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Zu den Vorurteilen gegen mich, die wohl nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein werden, gehört die Vermutung, daß ich die Zeitungen lese, »um etwas zu finden«, woran ich Anstoß nehmen könnte, während ich in Wahrheit im Blätterwalde so für mich hingehe und nichts zu suchen mein Sinn ist. Ja bereit, die Herren Journalisten zu bestechen, damit ich nur ja nichts zu finden brauche, was mich zur Wiederherstellung der Natur nötigt, komme ich mir wie der Nestroysche Hausmeister vor, der »lieber selber einer jeden Partei ein Sechserl schenken möchte«, um nur seine Ruh' zu haben. Und oft denke ich mir, wie gern ich die Zeit, die sie mir rauben, daran wenden würde, ihnen rechtzeitig zu helfen, alles das zu unterlassen, was mich in Tätigkeit setzt. Denn ich bedarf doch wahrlich nicht mehr ihrer Anstöße, um mir über die Gestalt, die sie der Welt gegeben haben, etwas einfallen zu lassen. Wenn sie nur gewillt wären, mir täglich ihre Bürstenabzüge zur Korrektur zu schicken, so wäre ich erbötig, bei voller Belassung der moralischen Eigenart, ihnen das Gröbste im Stilistischen und Grammatikalischen abzutun und gerade dadurch ihre schlechten Absichten wirksamer herauszuarbeiten. Ich muß diese Arbeit ja oft genug an Zitaten besorgen und manchen Formfehler beseitigen, um die Aufmerksamkeit nicht von dem Schwachsinn der Gedankenführung oder der Lumperei der Gesinnung abzulenken. Sie wissen es nicht, merken es nicht und ich stiller Wohltäter mache kein Aufheben davon. Aber natürlich wäre ich auch bereit, in den Inhalt einzugreifen, zu dämpfen, zu beleben, zu veredeln, kurz eine Textgestalt herzustellen, die vor meinem Witz sicher sein kann. Weiß Gott, es wäre gar nicht übel, die Vorzensur, die sich im Krieg bloß auf die Unterdrückung von Artikeln beschränkt hat, die die Siegeszuversicht herabmindern konnten, in meine Hände zu legen, welche doch für einen weit kulturvolleren Zweck tätig wären. Aber wie ich die Herren Journalisten kenne, werden sie diese Idee als eine unerlaubte Zumutung an die Freiheit der Prostitution stolz von sich weisen, und was ich seit Jahrzehnten als Zensor ihrer Resultate leiste, hat, ach, nicht einmal an der äußersten Oberfläche der Sprachkorrektur seinen erzieherischen Einfluß bewährt. Man kann es mit dem ihnen geläufigsten Worte sagen: sie haben »daran« vergessen, auch wenn es ihnen noch so oft eingetrichtert wurde; und wenn sie auch nichts wissen, sie »brauchen nicht lernen«. Aber vielleicht kommen wir einander ein wenig näher, wenn ich von Zeit zu Zeit die ärgsten sprachlichen Mißbildungen förmlich ausstelle – ohne an bestimmte Fälle anzuknüpfen, denn da täten sie's justament! Um nur, was mir gerade zur Hand liegt, zu erwähnen: » wieso kommt es«, daß sie so schlechtes Deutsch schreiben und daß diese Frage, die der Tandelmarkt frei hat an das Schicksal, immer wieder gestellt wird? Also man fragt: wie (oder woher) kommt es (das andere bedeutet etwas ganz anderes). » Nach vorwärts« geht es in keinem Fall, sondern es sollte bloß »vorwärts« gehen. Dies gilt natürlich auch wo es »rückwärts geht«. Dagegen soll nie etwas »rückwärts sein«, sondern nur hinten. Völlig unmöglich aber ist es, die Fremden, die man nach Wien lockt und denen man solche Lokalismen als Sehenswürdigkeiten bietet, »Gäste von auswärts« zu nennen, weil da zwei entgegengesetzte Richtungen karambolieren. Die Herren Journalisten werden sagen: Wir » verbieten uns« diese Kontrolle. Aber was mich betrifft, ich kann weder ihnen noch mir ihr schlechtes Deutsch verbieten, ich kann es mir nur – gleichfalls ohne Aussicht – verbitten. Denn ich kann ihnen nicht gebieten, daß sie besser schreiben, ich kann sie nur darum bitten. (Wenn ich's erpressen könnte, würde ich es tun.) Imperfektum: nicht er »verbot sich etwas«, sondern er »verbat« es sich. Perfektum: nicht »er hat es sich verboten«, sondern »verbeten«. Wie kommt das? Woher kommt das? Eben nicht von »bieten«, sondern von »bitten«. (Der Nestroysche Sprachwitz, in der wienerischen Üblichkeit begründet, ist ein rein akustischer: »Ich werd' mir das verbieten!«. »Sich können Sie verbieten, was Sie wollen, aber mir nicht!«. Wenn die Gegenfigur deutlich sagte: Ich werd' mir das verbitten!, wäre der Witz nicht möglich.) Bei dieser Gelegenheit: Wenn ich einem etwas »geboten« habe, so kann das sowohl von »bieten« wie von »gebieten« kommen: nicht zu verwechseln mit: »gebeten«, das von »bitten« kommt und wieder nichts zu tun hat mit »gebetet«, das von »beten« kommt. Die Sache ist nicht leicht, aber da wir zum Publikum sprechen, so müssen wir doch, nicht wahr, mit gutem Beispiel vorangehen. Nun, ich mute ihnen zu, es sich zu merken, ohne daß ich ihnen diese Fähigkeit zutraue. Sie aber beklagen sich: ich »mute ihnen zu, es nicht zu wissen« – was so viel bedeutet als: ich verlange von ihnen, daß sie es nicht wissen, während ich doch das gerade Gegenteil von ihnen verlange, wenngleich nicht erwarte, es ihnen also nicht »zutraue«. Denn sie haben mich, wie sie sagen würden, nicht »allzu verwöhnt«. Eine arge Misere ist diese Verbindung von »allzu« mit einem Zeitwort. Der gebildete Schmock schreibt, einer habe »allzu dominiert«. Nun wäre wohl seine »allzu dominante« Stellung denkbar, aber er könnte natürlich nur »allzu sehr« dominieren. Etwas mag allzu lieb, selbst allzu geliebt sein (wenn das Partizip mehr als Adjektiv denn als Zeitwort gedacht wird), aber man kann nur »allzu sehr« lieben. Einer kann allzu groß sein, aber nicht allzu gewachsen. Es wäre auch möglich, daß er »allzu verwöhnt ist«, aber er »wurde allzu sehr verwöhnt«. Komplizierter wird es, wenn der Schmock schreibt, man dürfe »einem nicht allzu unrecht tun«. Man kann sich wohl »allzu unrecht« (unrichtig) ausdrücken, aber man kann nur »allzu sehr unrecht« tun (allzu großes Unrecht). Tue ich das? Es gibt kaum einen sprechenden oder schreibenden Menschen in Wien, der sich nicht erlaubte, »bißchen« schlampig zu sein statt » ein bißchen« (das von einer sehr realen Sache, nämlich einem kleinen Bissen stammt.) Vollends mit dem »bis« wird aber verfahren, daß es schon nicht mehr schön ist und die Bedeutung auf dem Kopf steht: sie werden einem etwas sagen, »bis er kommt«. Aber sie meinen natürlich nicht, daß sie es ihm so lange sagen werden, bis er kommt, sondern erst sagen werden, wenn er kommt. In Wien geht der Krug erst dann zum Brunnen, wenn er bricht, weshalb er meistens zu spät kommt. Und wird »bis« schon einmal richtig statt für den Zeitpunkt für die Zeitstrecke verwendet, so kann man sicher sein, daß ein »nicht« seine Begleitung anbietet:
ein Gnadengesuch, mit dessen Erledigung so lange gewartet werden sollte, bis die Entscheidung des Oberlandesgerichtes ... nicht vorlag.
Fast alle diese Bildungen sind spezifisches Wiener Gewächs, dessen jüdische oder nicht jüdische Herkunft nicht mehr feststellbar ist. Wenn die Wiener heute » am Land« sind, so ist es kaum mehr das alte: »aum« (aufm) Land. Hier kann man jüdisch oder zur Not alldeutsch sprechen, deutsch keineswegs. Ein Franzose, der schlecht französisch spricht, ist kaum vorstellbar, dagegen ist er stolz darauf, wenn er schön französisch spricht. Eine verstorbene Freundin, die für diese Werte ein besseres Gefühl hatte als die ganze Kollektion, die Kürschners Literaturkalender umfaßt, schilderte mir einmal, wie sie in einem kleinen Laden einer Pariser Vorstadt nach etwas vergebens fragte, aber nicht von einem Klachel in einem undefinierbaren Dialekt angeschnauzt wurde, sondern freundlich an einen Konkurrenten gewiesen, der die Ware bestimmt vorrätig habe: »Und außerdem spricht er ein so schönes Französisch!« Man versuche sich vorzustellen, daß eine solche Auskunft bei uns, in Kauderwelschland, erteilt würde. Die Zusammenhänge mit dem Infanterieregiment Nr. 4 sind in Wien weit lebendiger als die mit den Deutschmeistern. Die Perversität aber, daß die gedruckte Sprache auf einem noch tieferen Niveau angelangt ist als die gesprochene, ist das geistige Unikum, das diesem Klima vorbehalten blieb. Die öffentliche Meinung ist zur Wand eines Abtritts geworden, auf der nicht nur jede Büberei der Gesinnung Platz hat, sondern auch jede Missetat an der Sprache. Setzt der jüdische Journalist die Wendung hin: »worauf man darauf folgern kann«, so antwortet der Arier: »wonach hervorgeht«. Die Lokalredakteure müssen als Volksschüler doch ein besseres Deutsch geschrieben haben: sonst wären sie es noch heute. Kürzlich schrieb einer:
Die Anklage wird auf einen weiteren sich gestern zugetragenen Vorfall ausgedehnt.
Dem geschätzten Autor würde man natürlich auch nicht begreiflich machen können, daß er durch das Fehlen des Kommas nach »weiteren« ausgedrückt hat, die Anklage habe sich auf einen abermals »sich gestern zugetragenen« Vorfall bezogen. Aber sie können nicht nur nicht die Wörter richtig zusammenstellen, nein, da liest man täglich auch solche, die es gar nicht gibt: »insbesonders« dieses. Der Dichter der ›Wiener Stimmen‹, von dem man doch annehmen müßte, daß er, wenn schon nichts anderes, so zum mindesten eine Muttersprache habe, beginnt ein Verslein mit dem Wörtlein: »zumindestens«, das sich ihm aus dem Vorrat von »mindestens«, »zumindest« und »zum mindesten« geballt hat; »zumeistens« würde er kaum riskieren. Einer, der trotz seinem Mauscheldrang ein kerndeutscher Mann ist, prophezeite kürzlich, ein Jargonstück werde »durch Wochen lang« zugkräftig sein. Dem Grafen Keyserling – der gewiß eine fatale »Einstellung« zur deutschen Sprache hat und ehe er die Schule der Weisheit gründete die andere geschwänzt haben muß – korrigierte er einen ausnahmsweise korrekten Satz. Die Strafe folgte auf dem Fuß:
Wenn ich nun einen Menschen ... fragte, worin also die Lehre des Grafen Keyserling bestünde, so würde ich ...
Der Konjunktiv ist sicherlich eine schwierige Angelegenheit der deutschen Sprache, die auch den besten Schriftstellern schon Kummer bereitet hat. Selbst wenn jenes »fragte« ein inneres Imperfektum wäre – das es hier ja nicht sein kann –, ihm also »ich fragte« und nicht »ich frage« zugrundeläge, so müßte es heißen: »worin die Lehre bestehe«. Der Konjunktiv des Imperfekts wäre nur dann richtig, wenn der Satz bedingt gedacht oder in eine Bedingung fortgesetzt würde: »bestünde, wenn ...« Er wäre richtig, wenn der Satz nicht die Frage enthielte: »Worin besteht die Lehre?«, sondern: »Worin bestünde die Lehre?«. (Dies wäre etwa möglich, wenn bereits alles, worin sie nicht besteht, dargestellt wäre und der Schluß übrig bliebe, daß sie in nichts besteht. Im Falle Keyserling zwar denkbar, aber hier nicht beabsichtigt.) Immerhin ist es vielleicht das Bemühen um eine consecutio temporum, die im Deutschen so leicht wider den Gedanken geht. Aber der Konjunktiv imperfecti ist an und für sich das Prunkstück der Bildung. Ein geräuschvoller Advokat, der sich auch in der Presse als Polemiker lästig macht, schrieb kürzlich:
Und er findet, daß alles prächtig vorwärts ginge.
Eine ausnahmsweise richtige Konstruktion – wenngleich durch andere Fehler wettgemacht – ist der Neuen Freien Presse passiert:
Der Inspektor erklärte, daß er die Angeklagte, trotzdem sie ihm beschimpft habe, hätte laufen lassen, wenn sie nicht eine Beschwerde gegen ihn erstattet hätte.
»Ihm« ist der typische Setzfehler der Wiener Druckereien; vom Schreiber, der vielleicht so spricht, ist zu vermuten, daß er »beschimpfen« doch mit dem Akkusativ konstruiert. »Trotzdem« als führendes Bindewort des Konzessivsatzes (statt »obgleich«) mag als ein tief eingewurzelter Mißbrauch hingehen. Aber der Satzbau ist in Ordnung. Hier ist das »hätte laufen lassen« richtig, weil ihm der Konditionalsatz folgt: »wenn sie nicht erstattet hätte«. Hätte sie aber die Beschwerde nicht erstattet und hätte er sie laufen lassen, wäre also der Sachverhalt das Gegenteil, so hätte die Zeitung wohl trotzdem geschrieben: »Der Inspektor erklärte, daß er die Angeklagten hätte laufen lassen«. Anstatt richtig zu schreiben: »Der Inspektor erklärte, daß er die Angeklagte habe laufen lassen«, »laufen ließ« oder »er habe sie laufen lassen«. Der ›Abend‹, der außer dem Namen seines Herausgebers kein Fremdwort in seinen Spalten duldet, der sich grundsätzlich nicht an die Adresse, sondern an die Anschrift der Proletarier wendet und dessen Sätze zu neunzig vom Hundert nicht deutsch sind, stellte kurz und bündig fest:
Das Berliner Gesundheitsamt meldet, die Krankenhäuser wären überfüllt.
Man erwartet etwa die Fortsetzung: wenn nicht schleunigst neue eröffnet worden wären. Richtig muß es heißen: »die Krankenhäuser seien überfüllt« oder »daß die Krankenhäuser überfüllt sind«. »Sie wären überfüllt« würde geradezu bedeuten, daß das Blatt die Meldung des Berliner Gesundheitsamtes als Lüge hinstellen will. Ein Zweifel an ihr wäre schon angedeutet durch den Konjunktiv präsentis: »daß sie überfüllt seien« (während »sie seien überfüllt« bloß den Ersatz für den daß-Satz mit Indikativ vorstellt). Selbst wenn das regierende Verbum die Zeitform des Imperfektums oder Perfektums hätte: »das Amt meldete« oder »hat gemeldet«, so wäre fortzusetzen: »daß die Krankenhäuser überfüllt sind« oder »sie seien überfüllt«. Dies, wenn der Inhalt des abhängigen Satzes für den Berichterstatter feststehen soll. Ohne diese Tendenz darf sich hier der »daß«-Satz mit dem Konjunktiv präsentis anschließen: »meldete, daß sie überfüllt seien«. Der Konjunktiv imperfecti nur dort, wo der des Präsens nicht in Erscheinung tritt, z. B. »er versicherte, daß sie kommen müßten« (statt »müssen«). Sonst aber würde er immer den Zweifel an der Aussage bezeichnen. Sanders hat hier ein vorzügliches Beispiel aus Schiller, das, gleichfalls eine Krankmeldung betreffend, nebeneinander die Vermutung der Lüge und die Behauptung der Wahrheit durch Modus wie Tempus ausdrückt:
Mir meldet er aus Linz, er läge krank, doch hab' ich sichre Nachricht, daß er sich zu Frauenberg versteckt beim Grafen Gallas.
Bedenklich dagegen ist die von Sanders angeführte und nicht ausdrücklich getadelte Wendung bei Goethe:
Da er hörte, daß ich viel zeichnete und Griechisch könnte.
Wäre hier der Konjunktiv unerläßlich, so wäre zwar »zeichnete« richtig, da »zeichne« als Konjunktiv nicht hervortritt; »könnte« jedoch ist nicht richtig und die gedankliche Diskrepanz hebt sich nur im Mitklang auf. Immerhin regiert hier das Imperfektum. Unmöglich aber ist es, von einem Präsens das Imperfektum des Konjunktivs abhängig zu machen, ohne damit die Aussage als unglaubwürdig oder als bedingt hinstellen zu wollen. Da hat eine Berlinerin mit Rilke gesprochen:
Er erzählte, daß er im Wallis bei Sierre wohne, in einem kleinen, alten Schloß, ganz einsam, Jahr für Jahr, und nur selten, wenn es nicht mehr anders ginge, einen kurzen Flug in die Welt hinaus mache. Der Kanton Wallis sei das Landschaftsbild, welches ihm durch seine Romantik und Üppigkeit am nächsten käme, und was ihn außerdem so sehr an seinen Aufenthalt in Spanien erinnere.
Wie man nur aus einem Gespräch mit einem deutschen Dichter so schlechtes Deutsch bewahren kann! Von dem »was« abgesehen – warum denn »ginge« und »käme«? warum dann nicht auch »wohnte«, »machte«, »wäre« und »erinnerte«? »Wenn es nicht mehr anders ginge«? Es ginge nicht mehr anders, wenn –! Aber in der deutschen Presse geht es wirklich nicht mehr anders. Vor dem Konjunktiv wird alles, was Deutsch schreiben möchte, scheu. Freilich anders, als es »der Wustmann« meint, welcher es verkehrt meint, gerade in diesem Kapitel seinem Namen, der geradezu ein Symbol der Sprachverwirrung geworden ist, Ehre macht und dem Titel seines berühmten Buches »Allerhand Sprachdummheiten« zu einem unbeabsichtigten Sinn verholfen hat. Auch er verwendet zufällig das Beispiel einer Krankmeldung, aber freilich um jede Sprachsimulation zu erlauben. Es sei »ebensogut möglich, zu sagen«: er sagt, er wäre krank, wie: er sagte, er sei krank u. dgl. Aber das erste ist in Wahrheit nur möglich, wenn der Krankmeldung das stärkste Mißtrauen entgegengesetzt wird. Über den Bedeutungsunterschied der Formen macht er sich so wenig Gedanken, daß er schlicht erklärt, der Konjunktiv der Gegenwart werde von vielen »als das Feinere« vorgezogen; »wenn sich aber jemand in allen Fällen lieber des Konjunktivs der Vergangenheit bedient«, so sei auch dagegen »nichts ernstliches einzuwenden«. Gleich darauf beklagt er aber die »fortschreitende Abstumpfung unseres Sprachgefühls«, von der er selbst, ohne es zu ahnen, die lebendigsten Beweise gibt. Der Mann, der die Verderbnis unserer Schriftsprache von dem Übel herleitet, daß man nicht schreibe, wie man spricht – wiewohl man es doch längst tut, ja noch schlechter schreibt als man spricht –, bringt es zuwege, Wendungen, die natürlich und richtig sind, für »papieren« zu erklären und die papiernen für natürlich und richtig.
Eine der fixen Ideen dieses Wegweisers, der in Deutschland so beliebt ist, weil er einen flachen Ernst mit einem seichten Humor verbindet, ist sein Kampf gegen das Relativpronomen »welcher«, welches man nicht schreiben dürfe, weil man es nicht spricht. Findet er es bei Goethe und Hölty, so ist es »nichts als ein langweiliges Versfüllsel, eine Strohblume in einem Rosenstrauß«. Aber wenn man bedenkt, daß so ziemlich aller Wert der geschriebenen Wortschöpfung jenseits aller Sprechbarkeit besteht und daß kaum je ein Satz aus der »Pandora« zur Verständigung im täglichen Umgang gedient haben dürfte, so kann man ermessen, auf welchem Niveau sich diese Sprachkritik bewegt. Um bei dem »welcher« zu bleiben: es ist natürlich nicht nur, wie Wustmann großmütig zugesteht, zur Not in einer Folge von abgestuften Relativsätzen, im Wechsel mit dem einzig konzessionierten Pronomen »der« anwendbar, sondern es waltet da wohl ein Bedeutungsunterschied, der nicht nur dem Wustmann, sondern auch solchen Grammatikern fremd ist, die das »welcher« ohne Angabe der Gründe tolerieren. Ich will das Gefühl für diesen Unterschied an einem der verbreitetsten Fehler zu wecken versuchen. In einem Blatt, das zwar großdeutsch, aber nicht deutsch geschrieben ist, heißt es:
Die Art, wie das Gedenken um Rainer Maria Rilke ... zum Ausdruck kam, ist sicher eine der besten und schönsten, die für einen solchen Anlaß ... möglich war.
Es muß natürlich heißen: ... eine der besten, die möglich waren. Der Nonsens, den der Singular ergibt, hätte den folgenden Sinn: die Art ist eine der besten und sie war denn auch für einen solchen Anlaß möglich. Es würde also von der besten Art noch ein Weiteres ausgesagt. Wäre dies der Sinn, so würde ihm »welche« eher gerecht als »die«: eine der besten Arten, welche eben hier möglich war (welche = und eine, die). Um es an einem gegenständlicheren Beispiel zu erläutern: »Eines der besten Bücher, das ich gelesen habe«. So sprechen und schreiben die Leute, die sagen wollen: Eines der besten Bücher, die ich gelesen habe. Das heißt: von den Büchern, die ich gelesen habe, eines der besten. Es soll aber nicht von einem der besten Bücher die Rede sein, die als solche schon feststehen, nicht von einem unter ihnen, von dem noch besonders gesagt wird, daß ich es gelesen habe. Wäre dies – also eine bloß beigeordnete Aussage – beabsichtigt, so träte der Fall ein, wo das Relativpronomen »welches« vorzuziehen ist: »eines der besten Bücher« als eine für sich stehende Charakteristik, »welches ich gelesen habe« als ein hinzutretender Umstand. (Also: eines der besten Bücher und eines, das ich gelesen habe.) Dagegen: »Eines der besten Bücher, die ich gelesen habe« – hier hat der Relativsatz eine bestimmende Funktion. Es handelt sich nicht um die besten Bücher als solche, sondern um die besten von denen, die ich gelesen habe. Diese Aussage enthält das wesentliche Kennzeichen der Bücher, keinen bloß hinzutretenden Umstand, denn es sind die besten der von mir gelesenen Bücher, von deren einem ich spreche und über die ein anderer anders denken wird. Hier ist das Relativpronomen »die« zu setzen, nicht »welche«. Zwischen »der« und »welcher« fühle ich einen Unterschied, der etwa dem zwischen einer determinativen und einer attributiven Beziehung gleichkommt. Der Relativsatz, den ich mir, ohne das Wesentliche der Vorstellung des Gegenstandes zu verletzen, auch eliminiert denken könnte, ist eher mit »welcher« anzuschließen. Der Relativsatz, der diese Vorstellung erst bildet oder wesentlich ergänzt, nur mit »der«. Diese Form (die im Genitiv »dessen« ohnehin die andere verschlungen hat) wird freilich beiden Bedeutungen gerecht, und innerhalb des gedanklichen Unterschieds werden Rücksichten des Wechsels, des Klanges und allerlei sonstiges Stilgeheimnis die Wahl bestimmen – keineswegs aber irgendwelche ungeistige Vorschrift. »Der schlechteste Sprachlehrer, den ich gekannt habe«: das ist nicht der schlechteste Sprachlehrer überhaupt, sondern der schlechteste von denen, die ich gekannt habe. Sage ich: »Der schlechteste Sprachlehrer, welchen ich gekannt habe«, so spreche ich von dem überhaupt schlechtesten, von einem, der als solcher schon dargestellt ist, wozu ich nur noch bemerke, daß ich ihn gekannt habe. Das Relativpronomen kann eine schwierige Unterscheidung erleichtern: »Eine der anmutigsten Frauen, die ich gesehen habe«: da wird der Relativsatz wohl vom Plural abhängen. »Eine der anmutigsten Frauen, welche ich gesehen habe«: hier wohl von der einen. Beim Maskulinum und beim Neutrum ist die Unterscheidung, ob Singular oder Plural, von selbst gegeben. »Einer der reichsten Männer, der eine Zeitung subventioniert«: das dürfte der typische Fehler sein, den solche Zeitungen machen, und es ist wohl gemeint: einer der reichsten Männer, die eine Zeitung subventionieren. Nehmen wir aber den einfacheren Fall: »Der reichste Mann, der eine Zeitung subventioniert« und »Der reichste Mann, welcher eine Zeitung subventioniert«. Dort ist von dem größten Zeitungskapitalisten die Rede: der Relativsatz gibt das Wesen. Hier ist von dem größten Kapitalisten die Rede, von welchem auch gesagt wird, daß er Geld für eine Zeitung übrig hat: der Relativsatz fügt dem Wesen etwas hinzu. Daß da ein weltenweiter Abstand der Relativbegriffe vorliegt, daran ist nicht zu zweifeln. Ob ich diesem Abstand durch meine Verteilung von »welcher« und »der« gerecht werde, mag jeder beurteilen, der über diese Dinge nachdenkt. Es könnte sich ihm – gleich mir selbst – ergeben, daß er manchmal einer andern, gar der gegenteiligen Entscheidung nahekommt; jedenfalls wird er, an den geeigneten Beispielen, des von mir gewiesenen Unterschiedes und seiner Gesetzlichkeit habhaft werden. Scheinbar kommt ja der Form »welcher« die stärkere Beziehungsfähigkeit zu, wie sie auch die Fügung »derjenige, welcher« dartut. Aber diese deutlichere Relation spielt sich erst innerhalb des hinzutretenden Umstandes ab, den ich die Form »welcher« bezeichnen lasse, und nachdem die allgemeine Begriffsbestimmung der Person oder Sache schon vollzogen ist. Dies ist gerade an Fällen nachweisbar, wo die attributive Beziehung in die determinative überzugehen scheint; wenn kontrastierende Gegenstände durch eine Aussage von einander unterschieden werden sollen, die keineswegs ihrer wesentlichen Bestimmung dient. Wenn ich von zwei Leuten erzählen will, die ich getroffen und deren einen ich gegrüßt habe, so sage ich: »Den einen, welchen ich gegrüßt habe, kenne ich seit langem ...« Ich will von ihm sagen, daß ich ihn seit langem kenne etc. Ich mache ihn in der Erzählung aber kenntlich durch den eingeschalteten Relativsatz, der ihn sofort von dem andern unterscheiden soll, welchen ich nicht gegrüßt habe. Dieser Relativsatz mit »welcher« könnte auch zwischen Gedankenstrichen oder in Klammern stehen, ja für den Hörer, der den Sachverhalt schon erfaßt hat, sogar wegfallen. Eben in ihm ist das »derjenige, welcher« enthalten. Dieses »welcher« hat die Gabe der Erläuterung oder der Absonderung, es bezeichnet ein hinzutretendes, oft unterscheidendes Merkmal, es bestimmt aber keineswegs den Begriff der Person oder Sache als solcher, von der ich aussage. Es ist scheinbar determinativ, in Wahrheit attributiv. Schriebe ich nun: »Der eine, den ich gegrüßt habe ...«, so erhielte der » eine« leicht die stärkere Betonung als »gegrüßt«, es ergäbe zunächst den Sinn, daß ich beide gegrüßt habe und von jedem der beiden Gegrüßten etwas aussagen will. Wäre dies beabsichtigt, so könnte vor »den« sogar das Komma entfallen, denn es handelte sich um »den einen Gegrüßten« (von ebensolchen zweien), nicht um »den einen, den Gegrüßten«. Bei »welcher«, welches die Tonkraft dem eigenen Prädikat zuschiebt (»welchen ich gegrüßt habe«), ist dem Relativsatz begriffliches Eigenleben erhalten; das schwächere »der« liefert es dem regierenden Satze aus. Dieses Prinzip wird man an allen Beispielen bestätigt finden, wiewohl die Verhextheit gerade dieser sprachlichen Region immer wieder zu neuen Zweifeln verführen mag.
Ist es aber nicht Resultat genug, sich verführen zu lassen? Die Grammatiker haben es nicht getan und Wustmann ist weit davon entfernt. Er macht sich wohl über allerhand Sprachdummheiten Gedanken, aber nicht ohne jene durch diese zu vermehren. Namentlich hat es ihm auch der Konjunktiv angetan, zu welchem ich darum gern zurückkehre. Er spricht von der »kläglichen Hilflosigkeit unserer Papiersprache«, der er etwa die korrekte Wendung zuschreibt:
Es ist eine Lüge, wenn man behauptet, daß wir die Juden nur angreifen, weil sie Juden sind.
Es müsse »unbedingt« heißen: » angriffen«, denn »es muß der Konjunktiv stehen, und das Präsens ›angreifen‹ wird nicht als Konjunktiv gefühlt«. Das zweite ist wahr, das erste ist falsch, denn es muß der Indikativ stehen. (»Angriffen« würde aber als der Indikativ imperfecti gefühlt werden.) Selbst wenn es schlechthin hieße: »es ist eine Lüge, wenn man behauptet, daß wir die Juden angreifen«, so wäre der Indikativ nicht unrichtig, wiewohl wir die Juden tatsächlich nicht angreifen. Was vom Berichtenden hier als falsch hingestellt wird, ist zwar der Inhalt einer bestimmten Behauptung, jedoch einer, die eben in ihrer Bestimmtheit ausdrücklich schon als Lüge deklariert ist. »Mir meldet er aus Linz, er läge krank«: da wird der Inhalt der Meldung erst durch den Konjunktiv angezweifelt. Nun heißt es aber vollends, es werde behauptet, daß wir die Juden » nur angreifen, weil sie Juden sind«. Es wird sogar der Inhalt der Behauptung, daß wir die Juden angreifen, bestätigt und nur der Grund des Angriffs in Abrede gestellt. »Weil sie Juden sind«: das wollte Wustmann offenbar nicht bezweifelt wissen; Wunder genug, daß er nicht trotzdem »seien« verlangt oder »wären« erlaubt hat. Hervorragend ist der Mangel an Unterscheidungsfähigkeit, mit dem er seine Vorschriften erläßt. Er führt eine Reihe von Sätzen an, die nach seiner Meinung falsch sind, und setzt »das richtige immer gleich in Klammern daneben«. Da findet sich denn:
Er hatte .. den Wunsch geäußert, die Soldaten mögen (möchten!) ... nicht zielen.
Richtig, aber nicht weil der Satz den Konjunktiv erfordert – auch »mögen« ist einer –, sondern weil der Konjunktiv – und der vom Indikativ unterscheidbare des Imperfekts – hier als Ersatz für das fehlende »daß« auch dann eintreten müßte, wenn diesem der Indikativ folgte.
Es ist ein Irrtum, wenn behauptet wird, daß sich die Ziele .. von selbst ergeben (ergäben!).
Es ist ein Irrtum: hier ist kein Konjunktiv beabsichtigt.
Von dem Gedanken, daß in Lothringen ähnliche Verhältnisse vorliegen (vorlägen!) ... muß ganz abgesehen werden.
Hier kann ein Konjunktiv beabsichtigt sein, darum wäre das Imperfekt – der Unterscheidung wegen – möglich.
Es wird mir vorgeworfen, daß ich die ursprüngliche Reihenfolge ohne zwingenden Grund verlassen habe (hätte!).
Verlassen hat er sie ja, vorgeworfen wird ihm nur die Grundlosigkeit, also ist der Indikativ richtig. Dagegen: »es wird mir (schlechthin) vorgeworfen, daß ich sie verlassen hätte«; es ist nicht wahr, ich habe sie nicht verlassen. Aber es dürfte – wie oben bei dem Angriff auf die Juden – berichtigt werden: »es ist eine Lüge, wenn mir vorgeworfen wird, daß ich sie verlassen habe«. Die Unwahrheit des Vorwurfs kann ich durch den Konjunktiv charakterisieren, wenn ich aber den Vorwurf ausdrücklich schon eine Lüge nenne, so bedarf ich des Konjunktivs nicht mehr. Durch diesen würde ich meine eigene Aussage über den Vorwurf als zweifelhaft hinstellen.
H. Grimm geht von der Voraussetzung aus, daß ich den Unterricht bekrittelt habe (hätte!).
Hier hat Wustmann recht, denn es wird eine falsche Voraussetzung Grimms angenommen, die nicht anders als durch den Konjunktiv entwertet werden kann, während oben die Behauptung, daß sich die Ziele ergeben, als solche feststehen muß, um eben als »Irrtum« entwurzelt zu werden. Aber er schließt summarisch: »daß die Verfasser dieser Sätze den Indikativ hätten gebrauchen wollen, ist nicht anzunehmen; sie haben ohne Zweifel alle die Absicht gehabt, einen Konjunktiv hinzuschreiben«; und sie hätten eben fälschlich den papierenen Konjunktiv präsentis oder perfecti erwischt, der als solcher nicht erkennbar ist. Aber woher wußte Wustmann, daß sie, wenigstens zum Teil, nicht den Indikativ beabsichtigt haben? Und wie hätte er in diesem Falle bewiesen, daß es fehlerhaft sei? Wustmann schreibt, es sei nicht anzunehmen, daß sie den Indikativ hätten gebrauchen wollen. Ich nehme an, daß selbst er hier den Indikativ hat gebrauchen wollen, also zu sagen gehabt hätte: »daß sie den Indikativ haben gebrauchen wollen«. Sein eigener Zweifel ist ja durch die Negation im Hauptsatz (»nicht anzunehmen«) konsumiert und was er geradezu »nicht annimmt«, ist als Tatsache zu setzen. (Sonst würde er ja seine eigene Nichtannahme bezweifeln.) Wenn ich nun soeben schrieb: »daß er zu sagen gehabt hätte«, so stellt dieser Konjunktiv den besonderen Fall einer gedachten Bedingtheit vor, auf den ich schon hingewiesen habe. Auch in direkter Aussage würde es hier heißen: »er hätte zu sagen gehabt« (ergänze: statt daß er gesagt hat). Er aber hätte vermutlich sogar das Folgende gesagt oder erlaubt: »Es ist nicht anzunehmen, daß die Verfasser behaupten würden, die Sätze, die sie geschrieben hätten, seien Indikativsätze.« Hier liegt der Fall vor (den Sanders richtig heraushebt), daß der Zwischensatz eine Bemerkung des Aussagenden ist und nicht eine Bemerkung dessen, von dem ausgesagt wird, daß es also heißen muß: »... behaupten würden, die Sätze, die sie geschrieben haben, seien Indikativsätze«. Vielfache stilistische Rücksicht kann hier wie überall gegen die Vorschrift gelten. Aber umsomehr gegen eine Erlaubnis, die von keinem Gedanken bezogen ist. Supra grammaticos wird immer die künstlerische Entscheidung stehen und ein scheinbarer Fehler dürfte manchmal gegen alle Regel alles Recht von der gedanklichen Vollmacht seiner Umgebung erhalten. Eben solchem Wert kann sprachlogisches Bemühen, das Richtige vom Unrichtigen zu unterscheiden, nur zugute kommen. Richtig gebaut ist zum Beispiel ein Satz in einer Erklärung, die ich in einer Polemik der Arbeiter-Zeitung zitiert finde und die eine Ausnahme vom Wiener Amtsdeutsch zu bilden scheint:
In den letzten Tagen ist in Versammlungen wiederholt behauptet worden, Vizekanzler Dr. Dinghofer habe sich gegenüber einer Abordnung des Reformverbandes der Hausbesitzer geäußert, die Hausbesitzer könnten sich auf den vielumstrittenen Beschluß der steiermärkischen Landesmietenkommission auch ohne amtliche Kundmachung des Beschlusses berufen. Demgegenüber wird festgestellt, daß der Vizekanzler eine solche Erklärung nicht abgegeben hat. Er hat nach den Ausführungen des Sprechers der Abordnung, der seine eigenen Ansichten vortrug, lediglich bemerkt usw.
Weit entfernt, aus dem richtigen Ausdruck des Sachlichen auf die sachliche Richtigkeit zu schließen, gehe ich zu der polemischen Antwort über. Sie enthält eine kuriose Fügung, der man häufig bei einem Publizisten begegnet, dessen Fehler besser sind als die Vorzüge anderer Zeitungsleute:
Wonach es wohl so sein wird, daß Herr Dr. Dinghofer den Hausbesitzern das gesagt habe, was sie hören wollten ....
Aber da es doch einem entgegengehalten wird, der seine Worte verleugnen möchte, so könnte es gar keinen indikativeren daß-Satz geben als diesen und er müßte natürlich lauten: »daß er ihnen gesagt hat«. Hier hat wohl das »wohl« des regierenden Satzes den indikativen Charakter des abhängigen Satzes zu Unrecht beeinflußt. Warum sollte denn ein Zweifel an der eigenen Deutung ausgedrückt sein? Es soll doch nur das vom andern Teil Gesagte entwertet werden, nicht die Entgegnung, welche durch das »wohl« ja noch ironisch verstärkt wird. Nun, es ist wohl der Absprung einer jähen Feder, während die Willkür in modis und temporibus geradezu das System einer Tagesschriftstellerei ausmacht, die im falschen Modus gern ihre Bildung und im falschen Tempus deren Imperfektheit zeigt. Was aber bedeuten selbst solche Formsünden in einer Sphäre, wo fast jedes Wort, das hervorkommt, Sünde wider den Geist ist? wo überhaupt nur mehr gestottert wird, um den schäbigsten Sachverhalt an einen Leser heranzubringen, der es vielleicht doch etwas besser sagen könnte, wenn er nicht täglich diesem verderblichen Einfluß ausgesetzt wäre, so daß er schließlich selber zum Journalisten taugt! Ein Theaterkritiker, dessen apodiktische Ödigkeit sich in kurzen Absätzen auslebt, die jeder für sich nur einen Satz, aber dafür einen schlechten bilden, beschwert sich über seinen Sitznachbarn:
... der junge Mensch vergnügte sich damit, die Schnur an das Aluminium des Feldstechers zu reiben, was ein kreischendes, kratzendes, Nerven erregendes Geräusch verursachte.
Kein Wunder, wenn »an etwas reiben« als Akkusativ konstruiert wird. Aber das Geräusch hört nicht auf, denn:
... er wetzte die Schnur ausschließlich dann an das Fernglas, wenn der Vorhang hochgegangen war.
»An etwas wetzen« als Akkusativ ist freilich auch eine rechte Störung im Theater. Damit man aber sieht, was so ein Sitznachbar imstande ist, faßt der Kritiker seine Eindrücke noch einmal zusammen:
... Er rieb und wetzte die verdammte Schnur an das verdammte Aluminium. Für meine Erfahrung war das eine neue Nuance.
Für meine auch. Es muß schrecklich sein, so empfindlich für alle Geräusche, aber so verlassen von allem Sprachgefühl im Theater zu sitzen. Offenbar verwechselt man »reiben« und »wetzen« mit »rühren« und »stoßen«. In diesen Wörtern ist auch die Bewegung »an den« Gegenstand hin enthalten, »an dem« sich der Vorgang abspielt, während dort nur dieser selbst ausgedrückt wird. Man stößt sich an dem oder an das (gegen die Sitte anstoßende) Benehmen des Sitznachbarn, der aber die Schnur bloß an dem Aluminium reiben oder wetzen kann. Freilich, in der Wiener Presse würde es heißen: »man stoßt sich«, wie man ja dort auch » lauft«.
Das Analphabetyarentum ist geradezu erfinderisch in Ausbau und Vertiefung dessen, was als Zeitungsdeutsch schon eingelebt ist. Daß in diesen Kreisen » nachdem« längst auf die temporale Bedeutung zugunsten der kausalen verzichtet hat, ist bekannt. ›Bühnen‹-Ausflüge fanden statt, nachdem der Wettergott ein Einsehen gehabt hatte: aber nicht »als«, sondern »weil«. Sie finden sogar statt, nachdem heute schönes Wetter »ist«. Daß aber »nachdem« nebst dem Präsens-Charakter sogar einen futurischen sich zuziehen kann, bedeutet eine große Errungenschaft. Beides ist in dem Folgenden geglückt:
Man wird sich überall in allen Theatern, die für Frau Roland in Betracht kommen, fragen, weshalb die Roland eigentlich aus dem Burgtheater weg mußte, nachdem Schauspieler und Schauspielerinnen, die sich mit dieser Frau beiweitem nicht messen können, seit Jahren behaglich im Burgtheater sitzen und wahrscheinlich bis an ihr seliges Ende dort sitzen bleiben werden.
Dieses »nachdem« mit dem Präsens bedeutet schon nicht mehr »weil«, sondern »während hingegen«. Aber nachdem etwas geschehen wird: einen temporellen Inhalt da hineinzudenken, dürfte ohne Kongestion nicht möglich sein. Es gelänge auch nicht am Beispiel einer bequemeren Materie, etwa: Man wird sich überall fragen, weshalb Herr Bekessy eigentlich von Wien weg mußte, nachdem seine Redakteure in Wien schreiben und wahrscheinlich bis an ihr seliges Ende hier weiter schreiben werden. (In Wien sitzen wird nicht einmal er.) Daß der Tandelmarktjargon druckreif geworden ist, ja daß es überhaupt keine andere Schriftsprache mehr gibt als ihn, offenbart der flüchtigste Blick in ein Zeitungsblatt. Es ist bereits möglich geworden, daß eine Wendung in Druckerschwärze erscheint wie diese:
Nach und nach entdeckte sie, daß es ihm an Sachen fehle, was jeder andere ... besitzt.
Oder diese:
weil sie mit ihm Nachtmahl essen war.
Man fragt sich nun, wie (nicht wieso) insbesondere (nicht insbesonders) solches möglich ist. Denn es versucht geradezu den Jargon konstruktiv einzurichten. Schon die Wendung: »Ich war mit ihm essen« ist im Privatleben selten. Man hört gerade noch: »Ich war essen« und nur als Antwort, nämlich durch die Verführung der Frage: Wo warst du? Man kann sich akustisch vorstellen, daß einer bekennt: »Ich war baden«, aber doch nur als Antwort auf die Frage, was er unternommen habe. Fragt man einen, der sich nebenan im Badezimmer aufhält: Was tust du?, so könnte er natürlich nicht antworten: Ich bin baden. Auf die Frage, was er tun werde, nicht antworten: Ich werde baden sein. Für die Vergangenheit geht es irgendwie vom Mund. Nie aber selbst von diesem innerhalb einer festen Fügung, mit dem nachgestellten Hilfszeitwort: weil ich baden war, weil ich essen war, oder gar: »weil ich mit ihm Nachtmahl essen war«, also als richtiggehende Begriffsfolge. Hier ist Neuland des Jüdelns erobert. Außer bei ganz wenigen einfachen Verrichtungen des täglichen Lebens wie »essen«, »baden«, eventuell »tanzen«, »eislaufen«, also was man so zu tun hat – aber schon nicht bei »schlafen«, welches doch nicht so kurz abgemacht wird – ist dieser entsetzliche Infinitiv mit diesem entsetzlichen »war« kaum vorstellbar. Dem Leser, der das, was ihm im intimsten Kreis von der Lippe fließt, als kausale Konstruktion gedruckt findet, wird sogar noch das Mauscheln verhunzt. Er liest von einem Mann, der einen Preis gewonnen hat (denn mit so etwas entschädigt jetzt die Zeitung ihre Opfer):
... ist nach einer halben Stunde noch so aufgeregt, daß er den Bleistift nicht führen kann, um sich die Adresse zu notieren, an der er heute photographiert werden soll.
Aber der Reporter kann die Feder führen. Ein anderer schäkert:
Schauen Sie sich den blauen Luftballon an, mit seinen schwellenden Formen, der so hübsch an der zierlichen Hand Ihrer Nachbarin in die Höhe ragt.
Oder er plaudert im Metapherndrang über Orangenschalen:
Der Fuß stolpert leicht über die dicke Haut des süßen Obstes.
Sonst rutscht man in solchem Falle nur aus; aber die Metapher bleibt insofern doch heil, als man von derlei Geistern eben sagen kann: Das stolpert über eine Orangenschale! Wenn sie nur die Feder in die Hand nehmen, sehen sie schon nicht mehr das Ding, das sie beschreiben wollen, und verlieren noch die Vorstellung, die sie nicht haben. Auf diese Art können aber sogar Zeichnungen entstehen. Im Analphabetyarenblatt ist eine erschienen: ein alter Mann steht vor einer Wiege, in der ein Säugling schreit. Titel: »Breitner ist Vater geworden«. Text:
– Was, nur ein Mäderl? Bei der Steuerpolitik, da muß man Junge kriegen ...
Versteht man, was da passiert ist? Der Analphabetyar, der die »Idee« gehabt hat, war der Meinung, daß die Redensart: »Da muß man Junge kriegen« den Plural von »ein Junge« enthalte. Daß zu den Jungen, die man kriegt, gleichfalls ein Mäderl gehören kann, ahnte er nicht. »Ein Junges« (»das Junge«), Plural »Junge« (»die Jungen«) – »Ein Junge« (»der Junge«), Plural »Jungen« (»die Jungen«). Läßt man nun den Blödsinn zu, daß der Steuerpolitiker selbst »Junge kriegt«, während die Verzweiflung, die in der Redensart ausgedrückt wird, doch der Zustand der Besteuerten ist, so hätte der »Witz« natürlich lauten müssen: »Was, ein Kind? Ja, bei der Steuerpolitik, da muß man Junge kriegen!« Oder, dem Sachverhalt entsprechender: »Wie, er ist Vater geworden? Und wir haben geglaubt, daß wir Junge kriegen müssen!« So ist denn ein Zeichner das Opfer eines geworden, der nicht schreiben kann. Da heißt es immer, daß aller Anfang schwer sei; weit schwieriger ist alle Endung. Der Analphabetyar wird sich im Zweifelsfalle immer für die unrichtige entscheiden. Er spricht davon, daß die Luxussteuer »für eine ganze Reihe von Artikel aufgehoben« wurde. Gleich darauf wird aber »der erste der drei Gruft deckeln abgehoben«. So geht es auf und ab, aber immer falsch. Ein sehr häufiges Wort in diesen Kreisen ist doch »Mädel«; also wäre als Mehrzahl zu merken: die Mädel, der Mädel, den Mädeln. (Wozu gleich ein für allemal gesagt sei, daß der Genitiv von »Fräulein«: des Fräuleins, jedoch der Plural: die Fräulein heißt.) Die Endung »-el« scheint in der Wiener Presse geradezu panikartig zu wirken. Sie wissen nicht, daß die Mehrzahl des Neutrums wie des Maskulinums nur im Dialekt (oder dort wo die stilistische Absicht diesen verlangt) das »n« verträgt. Also vielleicht »Maderln«; keineswegs aber »Erdäpfeln«, dagegen »Kartoffeln«. Im Zentralblatt der Bildung hat kürzlich einer geglaubt, daß eine Epistel sächlichen Geschlechtes sei und folgerichtig konstruiert: » Eines dieser Epistel lautet«. Vor dem Fehler: »Eines dieser Episteln« hat er sich gehütet; doch vielleicht lernt er noch, daß »eine dieser Episteln« das beste ist. Offenbar hat er gedacht, mit »Epistel« sei das so wie mit »Kapitel«. Aber einer, der die Artikel verwechselt, sollte höchstens Episteln schreiben, und keine Artikel. All dies und speziell »eine ganze Reihe von Artikel« ist gewiß bloß aus der Einschüchterung durch mich zu erklären. Ich hatte den analphabetyarischen Plural »die Artikeln« ebenso wie »die Titeln« gerügt, und da traute man sich halt nicht mehr. Es ist wohl eine der kulturell besondersten Tatsachen, daß der Beruf, dessen Aufgabe es ist, Artikel zu schreiben und Titel darüber zu setzen, sogar an der Bezeichnung dessen strauchelt, was er nicht kann. Und weil sie das Wesentliche nicht wissen, so wissen sie auch nicht, daß »ein Trottel« selbst in der Mehrzahl nur Trottel ergibt.