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Weit entfernt von der Ansicht, daß einem Aufsatz über Konjunktive, Pronomina, Tempora, Kasus und dergleichen eine angeregte Unterhaltung nicht abzugewinnen wäre, wenn nämlich der Aufsatz von K. K. ist und man das Wort »Unterhaltung« in einem etwas edleren als dem landläufigen Sinne gebraucht, glaube ich vielmehr, kaum je ein belletristisches oder polemisches Werk angeregter, ja gespannter gelesen zu haben als diesen Aufsatz. In dem Satz nun auf Seite 79 des letzten Heftes, in dem jene Warnung an den auf stoffliche Unterhaltung erpichten Hörer enthalten ist, steht ein Konjunktiv imperfecti, den ich vorhin zu brauchen mir erlaubte, weil ich eben der Ansicht bin, daß dem Aufsatz eine angeregte Unterhaltung abzugewinnen ist, der mir aber im Original von der Lehre des Aufsatzes abzuweichen scheint, da dort doch wohl dem Hörer ohne den Ausdruck eines Zweifels mitgeteilt werden soll, dem Aufsatz sei eine angeregte Unterhaltung nicht abzugewinnen. Liegt nun bei der Programmnotiz eine besondere stilistische Absicht vor, die mir entgangen ist, oder habe ich den Aufsatz »Zur Sprachlehre« ohne Erfolg gelesen?
Für die Beantwortung der eben gestellten Frage würde ich ebenso dankbar sein
(besser: »wäre ich ebenso dankbar«)
wie für die der folgenden: Auf Seite 38 der Nr. 751–756 findet sich in der letzen Zeile der Passus »... was so viel bedeutet als ...«. Da man mich nun einerseits schon in der Schule lehrte, die Konjunktion »als« stehe in ihrer vergleichenden Bedeutung nur nach Komparativen und nach dem Wort »anders« und seinen Ableitungen, andererseits aber mein Sprachgefühl sich gegen die oben zitierte Wendung nicht im mindesten sträubt, zweifle ich, ob jene Schulregel überhaupt richtig ist. Oder steht das »als« an der zitierten Stelle nur deshalb, weil ein »wie« statt seiner dort klanglich sehr häßlich sein würde?
(besser: »häßlich wäre«)
Zum Schluß möchte ich noch eine Frage vorbringen: Ist nicht der an sich unrichtige Wustmannsche Satz »es ist nicht anzunehmen, daß sie den Indikativ hätten gebrauchen wollen« in der Zitierung S. 52 Z. 15 des Februar-Heftes durch die vom Zitierenden vorgenommene Umwandlung des »ist« in »sei« wieder richtig geworden? Ist also nicht der von Wustmann falsch geschriebene Satz durch die Zitierung in indirekter Rede schon so weit korrigiert worden, daß man, um seine Unrichtigkeit zu erkennen, auf das wörtliche Zitat Z. 7 derselben Seite zurückgreifen muß?
Ob ich Herrn Karl Kraus die Beantwortung meiner Fragen zumuten kann, weiß ich nicht. Daß ich ihm die vollendetste und für mich genußreichste Klärung meiner Zweifel zutraue, brauche ich nicht zu versichern.–
Schon diese richtige Anwendung von »zumuten« und »zutrauen«, die kein Wiener Journalist je lernen wird, hat eine Antwort verdient:
14. März 1927
Wir danken Ihnen, auch im Namen des Herausgebers der Fackel, für die so freundliche Ansicht Ihres Schreibens wie auch für die durchaus anerkennenswerte Absicht, eine Klärung Ihrer Zweifel zu erlangen. Sie müssen sich aber, aus gewiß begreiflichen Gründen, mit der Versicherung begnügen, daß diese Zweifel sachlich nicht begründet sind. Wenn es die Arbeit gestattet und ermöglicht, wird ja wohl manches, wie etwa der Fall »als und wie«, publizistisch behandelt werden können. Immerhin möchten wir Ihnen sagen, daß Sie in dem Satz, der in jener »Warnung« steht, den rein konditionalen Charakter des Konjunktivs übersehen haben. (Es ist ja doch eben eine Warnung an solche, die dergleichen nicht vertragen und für die es nicht unterhaltend wäre, wenn sie dablieben. Auch ohne »daß« wäre der Konjunktiv hier richtig.) Der Wustmann'sche Satz jedoch ist durch die indirekte Art der Zitierung keineswegs richtiger geworden, ganz abgesehen davon, daß der Fehler, auf den das Zitat hinweist, durch die Sperrung des Wortes hinreichend anschaulich wird.
Dem »als« an jener Stelle folgt ein Doppelpunkt:
ich mute ihnen zu ... was so viel bedeutet als: ich verlange von ihnen ...
Diese Setzung schon, die ein Wägen und Messen beinahe graphisch anschaulich macht, könnte den Unterschied erfassen lehren. Wenn er in der Schule so gelehrt wird, daß »als« »nur nach Komparativen und nach dem Wort ›anders‹ und seinen Ableitungen« zu stehen komme, so wird er falsch gelehrt. Richtig ist, daß in solchen Fällen nicht »wie« gebraucht werden kann, »als« jedoch kann auch sonst gebraucht werden. Falsch ist es, zu schreiben, daß ein Ding besser oder anders ist »wie« ein anderes (wiewohl auch Klassiker manchmal nicht besser als so schreiben und Journalisten nicht anders »wie« so schreiben können.) Aber »als«, das einen größeren Geltungsbereich hat als »wie«, wird auch in der positiven Fügung oder scheinbaren Gleichstellung der verglichenen Begriffe gebraucht werden können. In dem zitierten Fall ist es dem »wie« vorzuziehen. Gerade an diesem Beispiel ließe sich der Bedeutungsunterschied auch dann vorstellen, wenn nicht der Doppelpunkt die Prozedur sinnfällig machte, die zum Ausdruck gelangen soll. Gewiß, wenn ich zwei begrifflich analoge Quantitäten verbinden will, so werde ich sie durch »wie« verbinden. Ich will ihre Gleichheit durch den Vergleich darstellen: ein Gegenstand wiegt so viel »wie« ein anderer. Wenn ich aber einen Gegenstand wägen will, so wird er so viel »als« einen Zentner wiegen. Der Wiener Dialekt trifft hier den Unterschied ganz richtig: »Das macht so viel als wie....«, während er sagt, daß ein Ding »so viel wie« ein anderes wiegt. Der Vergleich als solcher ist durch »wie«, das Moment des Maßes durch »als« bezeichnet. »Zumuten«, hieß es, »bedeutet so viel als: verlangen«. Aber bei den Journalisten bedeutet Zumuten so viel »wie« Zutrauen. In jenem Fall sage ich, was es bedeutet. In diesem: daß eines soviel wie das andere bedeutet; daß die Bedeutungen verwechselt werden. (Es ist gehupft »wie« gesprungen. Oder, um in der Sphäre zu bleiben: gedruckt »wie« gelogen.) An jener Stelle unterstützt der Doppelpunkt plastisch den Ausdruck der Messung. Die »klangliche Häßlichkeit« des »wie«, von der der Anfragende spricht, hat einen inneren Grund. Man könnte es dort nicht anwenden, es wäre ein anderer Gedanke, nämlich der: daß ich zwei bereits gemessene und gleich befundene Quantitäten miteinander verbinden, nicht: daß ich Maß oder Gewicht einer Quantität erst bestimmen will. Eine Sache bedeutet so viel »wie« eine andere Sache = sie bedeutet so viel, wie die andere bedeutet; beide bedeuten gleich viel. (Bezogen auf ein Tertium, mit dem beide verglichen gedacht werden.) Eine Sache bedeutet so viel »als« eine andere = sie bedeutet so viel als das, was die andere ist; sie bedeutet die andere. Dort erfolgt der Vergleich zweier Quantitäten, hier der der einen mit dem Gewicht. Hier würde ich sagen, daß ich die eine » mit der andern vergleiche«, dort, daß ich sie »der andern« vergleiche (also Dativ ohne Präposition, zur Bezeichnung des vorweg Übereinstimmenden). Der Bleistift wiegt so viel wie der Federhalter (Vergleich), aber: der Bleistift wiegt zweimal so viel als der Federhalter (Messung). Eine Sache ist so gut »als« möglich: das heißt, daß sie so gut ist, als es möglich ist. Eine Sache ist so gut »wie« möglich: das hieße, daß sie so gut ist, wie sie möglich ist, ebenso gut wie möglich, in demselben bereits gegebenen Maße, oder gut und möglich zugleich.
Wann schließe ich »aus« und wann »von« etwas auf etwas anderes? Wenn das, worauf ich schließen will, mich erst zu der Untersuchung dessen veranlaßt, woraus ich schließen will (erst das Eingehen auf dieses bewirkt), so schließe ich »aus« diesem. Wenn aber dieses in seiner Erscheinung schon die Gründe enthält und offenbart, aus denen ich schließe, so schließe ich »von« ihm. Mithin schließe ich »daraus«, daß du gestern nicht gekommen bist, darauf, daß du krank bist; denn du kommst fast täglich und dein Nichtkommen läßt mich jenen Grund erschließen. Du könntest mich aber belehren, daß solcher Schluß ein falscher sei und nur auf mich selbst zutreffen könnte, der ausnahmslos täglich kommt und dessen Ausbleiben allerdings nur durch Krankheit zu erklären wäre: daß ich mithin nicht »von« meinem Verhalten auf das eines andern schließen dürfe. Man könnte also auch sagen, daß »von« den Vergleich zweier analoger begrifflicher Materien (Ich und Du) ausdrückt, den Weg von der einen zu der andern bezeichnet, »aus« jedoch die Beziehung des Grundes einer Handlung zu der andern Handlung als solcher. Wenn ich »von« einer früheren gerichtlichen Entscheidung auf eine andere schließe, so vergleiche ich die beiden miteinander, obschon sie auf verschiedenen Umständen beruhen mögen. Dagegen werde ich, bei gleichgearteten Umständen, eher »aus« einer früheren Entscheidung auf eine zu erwartende schließen. Jenes reicht von der einen Tatsache zur andern, dieses vom Grund der einen zur andern. Ursprünglich wird man wohl nur »aus« etwas schließen gekonnt, nämlich aus einer gegebenen Wahrheit eine Erkenntnis gezogen haben. Das »von«, in welchem die Erscheinung angesehen wird, dürfte ein Hinzugekommenes sein, wird aber dem Denkprozeß durchaus gerecht. Du darfst nicht aus dem Grunde deines Handelns auf das meine = von deinem auf meines schließen.
Es wäre dem Menschen geholfen, könnte man ihm, wenn schon nicht das Auge für die fremde Schrift, wenigstens das Ohr für die eigene Sprache öffnen und ihn wieder die Bedeutungen erleben lassen, die er ohne es zu wissen täglich zum Munde führt. Ihn die Verlebendigung der Redensarten lehren, die Auffrischung der Floskeln des täglichen Umgangs, die Agnoszierung des Nichtssagenden, das einmal etwas gesagt hat. Wer weiß, ob nicht der blinde Entschluß, künftig nur mehr dazu Zeit zu haben, wozu man keine Zeit hat, und alles was bisher für nützlich und notwendig galt, zu versäumen, ob nicht die Zukehrung zu den geistigen Rohstoffen ihm die Sorge für die wirtschaftlichen ersparte. Je näher dem Ursprung, desto weiter vom Krieg. Wenn die Menschheit keine Phrasen hätte, brauchte sie keine Waffen. Man muß damit anfangen, sich sprechen zu hören, darüber nachdenken, und alles Verlorene wird sich finden. Was das Lesen betrifft, so ist es zunächst gar nicht notwendig, sich von den Zeitungen, die uns den Weg zur Sprache wie zu aller Natur verrammeln, zu trennen. Im Gegenteil wird es nützlicher sein, sie lesend zu durchschauen, und besser, eine Zeile des Leitartikels scharf ins Auge zu fassen, als von einem Vers der Iphigenie die schöne Ansicht abzunehmen. So ist es auch förderlicher, beim Sprechen nicht vorweg auf das bessere Sprechen zu achten, sondern das was man gesprochen hat, auf die Wurzel des Gedankens zurückzuführen. Eines von hundert Beispielen, über die man nachdenken kann, ist in folgendem Fall gegeben. Eine Frau, die besser spricht als man hierorts gewohnt ist, wird verlacht, weil sie auf die Frage, ob sie müde sei, die Antwort gibt: »Nicht einmal«. Sie denkt über die Wirkung und über die Wendung nach, findet, daß diese entsprechend sei, ohne auf den Grund ihrer Richtigkeit zu kommen. Ich rekonstruiere die Situation, in der die Wendung statthaben konnte. Sie stellt eine Ellipse vor, die in sich durchaus möglich und üblich ist und nur komisch wirken kann, wenn der Hörer an dem Erlebnis, das ihr zugrunde liegt, unbeteiligt ist oder es vergessen hat. Sie beruht auf der Prämisse einer Erwartung, die nicht eingetreten ist. Zwei machen einen Spaziergang; der eine hat geglaubt, daß seine Kräfte nicht zureichen werden. Auf die Frage, ob er müde sei, antwortet er: Nicht einmal [das, was man doch – oder mindestens – erwartet hatte: daß er ermüden, geschweige denn etwa, daß er versagen werde, ist eingetreten]. Jede Gedankenlosigkeit, die man spricht, war einmal ein Gedanke. Wenn man sich nur besinnt und sich fragt, ob das Gesprochene dumm sei, wird man schon wissen, was »Nicht einmal« bedeutet.
Ein menschlich gesinnter Schriftsteller gibt eine Zeitschrift heraus, was einen gleichnamigen, deutsch gesinnten Schriftsteller zu der Erklärung bestimmt, daß er mit jenem nicht zu verwechseln sei, auch gehe seine »Ansicht über die nationale Frage«,
trotz mancher Übereinstimmung in anderen Dingen, von der seinen weit auseinander.
Daß also der deutsch gesinnte Schriftsteller, wie es sich gehört, nicht deutsch kann, ist nicht zu bezweifeln. Was nun den menschlich gesinnten Namensbruder anlangt, so sucht er es ihm auf eine Art zu beweisen, die, gleich allem was er schreibt, die redlichste Absicht dartut, aber auch wie recht er hat, seinen Widersachern, die ihm Nachahmung der Fackel vorwerfen, zu antworten, daß diese unnachahmlich sei. Vorerst verwahrt er sich dagegen, daß er »Ansichten zu einer Frage habe«, denn es gebe nur »Antworten auf eine Frage«. Aber der andere hat von einer »Ansicht über die nationale Frage« gesprochen, die man wohl haben kann, da diese Frage nicht zu solchen Fragen gehört, die beantwortet werden, sondern etwas Fragliches, eine Streitfrage, ein Problem bedeutet, das hoffentlich einmal gelöst werden wird und zu dem man sich sogar mit der Ansicht stellen könnte, daß es endlich einmal an der Zeit wäre, die Menschheit davon zu erlösen. Mit diesem Versuch, die deutschnationale Gesinnung sprachkritisch zu entwerten, ist's also nichts. Dagegen kompromittiert sie sich gewiß durch die Erklärung, daß ihre Ansicht über die nationale Frage »von« der des Namensbruders »weit auseinandergeht«. Das empfindet auch dieser, hat aber leider den folgenden Plan, die Sache in Ordnung zu bringen:
Und außerdem kann man nur mit jemandem auseinandergehen. Wer von etwas auseinandergeht, der explodiert. Es ist eben eine alte Erfahrung: Deutsch denken und Deutsch können ist zweierlei.
Ganz richtig. Diese beiden Fähigkeiten gehen auseinander. Dagegen geht auch der, der explodiert, nicht von etwas auseinander. Ferner kann man nicht mit jemandem auseinandergehen, weil solches hieße, daß man selbst darin mit ihm überein ist, also gerade im Explodieren. Dem deutsch gesinnten Schriftsteller wäre wohl nichts übrig geblieben als zu erklären, daß seine Ansicht über die nationale Frage und die seines menschlich gesinnten Namensbruders weit auseinander gehen. Was diesen betrifft, so hat er recht, sich solche Trennung gefallen zu lassen, und wenngleich er es bescheiden ablehnt, der Nachahmer eines »Dornes in den Augen der Menschheit« zu sein, so leistet er doch genug, wenn er, obschon in grauem Umschlag, als das rote Tuch für die steirische wirkt.
Es geht und geht halt nicht. Da rufen einander – nach einer Zeitung und dennoch glaubhaft – zwei Anwälte zu:
»Ich verbiete mir eine solche Äußerung!« »Sie haben mir gar nichts zu verbieten!«
Das ist fast von Nestroy, wurde jedoch von dem Gerichtssaalmann einer andern Redaktion, in der die »Sprachlehre« Unruhe hervorgerufen hat, wie folgt geändert:
»Ich verbitte mir eine solche Äußerung!« »Sie haben mir gar nichts zu verbieten!«
Eine halbe Sache, der zweite hätte dann sagen müssen: »Sie haben sich gar nichts zu verbitten!« Ein unverwüstlicher Schmock erkannte, daß da ein Problem sei, entschied aber so:
Wie lange ist es her ... daß man überhaupt wegen der »ernsten Zeit« jedes Vergnügen verbat.
Ja, wenn man das Reden und das Schreiben durch Verbitten unterdrücken könnte, wär's auch schon ein Erfolg. Ich bete, daß es besser werde, ich bitte um Gehör und biete einen Rat: zu unterscheiden und entsprechend abzuwandeln: bat, betete, bot; gebeten, gebetet, geboten. Leicht ist's ja nicht, aber es wird sich lohnen.
ist ihnen nach wie vor nicht, daß sie auch diesen Unterschied erfassen. Da soll ein bekannter Individualpsychologe (der etwas viel Gemeinschaftsgefühl durch Interviews bekundet) geäußert haben:
Wir Wiener stehen in gutem Ruf, weil man uns zumutet, daß wir neidlos und mit freundlicher Anerkennung das Gute schätzen, wo immer wir es finden.
Da sieht man wirklich, wie beliebt wir Wiener sind: man verlangt von uns, daß wir das Gute schätzen, und bevor wir dieses Verlangen noch erfüllt haben, stehen wir schon in gutem Ruf.
*
Ein lehrreiches Beispiel – aus der Fülle dessen, was das Kommiswelsch jedes ›Tages‹ und jeder ›Stunde‹ bietet – ist die Wendung eines Brillantenschmocks, die Presse mute den Richtern nicht Ungerechtigkeit oder dergleichen zu. Wie sollte sie? Es hieße ja, sie verlange von ihnen nicht Ungerechtigkeit. Nun kann es allerdings auch eine Lage geben, in der man versichern mag, daß man einem Richter so etwas nicht zumute. Nämlich vor einer Entscheidung: wenn man etwa, seinen gerechten Anspruch verteidigend, sagen wollte, damit, also mit dem Urteil, das man durchsetzen möchte, mute man ihm keine Ungerechtigkeit zu. Wenn man jedoch sagen will, daß man ihn nicht für ungerecht, ihn keiner Ungerechtigkeit für fähig halte, so muß man natürlich sagen, man traue ihm keine Ungerechtigkeit zu. Zugemutet wird die Leistung, zugetraut die Fähigkeit zu ihr. (»Ich mute dir zu, etwas zu tun, denn ich traue dir zu, daß du es tun kannst.« Richtig auch: »Ich traue dir zu, daß du etwas getan hast«, nämlich: weil du es kannst. Die populäre Unterscheidung ist die ausschließliche zwischen einem Positiven, das in »zutrauen«, und einem Negativen, das in »zumuten« begriffen wird. Jenes hat jedoch nichts mit dem Zutrauen, dem Vertrauen zu tun, bloß mit einem Glauben. Das andere ist ein Anmuten, ein Begehren, welchen Grades immer, wenngleich es zumeist etwas Minushaftes zum Objekt haben wird. Hier geht es um die Handlung, dort um die Tauglichkeit.) Aber die Journalisten werden alte Journalisten werden, bis sie diesen Unterschied erfassen, und selbst dann besteht keine Hoffnung. Denn sie werden immer die »Zumutung« abweisen, daß sie nicht deutsch schreiben, wiewohl man es von ihnen zwar nicht verlangt, sondern ihnen bloß zutraut.
Unsicher sind sie auch mit »trog« von trügen und »trug« von tragen. Da die Handlung in jenem Fall ein Betrug ist, der aber auch ein Erträgnis bringt, so machen sie es so:
Da verschwand sie aus Meran und kam Ende 1918 nach Innsbruck, wo sie sich als Oberin des Meraner Klosters und als Nichte des Exzbischofs von München ausgab. Das trug natürlich.
Also Geld oder Innsbrucker?
Zu den vielerlei Beschwerden, die der Mensch außer den Magenbeschwerden haben kann, gehören die Verkehrs-, Eisenbahn-, Stadtbahn-, Straßenbahn-, Telephon-, Wetter-, Konzerthaus- und Opernbeschwerden. Die letzten sind nicht die geringsten und rechtfertigen schon ein gewisses Pathos, besonders wenn es von geschätzter Seite kommt:
Ich habe gestern eine Wette gewonnen. Ich habe nämlich gewettet, daß die gestrige Sonntagsvorstellung im Hofoperntheater (auf dem Zettel stand »Die Walküre«) abgesagt werden würde. Als in der vorigen Woche der »Ring«-Zyklus angekündigt worden war, lasen meine Freunde und ich, große Wagner-Verehrer, mit besonderer Freude, daß der erste Abend »Die Walküre« wieder einmal in erstklassiger Besetzung gespielt werden sollte, Frau Weidt als Brünnhilde, Herr Miller als Siegmund, wahrlich ein seltener Genuß für ein Sonntagspublikum. Und wir gingen hin und kauften uns teure Parkettsitze. Da sagte ich zu meinen Freunden: »Ob wir am Sonntag ›Die Walküre‹ hören werden, weiß ich nicht, aber ich wette, daß wir die angekündigte Besetzung nicht bekommen werden. Wenn die Direktion der Hofoper einmal im Jahr dem Sonntagspublikum einen erlesenen Genuß bieten will, dann werden schon andere Umstände eintreten, die uns um dieses Vergnügen bringen werden.« Meine Ahnung trug mich nicht....
Die geschätzte Seite hatte vielleicht »trog« geschrieben. Das schien der Redaktion bedenklich. Man will sich nicht blamieren. Man änderte selbstverständlich in »trug«. »Trog« erinnert an Sautrog und ist auch sonst verdächtig. »Warum sagt er«, meinte ein Redakteur, »daß die Ahnung trog? Eine Ahnung trogt nix! Er will sagen, daß es ein Betrug war, also muß man sagen, die Ahnung trug nicht.« »Moment«, sagte ein zweiter, »wenn wir sagen, die Ahnung trug nicht, so ist das so viel, wie wenn wir sagen, sie hat nicht getragen. Während, wenn wir sagen wollen, sie hat nicht getrogen, wir doch sagen müssen, sie trog nicht!« »Moment«, versetzte der erste, »wenn sie nicht getrogen hat, so hat sie doch getrügt?« »Wieso? Wenn sie nicht getrogen hat, so hat sie getrogen –« »Aber wenn sie ja getrogen hat –?« »Wenn sie ja getrogen hat, so hat sie nicht getrogen.« »Wieso?« »Wenn sie nicht trug, so heißt das nur, daß sie nichts getrogen hat, während wenn sie trog, heißt, daß es ein Betrug war.« »Wieso? Mir scheint konträr, daß ein Betrug nur vorliegt, wenn es nichts betrug.« »Wenn es nichts betrug, so hat man nicht betrügt.« »Man sagt nicht betrügt.« »Wie denn sagt man?« »Lassen Sie mich aus, ich weiß nur, daß trug von Betrug kommt und trog von trogen.« »Jetzt kenn ich mich selber nicht mehr aus. Auch mir fangen an Bedenken aufzusteigen. Wir müssen jedenfalls auf das Verständnis des Publikums Rücksicht nehmen. Wenn wir setzen: trog, so glauben die Leute, wir jüdeln. Während, wenn wir schreiben: trug, werden das die Leute sofort verstehn und sagen, daß wir uns auskennen. Wissen Sie was, streichen Sie trog und machen Sie Trug!«
Der junge Springinsgeld kennt keinen Genitiv, denn er ist nicht der Sohn des, sondern von Moriz Benedikt. Das wäre noch richtig, wie ja auch einer dieser gräßlichen Leitartikel des Ernst Benedikt einer von Ernst Benedikt genannt werden kann, da er ja von ihm verfaßt ist. (Wer vermöchte es außer ihm!) Nun sitzt ihm aber das »von« – von der Monarchie her – noch so im Gemüte, daß er es als Zwangshandlung übt. Es geht ihm »um das Schicksal von Deutschland, aber auch um das Schicksal von Europa«, er glaubt an »die Zukunft von Österreich«, oder gar so:
Hoffen wir, das Ausland werde begreifen, daß die Rettung von Österreich wichtiger ist als alle Haftungen – –
Natürlich meint er als Patriot die Rettung Österreichs, aber als Stilist fühlt er nicht, daß er damit dem Ausland die Aufgabe zugewiesen hat, uns, die es hier auch nach erfolgter Sanierung schwierig finden, von Österreich zu retten. Denn wenn auch alles Finanzielle in Ordnung wäre, so bliebe der Zustand doch – und selbst wenn der Thoas in puncto Treuherzigkeit nicht mit Schober wetteifern könnte – taurishaft genug und ließe nur noch den Wunsch übrig:
Und rette mich, die du vom Tod errettet,
Auch von dem Leben hier, dem zweiten Tode!
Es geht hier also, wie man sieht, um die Rettung der Iphigenie von Tauris, nicht um die Rettung von der Iphigenie auf Tauris. Und dort um die Rettung Österreichs, nicht von Österreich. Aber man kann lang' Leuten zureden, die nur taurisch verstehn!
die er je gesetzt hat:
Gerüchte über einen Tod Schmelings.
Hier hat die jüdische Zunge instinktiv, mit halbem Bewußtsein um ein Problem der Sprachlehre, die Klippe gefühlt in den Gerüchten »über den Tod Schmelings«: da wäre er nämlich tot gewesen und an den Tod hätten sich überdies noch Gerüchte geknüpft. Wie drückt man das also aus? »Gerüchte von Schmelings Tod«: darauf verfällt doch ein Preßmensch nicht (dessen typische Wendung der Tod »von Schmeling« wäre). Aber er fühlt, wenngleich das »über« falsch ist, ganz richtig, daß das Gerüchthafte im unbestimmten Artikel zum Ausdruck gelangen könnte: »Worüber wird geredt?« (Achselzuckend) »Etwas über einen Tod von Schmeling«. Das wollte er zum Ausdruck bringen!
Unvergeßlich, wie er zitiert hat:
so wie im »Faust« der junge Euphorion noch aus dem Abgrund die Mutter zu sich ruft: » Lasse mich im Totenreiche nicht allein!«
So ein verliebter Tor verpufft euch Sonne, Mond und alle Sterne zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft? Keine Rede! Wie aber würde ein normales Gehirn, das die Verse nicht bewahrt hat und dessen Inhaber nicht Zeit hat, nachzusehen, gleichwohl jedoch frech genug ist sie anzuwenden, hier funktionieren? Etwa: Mephisto sagt, daß ein Verliebter Schindluder mit Sonne, Mond und Sternen treibt? Solches Treiben wäre äußerste Ehrerbietung vor der Schöpfung gegenüber dem Schindluder, das in der folgenden Leitartikelstelle getrieben wird, deren jüdischer Tonfall kaum übertroffen werden könnte. Von der Heimwehr, die ihren Kampf in das Heer, die Polizei und das Gendarmeriekorps hineintragen wollte, sagt er:
Welche Verwegenheit und welche Verachtung für die leitenden Männer des Staates! Es heißt im »Faust« beiläufig: So ein verliebter Tor verschwendet Sonne, Mond und Sterne zugunsten der Geliebten.
»Beiläufig« ist gut. Im Faust I ist zwar manches beiläufig gesagt, aber gerade dieser Vers nicht. Er meinte, da er beiläufig zitierte, natürlich: ungefähr. Aber welches Gut von Sprache, Gedicht und Gedanken möchte so ein verschmockter Redaktor nicht verschwenden zugunsten der Zeitung!