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Ich habe das Gedicht »Jugend« gesprochen, damit es als Anschauungsunterricht einem Beitrag zur Sprachlehre diene.
Unter den Lesern der Fackel sind viele Esel. Diese Naturanlage zeigt sich in der Beharrlichkeit, mit der sie Leser bleiben und die immer wieder abgelehnte Annäherung an unfaßbare Standpunkte versuchen. Sie bemühen sich auf jede nur mögliche Art ein Verhältnis zu der Sphäre herzustellen, die ihnen unzugänglich bleibt, weil die Sprache, in der hier gedacht wird, bei aller unbestreitbaren Ähnlichkeit der Laute eine wesentlich andere ist als die ihre, und dieses Bestreben wäre rührend, wenn dort, wo die Potenz fehlt, nicht so gern versucht würde, Ersatz in der Präpotenz zu finden. Ihr durchwaltendes Mißverständnis besteht nicht nur darin, daß sie, weil sie zur Not den Sinn ermitteln können, nun auch glauben, den Zutritt zum geistigen Inhalt zu haben, sondern vor allem in der Vermutung, daß ein geistiger Wert eben dadurch problematisch werde, daß er irgendwo außerhalb ihrer Verstandesebene beruht. Je intelligenter ein solcher Esel ist, umso aussichtsloser verirrt sich dieses Streben und Widerstreben in Gedankengängen, die nun einmal den dort nicht Beschäftigten verschlossen sind. Der so tiefgefühlte Wunsch, keine Briefe von Persönlichkeiten zu erhalten, deren mündliche Ansprache zu den unvorstellbaren Dingen gehört, die ich aus meinem Leben ausgeschaltet habe, muß eben dort vergeblich bleiben, wo eine Fülle von Dummheit leider von einem Mangel an Taktgefühl begleitet ist. Ich habe nicht erwartet, daß ich, je weiter ich mich von dem Niveau, auf dem Meinungen gebildet und übernommen werden, entferne, desto eher Ruhe haben würde. Ich wußte im Gegenteil, daß die Intelligenz umso mehr gereizt wird, je dürftiger der stoffliche Anhalt ist, der ihr geboten wird, und ich habe mich darum keineswegs über die Reaktion gewundert, die meine Beiträge zur Sprachlehre gefunden haben. Es war durchaus nicht überraschend, daß dieselben Leute, die zum erstenmal erfahren haben, was ein Reim ist, sich auf der Stelle und mit dem mir abgenommenen Rüstzeug der Dialektik an den Versuch machen, mir zu beweisen, daß jene Stelle aus »Faust«, die ich als das Musterbeispiel eines lebensunfähigen Versgedankens und eben darum als das geborene Zitat einer sprachfernen Bildung hinstellte, meinem Begriff vom Reim vollauf entspreche. Denn sie müssen es ja besser wissen. Sie haben mir zwar schließlich bewiesen, daß ich recht habe, es ist ihnen gelungen, mit dem gegenteiligen Bemühen, zu straucheln, und dargetan war die Möglichkeit, daß ein kaum geahntes sprachliches Ungefühl sich auf Verstandeswegen an eben die Probleme heranwagt, zu deren Lösung es auf nichts mehr und nichts weniger ankommt als auf das Fühlen. Aber nichts wird mich vor diesen Monologen schützen, wenn es nicht einmal die von mir inspirierte Erhöhung des Postportos vermag.
Die Unbeirrbarkeit der Versuche also, mich zum Ohrenzeugen einer Opposition zu machen, für die ich nicht die geringste Teilnahme aufbringe, hat nichts Überraschendes. Worüber ich aber noch jedesmal staunen kann, das ist die Unbefangenheit, die an mir satirisch gestimmt wird. Man sollte es nicht für möglich halten, aber es gibt Leute, die Witz haben, wenn sie mir schreiben; einen Witz, zu dessen Vaterschaft ich mich mit Scham bekennen muß und der sich mit echtem Kindesundank gegen seinen Ursprung wendet. Ich weiß ja längst, daß es nichts Abscheulicheres gibt als meinen Stil in fremder Hand, und der Verdruß über solches Unwesen eines angenommenen Wesens beruhigt sich nur bei dem Bewußtsein, daß andere Originale aus dem Grunde keine waren, weil die Nachahmer ihrer Schreibweise diese noch gefälliger ausgestalten konnten, wie ja jede technische Einrichtung es in sich hat, den verwöhnteren Ansprüchen der Neuzeit entgegenzukommen und mit ihnen fortzuschreiten. Wenn Heine die Generation von Talenten, die er in die Welt gesetzt hat, gekannt hätte, so hätte ihn ein Gefühl des Neides erfassen müssen, daß er es nicht so weit gebracht habe, während mich vor meinen Nachbildnern ein Grausen packt, das mich zwar mit voller Beruhigung für mich selbst erfüllt, aber doch auch mit dem Gefühl, Schuld zu tragen an einer geistigen Lebensführung, die den Leuten das Leben erschwert, ohne dazu berechtigt zu sein. Was mich aber gegen diese Erscheinungen, die ohne mich nie erschienen wären, besonders einnimmt, ist, daß sie sich mit der Mission einer Landplage nicht begnügen, sondern auch von dem Ehrgeiz besessen sind, sich vor mir selbst zu produzieren, mir dartun wollen, daß sie sich selbständig gemacht haben, und sich für berechtigt halten, die Quelle zu trüben, der sie entsprungen sind. Echtbürtig an dieser Art Satire ist bloß, daß sie grinst. Denn wenn sie mir alles absehen könnten – die sittliche Position, deren keine andere Lebensäußerung so wenig entraten kann wie die Satire, die Ehrfurcht vor irgendetwas, dem das satirische Opfer dargebracht wird, das sich selbst Verleugnen und sich selbst Bekennen, mangelt denen, die kein heiligerer Geist je als der Zeitgeist inspirieren könnte. Es ist meine ganze Fraglichkeit, daß sich gerade im sumpfigsten Terrain die Spuren meiner Wirkung nachweisen lassen und daß sich die Abhängigkeit der Generation am deutlichsten in der Rache betätigt, die sie dafür an mir nimmt. Sie tun gewiß nicht recht, mir ihre Schlechtigkeit zum Vorwurf zu machen, aber semper aliquid haeret und es wird schon etwas daran sein, daß sie ohne mich anders dagestanden wären, weshalb sie auch genötigt sind, sich mit meiner Hilfe meiner zu erwehren. So werde ich seit Jahr und Tag mit dem mir wohlbekannten Witz, den ich schon daran erkenne, daß sie ihn nicht haben, publizistisch und brieflich verfolgt, und da, gestehe ich, bin ich stets von neuem in Erstaunen zu setzen.
Denn auf alle möglichen Wallungen, die mein öffentliches Handeln bewirken könnte, Haß und Liebe und was so dazwischen Platz hat, bin ich gefaßt; nur daß es auf dieser Erde einen Verstand geben kann, der bei meinem Anblick zu Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung aufgelegt wird, überrascht mich jedesmal, wie wenn ich eben erst in die Literatur getreten wäre, und ich möchte schnell meinen Fuß zurückziehen, als wäre ich in etwas Ähnliches getreten. Der Satiriker geißelt bekanntlich die Schwächen, und die einzige, die mir bisher mit Erfolg nachgesagt wurde, ist die Eitelkeit, die ja so offenkundig ist, daß sie ein Leben lang alle die Märkte wie die Pest meiden konnte, wo sie gemeinhin befriedigt zu werden pflegt. Aber jene Angreifer haben es nicht mehr auf meine Eitelkeit abgesehn, die ihnen vielleicht als ein schon zu populäres satirisches Motiv erscheinen mag, fast so veraltet wie der Drang, in die Neue Freie Presse zu kommen oder weil es nicht gelang, alles niederzureißen anstatt aufzubauen. Derlei ist der überholte satirische Standpunkt jener älteren Generationen, die längst aufgehört haben, mit mir fertig werden zu wollen. Die Satire der Neueren, die bei aller Unreife schon fertig sind, wenn sie mit mir anfangen, zielt auf eine schwächere Seite meines Wesens, nämlich auf meinen geistigen Defekt, dessen immer tiefer empfundenes Bewußtsein mich so oft genötigt hat, bei andern Geistern Anleihen zu machen. Unvergessen bleibt in dieser Hinsicht mein Plagiat an der Apokalypse des Johannes, das ein Schriftsteller enthüllt hat, dem es tatsächlich gelungen ist, nebst meinem Witz auch noch eigenen zu haben. Da ich, wenn ich den seinen hätte, längst Selbstmord verübt haben müßte und es nicht tat, so war die Dauerhaftigkeit seines Witzes schlagend bewiesen. Wir sind beide am Leben geblieben, ich an meinem und er an meinem. Dem Vorbild seiner eigenartigen satirischen Laune folgen nun seit Jahr und Tag Korrespondenten, von denen ich zwar nicht weiß, wie sie aussehen, es mir aber vorstellen kann, und jedenfalls höre ich deutlich, wie sie bei meinem Anblick kichern. Ich hatte mir bisher eingebildet, daß es in den Lachkabinetten dieser Welt keine Linie geben könnte, deren ich nicht habhaft zu werden vermöchte, und nun stellt sich heraus, daß ich meine eigenen Züge nicht wahrgenommen habe, die zu erfassen eben dem schärferen Blicke vorbehalten blieb. Es gibt Satiriker über mich, und wenn auch die Hühner darüber lachen mögen. Ihnen, den Satirikern, werde ich mit den Geheimnissen, die ich dem Wort im Vers abgelauscht zu haben vorgebe, kein Blimelblamel vormachen: denn es stellt sich einfach heraus, daß sie dem Wort im fremden Vers abgelauscht sind. Da habe ich vor gerade zehn Jahren, also zu einer Zeit, wo ich noch nicht wie heute imstande war, dir aus der Art, wie du mit der Sprache umgehst, zu sagen, wer du bist, und umgekehrt aus der Persönlichkeit auf den Wert des Wortes zu schließen, da habe ich damals Verse eines jungen Lyrikers namens Werfel von der Oberfläche einer sympathischen Gesinnung her gewertet und meiner Leserschaft mitgeteilt. Darunter ein Stück, das mir schon bald darauf als ein Beispiel für die Versatilität erschien, mit der junge Prager über den Unterschied zwischen sich und alten Weimaranern hinwegtäuschen können. Dieses Gedicht bringt nichts von innen her mit, aber alles von außenher, von früherher, alles was das Ohr nur mitnehmen kann, und es verwendet jenen Rhythmus, mit dessen Hilfe sich am leichtesten und gewandtesten auf Goetheisch leben läßt. Nun habe ich selber sechs Jahre später das Gedicht »Jugend« geschrieben, dem sich tatsächlich, und da hilft kein Leugnen, das gleiche Versmaß nachweisen läßt. Ein witziger Kopf, der mir eins auf die Kappe geben wollte, hat nun mich, der nach so vielen Jahren endlich hoffen konnte, über diesen Jugendstreich sei Gras gewachsen und man werde die Ähnlichkeit nicht mehr merken, auf eine überaus drastische Art überführt. Er läßt je eine Strophe jenes Werfelschen Gedichtes mit je einer Strophe aus dem meinen alternieren, und die Wirkung ist verblüffend. Wer Ohren hat, zu hören, wird sich ihr nicht entziehen können. Der Scherz, der sichtlich meine Methode an mir üben, mein eigenes satirisches Mütchen an mir kühlen will, ist entsprechend betitelt:
»Weltfreundliche« Worte in Versen
Alle sind mehr als ich,
Sofa und Steine,
Ach, so verbleibt für mich
Sehnsucht alleine.
Pocht es von altersher,
öffn' ich die Sinne,
daß es wie damals wär',
wo ich beginne.
Abendlich angeschwellt,
Will ich enteilen,
In naher Villenwelt
Hügelwärts weilen.
In trüber Lebensluft
voller Gefahren
ahn' ich den Gartenduft
aus frühen Jahren.
Rühmlichsten Pavillon
Will ich ersteigen.
Nacht, sie empfängt mich schon,
Wirtlich zu schweigen.
Da schon die Blätter falb,
will ich nicht säumen,
innen und außerhalb
Frühling zu träumen.
Will ohne Liebesdank
Talhin mich spülen.
Will nichts, als stundenlang
Fühlen und fühlen.
(›Fackel‹ Nr. 339/340 Seite 48
›Fackel‹ Nr. 462/411 Seite 180)
Es ist eine satirische Art, Spreu von Weizen zu sondern, die sich gewaschen hat (und es völlig überflüssig macht zu betonen, welche der verknüpften Strophenreihen dem »Weltfreund« und welche den »Worten in Versen« zugehört; was ja im Fall der Identität notwendig wäre). So mißtrauisch und ablehnend ich von Haus aus jedem Briefkuvert, das ich öffnen soll, gegenüberstehe, so dankbar bin ich für alle Anregungen, die mir in das unermeßliche und immer wieder unerschlossene Gebiet der Sprachlehre zugeflogen kommen. Der anonyme Autor des sanglanten Scherzes ist jedenfalls einer jener Literaten, die, ursprünglich dem Kaufmannsberuf bestimmt, sich ihm später zugewendet haben und deren Existenz wirklich nur einem Zeitalter vorbehalten blieb, das zur Sprache keine andere Beziehung hat als zu den Errungenschaften, mit denen es den Mund voll nimmt. Er ist natürlich auch mit allem intellektuellen Eifer an meiner Sphäre geschäftig und kann die Entfernung von ihr nicht ganz verwinden. Er gehört zu der Jugend, die die Verehrung für mich durchgemacht hat wie die Masern, er trägt sie mir nach, und wenn er vielleicht in meinem Auditorium sitzt, so verrät er sich soeben durch eine Unruhe, die dem Sitznachbarn auffallen muß. Was ihm aber mit dieser Zusammenstellung gelungen ist, dafür kann sich einer bei ihm bedanken. Gewiß zerfallen einem heute die Gedichte des Weltfreunds, wenn man sie als Ganzes nur auf die flache Hand nimmt. Was mit ihnen aber vorgeht, sobald man sie in die Nähe organischen Lebens bringt, was sie erleiden, wenn man sie mit meinen Strophen so unerbittlich konfrontiert, das ist gar nicht zu sagen, dagegen ist die Auflösung in Atome ein fester Aggregatzustand. Und dies, wiewohl doch auch meine Worte von solcher Berührung Schaden nehmen und es sicherlich nicht gleichgültig ist, ob der Vorsatz, Frühling zu träumen, am Eingang einer stürmischen Lebensbeichte steht oder als Punkt eines Abendprogramms sich an den Plan anschließt, rühmlichsten Pavillon zu ersteigen. Aber man würde gar nicht spüren, wie original solche Ausflüchte eines abendlich Angeschwellten und talhin sich Spülenden sind, wenn sie nicht von meinen Sätzen gekreuzt würden. Dank dem Bestreben, mich, den zweifellos späteren Autor, zum Nachahmer des Herrn Werfel zu stempeln, tritt der schon in »Heine und die Folgen« an einem berühmteren Beispiel bezeichnete Fall von Vorahmertum ein. Die Dummheit jedoch, die Identität des Versmaßes für ein Verdachtsmoment zu halten, gewinnt insofern eine Grundlage, als nunmehr erst klar wird, wie weit das Original mit dem Rhythmus an noch älterem Besitz beteiligt ist. Es sei dem Schwachkopf, der einen so guten Fang getan hat, und allen, die auf dem Niveau seiner Sprachkennerschaft: stehen, hiemit verraten, wie aus dem Gedicht »Jugend« wirklich ein Plagiat an Herrn Werfel oder vielmehr ein Werfelplagiat an Goethe gemacht werden kann. Die erste Strophe setzt mit dem Erlebnis hastigen Verlangens ein, durchaus Frühling zu erleben:
Da schon die Blätter falb,
will ich nicht säumen,
innen und außerhalb
Frühling zu träumen.
Dieser Vorsatz mag eine lyrische Alterserscheinung sein, wie ein anderer Schwachkopf einmal meine Lyrik genannt hat, aber sie würde damit noch immer nicht auf den alten Goethe hinweisen. Die letzte Strophe trumpft nach allem Protest gegen solches Zeitgelichter den Entschluß auf, jünger als diese Art Jugend zu sein:
Und weil die Blätter falb,
soll es mich laben,
innen und außerhalb
Frühling zu haben!
Als ich das Gedicht geschrieben hatte, fiel mir nun die undenkbare Möglichkeit ein, daß diese letzte Strophe die erste wäre, nämlich so:
Da schon die Blätter falb,
soll es mich laben,
innen und außerhalb
Frühling zu haben.
Dann hätte sie zwar annähernd denselben Wortlaut, aber einen ganz anderen Gefühlslaut. Dann wäre nicht Hast und Trotz, sondern der Alterswunsch gefühlt, daß mich etwas »laben« möge, ganz so gemächlich und behaglich, wie es den jungen Prager labt, den Schlafrock des alten Weimaraners anzutun. Ich habe Zeugen für das nach allen Seiten grausame Sprachexperiment, das ich damals machte und durch welches ich dartun wollte, daß meine Zeilen von Werfel sein könnten, wenn sie dann nicht eben von Goethe wären. Denn mir war der Rhythmus des Werfelschen Gedichts so gut im Ohr wie ihm selbst, aber der meine saß mir tiefer und er war durch den Gleichklang mit solchem Original nicht umzubringen. Die Nachbildung des Nachbildners war erst durch jene Umstellung erreicht, die so recht den angemaßten Gefühlshabitus bezeichnet. Ich erkannte die Möglichkeit, daß ich meine Strophe nur versetzen müßte, damit sie von einem andern wäre, während die seinige, wo immer sie stehen mag, von einem andern ist. Aber was weiß die Literatur vom Wort! Ich könnte hundert Hefte mit diesen Erörterungen füllen, und würde das Gefühl für deren Inhalt dennoch um keinen Zoll weiter gebracht haben. Denn nichts ist schwerer, als sich über die Sprache mit Leuten zu verständigen, die sie sprechen oder gar schreiben.