebieterin«. Und gleich daneben finden sich doch, wieder zwischen Plattheiten, die herrlichen Verse von den dreimal dreißig Stufen, auf denen der Pilgrim nach der steilen Höhe steigt (dessen Reim auf »erreicht« hier gar nicht stört und Bürgers Ansprüche befriedigt), und so etwas wie die Gestaltung des Drachenkampfes: »Nachbohrend bis ans Heft den Stahl«. Doch was reimt sich nicht alles im »Faust«, was sich nicht reimt! Nicht außen und, schlimmer, nicht innen. Um es darzutun, bedürfte es keineswegs einer so schwierigen Untersuchung wie der des »Faust-Zitats« (›hohe Worte machen – Lachen‹), die ich einmal vorgenommen habe. Doch jene andere, durch die Zusammenziehung der Präposition fragwürdige Stelle, von der damals die Rede war, wird gern unvollständig zitiert, nämlich: »Vom Rechte, das mit uns geboren«. Und zwar mit dem Recht, das derjenige hat, der die Stelle nicht genau kennt und der wohl einen durchaus organischen Reim auf »verloren« angeben würde, wenn man ihn nach dem Wortlaut befragte. Der Vers lautet aber: »... das mit uns geboren ist«, und den Reim bildet nicht etwa ein voraufgehendes »verloren ist«, sondern die Vorzeile geht männlich aus:

Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider nie die Frage.

Nun wäre hier zwar eine Deckung der Sphären »geboren« und »Enkel« gegeben, aber sie tragen zum Reime nichts bei, welcher vielmehr im völlig äußerlichen Einklang des Hilfszeitworts mit dem leeren Zeitwort besteht. Wohl wären in einer Antithese von Wesenheiten auch »bist« und »ist« reimkräftig, hier haben jedoch die Reimpartner überhaupt keine andere Funktion als die, ihren Vers grammatisch abzuschließen, »bist« enthält noch etwas, aber im »ist« hat kein Gedanke Raum. Dichterisch entsteht ein weit größerer Defekt als durch den Mißklang der Reimlosigkeit: wenn etwa »geboren ward« stünde. Es ist einer jener unzähligen, auch bei Klassikern nicht seltenen Fälle, wo die Überflüssigkeit des Reims durch die Erkenntnis handgreiflich wird, daß er keiner Notwendigkeit entspringt, ja der trügerische Klang bereitet dem Gehör, das die Vorstellung der Wortgestalt vermittelt, ein ärgeres Mißbehagen als wenn die Stelle bloß äußerlich leer geblieben wäre. Das Recht, das eine falsche Reimtheorie auch dem »guten Dichter« gegenüber betont, darf eine, die auf das Wesen dringt, vor dem besten nicht preisgeben, und Goethe selbst, der im »Faust« wie das All auch die eigene sprachliche Welt von der untersten bis zur höchsten Region umfaßt, hätte aus dieser in die Beiläufigkeiten nicht mehr zurückgefunden, worin ein Nebeneinander von Sinn und Klang etwa das Zitat, aber nicht die Gestalt sichert. Von solchen Beispielen hätte Helena in jener bedeutenden Szene, wo der Reim als ein Vor-Euphorion der Wortbuhlschaft entspringt, ihn nimmer gelernt. Wie erschließt sich dort – »die Wechselrede lockt es, ruft's hervor« – sein innerstes Wesen!

Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemen.
Und hat ein Wort zum Ohre sich gesellt,
Ein andres kommt, dem ersten liebzukosen.

Und diese Liebe macht den Vers, und dann ist auf die Frage der Helena

»So sage denn, wie sprech' ich auch so schön?«

auch gleich der Reim da:

»Das ist gar leicht, es muß vom Herzen gehn.
Und wenn die Brust von Sehnsucht überfließt,
Man sieht sich um und fragt –«
»Wer mitgenießt.«

Und sie lernt es, bis sich an seine Frage, wer dem »Pfand« der Gegenwart Bestätigung gibt, der unvergleichliche Ton der Liebe schmiegt: »Meine Hand«. Aber ihr Ohr ist erfüllt von dem unerhörten Erbieten des Lynkeus, der mit den Worten davonstürmt:

Vor dem Reichtum des Gesichts
Alles leer und alles nichts

also mit eben dem großartigen Reim, den Bürger als ein Beispiel in der Reihe derer anführt, die »nicht für wohlklingend geachtet werden können«, weil sie »sich zu weit von dem reinen Metallton entfernen«, indem »der Vokal durch die Menge der über ihn her stürzenden Konsonanten erstickt wird«. Solche Laryngologenkritik hat jenes Beispiel ja nicht erlebt, wo die Erstickung des Vokals durch die über ihn her stürzenden Konsonanten die Gewalt des Reims bedingt, die in dem ganzen Lynkeus-Gedicht hörbar wird als der reine Metallton der Liebespfeile, von denen Faust sagt:

            Allwärts ahn' ich überquer
Gefiedert schwirrend sie in Burg und Raum.

Könnte es denn eine absolute Ästhetik des Reimes geben, abgezielt auf die Klangwürdigkeit dessen, was sich zwischen Rachen, Gaumen und Lippe begibt und was doch, möchte es an und für sich noch so »unrein« wirken, in die so ganz anders geartete Tonwelt des Kunstwerkes eingeht? Und ergibt sich nicht als das einzige Kriterium des Reims: daß der Gedanke in ihm seine Kraft bewährt bis zu dem Zauber, den an und für sich leeren Klang in einen vollen, den unreinen in einen reinen zu verwandeln? So sehr, daß der Reim als die Blüte des Verses noch abgepflückt für das Element zeuge, dem er entstammt ist. In dem Sinne nämlich, daß das Gedicht auf seiner höchsten Stufe den Einklang der gedanklichen Sphären im Reim mindestens ahnen lassen wird. Ein Schulbeispiel für das Gegenteil bei vollster lautlicher Erfüllung bildet ein Reim Georges in einem auch sonst verunglückten Gedicht (»Der Stern des Bundes«):

Nachdem der kampf gekämpft das feld gewonnen
Der boden wieder schwoll für frische saat
Mit kränzen heimwärts zogen mann und maat:
Hat schon im schönsten gau das fest begonnen

– – – – – – – – –

Von allem orthographischen und interpunktionellen Hindernis abgesehen: nur lesbar und syntaktisch zugänglich, wenn man sich die Imperfekta der Mittelverse – welche unmöglich von »nachdem« abhängen könnten – als eingeschaltete Aussage zwischen Gedankenstrichen denkt. Aber welch einen Mißreim bedeutet dieses »Maat« (Schiffsmaat, Gehilfe); welche Überraschung für die Saat, die doch von Natur höchstens auf Mahd gefaßt wäre. Wie wenig sind hier die zwei Gedanken einverstanden und wie anschaulich fügt sich das Beispiel in das Kapitel der Beiläufigkeiten, »mit denen dichterische Werte besät sind«. Und wie blinkt dieser Reim doch vor Reinheit! Ein ästhetisches Gesetz wäre dem Vorgang der Schöpfung, der im poetischen Leben kein anderer ist als im erotischen – und wundersam offenbart sich diese Identität eben in der Wortpaarung zwischen Faust und Helena –, eben nicht aufzuzwingen. Etwas anderes ist es, von den Kräften auszusagen, die da am Werke sind; und ganz und gar ohne den Anspruch, sie dort, wo sie nicht vorhanden, verleihen zu können. Der Nutzen einer solchen Untersuchung kann füglich nur darin bestehen, daß den Genießern des Dichtwerks der Weg zu einer besseren Erkenntnis und damit zu einem Genuß höherer Art gewiesen wird. Und der Einblick in das, was im Gedankenraum der gebundenen Sprache das Wort zu leisten vermag, wird sich gewiß einer Betrachtung des Reimes abgewinnen lassen als der Form, die in Wahrheit den Knoten des Bandes und nicht die aufgesetzte Masche bedeutet.

Wenn wir Lyrik nicht dem Herkommen gemäß als die Dichtungsart auffassen, die die Empfindung des Dichters zum Ausdruck bringt – was doch jeder literarischen Kategorie vorbehalten bleibt –, sondern als die unmittelbarste Übertragung eines geistigen Inhalts, eines Gefühlten oder Gedachten, Angeschauten oder Reflektierten, in das Leben der Sprache, als die Gabe, das Erlebnis in der andern Sphäre so zu verdichten, als wäre es ihr eingeboren, so wird sie alle Gestaltung aus rein sprachlichen Mitteln vom Liebesgedicht bis zur Glosse umfassen. Einmalig und aus dem Vor-Vorhandenen geschöpft ist jede echte Zeile, die in diesem Bereich zustande kommt, aber nicht dem Rausch (welcher vielleicht die Grundstimmung ist, die den Dichter von der Welt unterscheidet), sondern dem klarsten Bewußtsein verdankt sie die Einschöpfung ins Vorhandene. Und zwar in dem Grade der Bindung, die ihr Rhythmus und Versmaß auferlegen, deren eigenste Notwendigkeit zu ergreifen doch vorweg nur dem geistigen Plan gelingt. Andere Sprünge als den einen, den die Rhodus-Möglichkeit gewährt, versagt die gebundene Marschrichtung des Verses. Je stärker die Bindung, desto größer die sprachliche Leistung, die innerhalb der gegebenen Form – und die »neue« ist immer nur der Ausweg des Unvermögens – den psychischen Inhalt bewältigt. Der Verdacht einer rein technischen Meisterung auf Kosten des sprachlichen Erlebnisses wächst mit der Kompliziertheit der Form, während die Enge des Rahmens die wahre Bindung bedeuten wird, in der sich ein originaler Inhalt entfaltet. In dieser Hinsicht kann ein »Gstanzl« kunstvoller als eine Kanzone sein. Wenn eine meiner zahlreichen Zusatzstrophen zur Offenbach'schen Tirolienne lautet:

Ungleichheit beschlossen
hat die Vorsehung wohl.
Nicht alle Genossen
hab'n a Schloß in Tirol.

so ist in die Nußschale von 24 Silben mit dem Zwang zum Doppelreim die ihm entsprechende Gegensätzlichkeit einer ganzen Sphäre eingegangen, und die große Schwierigkeit solcher Gestaltung liegt noch in dem Erfordernis, daß sie von der Leichtigkeit der Form verdeckt sei. Eine Erleichterung, die von der Musik ohneweiters verantwortet würde, wäre jene hier wie sonst übliche Beschränkung der Reimkorrespondenz auf den zweiten und den vierten Vers, welche mir aber dermaßen widerstrebt, daß ich auch die Grundstrophe mit dem typischen Text, der doch nur den Anlaß zu lustigem Geblödel und Gejodel bietet:

Mein Vater is a Schneider
A Schneider is er,
Und wann er was schneidert,
So is's mit der Scher'

durch die so naheliegende Wendung verbessert habe:

Und macht er die Kleider.

Ohne die musikalische Unterstützung jedoch empfinde ich den Vierzeiler, der erst in der Schlußzeile die Vergewisserung der Harmonie bringt, förmlich als die Beglaubigung jenes Dilettantismus, der von Heine ins Ohr der deutschen Menschheit gesetzt wurde, und seine satirische Leier als ein Geräusch, weit unerträglicher als der Gassenhauer, der im Hof gespielt wird, während man Musik macht. Mithin ganz als die, die hier gemeint ist:

Mißtönend schauerlich war die Musik.
Die Musikanten starrten
Vor Kälte. Wehmütig grüßten mich
Die Adler der Standarten.

Es wäre ja in den meisten dieser Fälle – besonders in »Deutschland, ein Wintermärchen« – auch kein Gedicht, wenn es durchgereimt wäre. Aber hin und wieder hinkt sogar der eine Reim, auf den diese ganze rhythmisch geförderte Witzigkeit gestellt ist, wie das von mir schon einmal hervorgehobene Beispiel dartut:

Von Köllen bis Hagen kostet die Post
Fünf Taler sechs Groschen preußisch.
Die Diligence war leider besetzt
Und ich kam in die offene Beichais'.

Selbst wenn man also aus irgendeinem unerfindlichen dialektischen Grund »preußesch« sagen dürfte, hätte die Beischäs dermaßen geholpert, daß ihrem Passagier gar ein »preuscheß« nachklang. (Akustisch etwas plausibler wird der – nur in einer berühmten Satire mögliche – Reim: »Wohlfahrtsausschuß – Moschus«, zwar nicht durch einen Mauschus, aber immerhin durch einen Oschuß.) Wenn's ebener geht und der Reim glückt, ist er in seiner Vereinzelung doch nur die Schelle, mit der die Post nach Deutschland läutet und zu der sich dem Reisenden, wie heute zum Geratter der Eisenbahn, eine Melodie einstellen mochte. Ich verbinde mit solchen Versen mehr noch als die akustische eine gymnastische Vorstellung, eine, die ich der Erfahrung verdanke, daß wenn man im Finstern eine Treppe hinuntergeht, die letzte Stufe immer erst die vorletzte ist. In der Heine-Strophe (deren Vorbild geschicktere Nachahmer entfesselt hat) glaubt man in der dritten Zeile auf festen Reim zu treten, tritt darum ins Leere und kann sich sehr leicht den Versfuß verstauchen. Wenn's gut abgeht, ist man nach der vierten Zeile angenehm überrascht. Da sich jedoch immer von neuem diese Empfindung einstellt, so stellt sich auch die einer lästigen Monotonie ein, welche von der Durchreimung eines satirischen Kapitels keineswegs zu befürchten wäre, weil der Reim dann eher als Ausdrucksmittel wirkte, als Selbstverständlichkeit und nicht immer wieder als Draufgabe auf eine skandierte Prosa. So aber erweist er nicht nur seine Überflüssigkeit, sondern auch seinen Mangel. Denn was sich da vor jedem sonstigen Eindruck dem Leser aufdrängt, ist das Gefühl, daß der Verfasser sich's noch leichter gemacht habe, als er's ohnedies schon hatte. Ist das Reimen nur eine Handfertigkeit, dann zeigt sich dies vollends an der geringeren Leistung. Und umsomehr dann, wenn von Gnaden des Zufalls plötzlich doch ein Reim hineingerät, der das System verwirrt und den Leser erst recht auf das aufmerksam macht, was der Verfasser sonst nicht getroffen hat.

König ist der Hirtenknabe,
Grüner Hügel ist sein Thron;
Über seinem Haupt die Sonne
Ist die große, goldne Kron'.

Mit aller Dürftigkeit im vorhandenen und im nichtvorhandenen Reim fast etwas Geschautes – das sich dann leider in die Schäkerei fortsetzt von den Kavalieren, die die Kälber sind und sich, da sie den dritten Vers füllen, nicht auf die Schafe reimen, welche bloß Schmeichler sind. Dann vollends niedlich, aber doch durchgereimt:

Hofschauspieler sind die Böcklein;
Und die Vögel und die Küh',
Mit den Flöten, mit den Glöcklein,
Sind die Kammermusici.

Warum geht's denn jetzt? Gewiß, dieser Reim, der sich per Zufall gefunden hat, ist – im Gegensatz zu Küh' und Musici – nicht einmal unorganisch; umso organischer der Mangel, ihn nur ausnahmsweise eintreten zu lassen, da doch gerade in diesem Gedicht die Kontrastelemente des Landschaftlichen und des Höfischen, so billig die Erfindung sein mag, durchaus den Wechselreim erfordern würden und erlangen müßten. Abgesehen von der Ungerechtigkeit einer Weltordnung, in der die Kühe Kammermusiker, während die Kälber Kavaliere sind, und weggehört von einem Konzert, das die Vögel, deren Flöten doch nur eine Metapher sind, mit den Kühen aufführen müssen, die wirkliche Glöcklein haben, freut man sich, diese zu hören, denn sie sind ein unerwarteter Einklang mit den Böcklein, welche, ausgerechnet, Hofschauspieler sein dürfen. Im weiteren aber bleibt man wieder nur auf den Schlußreim angewiesen, den man umso lieber gleichfalls entbehren möchte. Ja, durch eine Entfernung dieses Aufputzes ließe sich die sprachdünne Strophe im Nu kräftigen. Man mache einmal den Versuch und setze statt des Endreims ein beliebiges Wort zur Ergänzung des Verses, selbst ohne Rücksicht darauf, ob es dem Sinn gemäß wäre, und die reimlose Strophe hat schon etwas von einem Gesicht und Gedicht. (Nur soll man es nicht gerade mit dem Kehrreim in »Deutschland« versuchen: ›Sonne, du klagende Flamme!‹, der, wenngleich bloß »der Schlußreim des alten Lieds«, hier doch dichterisch empfunden und verbunden ist.) Wenn ich solchen Eingriff ohne Rücksicht auf den Inhalt empfehle, so spreche ich freilich als einer, der es vermag und gewohnt ist, die Sprachkraft und Echtbürtigkeit eines Verses jenseits der Erfassung des Sinns, den ich geflissentlich wegdenke, zu beurteilen, fast aus dem graphischen Bild heraus. Heines Reim schließt einen Sinn ab, kein Gedicht.

Man wird es vielleicht doch nicht als eitel auslegen, daß ich unweit von Beichais' und Moschus mich selbst zitiere, aber es kann sehr wohl eine Reimlosigkeit geben, die eben als solche Gestalt hat, und die drei einleitenden Gedichte des VII. Bandes der »Worte in Versen« sind Beispiele für die verschiedenartige, immer stark hervortretende Funktion einer ungereimten (letzten) Strophenzeile. In dem Gedicht »Die Nachtigall« betont und sichert sie, an den Wechselreim anschließend, den Vorrang der Vögel vor den Menschen:

Ihr Menschenkinder, seid ihr nicht Laub,
verweht im Wald,
ihr Gebilde aus Staub,
und vergeht so bald!
Und wir sind immer.

Diese Gegenüberstellung ist durch zwei weitere Strophen (»Wir weben und wissen«, »Wir lieben Verliebte«) fortgeführt, bis, entscheidend, nur noch der Vorrang – schließlich auch vor den Göttern – zum Ausdruck gelangt, immer aber dank der Besonderheit des letzten, hinzutretenden Verses, der die Besonderheit der Erscheinung zusammenfaßt. In »Imago« ist solche Absonderung durch den Nichtreim vom ersten zum vierten Vers bewirkt:

Bevor wir beide waren,
da haben wir uns gekannt,
es war in jenem Land,
dann schwand ich mit dem Wind.

Hier ist der Nichtreim die Gestalt dieses Schwindens: »und immer war ich fort«, »ich gab mich überall«, »die Welt hat meinen Blick«. Dann dient er dem Kontrast, die Bindung an eben diesen Verlust zu bezeichnen (welchem Wechsel auch die begleitende Melodie gerecht wird):

In einen Hund verliebt,
in jede Form vergafft,
mit jeder Leidenschaft
ist mir dein Herz verbunden.

Von da an bleibt die Isolation eben diesem Verbundensein vorbehalten: »und nennest meinen Namen«, »in deinem Dank dafür«, um endlich sein Beharren bis zur Verkündung der Schöpferkraft zu steigern:

Und reiner taucht mein Bild
aus jeglicher Verschlingung,
wie du aus der Durchdringung
der Erde steigst empor.

In »Nächtliche Stunde«, wieder absondernd, gehört die ungereimte letzte Zeile dreimal der Vogelstimme, die das Erlebnis der Arbeit über die Stufen der Nacht, des Winters und des Lebens begleitet:

Nächtliche Stunde, die mir vergeht,
da ich's ersinne, bedenke und wende,
und diese Nacht geht schon zu Ende.
Draußen ein Vogel sagt: es ist Tag.

Seine Stimme ist die Eintönigkeit: widerstrebend dem Einklang. Der erlebten Monotonie ist die des Ausdrucks gemäß, die nur die bange Steigerung zuläßt: »Draußen ein Vogel sagt: es ist Frühling«, »Draußen ein Vogel sagt: es ist Tod«. Man ermesse aber die ungewollte Monotonie, den Greuel einer Ödigkeit, die entstünde, wenn in diesem Gedicht die Schlußzeile in einem Reim auf »vergeht« abwechselte. Doch vor der Möglichkeit solcher Abwechslung sichert es der durchwaltende Wille, hier nur wiederholen und nicht einklingen zu lassen; der einzige Reim, aus dem es besteht, dreimal gesetzt: »wende – Ende« gibt die ganze Trübnis des Gedankens, welcher die Dissonanz: Tag, Frühling, Tod entspricht. Indem es dreimal dieselbe Strophe ist, an der sich nichts verändert als die einander entgegengestellten Zeitmaße von Nacht zu Tod, ist eine solche Einheit von Erlebnis und Sprache erreicht, eine solche Eintönigkeit aus dem Motiv heraus, daß nicht nur der Gedanke Form geworden scheint, sondern die Form den Gedanken selbst bedeutet.

Hat hier also die erlebte Eintönigkeit ihre Gestalt gefunden, so bewirkt die Reimlosigkeit innerhalb der epigrammatischen Strophe eine Monotonie, die der vorgestellten Gegensätzlichkeit alle Kraft des Eindrucks nimmt. Der Vers ist eine Welt, die ihre Gesetze hat, und die Willkür, die in ihr schaltet, hebt mit den Gesetzen die Welt auf. Mit der reimlosen dritten Zeile läßt sie sie in das Nichts vergehen. Der Dilettant ist des Zwanges ledig, dem sich der Künstler unterwirft, um ihn zu bezwingen: das Ergebnis wird hier freier und müheloser sein als dort. Ich stelle es mir ungeheuer schwer vor, schlechte Verse zu machen. Wenn ich für solche Vorstellung Heine anführe, den für seine Folgen verantwortlich gemacht zu haben, mir eben diese nicht verzeihen können, so beziehe ich mich auf sein Typisches, das die Ausnahme derjenigen (späten) Gedichte selbstverständlich macht, in denen nicht die klingende Begleitung eines Sentiments oder Ressentiments ins Gehör, sondern ein wortdichter Ausdruck des Erlebnisses ins Gefühl dringt. In der typischen und populären Heinestrophe, welche ich gegen eine Welt des journalistischen Geschmacks für die Pandorabüchse des Kunstmißverstandes und der Sprachverderbnis erkläre, ist der Reim so wenig gewachsen wie der Nichtreim, jener überflüssig und dieser nur notwendig aus Not. Er ließe sich verheimlichen durch die Zusammenlegung je zweier Verse zu einer Langzeile, in der die Cäsur den Nichtreim ersetzt: die geistige Gestalt würde sich durch solchen Eingriff, der an Organischem unmöglich wäre, kaum verändern, aber die Leier, die diese Form so geläufig macht, auch wenn's bloß einmal dazu klingelt, ginge verloren. Wie zwischen Trochäus und Jambus, Daktylus und Anapäst nicht der Zufall entscheidet, so bestimmt er auch nicht die Vers-Einteilung. Man versuche die hier empfohlene Operation an meinen Versen »Traum«, die ich mit dem Selbstbewußtsein, das kunstkritische Untersuchungen sachlich fördert (so anstößig es im sozialen Leben sein mag), nun der Heinestrophe entgegenstelle, weil sie das Beispiel sind für eine organische Möglichkeit, die dritte Zeile reimlos zu gestalten. Denn eben dieser Mangel ist hier Gestalt:

Stunden gibt es, wo
mich der eigne Schritt
übereilt und nimmt
meine Seele mit.

Dieser kurze Schritt übereilt den Läufer so, daß er den aufhaltenden Reim nicht brauchen könnte, er jagt jenen fiebrig in der Welt des Traums als eines vorlebendigen Lebens, durch alle Wirrsale und Seligkeiten von Kindheit und Liebe. Es ist alles jäh, unvermittelt, abgehackt, durch die Vereinigung je zweier Kurzzeilen wäre dieses Tempo aufgehoben und der Vers vernichtet; denn seine Wirksamkeit besteht darin, daß hinter ihm keine Cäsur steht, sondern ein Abgrund, über den er hinüber jagt. Dagegen wäre wieder das Gedicht »Jugend« mit einem reimlosen dritten Vers ein unvorstellbares Gerassel; eine der Schwingen wäre gebrochen, auf denen der Flug in das Erlebnis der Kindheit geht. Diese Funktion des Reims oder Nichtreims darf natürlich nicht so verstanden werden, daß sie an jeder Strophe nachweisbar sein muß. Eine Unterbrechung der Linie, ausdrucksmäßig schon gesichert, läßt nicht etwa einen plötzlichen Wechsel des Ausdrucks zu. Gerade die Hast, die im »Traum« tätig ist, gibt einem Innehalten die vollere Anschauung:

Staunend stand ich da
und ein Bergbach rinnt
und das ganze Tal
war mir wohlgesinnt.

In der langen Dehnung dieses Tals (mit allen umgebenden »a«) ist fast der Reim auf »da« bewirkt, der in anderer sprachlicher Landschaft wirklich eintreten müßte. Dann geht es wieder rapid:

Und der Wind befiehlt,
damit leichtbeschwingt
alles in der Luft
heute mir gelingt.

»Immer heißer wird's« nun auf dieser Bahn, bis sie in den Ruhepunkt mündet:

Wär' mein Tag vorbei!
Wieder umgewandt
kehrt' ich aus der Zeit
in das lichte Land.

Noch in die Ruhe tönt es von dem eiligen Schritt.

Und hier ist auch ein Beispiel für die Kraft des Reimes, zu dem zwei Partner von ungleicher Quantität gepaart sind: umgewandt – Land. (»Quantität« nicht als Lautmaß: der Silbenlänge oder -kürze, sondern als Maß der Größe des Reimwortes.) Nur daß es hier der erste Partner ist, der sich von der Fessel der Vorsilben lösen muß, um die Paarung zu ermöglichen. Aber können wir uns ihn als den aktiven Teil vorstellen und daß der andere sich dem schon geschwächten Partner ergebe? Aus dem Phänomen der Einheit, das der Reim bedeutet, wird die erotische Tendenz auch in umgekehrter Richtung vorstellbar; man erkennt, daß die Eroberung immer von dem Teil ausgeht, der begrifflich stärker erfüllt ist. In dem Beispiel also, mit dem die Untersuchung einsetzt, vom ersten Gedanken: »landen«, hier aber (wo es in der Tat »umgewandt« ist) vom zweiten: »Land«. Hier ist es die Vorzeile, die die stärkere Belastung, die Nachzeile, die das größere Gewicht hat. Selbstherrlich wirkend, hat sie so viel Atem und Widerstand zwischen den Worten, daß sich das letzte nicht so leicht ergeben würde: darum kommt, anders als im ersten Beispiel, ihr die Eroberung zu. Wie immer sich nun die Kräfte messen, um sich in den Reim zu ergeben, so wird ersichtlich, daß entweder der äußeren Quantität eine innere gegenübersteht oder daß der Unterschied auch bloß innerhalb dieser zur Geltung kommen kann. Den Widerstand, dessen Überwindung die Reimkraft nährt, wird sie nicht bloß dem Unterschied der sichtbaren, sondern auch dem der wägbaren Quantitäten verdanken. Er kann auch dem isolierten Reimkörper anhaften, vermöge der gedanklichen Stellung, die das Wort im Vers behauptet, und gemäß dem schöpferischen Element der Sprache, das nicht allein im Wort, sondern auch zwischen den Worten lebendig ist und die »sprachliche Hülle« noch aus dem Ungesprochenen webt. Echte Wortkraft wird, jenseits der äußeren Quantität, die glückliche Reimpaarung auch dort erreichen, wo sonst nur Gleichartigkeit ins Gehör dränge. Am vollkommensten aber muß die Wirkung sein, wo innere und äußere Fülle ins Treffen geraten, mag man nun hier oder dort den Angriff erkennen. Die metrische Terminologie unterscheidet in einem äußerlichen Sinn und fern von jeder Ahnung einer Erotik der Sprachwelt zwischen männlichen und weiblichen Reimen. Angewendet auf die eigentlichen Geschlechtscharaktere, die die Gedankenpaarung ergeben, würde diese Einteilung jeweils die Norm eines gleichgeschlechtlichen Verkehrs bezeichnen. Natürlicher wäre die ganz andere Bedeutung, daß ein männlicher und ein weiblicher Vers das Reimpaar bilden, jener, dem die innere, und dieser, dem die äußere Fülle eignet. Ein anschauliches Beispiel für solches Treffen – von der rückwirkenden Art wie bei »umgewandt, Land« – bietet eine jener guten, manchmal leider nur beiläufig fortgesetzten Strophen Berthold Viertels (der mit Schaukai, später mit Trakl und Janowitz zu den heimischen Lyrikern gehört, die durch Zeilen wertvoller sind, als die beliebteren durch Bücher). Es war eine schöpferische Handlung, dem Gedicht »Einsam« drei Strophen zu nehmen und nur diese erste, die das Gedicht selbst ist, in der Sammlung »Die Bahn« stehen zu lassen:

Wenn der Tag zu Ende gebrannt ist,
Ist es schwer nachhause zu gehn,
Wo viermal die starre Wand ist
Und die leeren Stühle stehn.

Wie starr steht hier, innerhalb der ganzen aus dem geringsten Inventar bezogenen Vision, viermal endlos, diese Wand: dem zu Ende gebrannten Tag entgegen! Schließlich fügen sich die Welten in den Reim wie der Heimkehrende in den Raum, wo das Grauen wartet. Wie ist hier alles Schwere des Wegs bewältigt und alles Leere am Ziel erfüllt. Die Fälle in der neueren Lyrik sind selten, wo sich die Wirkung so an den eigentlichsten Mitteln der Sprache nachweisen läßt. Hätte Nietzsche die Anfangsstrophe seines Krähengedichts von den folgenden befreit und gar von dem Einfall, den Wert durch Wiederholung zu entwerten, es wäre ein großes Gedicht stehen geblieben.

Das von einer Nährung der Reimkraft durch den Widerstand, durch die Möglichkeit von Werbung und Eroberung Gesagte wird wohl vorzüglich für die unmittelbare Paarung zu gelten haben, welche durch das äußere Gleichmaß der Reimkörper leicht zu einer glatten und schalen Lustbarkeit wird. Im Wechselreim ist dank dem Dazwischentreten des fremden Verses, der wieder auf seinen Partner wartet, diese Gefahr verringert. Gleichwohl wird auch hier und immer die Deckung der verschiedenen Quantitäten (oder Intensitäten) das stärkere Erlebnis bewirken, und auch da wird etwa die vokalische Abwegigkeit, die der Umlaut bietet, zur Lustvermehrung des Gedankens dienen, welcher nun einmal »es in sich« hat, trotz allen Normen der Sitte und Ästhetik seine Natur zu behaupten; denn wie nur ein Erotiker formt er sich das Bild der Liebe nach der Vorstellung und weil er die Vorstellung selbst ist, so hat er noch näher zu ihr. Der »unreine Reim« – die Hände ihm zu reichen, schauert's den Reinen – wird für die Ächtung durch den Gewinn entschädigt sein und dem »Blick«, der ihn strafend trifft, stolz sein »Glück« entgegenhalten. Der Reimphilister (unerbittlicher als der Reim-Bürger, der in glücklichen Stunden seiner eigenen Strenge vergaß) stellt Forderungen, die in der Welt der Dichtung nicht einmal gehört werden können, obgleich sie nichts als Akustisches enthalten. »Menge – enge« darf gelten, doch »Menge – Gedränge«, an und für sich schon ein Gedicht, weniger. »Sehnen und wähnen« weniger als »sehnen und dehnen«, »Ehre und Leere« eher als »Ehre und Chimäre«. Der Reimbund »zwei und treu« wird erst in der Leierei anerkannt, die eine so volle begriffliche Deckung entstellt:

Er schlachte der Opfer zweie
Und glaube an Liebe und Treue!

Von der Funktion der Widerstandssilbe weiß man vollends nichts: davon, daß sich der Reim in dem Maße der Verschiedenheit dessen verstärkt, was dem Reim angegliedert ist. Diesseits aller schöpferischen Unerschöpflichkeit, diesseits dessen, was nicht ermeßbar ist, ließe sich, soweit Geistiges sich der Quantität selbst entnehmen läßt, vielleicht ein Schema aufstellen. Da wäre der Reim am stärksten, wenn das isolierte Reimwort der einen Zeile dem komplizierten der andern entspricht: Halt und Gewalt. (Oder das komplizierte dem komplizierteren: Gewalt und Vorbehalt.) Schwächer im Gleichmaß der isolierten Reimwörter: Halt und alt. Noch schwächer im Gleichmaß der komplizierten: Gehalt und Gestalt (oder: Vollgehalt und Mißgestalt). Am schwächsten, wenn sich bereits die Vorsilben reimen: behalt und Gestalt. Denn je selbständiger sich beiderseits der Klang der Vorsilbe macht, umsomehr Kraft entzieht er dem Reim. Im stärksten Fall dient die Vorsilbe dem Reimwort, dem sie alle Kraft aufspart, da sie sich selbst an kein Gegenüber zu vergeben hat. Fehlt sie, so ist der Reim auf sich allein angewiesen. Ist sie da wie dort vorhanden, so wird ihm umsomehr entzogen, je reimhafter sie selbst zu ihrem Gegenüber steht. Ein Wortspiel, das in der Prosa noch ein Witz ist, erfährt im Vers eine klangliche Abstumpfung, die den Witz aufhebt. Erzählte etwa jemand, die menschlich saubere Persönlichkeit des österreichischen Bundespräsidenten sei irgendwo beim Händedruck mit einem Finanzpiraten beobachtet worden, und würde daraus ein Epigramm, so könnte der starke Kontrast der Sphären den Reim ergeben: »Hainisch – schweinisch«, also einen Einfall, der in der Prosa gewiß keine sonderliche Kraft hätte. Dagegen würde eine Gegenüberstellung: »Hainisch – Haifisch« einen Witz als dürftigen Reim zurücklassen. Gegen das Spiel der betonten Vorsilben kann sich der Reim nicht halten. Die Verödung tritt aber auch im sogenannten männlichen Reim ein, der als solcher die Tonkraft bewahrt. »Unternimmt – überstimmt«, »übernimmt – überstimmt«: je analoger der Vorspann, auch wenn er den Ton nicht völlig abzuziehen vermag, umsomehr entwertet er den Reim. Wird die Ähnlichkeit der Vorsilbe gar zum Vorreim, so tritt eine solche Schwächung des Reims ein, daß sie zur Lähmung führen kann, indem die Reime einander aufheben. Das wird anschaulicher werden an der Entwicklung bis zu dem peinlichen Reim der zusammengesetzten Wörter, der in der Witzpoesie eine so große Rolle spielt. Am stärksten: Gestalt – Hochgewalt: schwächer: Dichtgestalt – Hochgewalt; noch schwächer: Dichtgestalt – Dichtgewalt; am schwächsten: Dichtgestalt – Richtgewalt. Oder: Gast – Sorgenlast; schwächer: Gast – Last; noch schwächer: Erdengast – Sorgenlast; am schwächsten: Morgengast – Sorgenlast. Der Zwillingsreim ist von altersher, dem Ohr und Humor widerstrebend, Element der gereimten Satire; wohl auch seit Heine, bei dem es von Monstren wie »Dunstkreis – Kunstgreis«, »Walhall-Wisch – Walfisch« wimmelt. Leider hat Wedekind, dessen Sprache der leibhaftigste Feuerbrand ist, in den Papier aufgehen konnte, diesen Reimtypus, welchen ich den siamesischen nennen möchte, wenngleich doch nicht ohne plastischere Wirkung, übernommen:

Heute mit den Fürstenkindern,
Morgen mit den Bürstenbindern.

Und gar: »Viehmagd – nie plagt« (unmöglich, dem »plagt« den ihm zukommenden Ton zu retten), »niederprallt – wiederhallt« (der männliche Reim macht es möglich), »weine und – Schweinehund«, »Tugendreiche – Jugendstreiche«. Besser wäre der einheitliche Viersilbenreim: Tugendreiche – Jugendreiche; nimmt man ihn als Doppelreim, so wirkt die Gefolgschaft, die jeder der zweiten Reimkörper erhält, fördernd wie sonst der Vortrab, der zu einem der beiden stößt: Reiche – Jugendstreiche. Schwächer wäre: Reiche – Streiche, noch schwächer: Tugendreiche – Mädchenstreiche, und am schwächsten ist eben die Form des Originals »Tugendreiche – Jugendstreiche«, wo der Doppelreim doppelt paralysierend wirkt. Die Teile heben einander aus den Angeln, ehe jeder zu seinem Gegenüber gelangt, und es ist in der Konkurrenz der Tonkräfte kaum möglich, auch nur einem der Paare zu seinem Recht zu verhelfen. Dieser Doppelmißreim ist nicht etwa die Zusammensetzung des Reims mit einem Binnenreim, der eine stärkende Funktion hat. Er gleicht vielmehr einer Vorstufe zu jenem »Schüttelreim«, der sein Spiel völlig außerhalb der dichterischen Zone treibt, aber als die sprachtechnische Möglichkeit, die er vorstellt, durch die deutliche Wechselbeziehung der Konsonanten den Reimklängen doch ein gewisses Gleichmaß der Wirkung sichert. Ein (nur von Musik noch tragbarer) Mißreim ist ferner der zweier Fremdwörter: kurieren – hofieren, weil sich auch in solchem Fall, der die leerste Harmonie darbietet, eine begriffliche Parallelleistung vollzieht, bevor der Reim eintritt, der dann nur in der Gleichartigkeit der Fremdwort-Endung beruht: der reimführende Konsonant hat nicht dieselbe Geltung wie im deutschen Wort. (Auch hier in abschreckendster, kneiphumoriger Ausprägung bei Heine, zumal im Namengereime wie »Horatius« auf »Lumpacius« – in einer Strophe, die sich über den Reim bei Freiligrath lustig macht – und »Maßmanus«, nämlich der lateinsprechende Maßmann, auf »Grobianus«. Anders und karikaturhafte Gestalt geworden, in der Nachbildung des Geschniegelten und Gebügelten, der Sphäre, die das Fremdwort als Schmuck trägt, bei Liliencron: »Vorne Jean, elegant«.) Umso stärker der Reim, wenn ein Fremdwort mit einem deutschen gepaart wird: führen – kurieren; in welchem Beispiel freilich noch das Mißverhältnis der Quantitäten fördernd hinzukommt wie bei regen – bewegen, eilen – verweilen. Ein Notausgang ist der sogenannte »reiche Reim«, von welchem Bürger im allgemeinen mit Recht meint, daß er eher der armselige heißen sollte, freilich nicht ohne selbst von ihm reichen Gebrauch zu machen:

Hilf Gott, hilf! Sieh uns gnädig an!
Kind, bet' ein Vaterunser!
Was Gott tut, das ist wohlgetan.
Gott, Gott erbarmt sich unser!

Oder schlimmer, weil benachbart:

Graut Liebchen auch vor Toten?
»Ach nein! – doch laß die Toten!«

Und wieder:

Graut Liebchen auch vor Toten?
»Ach! Laß sie ruhn, die Toten!«

»Wenn es die Umstände erfordern«, sagt Bürger, wohl im Bewußtsein solcher Lücken, »daß einerlei Begriff in zwei Versen an das Ende zu stehen komme, so ist nichts billiger, als daß er auch mit ebendemselben Worte bezeichnet werde«. Solches dürfen aber die Umstände nie erfordern, weil sie sonst auch alles andere erfordern könnten, wie daß etwa plötzlich anderes Versmaß oder Prosa eintrete. Was die Umstände erfordern, hat freilich zu geschehen und zu entstehen, aber innerhalb der künstlerischen Gesetzlichkeit, die die Umstände erfordert. Wenn einerlei Begriff in zwei Versen an das Ende zu stehen kommt, so ist dies eben die Schuld der zwei Verse, und dann gewiß »nichts billiger«, als ihn mit demselben Wort zu bezeichnen. Was aber an das Ende zu stehen kommen muß, ist nicht einerlei Begriff, sondern die Kongruenz der zweierlei Begriffe. Der »reiche Reim«, der keineswegs durch ein Versagen der Gestaltungskraft gerechtfertigt wird, den aber sie selbst erfordern könnte, vermag recht wohl auch die Kongruenz zum Ausdruck zu bringen. Der Ruf an Euphorion:

Bändige! bändige,
Eltern zu Liebe,
Überlebendige
Heftige Triebe!

offenbart nicht nur die Verjüngung des ältesten, sondern auch den Reichtum desjenigen Reims, der nur ein reicher ist. Dank Umlaut und Silbenvorspann, dank der unvergleichlichen Übereinstimmung der Sphären, in denen Gewalt und Kraft leben, wird hier die Gleichheit des reimführenden Konsonanten, wird die Reimlosigkeit gar nicht gespürt. Es ist durch dichterische Macht ein Ausnahmswert der Gattung: im Lebendigen erscheint das, was zu bändigen, förmlich enthalten und entdeckt. Der »reiche Reim« wird also gerade nur dort gut sein, wo nicht einerlei Begriff dasselbe Wort verlangt, sondern zweierlei sich zu ähnlichen Wörtern finden, deren gleicher Konsonant dem vokalischen Einklang nicht die Reimkraft nimmt. Vielleicht ist Bürgers Entschuldigung eine Verwechslung mit dem sehr erlaubten Fall, wo allerdings einerlei Begriff in zwei Versen an das Ende zu stehen kommt, aber aus dem Grunde, weil einerlei Begriff beide ganz und gar erfüllt – mit dem Fall, wo die gewollte Gleichheit des Gedankeninhalts die Verse selbst gleichlautend oder doch gleichartig macht. Das dürfen sie sein und reimen dann stärker als mit einem Reim. Ein solcher Fall kommt gleichfalls in der »Lenore« vor:

Wie flogen rechts, wie flogen links
Gebirge, Bäum' und Hecken!
Wie flogen links und rechts und links
Die Dörfer, Stadt' und Flecken!

Das ist – da es so und nicht anders weitergeht – namentlich durch die Variation »und rechts« ungemein stark, stärker als es etwa ein Reim mit »ging's« und stärker als es ein Nichtreim (etwa: »rechts und links und rechts«) wäre. Ein Vers könnte aber zu stärkster Wirkung auch völlig gleichlautend wiederholt sein, wie etwa bei Liliencron das alle Lebensstadien begleitende Gleichnis:

Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.

Hier wäre kein Reim denkbar außer dem der Identität, dem innern Reim auf »immer wieder«, dem Kehrreim einer ewigen Wiederkehr.

Doch mehr noch als Identität, mehr selbst als der Übereinklang des echten Reimes kann der eingemischte Nichtreim dem dichterischen Wert zustatten kommen. Von allen Schönheiten, die zu dem Wunder vom »Tibetteppich« verwoben sind (welches allein Else Lasker-Schüler als den bedeutendsten Lyriker der deutschen Gegenwart hervortreten ließe), ist die schönste der Schluß:

Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron
Wie lange küßt dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon.

Der vorletzte Vers, dazwischentretend, hat nirgendwo in dem Gedicht, das sonst aus zweizeilig gereimten Strophen besteht, seine Entsprechung. Wie durch und durch voll Reim ist aber dieses »wohl«, angeschmiegt an das »schon«, süßes Küssen von Mund zu bunt, von lange zu Wange vermittelnd. Auf solche und andere Werte ist einst in einer verdienstvollen Analyse – von Richard Weiß in der Fackel Nr. 321/322 – hingewiesen worden, mit einer für jene Zeit (da zu neuem Aufschluß der Sprachprobleme wenig außer der Schrift »Heine und die Folgen« vorlag) gewiß ansehnlichen Erfassung der Einheit in Klang- und Bedeutungsmotiven, wenngleich vielleicht mit einer übertreibenden Ausführung der Lautbeziehungen, die im Erspüren einer Gesetzmäßigkeit wohl auch der Willkür des Betrachters Raum gab. Achtungswert aber als der Versuch, in jedem Teile den lebenden Organismus darzustellen und zu zeigen, wie »in jeder zufälligst herausgegriffenen Verbindung der mathematische Beweis höchster notwendiger Schönheit nur an der Unzulänglichkeit der Mathematik scheitern könnte«. Vielleicht auch an der Unzulänglichkeit des Kunstwerks, wenn der Autor diesen Versuch mit einem Gedicht von Rilke unternommen hätte, mit welchem er Else Lasker-Schüler verglich. Während bei ihr – in den männlichsten Augenblicken des Gelingens – zwischen Wesen und Sprache nichts unerfüllt und nichts einem irdischen Maß zugänglich bleibt, so dürfte die zeitliche Unnahbarkeit und Unantastbarkeit von Erscheinungen wie Rilke und dem größeren George – mit Niveaukünstlern und Zeitgängern wie Hofmannsthal und gar Werfel nicht zu verwechseln – doch keinem kosmischen Maß erreichbar sein. Else Lasker-Schüler, deren ganzes Dichten eigentlich in dem Reim bestand, den ein Herz aus Schmerz gesogen hatte, ist aber auch der wahre Expressionist aller in der Natur vorhandenen Formen, welche durch andere zu ersetzen jene falschen Expressionisten am Werk sind, die zum Mißlingen des Ausdrucks leider die Korrumpierung des Sprachmittels für unerläßlich halten. Trotz einer Stofflichkeit unter Sonne, Mond und Sternen (und mancher Beiläufigkeit, die solches Ausschwärmen begleitet), ist ihr Schaffen wahrhaft neue lyrische Schöpfung; als solche, trotz dem Sinnenfälligsten, völlig unwegsam dem Zeitverstand. Und wie sollte, wo ihm zwischen dem Kosmos und der Sprache keine Lücke als Unterschlupf bleibt, er anders als grinsend bestehen können? Selbst ein Publikum, das meine kunstrichterliche Weisung achtet und lyrischer Darbietung etwas abgewinnen kann, sitzt noch heute ratlos vor dieser Herrlichkeit wie eben vor dem Rätsel, das die Kunst aus der Lösung macht.

Wie könnten aber solche Werte, wie könnte das Befassen mit ihnen den Leuten eingehen, die zu der Sprache keine andere Beziehung haben, als daß sie verunreinigt wird, weil sie in ihrem Mund ist! Sie in solchem Zustand als das höchste Gut aus einem zerstörten Leben zu retten – trotz allen greifbareren Notwendigkeiten, die es nicht mehr gäbe, hätte der Mensch zur Sprache, zum Sein zurückgefunden –, ist die schwierigste Pflicht: erleichtert durch die Hoffnung, daß der Kreis derer immer größer wird, die sich durch solche Betrachtungen angeregt, ja erregt und belebt fühlen. Es ist Segen und Fluch in einem, daß solchen Denkens, wenn es einmal begonnen, kein Ende ist, indem jedes Wort, das über die Sprache gesprochen wird, deren Unendlichkeit aufschließt, handle es nun von einem Komma oder von einem Reim. Und mehr als aus jedem anderen ihrer Gebiete wäre aus eben diesem zu schöpfen, wo die Fähigkeit der Sprache, gestaltbildend und -wandelnd, am Gedanken wirkt wie die Phantasie an der Erscheinung, bis, immer wieder zum ersten Mal, im Wort die Welt erschaffen ist. In solcher Region der Naturgewalten, denen wirkend oder betrachtend standzuhalten die höchste geistige Wachsamkeit erfordert, muß jeder Anspruch vor dem ästhetischen gelten; denn die formalen Erfordernisse, auf die es dieser absieht, betreffen beiweitem nicht den Klang, der dem Gedanken von Natur eignet und den ihm ein die Sphäre erfüllendes und noch in der Entrückung beherrschendes Gefühl zuweisen wird. Der Reim als die Übereinstimmung von Zwang und Klang ist ein Erlebnis, das sich weder der Technik einer zugänglichen Form noch dem Zufall einer vagen Inspiration erschließt. Er ist mehr »als eine Schallverstärkung des Gedächtnisses, als die phonetische Hilfe einer Äußerung, die sonst verloren wäre«; er ist »keine Zutat, ohne die noch immer die Hauptsache bliebe«. Denn »die Qualität des Reimes, der an und für sich nichts ist und als eben das den Wert der meisten Gedichte ausmacht, hängt nicht von ihm, sondern durchaus vom Gedanken ab, welcher erst wieder in ihm einer wird und ohne ihn etwas ganz anderes wäre«. Aber lebt er einmal im Gedicht, so ist es, als ob er noch losgelöst dafür zeugte. Ich könnte, was er alles vermag, was er alles ist und nicht ist, stets wieder nur mit jenen Reimen sagen, von denen man nun – um das Landen der Einverstandenen herum – alle behandelten Arten des Reims, sofern er einer ist, ablesen kann; und deren jeder man die begriffliche Deckung zugestehen wird: daß er nicht Ornament der Leere, des toten Wortes letzte Ehre, daß er so seicht ist und so tief wie jede Sehnsucht, die ihn rief, daß er so neu ist und so alt wie des Gedichtes Vollgestalt. Und daß dem Wortbekenner das Wort ein Wunder und ein Gnadenort ist. Denn »reimen« – bekannte ich – »kann sich nur, was sich reimt; was von innen dazu angetan ist und was wie zum Siegel tieferen Einverständnisses nach jenem Einklang ruft, der sich aus der metaphysischen Notwendigkeit worthaltender Vorstellungen ergeben muß«.


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