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Es war nicht notwendig, daß der deutschen Sprache zu dem Schaden, den sie durch die Journalistik erleidet, noch deren Spott zugefügt wird. So unwahrscheinlich es ist, es hat sich begeben: die Neue Freie Presse erteilt Sprachlehre! Sie hat zu den Methoden, ihre über die ganze Welt zerstreuten Leser noch mehr zu zerstreuen – sie sind nicht mehr so zahlreich wie der Sand am Meere –, eine neue ersonnen und führt gewissenhaft eine Rubrik »25 Fragen«, auf die sie selbst trotz deren Albernheit ebenso viele Antworten gibt, nachdem sie ihr die Leser offenbar schuldig geblieben sind. Raffiniert Einfältigeres als diese Fragen, deren wohlberechnete Anzahl schon die entsprechende Antwort in totum nahelegt, wäre kaum auszusinnen.
25. Wie lautet das deutsche Wort für Planeten?
Die Lösung des Rebus dürfte dem Leser wohl so leicht gelingen wie dem Fragesteller, den ein Blick ins Fremdwörterbuch angeregt hat. An welchem Tage aber Lessing gestorben ist, zu fragen, wäre doch nur dann spannend, wenn die Neue Freie Presse sicher wäre, daß kein Leser im Brockhaus nachschlägt, sondern zu raten beginnt. Komplizierter ist es ja mit Anton Bruckner. Wann er geboren wurde, wäre gewiß nicht allzu schwer festzustellen, eine Schwierigkeit entsteht aber dadurch, daß erst viel später gefragt wird, wann er gestorben ist, so daß man also doppelte Arbeit hat und dazu den Verdacht, die Neue Freie Presse wolle ihre Leser nicht nur zerstreuen, sondern auch foppen. Wenn sie nun fragt, wie viel Akte der »Biberpelz« hat, so könnte es ja vorkommen, daß einer das zufällig weiß, aber so ein Streber wird er doch wohl nicht sein, mit einem Wissen zu prunken, das er sich durch telephonische Erkundigung bei seinem Buchhändler verschaffen konnte. Eine Frage müßte doch entweder an ein Wissen rühren, das auch durch kein Nachschlagewerk so leicht zu erlangen ist, oder jenseits des Wissens etwas problematisches betreffen. (Da käme die Zahl der Akte eines Dramas höchstens bei den »Unüberwindlichen« in Betracht, die, je nach Castiglionis Verfügung, bekanntlich sowohl vier als drei Akte haben können.) Die Bildung, die ermuntert wird, muß sich schon selbst strapazieren. So kann also vielleicht gefragt werden, »welcher Dichter den Phonographen vorausgeahnt« habe – immerhin eine Schmockerei, weil's nur der weiß, der's soeben gelesen hat –; aber zu fragen, an welchem Fluß Lyon liegt, ist darum töricht, weil die Frage auch der stellen kann, der grade nachgeschaut hat. Fragen nun, die Probleme berühren oder enthalten, wären solche sprachkritischer Natur. Aber da würde sich wohl, glaubt man, die Neue Freie Presse hüten, sich als ein seit siebzig Jahren täglich gebranntes Kind noch geflissentlich die Finger zu verbrennen? Mit nichten! Sprachlehre, ausgerechnet Sprachlehre erteilt die Matrone. Zuerst erschrickt man. Aber »wir möchten nicht« (wie der sachte Leitartikler sagt) gleich mit der vollen Wahrheit herausrücken, sondern vorerst den Satz zitieren, mit dem bei täglich unvorhergesehenen Elementarereignissen, als da sind Gärung im Staat, Hader der Parteien, Heimwehr, Schneeverwehungen oder Schmonzes schlechtweg, jener zu beginnen pflegt: »Das erste Wort gilt der Beruhigung.« Also: sie hat's vom Wustmann! Gehen wir sanft und sammetig wie sie selbst vor, damit sie nicht erschrickt. Wie der niederösterreichische Landtag ehedem auf die Erlegung jeder Kreuzotter ein Sechserl zu setzen pflegte, so müßte man es demjenigen offerieren, der einen geraden Satz nachwiese, den sie zwischen Leitartikel und Impressum enthält. (Ohne Gefahr der Verarmung!) Nun, daß man es bei der Neuen Freien Presse auf ihre alten Tage erleben werde, war gewiß nicht zu erwarten, aber es hat sich ereignet: sie, die alles kann, nur nicht Deutsch, gibt ihren Lesern Sprachunterricht! Nebst anderen sonderbaren Interessen, die sie da hat und befriedigt. Wenn sie die Antwort erteilt:
23. Baldur wurde von seinem blinden Bruder Hödur getötet
so mag sich dem Leser in die Bewunderung ihres Wissens ein leichtes Staunen einschleichen, daß ihr das nicht so stagelgrün aufliegt wie ihm selbst, während er bei
12. Der Tempel zu Jerusalem stand auf dem Berge Moria
schon eher finden könnte, daß es in Ordnung geht. Doch bei
19. Die Sarden sind die Einwohner von Sardinien
dürfte er insofern die Befriedigung empfinden, etwas zugelernt zu haben, als er bisher geglaubt hatte, es wären die Sardinen. Eine lohnende Frage wäre nun – für den, der bloß die Antwort las –: wie da die Frage der Neuen Freien Presse gelautet haben mag. Man glaubt vielleicht: »Wie heißen die Einwohner von Sardinien?« Nicht doch: »Was sind die Sarden?« Aber wer hätte gezweifelt? Manche Frage regt freilich die Phantasie an. Wenn man zum Beispiel erfährt:
20. Die Buchstaben K. O. bedeuten Knockout
so wird man vielleicht auch der Entsprechung inne, daß O. K. Oberkommando bedeutet. Dagegen dürfte man bei der Antwort
18. Ein Meter ist größer als ein Yard, das etwa 90 Zentimeter mißt
zu der weiteren Frage geneigt sein, ob es nicht »der« heißen soll und ob sie ihn nicht mit dem Meter verwechselt, der eigentlich sächlichen Geschlechtes ist und bei dem sie sich mit dem unbestimmten Artikel aus dem Gedränge hilft.
Was nun die Sprachlehre betrifft, für welche ich den Leser möglichst lange in Spannung erhalten wollte, so hat's die Neue Freie Presse, wie man in Berlin sagt, »in sich«. Aber für alle Fälle hat sie sich doch den Wustmann – der in der Hauptsache mit Recht so heißt – vergönnt, um auch noch seine Mißverständnisse mißzuverstehen und sich auf dieser gesicherten Basis mit Spracherkenntnissen aufzutun. Der Wustmann ist ein überaus gewissenhafter Grammatiker, der »Allerhand Sprachdummheiten« gesammelt hat, unter denen es ihm auch gelungen ist seine eigenen unterzubringen. Ein schrulliger Lehrmeister, der die Anweisung gibt, zu schreiben, wie man spricht, und dann so ziemlich alles zu sprechen verbietet; ein schwärmerischer Pedant, der mit einer Fiktion von Sprachreinheit an Stilgestaltung beckmessert und dem im Gestrüpp der Konjunktivbegriffe, worin er glatt verloren ist, etwa das Folgende passiert:
Andere Verba gibt es, deren Sinn den Konjunktiv im abhängigen Behauptungssatz fordert, weil er nur die Ansicht der Äußerung eines andern als solche wiedergeben kann, etwa wähnen: Er wähnt, er sei ein reicher Mann.
Was ist das: die Ansicht der Äußerung eines andern wiedergeben? Kaum durchzudenken; eher: die Äußerung der Ansicht, aber dann genügte wohl: die Ansicht wiedergeben. (Oder doch: die Ansicht der Äußerung? Dann genügte: die Äußerung wiedergeben.) Wie immer dem sein mag, wahrlich ein beweiskräftiges Beispiel, worin der Konjunktiv ziemlich unproblematisch durch die Umschreibung des »daß«-Satzes entstanden ist! Dieser Wustmann nun hat die Neue Freie Presse zu der Frage verführt:
7. Welche der folgenden Satzbildungen ist richtig: »Er behauptet, er sei krank«, oder »Er behauptet, er wäre krank«?
Beide, liebes Kind, je nachdem! Aber sie will offenbar keine Frage, sondern eine Falle stellen, und ich weiß schon, wo sie hinauswill. Dem Wustmann, der im Gebiet des Konjunktivs auffallend tolerant ist und nur gewisse Fehler streng vorschreibt, entnimmt die Schäkerin die folgende Weisung:
7. Man kann ebensogut sagen: »er behauptet, er sei krank« wie »er behauptet, er wäre krank«.
Man kann es auch ebenso schlecht sagen. Sie hat es vom Wustmann, der sich folgendermaßen ausdrückt:
Es ist ebensogut möglich, zu sagen: er sagt, er wäre krank – er sagt, er wäre krank gewesen – er sagte, er sei krank – er sagt, er sei krank gewesen – er sagte, er wäre krank – er sagte, er wäre krank gewesen.
Es fehlen noch Varianten. Aber da hat die Neue Freie Presse – die »behauptet« sagt, um nicht ganz abzuschreiben – das Problem, das sie so wenig wie der Wustmann versteht, besser als er herausgestellt; denn es bleibt von der Zeitform des Hauptsatzes unberührt. Doch zwischen »sei« und »wäre« steckt es, und da ist es wohl »möglich«, so und so zu sagen, aber es kommt eben darauf an, was richtig ist. Wustmann, in diesem Punkt ungeheuer freigebig, fährt fort:
In der Schriftsprache ziehen viele in allen Fällen den Konjunktiv der Gegenwart als das Feinere vor und überlassen den Konjunktiv der Vergangenheit der Umgangssprache. Wenn sich aber jemand in allen Fällen lieber des Konjunktivs der Vergangenheit bedient, so ist auch dagegen nichts ernstliches einzuwenden. Wer vollends durch die Verwirrung der Tempora in seinem Sprachgefühl verletzt wird, wem es Bedürfnis ist, eine ordentliche consecutio temporum zu beobachten, den hindert nichts, das auch jetzt noch zu tun. Damit wird er freilich nichts erreichen.
Was sollte er denn erreichen? Hier scheint Wustmann, dessen Sprachgefühl sonst grundsätzlich verletzt ist und der eine Korrektheit erreichen möchte, die der Sprache den Atem nimmt – hier scheint er förmlich auf die Geringfügigkeit solcher »Sorgen« innerhalb der Welthändel hinzuweisen. Aber der Unterschied zwischen »er sagt, er sei krank« und »er sagt, er wäre krank« liegt so auf der flachen Hand, daß ihn die Neue Freie Presse, die ja alles »ebenso gut« sagen kann, mit Kennerblick als nichtvorhanden herausarbeitet. Sie weiß zwar nebenher:
14. Wallenstein hieß mit seinem Vornamen Albrecht.
Das ist aber beiweitem nicht so wichtig wie der Konjunktiv, der im »Wallenstein« vorkommt und der zur Klarmachung jenes Unterschieds von dem oft Bescheid wissenden Sanders zitiert wird:
Mir meldet er aus Linz, er
läge krank;
Doch hab' ich sichre Nachricht, daß er sich
Zu Frauenberg
versteckt beim Grafen Gallas.
Hier wird, »durch Modus und Tempus bezeichnet«, der Unterschied zwischen dem, was unglaubwürdig ist, und dem, was gewußt wird, einleuchtend. (Wozu nebenbei sowohl dem vorschreibenden Wustmann wie der abschreibenden Neuen Freien Presse zu sagen wäre, daß »er sagt, er sei krank« an und für sich natürlich kein Beispiel für die Anwendbarkeit des Konjunktivs ist, weil dieser hier bloß durch die Umschreibung des »daß« zustande kommt.)
Aber die Neue Freie Presse nascht weiter. Wustmann bietet:
Bei den Hilfszeitwörtern können, mögen, dürfen, wollen, sollen und müssen, und bei einer Reihe andrer Zeitwörter, die ebenfalls mit dem Infinitiv verbunden werden, wie heißen, lehren, lernen, helfen, lassen (lassen in den Bedeutungen: befehlen und erlauben), machen, sehen, hören und brauchen (brauchen im Sinne von müssen und dürfen), ist schon in früher Zeit das Partizipium der Vergangenheit, namentlich wenn es vor dem abhängigen Infinitiv stand (der Rat hat ihn geheißen gehen), durch die Infinitivform ersetzt worden. ... Schließlich drang an Stelle des Partizips der Infinitiv vollständig durch, besonders dann, wenn der abhängige Infinitiv unmittelbar davor stand.
(namentlich bei dieser und besonders bei der verkehrten Stellung – hier stimmt schon etwas nicht in der Entwicklung)
und so sagte man nun allgemein: ich habe ihn gehen heißen, ich habe ihn tragen müssen, ich habe ihn kommen lassen, ich habe ihn laufen sehen, ich habe ihn rufen hören, er hat viel von sich reden machen ... du hättest nicht zu warten brauchen. (Bei »brauchen« darf natürlich »zu« beim Infinitiv nicht fehlen.)
(Diesen Zusatz allein sollte die Neue Freie Presse ad notam nehmen, hauptsächlich für den Salten, der immer »daran« vergißt und glaubt, daß man »zu« nicht setzen braucht.) Wustmann meint nun des weiteren, nur diese Form sei heute richtig, und empfiehlt sogar:
wir hätten diese Schuld ... auf uns lasten fühlen
Aber ich hätte sie auf mir lasten gefühlt, wenn ich je so geschrieben hätte. Was Wustmann vorschreibt, stimmt für die reinen Hilfszeitwörter (wie »können«, »lassen«), keineswegs jedoch für die »andern Zeitwörter« wie »hören«, »sehen« und »machen«. Selbst bei jenen, gewiß aber bei diesen wird die stilistische Notwendigkeit den Gebrauch bestimmen. Es wird schon ein Unterschied sein zwischen »Er hat viel von sich reden machen« und »Er hat viel von sich reden gemacht«, manchmal ein so großer wie zum Beispiel zwischen meiner Wirksamkeit und der eines Pen-Präsidenten. Aber »Hören« und »Sehen« vergeht einem vor dem Diktat, mit dem über diese »Hilfszeitwörter« verfügt wird. Wustmann betitelt das Kapitel »Singen gehört oder Singen hören?« Natürlich beides, je nachdem! Etwa: ich habe jemand zuerst etwas sagen hören, dann etwas singen hören (nicht gerade den Walter von der Vogelweide). Wenn ich aber in die Oper ginge, so hätte ich es mir selbst zuzuschreiben, denn ich hätte Herrn Piccaver den Lohengrin singen gehört. Ins Theater nimmt man kein Hilfszeitwort mit, sondern einen Operngucker, denn da kommt es aufs Sehen an; ich hätte Herrn Reimers so gern den Lear spielen gesehen, aber er tut's nicht mehr. Diese Form schließt meine eigene, willentlich gesetzte Handlung ein (ich unterwürfe mich ihr), eine Wahrnehmung mit Absicht, nicht bloß mit Bewußtsein. Das Wahrnehmen ist hier betonter als das Wahrgenommene. Ich habe die Neue Freie Presse in sprachlicher Gegend oft und oft straucheln sehen: ohne daß ich besonders hinsah, ich kam halt so dazu. (Gleichwohl wäre selbst hier die Partizipform nicht unrichtig.) Doch als ich sah, wie sie Sprachlehre erteilte, da habe ich aufgepaßt und habe sie hineintölpeln gesehen; die Kontrolle war meine Absicht, das Sehen meine Handlung. Denn sie hat wahrlich die Kühnheit, zu fragen:
6. Warum ist es falsch zu sagen: »Herr M. hat viel von sich reden gemacht«?
Aber es ist gar nicht falsch. (Wenn sie vielleicht Herrn Moissi meint.) Nur die Antwort ist falsch. Die Sprachlehrerin schreibt den Wustmann folgendermaßen ab, hört hört, seht seht:
6. Es ist falsch, zu sagen: Herr M. hat viel von sich reden gemacht, weil Zeitwörter, die wie »machen« mit dem Infinitiv verbunden sind, ihr Partizipium der Vergangenheit, namentlich wenn es hinter dem abhängigen Infinitiv steht
(sie hat bereits die erste der Wustmannschen Stellungsvorschriften umgedreht)
diesem angleichen. Man sagt also richtig: Herr M. hat viel von sich reden machen, ebenso wie es heißen muß: »Wir haben ihn kommen lassen, singen hören, laufen sehen.«
Also doch Moissi; da klärt sichs in beiden Richtungen, beides ist richtig: ich habe ihn den Hamlet spielen gesehen, da hab ich ihn singen hören. Daß aber »machen« platterdings »mit dem Infinitiv verbunden« ist, ist eine Pointe für sich. Jene hat sich, wie man sieht, die Arbeit leicht gemacht: sie hat das Wustmann'sche Verfahren wesentlich vereinfacht und seine Vorschrift noch apodiktischer wirken machen, aber sie hat uns dafür glauben gemacht, es sei von ihr. (»Etwas läuten gehört oder läuten hören?« Hier bleibt das Problem offen. Vielleicht doch »gehört«: mit dem Willen zum Wustmann, nur ohne Verstand.) Nun möchte ich ihr zur Sanierung ihrer Administration so viele Groschen wünschen, als sie schon gegen die Regel verstoßen hat und noch verstoßen wird, die sie hier aufstellt und gegen die zu handeln sie für »falsch« erklärt. Ist das nicht bereits der Gipfel der Perversität? Man stelle sich vor, daß weiland die Madame Rosa eine Vorschrift erlassen hätte, daß man sich salonfähig zu benehmen habe!
Aber jene hat noch andere Sorgen:
21. Welcher Fehler ist in folgendem Satz enthalten: »Der Zuziehung von Fachmännern wird es nicht bedürfen, zumal in der Literatur einschlägige Werke genug vorhanden sind«?
Man ist gespannt. Nur ich nicht, der schon weiß, was sie da plant:
21. Der Fehler in dem Satz: »Der Zuziehung von Fachmännern wird es nicht bedürfen, zumal in der Literatur einschlägige Werke genug vorhanden sind«, liegt in dem Gebrauch von »zumal«, das ein Adverb ist, als Konjunktion. Es muß richtig heißen: ... nicht bedürfen, zumal da usw.
»Da« fällt mir sehr viel ein, vor allem: Da legst di nieder. Oder: Sie soll sich nichts antun! Oder wie der Chor in der »Großherzogin« immer wiederholend fragt: »Was hat sie denn?« (bis es sich zuspitzt: »Was fehlt der Fürstin, mir will scheinen, als quäle sie ein großer Schmerz«). Mit einem Wort, man kann auch konstatieren: Ihre vielen Bekannten werden erstaunt sein, zu erfahren, daß die Neue Freie Presse erteilt Sprachlehre. (Zumal sie erst siebzig wird.) »Der Fehler in dem Satz« liegt vor allem in dem Gebrauch von »als Konjunktion« statt »als einer Konjunktion«. Denn dort wirkt sie als Nominativ und wird von der Neuen Freien Presse wohl auch dafür gehalten. Sanders hat ja in seine »Hauptschwierigkeiten« – an denen er manchmal scheitert – als Beispiel für fehlerhafte Apposition ihre Wendung aufgenommen:
Die Berufung Liebigs als außerordentlicher Professor ...
Aber das macht nichts, die meisten Sprachlehrer sprechen die Sprache, die sie lehren, nur unvollkommen, geben einem auf Schritt und Tritt Probleme auf, die interessanter sind als diejenigen, die sie grade nicht lösen können, und tappen in Theorie wie Praxis an der Sprache vorbei. Der Neuen Freien Presse, von der nicht zu vermuten war, daß sie Neigung zu dem Beruf habe, möchte man den Titel fürs Abendblatt empfehlen: Laßt die Sprachlehre aus dem Spiele! (Oder auch: Gebts Ruh!; und daran einfach die Aufforderung knüpfen: »Schau'n Sie, daß Sie herauskommen!«) Im Ernst, was hat sie angewandelt? Was treibt sie »da«? Wirklich Sprachlehre? Von Wölfen, die Kinder rauben, war einmal zu lesen: sie »trieben ihr loses Spiel«. Wie hat sie es so weit gebracht? Wer hat ihr den Floh ins Ohr gesetzt? Nun ja, selbstverständlich, »der Zuziehung von Fachmännern wird es nicht bedürfen, zumal in der Literatur einschlägige Werke genug vorhanden sind«! Vor allem der Wustmann! Dem sie nicht nur die Lehre, sondern auch wortwörtlich das Beispiel entnommen hat (9. Auflage, S. 87). Nun, wo er recht hat, hat sie recht! Aber daß in einer wenngleich noch so bedauerlichen Sprachentwicklung die »zumal«-Konstruktion ohne »da« bald so richtig sein wird, wie »solange« und »insofern« ohne »als«, oder »indem«, »nachdem« und sogar »trotzdem« ohne »daß« – es dürfte so wenig zu bestreiten sein wie die perfekte Schamlosigkeit einer Journalistik, die einen »Fehler« rügt, dem man, wenn man sich die Mühe der Kontrolle nähme, höchstwahrscheinlich in ihrer nächsten Spalte begegnen würde und ganz bestimmt tagtäglich als dem geringsten aller Fehler, die sie macht, fortan begegnen wird. Was hätte Jesus, der zu den Schriftgelehrten und Pharisäern, den »verblendeten Leitern«, sprach, daß sie »Mücken seigen und Kamele verschlucken« – was hätte er erst zu den Schriftgelehrten, Pharisäern und verblendeten Leitern der Neuen Freien Presse gesagt! Und wie konnte sie, die in sprachlichen Unehren grau geworden ist, so auf Abwege geraten? Ich gebe ihr Pleinpouvoir, »zumal« ohne »da« zu konstruieren, nebst dem ausdrücklichen Versprechen, daß ich in dem Punkt immer ein Auge zudrücken werde und zwar das heitere. Wenn sie aber, die auf dem Gebiete des Nichtschreibenkönnens schon so viel hat von sich reden machen, die Sprachlehre, deren sie bedarf, auch erteilen möchte, dann kann man nur entweder sagen, sie sei krank – oder ihr mit ihr antworten:
8. Homerisches Gelächter bedeutet starkes, anhaltendes Lachen. Nach Homer, der die Götter ein »unauslöschliches Gelächter« anheben läßt.
Es dürften die ältesten Abonnenten der Neuen Freien Presse sein.