Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
(Abdeckung des Subjekts)
Wien, 7. März 1921
Nicht in der Erwartung, irgend eine Antwort zu erhalten, sondern weil ich Ihrer künstlerischen Ehrlichkeit, die es schon mit sich abmachen wird, vertraue, erlaube ich mir, auf eine Stelle in Nr. 561–567 der Fackel ... hinzuweisen. Da steht eine Stelle, die ich grammatikalisch nicht verstehe: »... den Großstadtleuten den Abend, der es werden will, zu verkürzen ...«. Sie wollen den Satz »Es will Abend werden« in relativischer Form bringen und behandeln nun »Es« wie ein richtiges Subjekt, etwa nach dem Muster: »Er wird Maler – der Maler, der er werden will«. Nun ist doch aber » es« hier kein Subjekt, sondern ein vielleicht aus rhythmischen Gründen eingefügtes Wort, das es ermöglicht, das Subjekt nachzusetzen. So wird aus dem Satz: »Abend will werden« – der Satz: »Es will Abend werden«. Ebenso sagt man etwa statt »der Tag beginnt« – »es beginnt der Tag«. Aber Sie könnten doch nicht sagen: »der Tag, der es beginnt«, sondern Sie müßten in der relativischen Form das »es«, das ja seiner Funktion, die Nachsetzung des Subjekts zu ermöglichen, nunmehr ledig ist, weglassen: »Der Tag, der beginnt«. Demnach hätte ich an jener Stelle Ihres Textes erwartet: »Der Abend, der werden will« zu lesen, worauf ich nicht gezwungen gewesen wäre, die Frage: »der – was werden will?« zu stellen. Ich begreife, daß durch die Weglassung des »es« die Assoziation der Wendung »es will Abend werden« gefährdet gewesen wäre, aber ich hätte dies, im Vergleich zu jener grammatikalischen Härte, die nun im Text steht, für das kleinere Übel gehalten.
Ich werde meine Einwendung für sachlich nicht unberechtigt halten, wenn Sie sie in der nächsten »Fackel« nicht erwähnen.
Dankbar
Ihr – –
Wiewohl die Folgerung, daß das Verschweigen der Ausdruck des Fehlerbekenntnisses wäre, sonderbar genug mit dem anfänglichen Vertrauen in die künstlerische Ehrlichkeit kontrastiert und ganz abgesehen davon, daß ein solches aus der »Nichterwähnung in der nächsten Fackel« doch vielmehr auf die Unrichtigkeit des Einwands schließen müßte, erscheint gerade diese geeignet, vollauf beachtet zu werden, weil der Fall beispielhaft den Abgrund zwischen grammatikalischem Bescheidwissen und Sprachfühlen demonstriert, über den jenes nicht hinüberkommt, weil es nun einmal keine Flügel hat. Er ist deshalb besonders interessant, weil er den Leser durchaus auf dem Stande der Grammatik zeigt, die vor einem der merkwürdigsten Sprachgeheimnisse, das sie bis heute nicht zu erspüren vermocht hat, sich nur durch Verwechslung mit einer ziemlich planen Eigentümlichkeit – dem »vorangestellten es« – helfen kann, wiewohl sich auch diese, als eine tiefer zu begründende Spracherlaubnis, dem grammatikalischen Erfassen entzieht. Daß das »es« in einer Wendung wie »es will Abend werden« kein »vorangestelltes es« ist, sondern ein » richtiges Subjekt«, daran habe ich zu allerletzt gezweifelt, als ich das Bibelwort in einen Relativsatz brachte. Da die Leser immerhin schon das eine aus der Fackel entnommen haben könnten, daß in ihr noch kaum je ein Buchstabe gedruckt war, ja kaum ein Zeilenumbruch erschienen ist, bei dem sich der Autor nicht etwas gedacht hat, und da solches in weit höherem Maß das Wort beglaubigt als dessen äußere Korrektheit, so wäre eigentlich der Weg zum Nachdenken über Sprachprobleme so deutlich gewiesen, daß jeder in jedem Falle auch ohne Auseinandersetzung mit dem Autor zu einem Erlebnis gelangen könnte, und wer weiß, ob sie sich dann nicht eher an einen Grammatiker mit der Anfrage wenden wollten, wie er mit seinem plumpen Schema dem gar nicht mehr fraglichen Fall gerecht würde. Wenn ich sage, daß ich an der Bedeutung des »es« zu allerletzt gezweifelt habe, so bekenne ich freilich, daß die Konstruktion mit allerlei Zweifeln behaftet war. Aber die Sprache gewährt nur solche und sie läßt nicht zu, daß zwei Worte zusammenkommen, ohne aneinander zu geraten, mögen sie auch in dem gelösteren Zusammenhang des täglichen Sprachverkehrs sich ganz gut vertragen. Das Problematische der Fügung ging jedoch geradenwegs vom Subjektcharakter des »es« aus, den das Gefühl so stark bejaht hat, daß ihm die Sprache hier fast etwas schuldig zu bleiben schien, nämlich etwas wie einen lateinisch gefühlten Akkusativ für das, was »es« werden will, also: der Abend, »den« es werden will und der freilich an Größe verlöre, was das »es« gewinnt. (Während sich ein scheinbar doch gewichtigeres maskulines Subjekt bei dem Nominativprädikat vollauf beruhigt: »der Maler, der er werden will«.) So stark empfand ich die regierende Stellung jenes »es«. Nun nehmen wir vorerst an, dies wäre ein Mißgefühl und das »es« hätte nicht mehr Kraft als in dem Beispiel, das der Einsender anführt: »es beginnt der Tag«. So stünde die Angelegenheit immer noch so, daß sich hier der Stil den Teufel, der ihm nun einmal innewohnt, um die Grammatik scheren müßte. Wir setzen also voraus, daß die Grammatik das »es« in »es will Abend werden« mit Recht für nichts als das »vorangestellte es« hält (das es »ermöglicht«, das Subjekt nachzusetzen, ohne daß der Grammatiker weiß, warum es das tut). Dann würde sich noch immer der Fall ergeben, daß hier stärker als die Konstruktion, die da tatsächlich verlangte: »der Abend, der werden will«, das Fluidum ist, das dem Zitat anhaftet, und daß das fehlerhafte »es« nichts anderes wäre als ein geistiger Ersatz für Anführungszeichen. Denn es wäre doch nicht mehr die Sprache des Autors, sondern eine angewandte Sprache, die als solche ja erst durch die entstandene Regelwidrigkeit kenntlich würde. Nun kann aber auch nicht die Spur einer solchen behauptet werden, selbst wenn alle Grammatiker, weil sie eben dieses »es« nicht durchgedacht haben, es auf den äußern Anschein hin – »es« ist »es« – behaupten wollten. Der Einwand hat sich dadurch als dankenswert erwiesen, daß er die Möglichkeit gewährt hat, der Grammatik auf eine Unterlassung zu kommen, die nicht anders als durch das mangelnde Sprachgefühl jener, die dieser Wissenschaft obliegen, erklärt werden kann. Sollte es einen Grammatiker geben, der den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden »es« erfaßt hat, so wäre er natürlich von der Generalisierung, die diese Reglementsgeister trifft, auszunehmen, aber da in der Wissenschaft kaum einer die Erkenntnisse vermeidet, die ein anderer gefunden hat, so muß man gewiß nicht alle studieren, um keinem unrecht zu tun. Sie sagen also, dies »es«, vorangestellt vermutlich aus dem Grunde, weil sich das gut macht und weil die Zunge schon bevor sie spricht das Bedürfnis hat auszuruhn, »bereite auf ein durch Inversion nachgestelltes Subjekt vor«, und finden etwa, daß es sowohl in »es lebe die Freiheit« wie in »es werde Licht« dieser Bestimmung diene. Eben daher hat auch der Einsender die Auffassung, daß es in »es beginnt der Tag« und »es will Abend werden« identisch sei, und weil ich nicht sagen kann: »der Tag, der es beginnt«, so könne ich auch nicht sagen: »der Abend, der es werden will«, weil ich nicht sagen kann: »die Freiheit, die es leben möge«, so könne ich auch nicht sagen: »das Licht, das es werden soll«. Und doch kann ich dies so sicher sagen, wie ich jenes nicht sagen kann, und selbst dort, wo nicht das Zitat immunisierend wirkt. (Ich habe es auch schon einmal gesagt, in den Versen »Es werde Licht« schließe ich: »Ihr lobet Gott; ich weiß, wie Licht es werde.« Nicht: »wie Licht werde«. Die Erlaubnis des Zitats muß hier gar nicht dem »es«, sondern nur dem »werde« zugute kommen, das grammatikalisch bedenklich, stilistisch berechtigt ist durch die Kraft des Zitats wie durch das Moment des Wunsches, das der entliehene Konjunktiv einschließt.) Der Zwang, zu fragen: »das – was werden will?«, besteht für den nicht mehr, der eben die ganze Fülle des »es« in diesen Beispielen im Gegensatz zu der Unwertigkeit des »es« in den andern Beispielen erfaßt hat. Er fragt vielmehr: »Was will es werden?«. Denn in »Es werde Licht« ist das »es« so wahr ein Subjekt, als im Anfang das Wort war. Das stärkste Subjekt, das es im Bereich der Schöpfung gibt, jenes, das Licht wurde, jenes, das Tag wird, jenes, das Abend werden will. (Alles hängt davon ab; alles kann Relativsatz werden.) Es: das Chaos, die Sphäre, das All, das Größte, Gefühlteste, welches schon da ist vor jenem, das daraus erst entsteht. Licht, Tag, Abend ist nicht Subjekt (wie der Grammatiker schlicht vermutet), sondern Prädikat, kann nicht Subjekt sein, weil »es« erst zu Licht, zu Tag, zu Abend »wird«, sich dazu entwickelt. »Und so ward
es Abend; so ward es Morgen – der erste Tag.« (Luther übersetzt berichthafter: »Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag«). »Und es geschahe so.« »Und Gott sahe, daß es gut war.« »Es werde Licht« bedeutet nicht: Licht werde. »Es will Abend werden« bedeutet nicht: Abend will werden. »Es beginnt der Tag« bedeutet aber allerdings: der Tag beginnt. Da ist der Tag das Subjekt. Warum nun steht dort auch ein Es »voran«? (In Wahrheit steht es nur dort »voran«.) Es ist eine Wohltat der Sprache, keine, die sie dem Mund, sondern eine, die sie dem Gedanken erweist, indem sie doch einen Unterschied zur Aussagenorm erleben läßt. Sehr deutlich wird das an dem folgenden Beispiel: »es beginnt der Tanz« und »der Tanz beginnt«. Das »es« – ein dichterisches und kein bloß »rhythmisches« Element – dient der Anschauung: Taktstock, die Paare gruppieren sich. Oder: Programmpunkt innerhalb einer zeremoniellen Entfaltung, »nun beginnt ...«. »Der Tanz beginnt« ist der bloße Bericht, das Begriffsskelett der Handlung; aus dem Wissen heraus, daß »es« der Tanz ist, was da beginnt, wird dieser gesetzt, wobei man weder ihn gewahrt noch die Stimmung, das »es«, woraus er hervorgeht. Man beachte den Unterschied zwischen dem Gedicht »Es rast der See und will sein Opfer haben« (in der landläufigen Zitierung) und dem Bericht: »der See rast und will sein Opfer haben«. Kein Zweifel, daß auch diesem »es«, das tatsächlich dem Subjekt »der See« nur vorangestellt ist, etwas innewohnt von dem Erlebnis des Unbestimmten, dem sich das sinnlich Wahrnehmbare entschält und welches eben in »Es will Abend werden« so stark ist, daß es sich des Subjektcharakters bemächtigt. Die Sprache läßt zunächst beim Rasen des Elements verweilen, worauf erst das Bewußtwerden folgt, daß »es« der See ist, so verwandelt, er, der ehedem lächelnde, und gar nicht wiederzuerkennen, während ihn das bloß aussagende Bewußtsein des Wettermelders sofort erkennt. (Der neue Stilist, der nur Stadien der Wahrnehmbarkeit notiert, würde freilich auch: »Tanz wird« oder gar »Rasendes ist See« sagen. Der Expressionist der Bibel, der »Es werde Licht« sprach, mußte nicht die Sprache aus der Welt schaffen, ehe er diese schuf.) »Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt«: ohne Zweifel ist der Frömmste das Subjekt. Doch warum ist »es« da vorangestellt, was soll da erlebt sein, ehe man erfährt, daß es der Frömmste ist, dem »es« zustößt? Seine Wehrlosigkeit, sein besonderer Notstand, ein Es-ist-nicht-auszuhalten, wenn sogar usw. »Der Frömmste kann nicht in Frieden bleiben« wäre die bloße Feststellung, welche noch der Einrede Raum ließe, daß er, gerade weil er der Frömmste ist, den bösen Nachbar gereizt hat. (Die Wortstellung bedeutet hier den Unterschied zwischen Ausdruck und Aussage. Selbst ein unterschiedlicher Buchstabe kann den bei Schiller so seltenen Wandel von Lehrmeinung zur Anschauung bewirken und wenn er fehlt, aufheben. Man beachte den von mir einst nachgewiesenen Fall, daß das herrlich plastische »Ein andres Antlitz eh sie geschehn, ein anderes zeigt die vollbrachte Tat« von den späteren Druckern und Herausgebern aus dem Wunder des Wechsels von raschem Entschluß in bange Reue, aus dem Doppelgesicht der Seele zu einer öden Doppelansicht [anderes – anderes] verhunzt wurde.) Natürlich wissen die Sprachwissenschaftler von dieser dichterischen Funktion des wirklich »vorangestellten es« auch nichts. Wie würden sie aber Augen machen, wenn man ihnen den reinen Subjektcharakter des »es« in »Es werde Licht« erhellte, indem man, ohne doch das »Es« im geringsten zu alterieren, statt »Licht« »licht« setzt. Da wird es hell. Es tagt. Und wenn »es tagt«: ist das nicht ganz das nämliche »es«, wie wenn es »Tag wird« – und was wäre es dann, wenn nicht das Subjekt? Und »Tag« das Prädikat! »Es wird Tag« und »Es beginnt der Tag«: dort ist »Es« Subjekt, »Tag« Prädikat; hier ist »Tag« Subjekt. Ist ihnen in jenen Fällen das Fehlen des Artikels, welches schon Prädikathaftes andeutet, nicht verdächtig? Der Artikel fehlt, doch dafür möchte man »Es« statt »es« schreiben: merken sie »Es« noch immer nicht? Doch wenn »es schön ist«, ist da auch noch das »es« vorangestellt? Dem nackten Prädikat, aus dem der Satz besteht? Vielleicht steht's doch bloß für »das Wetter«, »das Draußen«, für das was als die Summe der bezüglichen Sinneseindrücke das große Neutrum der Natur ausmacht? Sie sagen nun auch, es »deute auf einen vor- oder nachstehenden Satz«. Aber: wenn es voransteht, so ist eben der Subjektcharakter gegeben. »›Er ist wohl.‹ ›Es freut mich.‹« Wenn er nachsteht: »Es freut mich, daß er wohl ist«, so ist »es« eine Inversion, durch die auf das eigentliche Subjekt »daß er wohl ist« vorbereitet wird, wie in »Wer wagt es, zu tauchen« auf das Objekt. Hier will die Sprache das, was sie zu sagen hat, gewichtiger machen. Wenn aber nichts vor- oder nachsteht und auf nichts gedeutet wird, wenn es schön ist und sonst nichts zu bemerken, dann bliebe, da »es« um keinen Preis ein richtiges Subjekt sein darf, wohl nur noch die Vermutung, es sei der Aussage vorangestellt und wenn kein Grund mehr für die Inversion besteht, so müsse es heißen: »Schön ist«. Spüren sie »Es« noch immer nicht? »Es ist ein Kreuz!« Aber ein Moment stellt sich ein, das es auch ihnen schließlich leicht machen wird. Das »vorangestellte es« kann man begreiflicher Weise nur in vorangestelltem Zustand belassen, es wird in keine Verwandlung des Satzes mitübernommen. Außer für ein sofort erkennbares Zitat, so daß ich in einer Stilcharge sogar sagen könnte: »Der See, der es rast« oder etwa, um einen Phrasenschwall zu treffen, mich erkühnte, zum betonten Unterschied von der »Freiheit, die ich meine« von der »Freiheit, die es lebe« zu sprechen. Man kann jedoch an und für sich nicht sagen: der Tag oder der Tanz, der es beginnt, und nicht einmal: der Tag oder der Tanz beginnt es. Aber man kann doch wohl sagen: Tag wird es, Abend will es werden, Licht werde es? Was ist da aus dem »vorangestellten es« geworden? Ein nachgestelltes! Es hat sich erhalten; es lebt, es ist da, es (das Element) behielt es nicht. Denn es konnte eben, weil's ein »richtiges«, ein rechtschaffenes Subjekt ist, nicht verschwinden. Die Vorstellung jedoch, daß in den Beispielen, die die Grammatiker tatsächlich nebeneinandersetzen: »es zogen drei Burschen zum Tore hinaus« und in »es werde Licht« das »es« gleichwertig und gleichbedeutend sei, daß das rein prädikative Licht »nachfolgendes Subjekt« sei wie die drei Burschen, kann nur einer Wissenschaft glücken, die sich mit Handgriff und Registrierung begnügt und, was dieselben Buchstaben hat, als offenbar identisch in das gleiche Fach tut. Wer nicht auf das Letternbild starrt, sondern mit geschlossenen Augen den Weltenunterschied so winziger Räume zu durchmessen bemüht ist, der wird seiner habhaft werden, und noch leichter dort, wo er nicht zugleich die begriffliche Distanz der Beispiele zu bewältigen hat, sondern vor einer begrifflichen Identität: »Es beginnt der Tag« und »Es wird Tag«. Wer aber da nicht spürt, worauf es ankommt, für den kann, wenn er auf die Uhr schaut, wohl der Tag beginnen – der es ihm aber nicht wird. Denn so klein ist dieses »es«, daß er es in der Unendlichkeit, die es bedeutet, nicht erschöpfen wird, und nichts läßt sich erleben als ein Zeitvertreib, ein »Abend, der werden will«, öd wie nur einer, der angebrochen ist und mit dem man nichts anzufangen weiß.