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Sagt, wann treffen wir drei zusammen:
Wenn Donner krachen oder wenn Blitze flammen?
Wenn verzischt des Schlachtbrands Funken,
Wenn die Erde Blut getrunken.
Eh die Sonne noch versunken.
Wo der Ort?
Die Heide dort.
Dort hört Macbeth unser Wort.
Schön ist häßlich, häßlich schön.
Wir weichen wie Wolken und Windeswehn.
(Sie verschwinden.)
Schwester, sag an, was hast du vollbracht?
Hab Säue gewürgt bis in sinkende Nacht.
Schwester, was du?
War auch nicht faul.
Ein Schifferweib hatte Pflaumen im Maul
Und fraß und fraß und wurde nicht satt.
»Will fressen«, sprach ich, »an deiner Statt.«
»Pack dich du Hexe!« die Vettel schreit.
Ihr Mann ist nach Aleppo heut.
Da schwimm ich nach in einemfort
Und geh als Ratte dann an Bord
Ihn plagen, plagen, plagen!
Ein gutes Werk!
Ein Werk des Heils!
Ich werde tüchtig meinesteils
Dort nisten, necken, nagen.
Dann sei nicht am Tag und nicht in der Nacht
Keine Ruh, und kein Auge ihm zugemacht.
Aber meines sieht, wie die Gestalt
Immer welker wird und runzlig und alt.
Das Kähnlein, geht es schon nicht unter,
Dreht es sich doch um sich selber munter!
Pflückte ein Pfand mir fürs Gelingen.
Ei, laß sehn, was tätst du bringen?
Ei, es befühlt sich weich wie Pflaumen.
Weis' her, es wässert mir schon der Gaumen,
Weis' her, laß sehn!
Eines Wuchrers Daumen.
Ein fetter Fang, den ich mir fing,
Ich lutschte an dem dicken Ding,
Als er getrost am Galgen hing.
Soll dir frommen früh und spat.
Hört die Trommeln! Macbeth naht!
Schwestern, die durch Meer und Land
Leichten Fußes umgewandt,
Macht die Runde Hand in Hand,
Macht die Runde um und um.
Krumm ist grad und grad ist krumm,
Legt den Bann und schlingt das Band!
Bei der Bearbeitung des »Macbeth« erwies es sich als notwendig, die ersten zwei Hexenszenen neu zu schreiben. Um das Rechte zu treffen, genügte es, alles Unrechte in den verfügbaren »Macbeth«-Übersetzungen zu betrachten und zu vergleichen. Dabei ergaben sich Wahrnehmungen, die ein Grauen auf der dürren Heide eines deutschen Sprachgefühls verbreiteten und einer deutschen Shakespeare-Kultur, die sich der englischen überlegen rühmt. Das schauderhafteste Abenteuer war mit dem als Shakespeare-Autorität geheiligten Gundolf zu bestehen, von dem man wohl sagen könnte – wenn man nicht insgemein anderer Ansicht wäre –, daß er ein standard work gewissenhaftester Shakespeare-Verschandelung hervorgebracht hat. Welche Sorgfalt und Ausdauer doch so ein deutscher Gelehrter (Ameise, geh zum Gundolf) verwendet, wenn es gilt, eine künstlerische Schöpfung vom Sprachgrund aus zu verderben! Da bleibt kein Stein auf dem andern, und zwischen »Folio« und »Quarto« wird eine so gründliche Auswahl jedes echten Shakespearewortes getroffen, daß zum Schluß nicht ein echter Shakespearesatz mehr vorhanden ist. Eine tadellose Rohübersetzung aus einem Sprachenbureau, das sie auch gleich sozusagen in Verse bringt. Alles garantiert sinngemäß und so, daß auch nicht ein Vers mehr den Atem hat, der durch die Gnade Schlegels, ja selbst der untergeordneten Helfer in unsere Seele übergegangen ist. Man kann es einfach nicht ausdenken, daß es eine Beschäftigung sein soll, die ein Rudel Philologen, Verleger, Drucker und Erzeuger feinsten Papieres nährt: Worten, die nun einmal leben und über den Umkreis einer höher gearteten Menschheit geflogen sind, einfach darum die Flügel auszurupfen, weil eben diese sich äußerlich nicht mit ihren Vorlagen decken. Welches Mißverständnis im Geiste aller Sprachen, daß die Dichtung durch das Diktionär besser aufgehoben sei als in der Diktion des Nachdichters! Als wäre die Analogie nicht vermöge der Verschiedenheit der Sprachnaturen hundertmal stärker vorhanden in der Veränderung durch einen Schlegel als in der Angleichung durch einen Gundolf! Der Abgrund der Banalität, in die uns das Ergebnis führt, ist gar nicht zu ermessen, und man müßte ein Buch schreiben, umfangreicher als die Gundolfsche Übersetzung, um die Ungeheuerlichkeit des Vollbringens auch nur an deren empörendsten Beispielen darzustellen. Doch um dem Anreiz zu wehren und die Angst zu stillen, die Zeile für Zeile gleich den nächsten Tod einer geliebten Metapher ahnend vorwegnimmt, muß man schon dem Blick über diese Fülle von Barbarismen des Sprachgefühls und der Pietät Zwang antun. Herr Gundolf – ein gebildeter und in Sprachdingen feuilletonistisch versierter Kopf, der gewiß, wenn er's nicht getan hätte, über die Verfehltheit solchen Tuns Bescheid wüßte – hat, soweit mir der eine, wichtigste Band Aufschluß gibt, drei Methoden der Shakespeare-Verhunzung beliebt: er hat »neu übersetzt« – eine Katastrophe der Sorgfalt –, er hat »übertragen auf Grund der Schlegelschen Übersetzung« und er hat »Schlegels Übersetzung durchgesehen«. Diese scheinbar gelindeste Form von Fleißaufgabe qualifiziert sich als der gelungene Versuch, die Vorzüge einer vorhandenen Arbeit auszumerzen und durch gröbliche Fehler zu ersetzen, für die nebst einer tiefinnersten Nichtbeziehung zum Wort die Berufung auf die Wörtlichkeit einstehen muß.
Um gleich das nichtswürdigste Beispiel zu zitieren, das ich, auch ein Durchseher, mit dem ersten Blick ergreifen konnte: im » Hamlet«, den Herr Gundolf leider durchgesehen hat, lauten die wunderbar epilogisch überschauenden Worte des Horatio:
Und laßt der Welt, die noch nicht weiß, mich sagen,
Wie alles dies geschah; so sollt ihr hören
Von Taten, fleischlich, blutig, unnatürlich,
Zufälligen Gerichten, blindem Mord;
Von Toden, durch Gewalt und List bewirkt,
Und Planen, die verfehlt, zurückgefallen
Auf der Erfinder Haupt: dies alles kann ich
Mit Wahrheit melden.
Wann wäre es mir je in den Traum gekommen, in den überstandenen Bluttraum vom Weltende, diese erhabene Stelle an den Schluß meines Nörgler-Monologs zu setzen, wenn ich ihre große Linie – von einer interpunktionellen Verschnörkelung abgesehen – auf solche Referendarweis' abgebogen gefunden hätte:
Und Planen
schließlich die, verfehlt, gefallen
Auf der Erfinder Haupt ...
Herr Gundolf hat die Stelle »durchgesehen«, aber nicht gefühlt, daß dieses öde »schließlich« tausendmal stärker in dem »Und Planen« schon enthalten ist und daß es die Plane um Gewicht und vokalische Weite, den Rückwurf auf der Erfinder Haupt um seine Kraft bringt:
zu
rückgefallen
Auf der Erfinder
Haupt
Er hat jedoch sofort erkannt, daß in einer Aufzählung der Ordnung halber ausdrücklich der Schluß anzugeben sei, weil sie sonst weitergehen und den Erfindern über das Haupt wachsen könnte. Dieser praktischen Einrichtung zuliebe mußte das »zurück«, das die Vergeltung grandios abschließt, zurückgenommen werden. Ich konnte nun die Möglichkeit, daß solches Übersetzen (über die Dichtung) durch den Wortlaut gedeckt sei, nicht von vornherein ablehnen. Wäre es der Fall, so hatte Schlegel, der ein Dichter war, hundertmal recht, den großen Zug, den bei Shakespeare das »schließlich« ohne ein »zurück« bewahren konnte, durch das wörtliche Gegenteil würdig nachzubilden. Aber es stellte sich heraus, welchen Begriff dieser Übersetzer selbst von der »Wörtlichkeit« hat:
And,
in this upshot, purposes mistook
Fall'n on the inventors' heads: all this can I
Truly deliver.
Herr Gundolf hat sich also verpflichtet gefühlt, »zu diesem Ausgang«, den Schlußpunkt, in den die Schicksalslinie mündet, mit einem »schließlich« abzumachen und nicht einmal mit einem vorangestellten:
Und, schließlich, Planen ...
das noch einige Schlußkraft gehabt hätte. So hat denn nichts als das seelische Unvermögen, die von Schlegel gedankentreu nachgebildete, vielleicht gesteigerte Größe zu spüren, den Durchseher zu solcher Verkümmerung und Verödung animiert. Aber was Herr Gundolf da bei offenbar sorgfältiger Durchsicht alles in Grund und Boden verflacht hat, läßt sich bei flüchtiger Durchsicht nicht festhalten. Wer an den leuchtenden Sprachgebilden Schlegels die höhere Gesetzlichkeit achtet (die über jede Kontrolle erhaben scheint), dem bleibt nur mehr die Vorstellung, als wären aus der Druse die Kristalle ausgebrochen und nichts geblieben als der Hohlraum mit etwas absonderlichem Zierat, wie ihn ein respektloser Intellekt als Ersatz bietet. Die unvergeßliche Vision, die der abgehende Geist von Hamlets Vater hinterläßt:
's ist fort.
Wir tun ihm Schmach, da es so majestätisch.
Wenn wir den Anschein der Gewalt ihm bieten.
Denn es ist unverwundbar wie die Luft,
Und unsre Streiche nur boshafter Hohn
wird zu einer Armseligkeit, die auch den bewahrten dritten Vers reduziert:
Wir
kränkens, wenn wir ihm in seiner
Hoheit
Mit Anschein der Gewalt
entgegenkommen.
Denn es ist unverwundbar wie die Luft,
Und unsre Streiche
bösliches Geneck.
»Was tat ich«, könnte der durchaus abgehende Geist Herrn Gundolf fragen, »daß du gegen mich die Zunge so toben lassen darfst« (oder »so roh darfst toben lassen«, wie es bei ihm heißt):
Solch ein Werk
Das Huld und
Scham der Sittsamkeit entstellt ...
Bei Schlegel:
Solch eine Tat,
Die alle Huld der Sittsamkeit entstellt ...
Und großartig endet es:
... o eine Tat,
Die aus dem Körper des Vertrages ganz
Die innre Seele reißet, und die süße
Religion zum Wortgepränge macht.
Des Himmels Antlitz glüht, ja diese Feste,
Dies Weltgebäu, mit traurendem Gesicht,
Als nahte sich der jüngste Tag, gedenkt
Trübsinnig dieser Tat.
Herr Gundolf, dem »ein Werk« das zweite Mal nicht den Vers gefüllt hätte, hält für besser:
... o eine Tat,
Die
gleichsam aus dem
Leib des Bundes grad
Die Seele ausreißt und den süßen Glauben
Zum
Wortschwall macht, des Himmels Antlitz glüht,
Ja, diese Veste, dieser Weltbau zeigt
Mit Trauermienen, wie vorm Jüngsten Tag,
Trübsinn bei diesem
Werk.
Und die Königin fragt, welches »Werk« denn so laut brülle. Eines, das Herr Gundolf zum Wortschwall gemacht hat, und Hamlets Frage müßte auch ihm gelten: was für ein Teufel bei der Blindekuh ihn so betört hat, daß er just die schönsten Verse dieser Szene ersetzen zu müssen glaubte. Denn wahrlich, zwischen dem Träger von Apollos Locken und einem geflickten Lumpenkönig kann kein größerer Unterschied sein als zwischen Schlegels und dieser Übersetzung. Selbst die Monologe, deren Unantastbarkeit doch einen Kirchenfrevler abschrecken würde, haben an den Fleiß dieses (wühlst so hurtig fort?) trefflichen Restaurierers glauben müssen. Wie sehr bejaht man die Frage:
Ist es nicht
furchtbar? Hier der Spieler konnte
Bei bloßer Dichtung, bloßem Traum
von Wut
Nach seinem Sinn so seine Seele zwingen,
Daß sein Gesicht von
deren Regung blaßte,
Sein Auge naß, Bestürzung in den Mienen,
Gebrochne
Stimme und die ganze Haltung
Geformt dem Sinn nach!
Aber das ist nicht einmal dem Sinn nach geformt, geschweige denn der Seele nach. Denn wenn es bei Schlegel heißt:
Gebrochne Stimm', und seine ganze Haltung
Gefügt nach seinem Sinn
so ist eben die gebrochne Stimm' koordiniert den anderen Darstellungsmomenten, die wie ein unmittelbares Erlebnis wirken, und nur die »ganze Haltung«, die nach dem abschließenden Komma alle zusammenfaßt, ist nach dem Sinn des Schauspielers gefügt. Von dem nassen Auge, den bestürzten Mienen und der gebrochenen Stimme soll nicht gesagt sein, daß sie »dem Sinn nach« geformt sind; aber die Haltung des Schauspielers ist es in einem Maße, daß alle die zum Beweis aufgezählten Momente Naturfarbe haben. Doch was sind Herrn Gundolf vorhandene und dem Gedächtnis unverlierbare Sprachwerte? Was ist ihm Hekuba? Dies:
Geformt dem Sinn nach! Und
all das um nichts!
Um Hekuba!
Was ist ihm Hekuba, was ist er ihr,
Daß er
drum weinen soll?
Grammatisch schon mit »Nichts« beantwortet. Possierlich der Anspruch, daß irgendein deutscher Mensch, der Shakespeare nicht zum erstenmal empfängt, hier nicht mit der gegebenen Fassung des Zitats hineinfahre! Wie Herr Gundolf aber eine Wortreihe umgruppiert, den Sprachschwung lähmt und die Tirade gerade in eine Retirade verwandelt, zeigt das folgende Beispiel. Wie mächtig schließt sich bei Schlegel der Kontrast zusammen:
... Hätte er
Das Merkwort und den Ruf zur Leidenschaft
Wie ich: was würd' er tun. Die Bühn' in Tränen
Ertränken ...
Bei Gundolf setzt sich die Frage, was ihm Hekuba und er ihr ist, gleichmäßig in die ganz anders geartete Frage fort:
...
Was würd' er tun,
Hätt er das Stichwort und den Ruf zur
Wut
Wie ich? Die Bühn in Tränenflut ertränken ...
Trotz Wut nur ein Argumentieren. Bei Schlegel würde er des weitern »das allgemeine Ohr mit grauser Red' erschüttern«, bei Gundolf füglich nur »mit wildem Wort zerreißen jedes Ohr«, dem der edlere Ton eingepflanzt ist. »Denn wer ertrüg' der Zeiten Spott und Geißel«, die einem solche Erneuerung antun:
Was in dem
Tod-schlaf kommen mag
an Träumen,
Wenn wir
den Knäul des Irdischen abgespult – –
Denn wer ertrüge
Volkes Spott und Geißel – –
Wenn er sich selbst in Ruhstand setzen könnte
Mit
einem bloßen Pfriem? – –
So macht
Bewußtsein Feige aus uns allen,
Und angeborne Farbe der Entschließung
Wird
von Gedankens Blässe angekränkelt – –
Wie die Natur Shakespeares von solcher Kunst. Im » Lear« war es nicht die Durchsicht, die keine Nachsicht gekannt hat, sondern die unerbittliche Übersetzung. Die gute Arbeit Baudissins, zu deren Verbesserung mir für meinen Vortrag der Ersatz durch etliche Zeilen und Worte vollauf genügt, die bei Voß oder dem ungewichtigern Kaufmann gelungener sind – sie besteht vor dem neudeutschen Philologenblick überhaupt nicht; da mußte alles abgebaut und verflacht werden. Um nicht in eine dem Grundthema angepaßte Raserei zu geraten, habe ich bei meiner Durchsicht der Gundolfschen Übersetzung mit einigen Strophen des Narren, den zwei großen Ausbrüchen des Lear und ein paar andern Stellen mir's genügen lassen. Welch ein tragischer Auftakt, wenn der süß-bittere Narr, dessen Herz diesen großen Verfall der Hoheit mit seinen Zuckungen begleitet, die Frage stellt:
Weißt du den Unterschied, mein Junge, zwischen einem bittern
Narren und einem süßen Narren?
Und wenn er dann auf Lears Weisung:
Nein, Bursch, lehr ihn mich.
ausholt:
Der dir's geraten, Lear,
Dein Land zu geben hin,
Den stell hierher zu mir,
Oder steh du für ihn.
Der süß' und bittre Narr
Zeigt sich dir nun sofort,
Der eine scheckicht hier,
Den andern siehst du dort.
Nun folgt:
»Nennst du mich Narr, Junge?«
»Alle deine andern Titel hast du weggeschenkt, mit diesem bist du geboren.«
Und so weiter, bis der Narr die Bitte stellt, ihm ein Ei zu geben, wofür er zwei Kronen geben werde. Herr Gundolf schließt diese Bitte unmittelbar an die Aufforderung Lears an, ihn den Unterschied der beiden Arten von Narr zu lehren, und erklärt die Weglassung des erschütternden Unterrichts in seinen »Anmerkungen« damit, daß zwar »das unten übersetzte Liedchen« (aus der Quarto) »die richtige Antwort scheint«, doch »auch die abrupte Gegenbitte des Narren« (in der Folio) »durchaus im Geist der Rolle, dramatisch und dichterisch« sei. Das ist sie nun ganz und gar nicht und der Narr wäre ein Narr in Folio, wenn er unter Verzicht auf die schöne Stelle die zwei Narren durch die zwei Kronen illustrieren wollte. Herr Gundolf weiß aber, daß »die Folio den von Shakespeare beabsichtigten endgültigen Text dar-* stellt«, weil die Weglassungen (wie etwa diese zeigt) nicht bloß aus bühnentechnischem, sondern »aus ersichtlich dichterischem Grund kommen«. Trotzdem ist er hinreichend gewissenhaft, das »Liedchen« in seiner Übersetzung uns nicht vorzuenthalten. Es beginnt:
Der dirs geraten, Lear:
»Verschenket euer Reich«
Den bring hierher zu mir
Und du stell dich ihm gleich.
Wer hört nicht den Schmerz singen:
Nie machten Narren weniger Glück,
Denn Weise wurden täppisch;
Ihr bißchen Scharfsinn ging zurück
Und all ihr Tun ward läppisch.
Hier:
Den Narren geht es heuer schlecht:
Die Weisen wurden Laffen.
Ihr Kopf sitzt ihnen nicht mehr recht,
Sie machens wie die Affen.
Auf die Frage Lears, seit wann er so reich an Liedern sei, antwortet der Narr:
Das ward ich, Gevatter, seit du deine Töchter zu deinen Müttern machtest; denn als du ihnen die Rute gabst und dir selbst die Hosen herunterzogst,
Da weinten sie aus freud'gem Schreck,
Ich sang aus bitterm Gram,
Daß solch ein König spielt Versteck
Und zu den Narren kam.
Und bricht dann in den Wunsch aus, lügen zu lernen. Und nun versuche man sich vorzustellen, daß aus solchem Herzen, das mit solch einem König empfindet, die folgenden Verse aufgeschluchzt werden könnten:
Vor Freuden weinten sie da
rasch,
Indes ich traurig sing,
Daß solch ein König
spielt Haschhasch
Und zu den Narren ging.
»Solch ein König« hat von der Erniedrigung durch das Ekelwort angezogen; die Größe ist dahin wie der Gram, der den Verlust beklagt. Nun zieht das Gewitter herauf. Vor dem finstern Blick Gonerils, die erschienen ist, schlägt sich die Wahrheit auf den Mund:
Ja doch, ich will ja schweigen, das befiehlt mir euer Gesicht, obgleich ihr nichts sagt.
Mum, mum,
Wer nicht Kruste noch Krume bewahrt auf dem Teller,
Und schon müd' ist des Talers, dem fehlt bald der Heller,
(er zeigt auf Lear)
Das ist so 'ne leere Erbsenschote!
Und nun springt der Satan los:
Nicht dieser freche Narr allein, Mylord,
Auch mancher eurer zügellosen Ritter ...
Bei Gundolf:
... Mum, mum,
Wer, gesättigt, Krust und Krum
Wegwirft, gab einmal was drum.
Das ist so 'ne
ausgekernte Erbse.
Und Gonerils hohe Niedrigkeit beginnt in solcher Sprachniederung:
Herr, nicht nur dieser
stets straffreie Narr,
Auch mancher eures zuchtlosen Gefolgs ...
Herr Gundolf hat von der Möglichkeit, ein Gewitter durch eine Wortstellung aufziehen zu lassen, keinen Hauch verspürt. Und man versuche, sich die Majestät dieses Grausens zu vergegenwärtigen, wenn Lears Fluch:
Heb' deinen Vorsatz auf, wenn du geplant,
Fruchtbar zu machen diese Kreatur!
um einen Fuß verkürzt, als der ernüchterte Finalsatz hinfällt:
Daß dies Geschöpf hier trächtig werde.
Statt:
Unfruchtbarkeit sei ihres Leibes Fluch! –
Vertrockn' ihr die Organe der Vermehrung;
Aus ihrem entarteten Blut erwachse nie ...
äußerst sachlich:
Schlag ihren Schoß
mit Kinderlosigkeit.
Vertrockn ihr die Organe der Vermehrung,
Und nie entsprieße ihrem
Unheils-Leib ...
Wobei die Atemlosigkeit der Raserei höchstens durch den Mangel an einem Apostroph in dem schönen »Vertrockn« zum Ausdruck kommt. Daß Herr Gundolf nach neudeutscher Weisung, den Vorrat an Beistrichen zu strecken, sich diese vor jedem Relativsatz vom Mund abspart, macht seine Ausgabe vorweg zur Augenweide. (Beim Grundsatz des George-Kreises, daß, wer die kleinen Buchstaben nicht ehrt, der großen nicht wert ist, hat er wider den Stachel gelockt.) Nun aber, da Lear ohne ein »Du sollst, das schwör ich dir!« abgegangen, ist der Gemütlichkeit dieser Szene noch lange kein Ende. Albanien, erschüttert, entscheidet sich auf die frech abwälzende Frage Gonerils
Habt ihr's gehört, Mylord?
mit einer Wendung, die die Menschlichkeit der Hörigkeit förmlich abringt:
Bei meiner großen Liebe, Goneril,
Kann ich nicht so parteiisch sein –
und die abweisende Kanaille:
Ich bitt' euch, laßt das gut sein.
Hier ist das Vorwort zu der Erkenntnis gesprochen: »O Goneril, du bist des Staubs nicht wert ...«. Bei Gundolf:
»Habt ihr gehört, Mylord?«
»Goneril, ich kann nicht so parteiisch sein,
Wie sehr ich euch auch liebe –«
»Ich bitte, gebt euch drein ...«
Wie da in den Herzen mit Wasser gekocht wird, zeigt sich an dem beteiligtesten, dem des Narren. Welch ein Überquellen bei diesem Abgang bewahren wir im Gedächtnis:
Gevatter Lear, Gevatter Lear, wart und nimm den Narrn mit dir.
Die Füchsin, die man sperrte ein,
Und solch ein saubres Töchterlein,
Die sollten mir am Galgen sein,
Wenn statt der Kapp' ein Strick war' mein!
So schleicht der Narr hinterdrein.
Dieses Herzbrechen gestaltet Herr Gundolf folgendermaßen:
Gevatter Lear, Gevatter Lear, wart und nimm den Narren mit.
Füchsin, sitzt sie in der
Fall, und solche Kinder
Müßten mir zum Schinder.
Ein Strick tuts nicht minder.
Der Narr geht dahinter.
Der erste Akt, der in jeder Bühnenbearbeitung mit jenem Nachfluch des Getreuen füglich schließt, aber mit solchem Firlefanz nie schließen könnte, läßt, wie immer im Shakespeare-Text, dem großen Abschluß noch Beiläufiges folgen. Im Hof von Albaniens Schloß wird das Zwiegespräch Lears mit dem Narren, das in der Aufführung an den Beginn des zweiten Aktes rückt, vom Narren mit einer Wendung zum Publikum und ins versöhnlich Obszöne beendet, wie es Beruf und Zeitgeschmack erfordern mochten. Keinesfalls ließe sich ein Vorhang herbei, sich über die Pointe herabzulassen, mit der sich Gundolf dichterisch bemüht hat. Bei Baudissin reimt sich:
Die jetzt noch Jungfer ist, und spottet mein und stichelt,
Die bleibt's nicht lange, wird nicht Alles weggesichelt.
Bei Kaufmann:
...und meines Weggehns lacht,
Soll nicht lang Jungfer sein, wird nicht was kurz gemacht.
Wiewohl die wahre Shakespeare-Erneuerung in solchen Fällen es noch weit kürzer machen müßte als die Folio, hat Gundolf gerade an diese Stelle viel Kunst gewendet:
Die, jetzt noch Jungfer, meines letzten
Worts lacht,
Bleibts nicht mehr lang, wenn man nicht manches
korz macht,
Solche Praktik des Humors findet sich auch im Pathos zurecht. Beim Anbruch des Wahnsinns, in der großen Rede vor den Töchtern, ruft Gundolfs Lear:
O fragt nicht, was man braucht – –
Wird nur dem Dasein was das Dasein braucht,
Lebt Mensch und Vieh gleich wohlfeil–
... doch was man
wirklich braucht –
Gebt, Götter, mir Geduld, es braucht Geduld!
Ferner:
Seid ihrs, die dieser Töchter Herzen
reizt
Wider ihren Vater ...
Kent im Block:
Ganz erschöpft und überwacht,
Nehmt wahr des Vorteils, müde Augen, nicht
Zu schaun dies schnöde Lager.
Hier:
Müde ganz und überwacht
Freut euch, ihr schweren Augen, daß ihr nicht
Dies schmähliche Lager seht.
Edmund spekuliert darauf, daß er erhalten werde, was man dem Vater, den er denunziert, wegnimmt. Man hat die Fanfare des Abgangs im Ohr:
Dies scheint ein groß Verdienst und soll mir lohnen
Mit meines Vaters Raub, den Gütern allen:
Die Jungen steigen, wenn die Alten fallen!
Bei Gundolf berechnet er:
... und bringt mir ein
Was man dem Vater –
nämlich alles! – kürzt.
Der Junge steigt, sobald der Alte stürzt.
Das erste Wort des geblendeten Gloster:
Alles Nacht und trostlos.
Wo ist mein Sohn Edmund? –
Edmund, schür' alle Funken der Natur,
Und räche diesen Greul!
reduziert auf:
Nacht und Verzweiflung rings! Wo ist mein Edmund?
Edmund, schür alle Funken der Natur,
Mach diesen Greuel wett!
Das könnte man nicht; »rächen« will ich ihn. Die mittlere Zeile ist Herrn Gundolf gelungen, wie manche, die von früher stehen geblieben ist. Aber es ist dem Klima der Sprache eigentümlich, daß auch der Rest einer verwüsteten Landschaft aufhört, Oase zu sein.
»Neu übersetzt« ist, daß Gott erbarm, auch » Mac-* beth«. Hier war sicherlich nicht schon das bloße Beginnen Frevel an Gedächtnis, Zitat und überkommenem Sprachgut. Es gibt im Grunde keine bekannte deutsche Macbeth-Vorlage, an der sich Herr Gundolf hätte versündigen können, weder im Gestrüpp der meisten Übersetzungen noch im Flachland der Schillerschen Nachdichtung. Immerhin gibt es die Leistung Tycho Mommsens, die mit Benützung der unzulänglichen Arbeit Dorothea Tiecks und kleiner Bruchstücke aus Schlegels Nachlaß entstanden ist. Tycho Mommsen nennt es in seinem Nachwort (zur Schlegel-Tieck-Ausgabe bei Georg Reimer) mit Recht eine der schwersten Aufgaben
die Macbeth-Gedanken, die so kurz und unheimlich einander überzucken und überblitzen wie gekreuzte Schwerter, die Macbeth-Sprache, in der fast jedes Wort ein Dolchstoß ist
getreu wiederzugeben. In wie hohem Maße es Herrn Gundolf mißlungen ist, zeigt unter anderen Szenen und vor allen die Tafelszene, bei der ihm Mommsens Geist erscheinen müßte. Wie schön endet sie bei diesem:
Komm, schlafen wir! Der Traum, der mich gequält,
War Neulingsfurcht, der harte Übung fehlt.
Wir sind noch jung an Taten.
Gundolf, sicherlich auf seine Wörtlichkeit gestützt, läßt den Abgang wie folgt begleiten:
Ja, schlafen wir! Mein wilder Selbstbetrug
Ist Neulings-furcht, noch nicht geprobt genug.
Wir sind noch jung
in Tat.
Im Original wird wohl der Singular die Kraft des deutschen Plurals haben. Daß es auf die Übertragung der Aura des Wortes ankommt, auf die Erfüllung der andern Sprachlandschaft mit dem lebendigen Atem, dürfte Herr Gundolf wissen; aber da er es nicht vermag, so wird er den Unterschied erst spüren, wenn man ihm ihn vorstellt. Bei Mommsen geht Macbeth so in den Tod:
Vor die Brust
Werf ich den Hünenschild. Triff, daß es schallt!
Und fahr' zur Hölle, wer zuerst ruft: Halt!
Das ist schon die Musik der Hölle. Gebändigt von Gundolf:
Vor den Leib
Werf ich den Krieger-schild. Macduff, komm her!
Und sei verdammt wer ruft »Halt ein, nicht mehr!«
Vorher geht bei Mommsen Macbeth mit den Worten ab:
Auf, läutet Sturm! Wind, blase! Komm, Verderben!
Den Harnisch auf dem Rücken wolln wir sterben!
Herrn Gundolf passiert da das Folgende:
Auf, läutet Sturm! Blast, Winde!
Trümmer, treib!
So sterb ich doch
mit dem Geschirr am Leib.
In der ersten und der zweiten Hexenszene bleibt er hinter den anderen Übersetzern nicht allzuweit zurück; sie sind bei allen unmöglich. An einigen soll es dargetan sein. Am erträglichsten erscheint die erste Szene noch bei Dorothea Tieck, deren Fassung Mommsen übernommen hat:
Erste Hexe
Sagt, wann ich euch treffen muß:
In Donner, Blitz oder Regenguß?
Zweite
Wann der Wirrwarr ist zerronnen,
Schlacht verloren und gewonnen.
Dritte
Noch vor Untergang der Sonnen.
Erste
Wo der Platz?
Zweite
Der Heide Plan.
Dritte
Da woll'n wir dem Macbeth nahn.
Erste
Ich komme, Murner.
Alle
Molch ruft auch; – sogleich!
Schön ist wüst, und wüst ist schön.
Wirbelt durch Nebel und Wolkenhöhn.
Zu dürftig zum Schicksalsprospekt und zum Vorspiel des kriegerischen Grausens. Die zweite Hexenszene (3. Auftritt des 1. Aktes) bei Dorothea Tieck:
Erste Hexe
Wo warst du, Schwester?
Zweite
Schweine gewürgt.
Dritte
Schwester, wo du?
Erste
Kastanien hatt' ein Schifferweib im Schoß
Und kaut' und kaut' und kaut': Gib mir, sprach ich.
Pack dich, du Hexe, schrie die dicke Vettel.
Ihr Mann ist nach Aleppo, führt den »Tiger«;
Doch schwimm' ich nach im Sieb, ich kann's,
Und als 'ne Ratte ohne Schwanz
Komm' in sein Schiff ich Schlaue
Und kaue, kaue, kaue.
Zweite
Geb' dir 'nen Wind.
Erste
Bist lieb gesinnt.
Dritte
Ich den zweiten obend rein.
Erste
All die andern sind schon mein;
Und sie wehn nach jedem Strand,
Jeder Richtung, die bekannt
Auf des Seemanns Karte.
Dürr wie Heu soll er verdorr'n,
Und kein Schlaf, durch meinen Zorn,
Tag und Nacht sein Aug' erquicken;
Leben soll wie'n Fluch ihn drücken
Sieben Nächte, neunmal neun.
Siech und elend schrumpf er ein;
Kann ich nicht sein Schiff zernagen,
Soll'n doch Stürme es verschlagen.
Schau, was ich hab'.
Zweite
Weis' her, weis' her.
Erste
Daum 'nes Lotsen, der versank
Auf der Heimfahrt und ertrank.
(Trommeln hinter der Szene.)
Dritte
Trommeln, – Ha!
Macbeth ist da.
Alle drei
Schicksalsschwestern, Meer und Land
Rasch durcheil'nde: Hand in Hand
Laßt uns Runden, Runden tanzen;
Drei sind dein, und drei sind mein,
Und noch drei, so macht es neun. –
Halt! – Der Zauber ist gezogen!
(Macbeth und Banquo treten auf.)
Diese Belanglosigkeit hat Mommsen nur stellenweise belebt:
»Wo bist gewesen, Schwester?«
»Würgte die Säu'.«
»Schwester, wo du?«
»Ein Schifferweib hatt' in dem Schoß Kastanien,
Und käut', und käut', und käute – ›Gib mir‹, sprach ich.
›Packe dich, Hexe!‹ schreit das fette Scheusal. –
Ihr Mann ist nach Aleppo fort, Herr an Bord des Tigers: –
Doch schwimm' ich nach im Sieb mit Glanz,
Und will als Ratte ohne Schwanz
Da stören, stören, stören!«
»Ich geb 'nen Wind dir hintennach.«
»Wie gütig, ach!«
»Meiner auch soll mit dir wandern.«
»Und ich selbst hab all die andern.
Wo sie wehn, die Küsten kenn' ich,
Jeden Punkt, um einen Pfennig,
Auf des Seemanns Karte nenn' ich.
Dörren soll er mir wie Heu;
Schlaf nicht Nachts noch Tags erfreu
Seines Auglids schwere Wucht;
Leben soll er wie verflucht;
Müde Wochen, neun mal neun,
Schwind' er, siech' er, leid' er Pein.
Kann sein Schiff nicht untergehn,
Soll es doch sich wirbelnd drehn. –
Schau, was ich hab!«
»Laß sehn, laß sehn.«
»Da! 's ist eines Lotsen Daum,
Der versank im Meeresschaum.«
(Trommelwirbel hinter der Szene.)
»Ha, Trommeln! Ha!
Macbeth ist da!«
»Unholdinnen Hand in Hand,
Eilende durch Meer und Land,
Gehn wir so herum, herum.
Drei Runden dein, drei Runden mein,
Und drei dazu, so sind es neun.
Halt! Der Bann ist aufgewunden.«
Bei Bodenstedt geht es glatter:
»Wann finden wir drei uns wieder ein
In Regen, Donner und Wetterschein?«
»Wenn das Kampfgetös vollbracht,
Wenn verloren und gewonnen die Schlacht.«
» Also noch vor Graun der Nacht.«
»Wo treffen wir uns?«
»Im Heidegrunde.«
»Dort hört Macbeth unsre Kunde.«
»Ich komm', Graulieschen!«
»Paddock ruft.«
»Sogleich.«
»Schön ist häßlich, häßlich schön:
Auf durch Dunst und Nebelhöhn.«
Und:
»Wo bist du gewesen, Schwester?«
»Schweine zu würgen.«
»Schwester, wo du?«
»Ein Schifferweib hatte Kastanien im Schoß
Und schmatzt', und schmatzt', und schmatzt'. ›Gib mir‹, sprach ich.
›Fort mit dir, Hexe!‹ schrie die feiste Vettel.
Ihr Mann fuhr nach Aleppo, führt den Tiger:
Im Siebe segl' ich nach, ich kann's,
Wie eine Ratte ohne Schwanz;
Ja, das tu' ich, das tu' ich, das tu' ich.«
»Ich geb' dir 'nen Wind.«
»Bist freundlich gesinnt.«
»Auch ich geb' dir einen.«
»Alle andern sind die meinen,
Und ich weiß, wohin sie wehn,
Alle Striche, wie sie stehn
Auf der Seemannskarte.
Dürr wie Halme mach ich ihn,
Schlaf soll Tag und Nacht ihn fliehn,
Ruhelos, voll Angst und Beben
Wie im Bannfluch soll er leben;
Schwere Wochen neunmal neun
Soll er siech und elend sein;
Darf sein Schiff nicht untergehn,
Soll's doch Sturm und Not bestehn.
Schau', was ich hab'.«
»Zeig' her, zeig' her.«
»Eines Lotsen Daum ist dies,
Den ein Sturm zum Abgrund blies.«
»Horch, Trommeln da!
Macbeth ist nah.«
»
Die Schicksalsschwestern Hand in Hand,
Schweifend über Meer und Land,
Drehen so im Kreise sich:
Dreimal für dich, dreimal für mich,
Noch dreimal, daß es neune macht.
Still! der Zauber ist vollbracht.«
Schwer zu glauben. Und nicht unheimlicher ist der aus Bodenstedt und Tieck-Mommsen gezogene Zauber, den F. A. Leo für die Deutsche Shakespeare-Gesellschaft vollbracht hat:
»Wann treffen wir Drei uns das nächste Mal,
Beim Regen, Donner oder Blitzes Strahl?«
»Wenn der wüste Wirrwarr schweigt,
Wenn der Schlacht Erfolg sich zeigt.«
» Das ist, eh' die Sonn' sich neigt Wo der Ort?«
»Die Heide dort.«
» Macbeth da zu treffen. – Fort!«
»Ich komme, Graukätzchen.«
»Paddock ruft: – Sogleich. –
Schön ist wüst und wüst ist schön:
Schwebt durch Nebel und dunst'ge Höh'n.«
Und:
»Wo warst du, Schwester?«
»Hab' Schweine vergift't.«
»Schwester, und du?«
»'nes Schiffers Weib, Kastanien hatt's im Schoß
Und schmatzt und schmatzt und schmatzt! ›Gib mir was‹, sag' ich:
›Mach fort, du Hex'!‹ die dicke Vettel schreit.
Ihr Mann ist nach Aleppo, führt den Tiger:
Nun geh' ich in 'nem Sieb auf's Meer,
Und segl' als Ratt' ohne Schwanz hinterher,
Ich tu's, ich tu's, ich tu's!«
»'nen Wind kriegst von mir.«
»Da danke ich dir.«
»Von mir kommt ein zweiter.«
»Die andern hab' ich,
dann fehlt nichts weiter;
Und sie blasen in alle Häfen hinein,
Und kennen jeden Winkel so klein
Auf des Schiffers Kart'.
Ich dörr' wie Heu ihm jedes Glied –
Nicht ruht auf seinem Augenlid
Der Schlaf bei Tage noch bei Nacht;
Zum Fluch sei 's Leben ihm gemacht:
Schwerer Wochen neun mal neun
Soll er keiner Ruh' sich freu'n:
Nicht bohren darf ich 's Schiff zu Grund,
Doch Sturm soll's hetzen alle Stund'.
Schaut, was ich hab!«
»Laß sehn, laß sehn.«
»'nes Lotsen Daumen
hab' ich da,
Der Schiffbruch litt der Heimat nah.«
»Trommelschlag tönt hell
Macbeth kommt zur Stell'!«
»
Die Zauberschwestern, Hand in Hand,
Schwebend über See und Land,
So im Kreis', im Kreise ziehn:
Dreimal dein, und dreimal mein,
Und dreimal noch, soll's neune sein.
Still! Der Zauber ist gediehn.«
Auf eine kräftigere, aber auch skurrile Art war der Zauber bei Gottfried August Bürger gediehen, dessen Prosaübersetzung, unterbrochen von den Hexenversen, aus der Vor-Schlegelschen Zeit und nach Wieland und Eschenburg die bemerkenswerteste ist. Auf Anregung des großen Schauspielers Schröder entstanden, ist sie eine Leistung, mit der ihr Autor sein »andächtiges Entzücken« an dem »größten Dichtergenius, der je gewesen ist und sein wird«, nicht gerade zum entsprechendsten Ausdruck gebracht hat. Er hat nebst andern Sünden und dem Grundübel einer Prosa den König Duncan schon vor Macbeth aus dem Wege geräumt, und die Hexen läßt er es so treiben:
»Na! sagt, wo man sich wiederfind't:
In Donner, Blitz, o'r Schlackerwind?«
»Wann sich's ausgetummelt hat,
Wann die Krah am Aase kraht.«
»Daumenbreit vor Eulenflug
Treffen wir uns früh genug.«
»Und wo wandern wir zu Chor?«
»Auf der Heid', am faulen Moor.«
»Eia! Da nick' ich Macbeth ein Grüßchen.«
(Wird innen gerufen.)
»Ich komm', ich komme flugs, Graulieschen!«
(Wieder gerufen.)
»Unke ruft! – Geduldchen! Flugs! –«
»Weiß in schwarz, und schwarz in weiß;
Heiß in kalt, und kalt in heiß!
Das kann wips! ein winzig Wort.
Husch! Durch Schlickerschlacker fort!«
Das ist künstlerisch zweifellos besser als das glatte Geklimper, aber eben nur tauglich, eine Sturm- und Drangprosa des Schicksals einzufassen.
»Wo gewest, Schwesterle?«
»Schweine gewürgt!«
»Schwesterle, wo du?«
»Kastanien hatt ä Schiffersweib im Schoß,
Und schmatzt' und schmatzt' und schmatzte dir drauf los!
Mir auch, sagt' ich, ä bissel! –
Quark dir, Tranhexe! Marsch!
Grunzte der vollwampigen Bache Rüssel. –
Hu! Donner, Hagel, Mord und Gift!
Ihr Kerl ist zur Türkei geschifft.
Im Siebe schwimm' ich nach. – Ich kann's!
Wie eine Ratte ohne Schwanz.
Mein Sixchen, das tu' ich, mein Sixchen!«
»Tu' das, tu' das, Nixchen!
Ich borg' auch dir ä Wind darzu.«
»Sa! bist ä wacker Schätzel, du!«
»Und von mir kriegst auch noch einen.«
»Topp! Die andern sind die meinen,
Sind mir hold und untertan!
Wie und wo und wann sie wehen,
Sausen, brausen, Wirbel drehen,
Weiß ich, trotz dem Wetterhahn.
Hu! Ich will ihn trillen, zerren,
Kraus, wie Heu und Hotzeln dörren!
Nachts und Tages sonder Ruh',
Klapp' ihm keine Wimper zu!
Sieb'nmal sieb'n und sieben Wochen
Soll er frieren, soll er kochen,
Soll sich krümmen, winden, wimmern,
Ächzen, krächzen und verkümmern;
Darf sein Schiff gleich nit zertrümmern,
Roll' ich's doch im wilden Meer,
Her und hin und hin und her.
Schau', was hier! ...«
»Weis' her, weis' her!«
»Schau', ä Bankrottierers Daum,
Der sich selbst erhing am Baum!«
»Horch! es trommelt, trom-trom-trommelt!
Der Tumult hat ausgetummelt! –
Macbeth kommt!«
»Hui! Wir Schwestern, Hand in Hand,
Huschen über See und Land,
Walzen, walzen um und um,
Runde, runde, rund herum!
Eins und zwei und drei für dich;
Eins und zwei und drei für mich;
Eins, zwei, drei, zum dritten Reihn;
Dreimal drei rundum macht neun.
Halt! – Der Spuk wird fertig sein.«
Es erhebt sich hoch über die Gewässer der andern, aber doch nicht so hoch, daß man »fürchterliche Naturlaute« zu hören glaubt, »die eine unheimliche Begleitmusik zu den aufsteigenden Nachtgedanken in Macbeths Seele abgeben«. So sagt eine Neuausgabe, die freilich auch behauptet, daß »die leidenschaftliche Glut und wilde Wucht des Originals« in der freien Form der Prosa weit besser zur Geltung komme als »in der für die deutsche Sprache schwer erträglichen Fessel des fünffüßigen Jambus«. Bezöge sich der Vergleich etwa auf Schillers Nachdichtung, wäre er mehr als berechtigt. Aber der wilde Realismus Bürgers ist von der Welt heroischer Unwirklichkeit so weit entfernt wie der süße Unnaturalismus Schillers. Wenn der neue Herausgeber des Prosa-Macbeth (bei Trowitzsch & Sohn, Berlin) einen Vergleich der zweiten Szene des zweiten Aktes mit dem ihr entsprechenden Auftritt bei Bürger empfiehlt und die Meinung kundgibt, »bei Schlegel-Tieck werde das Dämonisch-unheimliche, das Vibrieren der aufgepeitschten Seele künstlich in korrekter Metrik abgedämpft und abgewürgt«, während es bei Bürger »düster und visionär hervorbricht«, so hat man es schon mit einer komplizierten Einfältigkeit zu tun. Meint er die Übersetzung Dorothea Tiecks, so ist die Metrik dieses Macbeth-Monologs zwar korrekt, aber die Verse sind nicht gut. Meint er Mommsens Nachdichtung für die Schlegel-Tieck-Ausgabe, so sind deren Verse unvergleichlich stärker als die Prosa.
Aber vielleicht sollte man nicht sagen, daß jenes unvergleichlich stärker ist als dieses, weil dieses und jenes sich überhaupt nicht vergleichen lassen. Die stärkste Prosa ist hier doch nur Inhaltsangabe dessen, was dort im Vers in andrer Sphäre lebt. Korrekte Metrik als solche dämpft und würgt das Bedeutende nicht ab und der fünffüßige Jambus ist ihm als solcher keine schwer erträgliche Fessel. Schlegels Shakespeare und die Iphigenie können zwar nicht vor, aber trotz einem Libertinertum und Berlinertum bestehen, das mit dem Verstandesmaß eine Dimension der Schöpfung ergreifen möchte, deren Wesen eben in einer höheren Gebundenheit leben, lieben, handeln und sterben. Was sollte ein Macbeth in Prosa anderes beweisen als die Geringfügigkeit der aus dem höheren Element befreiten und auf die Erde gesetzten Gedanken? Bürger, der gewiß ein Dichter war, wenngleich er undichterisch über Poesie geschrieben hat, mochte wünschen, daß seine »armen Zutaten keine Bettlerflicken auf dem Shakespeareschen Purpurmantel sein mögen« – der Versuch als solcher kann mit der Region, in der diese Pracht besteht, überhaupt nichts zu schaffen haben. Eine Ausnahme bilden die Hexenszenen, deren dritte und vierte er stark und mit Verzicht auf den Dialektspaß nachgebildet und die er um zwei wertvolle Auftritte vermehrt hat. Aber anschaulicher als sein Hexenzauber ist die grause Verwandlung, die Shakespeare durch den Absturz in die Prosa erleidet:
So weltenweit nun Bürgers Prosa uns von Shakespeare entfernt, so ist sie, in ihren kräftigeren Teilen, immer noch eher Shakespeare und mehr den hohen Maßen des Mythos angenähert als Schillers Nachdichtung. Wenn es nie gelänge, mit aller Ehrfurcht vor der edlen Seele eines Dichterfürsten zu beweisen, daß er keiner war, so sollte man doch glauben, daß es an diesem rührenden Versuch einleuchtend würde: Glut und Wut einer Höllennacht in einem lächelnden See abzukühlen, der zum Bade ladet, und Shakespeare in eine Form zu versetzen, die zwar nicht aus Lehm, aber aus Zucker gebrannt dasteht. Es mag ja die deutscheste aller Tatsachen dieses Kulturlebens sein, daß eine Menschheit, deren Begriff von Dichtung, trotz allem Fortschrittstrug in Technik und Tinte, über ein Schmückedeinheim, über den Geistes- und Gemütsinhalt von Inschriften auf Schlummerrollen nicht hinausgelangt ist, den höchsten Genius der Sprache in der Gestalt verkörpert sieht, die den unbekannten Dichter der Helena und der Pandora mit dioskurischer Gunst in die Unsterblichkeit mitnimmt. Wenn Liliencron in seinen Versen an Goethe geklagt hat:
Die Deutschen lieben
Schiller;
Bilderbücher jeder Art
– Mit Bildern, ohne Bilder
so hat er vielleicht nicht einmal die des übermalten Macbeth im Auge gehabt, der, wenngleich auf einer mit außerordentlicher Theaterkenntnis eingerichteten Szene, Dinge tut, die die Nacht nicht schauen sollte. Wie die von Schiller gestrichene Szene der Lady Macduff mit der Tötung des kleinen Sohnes ausgesehen hätte, läßt sich nicht vorstellen; aber sie hätte in dem süßen Zeitvertreib dieser Mordbegebenheiten auch kein böses Blut gemacht. Der Literarhistoriker Goedeke rühmt die Einlage des Pförtnerliedes:
Verschwunden ist die finstre Nacht,
Die Lerche schlägt, der Tag erwacht,
Die Sonne kommt mit Prangen
Am Himmel aufgegangen
und so weiter bis:
Drum freue sich, wer, neu belebt,
Den frischen Blick zur Sonn' erhebt!
als etwas, »womit Shakespeare ... wenig zufrieden gewesen sein möchte, umsomehr aber das Gemüt des Deutschen sich befreunden mußte, das in dem Kontrast der Schreckenstat mit dem frommen Frühgesange des einfachen Menschen an der ersteren nicht unterging, sondern mit dem letzteren aufatmend sich wieder erheben konnte«. Aber auch der schottische Edelmann Rosse kann da mit Anerkennung nicht zurückhalten:
Nun, das muß wahr sein, Freund! Ihr führet eine
So helle Orgel in der Brust, daß Ihr damit
Ganz Schottland könntet aus dem Schlaf posaunen.
Eine starke Übertreibung für Schalmei und Flöte, aber beides hinreichend, um wenigstens Deutschland munter zu machen und Gemüter, die von der Schillerschen Fassung der Schreckenstat in sanften Schlummer versetzt waren, vollends zu beruhigen. Goedeke sagt:
Auch die Shakespeareschen Hexen hob Schiller aus dem Gemeinen und Widerwärtigen zum Furchtbaren und Großartigen der Schicksalsschwestern, wie er es der Tragödie für allein würdig hielt.
Nämlich so:
»Wann kommen wir drei uns wieder entgegen,
In Donner, in Blitzen oder in Regen?«
»Wann das Kriegsgetümmel schweigt,
Wann die Schlacht den Sieger zeigt.«
» Also eh der Tag sich neigt.«
» Wo der Ort?«
»Die Heide dort.«
»Dort führt Macbeth sein Heer zurück.«
»Dort verkünden wir ihm sein Glück!«
Und nun entpuppt sich die erste Hexe als Trägerin der christlichen Nächstenliebe, wird jedoch von den andern alsbald eines Schlechteren belehrt:
Aber die Meisterin wird uns schelten,
Wenn wir mit trüglichem Schicksalswort
Ins Verderben führen den edeln Helden,
Ihn verlocken zu Sünd und Mord.
Das klingt ganz, als ob sie's von Schiller hätte. Die dritte widerspricht, wiewohl sie's offenbar auch von Schiller hat:
Er kann es vollbringen, er kann es lassen:
Doch er ist glücklich, wir müssen ihn hassen.
Er hat sich's selber zuzuschreiben:
Wenn er sein Herz nicht kann bewahren,
Mag er des Teufels Macht erfahren.
Doch wie soll er sein Herz bewahren, wenn der Vorgang sich so abspielt:
Wir streuen in die Brust die böse Saat,
Aber dem Menschen gehört die Tat.
Er hat es schwer, und das eben, wiewohl es von Schiller ist, kommt der ersten so unchristlich vor. Sie bittet, zu bedenken:
Er ist tapfer, gerecht und gut;
Warum versuchen wir sein Blut?
Dafür gibt's eine Erklärung, die jener, obgleich sie als Hexe aufgewachsen ist, bisher offenbar nicht zuteil wurde; die zwei andern sagen ihr klipp und klar:
Strauchelt der Gute und fällt der Gerechte,
Dann jubilieren die höllischen Mächte. (Donner und Blitz.)
Das scheint nun jener, weil sie ja schließlich, wenngleich von Schiller, doch eine Hexe ist, einzuleuchten – vielleicht wollte sie die andern nur in die Versuchung des Guten führen –, und sie sagt:
Ich höre die Geister!
»Es ruft der Meister!«
»Padok ruft. Wir kommen! Wir kommen
Regen wechsle mit Sonnenschein!
Häßlich soll schön, Schön häßlich sein!
Auf! Durch die Luft den Weg genommen!«
Wie furchtbar und großartig aber bei Schiller die Schicksalsgöttinnen entwickelt sind, zeigt sich so recht erst in der Veredlung der Hexenrache am Schiffersweib zu einer Fischerballade, deren Held ohne jeden ehelichen Umstand zu Falle kam. Die Geschichte trägt sich nicht auf dem Meer zu, nicht einmal am Vierwaldstättersee, sondern am Rand eines Bächleins, an dem jener saß. Wenn man es nicht weiß auf schwarz hätte, man würde nicht glauben, welches Schicksal da, der Tragödie allein würdig und für das Gemüt des Deutschen erfreulich, dem Auftreten Macbeths als Ringelreihen präludiert:
»Schwester, was hast du geschafft? Laß hören!«
»Schiffe trieb ich um auf den Meeren.«
»Schwester! was du?«
»
Einen Fischer fand ich, zerlumpt und arm,
Der flickte singend die Netze
Und trieb sein Handwerk ohne Harm,
Als besäß er köstliche Schätze,
Und den Morgen und Abend, nimmer müd,
Begrüßt' er mit einem lustigen Lied.
Mich verdroß des Bettlers froher Gesang,
Ich hatt's ihm geschworen
schon lang und lang –
Und als er
wieder zu fischen war,
Da ließ ich einen Schatz ihn finden;
Im Netze, da lag es blank und baar,
Daß fast ihm die Augen erblinden.
Er nahm den höllischen Feind ins Haus,
Mit seinem Gesange, da war es aus.«
Was die zwei andern Hexen zustimmend zur Kenntnis nehmen:
Er nahm den höllischen Feind ins Haus,
Mit seinem Gesänge, da war es aus.
Wenn man bedenkt, daß es die barmherzige Schwester der ersten Szene ist, die solches berichtet, so muß man zugeben, daß sie in der kurzen Zeit viel gelernt und geleistet hat:
Und lebte wie der verlorne Sohn,
Ließ allen Gelüsten den Zügel,
Und der falsche Mammon, er flog davon,
Als hätt' er Gebeine und Flügel.
Er vertraute, der Tor! auf Hexengold
Und weiß nicht, daß es der Hölle zollt.
Was die zwei andern – denn wem sagt sie das – aus langjähriger Erfahrung nur bestätigen können:
Er vertraute, der Tor! auf Hexengold
Und weiß nicht, daß es der Hölle zollt!
Gespannt, was nun geschehen wird, lassen sie sich weiter erzählen:
Und als nun der bittere Mangel kam,
Und verschwanden die Schmeichelfreunde,
Da verließ ihn die Gnade, da wich die Scham,
Er ergab sich dem höllischen Feinde.
Freiwillig bot er ihm Herz und Hand
Und zog als Räuber durch das Land.
Und als ich
heut will vorüber gehn,
Wo der Schatz ihm ins Netz gegangen,
Da sah ich ihn heulend am Ufer stehn,
Mit bleich gehärmten Wangen,
Und hörte, wie er verzweifelnd sprach:
Falsche Nixe, du hast mich betrogen!
Du gabst mir das Gold, du ziehst mich nach!
Und stürzt sich hinab in die Wogen.
Was von den zwei andern nur gebilligt werden kann, die doch schon gestern gewußt haben, daß ein solcher Fall den höllischen Mächten zugute kommt; freilich nicht ohne eine kleine Abweichung:
Du gabst mir das Gold, du ziehst mich nach!
Und stürzt sich hinab in den wogenden Bach!
So überraschend es einer Hexe in der Macbeth-Gegend vorkommen dürfte, daß ihr einer zuruft: »Falsche Nixe, du hast mich betrogen!« und daß sie selber in so kurzer Frist den ganzen Ablauf einer Ballade bewirkt hat, so findet sie sich doch in die Wirklichkeit und ruft nun schlicht:
Trommeln! Trommeln! Macbeth kommt.
Worauf alle drei einig sind:
Die Schicksalsschwestern, Hand in Hand,
Schwärmen über See und Land,
Drehen so im Kreise sich,
Dreimal für dich
Und dreimal für mich,
Noch dreimal, daß es Neune macht,
Halt! Der Zauber ist vollbracht!
Wer, der ein Gemüt hat, könnte sich diesem Zauber entziehen? Die Verse der Shakespeareschen Hekate:
Und schlimmer noch, uns wird kein Lohn, Ihr dientet dem verkehrten Sohn, Der, trotzig und voll Übermut, Sein Werk nur, nicht das eure, tut.
lauten bei Schiller:
Und überdies, was ihr getan,
Geschah für einen schlechten Mann,
Der eitel, stolz, wie's viele gibt,
Nur seinen Ruhm, nicht euren, liebt!
Was für ein Tee dann vollends im Hexenkessel gebraut wird, ist nicht vorstellbar.
Geister, schwarz, weiß, blau und grau,
Wie ihr euch auch nennt,
Rührt um, rührt um, rührt um,
Was ihr rühren könnt.
Noch weniger vorstellbar, was sich im Bann solcher Schicksalsmusik dann in der heroischen Welt sprachlich begibt. Es läßt nur das Bedauern übrig, daß nicht auch Österreichs Klassiker für die reifere Jugend, der ja gleichfalls die Dämonen eines Traums in Zucker einmachte, sich an die Nachdichtung des »Macbeth« gewagt hat, eines Werkes, von dem Schlegel sagt: »Es ist, als ob die Hemmungen an dem Uhrwerke der Zeit herausgenommen wären, und nun die Räder unaufhaltsam abrollten. Nichts ist der Gewalt der Darstellung in Erregung des Grausens zu vergleichen.« Daß er diesem Eindruck die nachbildende Sprachtat schuldig blieb, ist ein unwiederbringlicher Verlust für die deutsche Bühne, auf der Macbeth selbst in Zeiten einer heldischen Schauspielkunst ein seltener Gast war. Sie hat sich, wohl ohne Kenntnis von Mommsens Arbeit, zumeist mit der Schillerschen Umdichtung beholfen, die, mit unleugbarem dramaturgischen Verdienst, die Szene der Leidenschaften mit einem sentimentalem Klima erfüllte; oder die sprachdünne Fassung von Philipp Kaufmann (bei Cotta) verwendet, der für den Anfang der ersten Hexenszene – bis zur Aufrollung der Gewissensfrage – Schillers Vorbild nicht verschmäht hat. Auch sonst haben die Übersetzer einander wie die Hexen 'nen Wind gegeben, und so untief das Wasser war, auf dem sie ihren Spuk verrichteten, von Kaufmann hat wieder Bodenstedt, von diesem noch F. A. Leo geschöpft. Der erste verfügt freilich über Seichtheiten, die ihm nicht nachgeahmt wurden:
Wenn ich 's Schiff nicht brechen kann,
Sei gehudelt doch der Mann.
Oder dieser Abschluß der Tafelszene:
»Euch fehlt die Labung der Natur, der Schlaf.«
»Komm, laß uns schlafen. Meine Geistestrübung
Ist Neulingsfurcht, mir fehlt nur harte Übung.
Wir sind noch jung in solchen Taten.«
Es ließen sich noch etliche deutsche Macbeths heranziehen, um darzutun, daß jede Übersetzung Shakespeares durch einen Nichtdichter Unfug ist, während der Dichter getrost mit Schiller die Nichtkenntnis des Originals und der englischen Sprache gemeinsam haben könnte, um aus einer Übersetzung eine Dichtung zu machen.
Wollte ich, für das von Schlegel Unterlassene, mich solcher Tat vermessen, ich nähme mir freilich nicht Gundolfs Vorlage, deren Absonderlichkeit zwar eine Gewähr der Wörtlichkeit ist, aber darum weit mehr ein Versteck der Dichtung als der mittlere Kitsch der andern, welche einer fragwürdigen Phantasie, aber keiner fixen Idee Spielraum ließen, um Shakespeare zu entstellen. In wie hohem Grade ihm dies gelungen ist, dafür bietet seine Macbeth-Übersetzung, von mir durchgesehen, die eindrücklichsten Beweise. Man lese, man höre – denn er will seinen Wortwert erst im Vortrag erkannt sein lassen –, was er aus den ersten zwei Hexenszenen gemacht hat:
»Wann sehn wir drei uns nächstes Mal
Bei Regen oder Wetterstrahl?«
»
Ist der Wirrwarr durchgemacht,
Gab Verlust und Sieg die Schlacht.«
»Noch vor Abend ists vollbracht.«
»Wo die Stätte?«
»Auf der Öd.«
»Da begegnen wir Mac beth.«
»Ich komme, Grauchen.«
»Kröte ruft.«
»Sogleich.«
»Schön ist wüst und wüst ist schön:
Durch Dunst und Nebel auf in die Höhn!«
Das Fehlen eines Satzzeichens nach dem ersten Vers läßt wie bei Bodenstedt, im Gegensatz zu den andern Übersetzern, nicht erkennen, daß die Drei entweder bei Regen oder bei Gewitter sich treffen wollen, sondern die Frage scheint bloß den Zeitpunkt der Zusammenkunft anzugehen, zu welcher Regen oder Gewitter die übliche Begleiterscheinung bildet. Bodenstedt sagt:
In Regen, Donner und Wetterschein
und so wird deutlicher, daß nicht gefragt werden soll, unter welchen Umständen, sondern wann. Obgleich Herr Gundolf den Donner wegläßt, ist, da ihn alle Übersetzer haben, sein Vorhandensein im Original zu vermuten. Die Verkürzung hat ihm aber noch lange nicht dazu geholfen, das »Wann« als führend und den zweiten Vers als mitgeführt empfinden zu lassen. Das wäre, selbst wenn dieser keine Alternative enthielte, also nicht die Ausführung der Frage vermuten ließe, unmöglich. Wenn Shakespeare es so gewollt hat, war anders zu übersetzen. Warum sollte es aber darauf ankommen, wenn der deutsche Vers, der diesen Sinn vermittelt, den Eindruck versagt? Weit unheimlicher als die Frage nach dem Zeitpunkt der Begegnung wäre die Wahl der Wetterart, die sie bestimmt. Diesem Gedanken aber kommt keine Nachdichtung, am wenigsten die Schillersche, die ihn »in Regen« kulminieren läßt, »entgegen«, und die Bedeutsamkeit solchen Zeremoniells wäre eben durch grelleres Sprachlicht und durch stärkeren Sprachlaut, selbst unter Verzicht auf den Regen darzustellen – was ich ohne jede Beziehung auf das mir sprachferne Original versucht habe. Aber da Herr Gundolf gehört sein will, unternehme ein deutsches Ohr, die Antwort der zweiten Hexe zu erfassen. Es wird von den beiden gleichartig ohne »Wenn« konstruierten Bedingungssätzen unfehlbar den Sinn empfangen, daß der zweite der Hauptsatz ist. Also:
Wenn der Wirrwarr durchgemacht,
Gab Verlust und Sieg die Schlacht.
Das wäre zwar keine logische Antwort auf die Frage der ersten Hexe, aber da man mit solchem Anspruch ja an Hexen nicht herantritt, denkbar. Unmöglich kann der Konditionalsinn der wenn-losen ersten Zeile so stark sein, noch den der folgenden zu sichern, die bei jedem Versuch, es zu erzwingen, als Dominante ins Ohr schlüpfen wird und nicht als koordinierte Fügung. Wie vorher das »Wann« nicht ausreicht und der Nachvers sich selbständig macht, so geschieht es wieder. Hier hat eben Herr Gundolf irgendeiner Wortgenauigkeit zuliebe – alle kann er ja beim besten Willen nicht einhalten, weil er sonst wohl nie einen Vers, geschweige denn einen Reim fertigbrächte –, hier hat er einen Wirrwarr bewirkt, der nicht durchzumachen ist. Es wäre nun gewiß drollig, zu erforschen – ich habe, flüchtig wie ich bin, bloß die »Hamlet«-Stelle festgestellt –: ob sich im Englischen auch etwas auf Macbeth reimt wie die Öd, die Herr Gundolf zustande gebracht hat. Ganz ausgebreitet ist sie schon über der zweiten Hexenszene:
»Wo warst du, Schwester?«
» Schweine töten.«
»Schwester, wo du?«
»Kastanien hatt ein Schifferweib im Schoß
Und
mampft und mampft und mampft. Gib mir, sag ich.
Marsch, Hexe, schreit das trebernfette Aas.
Ihr Mann ist nach Aleppo,
Baas des ›Tiger‹.
Ich hinterher im Siebe tanz
Und wie 'ne Ratte ohne Schwanz
Ich tu, ich tu, ich tu.«
Sie entwickelt also keinen Plan, sondern berichtet im historischen Präsens die Ausführung: Ich, nicht faul, hinterher. Die andern haben auch nicht Zeit, erst Apostrophe zu machen:
»Ich geb dirn Wind.«
»Bist lieb Kind.«
»Ich 'nen andern.«
»
Ich hab selbst schon all die andern,
Die bis an die Häfen wehn
Aller Ecken wie sie stehn
Auf der Seemannskart.
Dürr wie Heu wird er verdorrt,
Tag und nächtens jag ich fort
Schlaf aus seinem
Augenhaus.
Hundeleben halt er aus.
Schwere Wochen neunmal neun
Siech er, welk er, schrumpf er ein.
Kann sein Boot nicht untergehn,
Soll sichs doch im Wirbel drehn ...
Schau was ich hab!«
»Zeig her, zeig her!«
»Nahm den Daum 'nes Seemanns mit
Der beim Heimweg Schiffbruch litt.«
»Trommeln,
Trommeln!
Macbeth ist
kommen.«
»Unheilschwestern, Hand in Hand,
Wandrer über See und Land
Gehn
so rund herum, herum,
Dreimal dein und dreimal mein,
Nochmals drei – so macht es neun ...
Still der Zauber ist geknüpft.«
Und welchen faulen Zauber hat der Wortwart des George-Kreises (der für »Heine und die Folgen« ziemliches Verständnis bekundet hat), in unterfeuilletonistischem Drange aus der dritten und der vierten Hexenszene geknüpft! Gerade da ist Tycho Mommsen nichts schuldig geblieben, bei welchem – fast wie die Scheltrede der Chorführerin in der »Helena« durch das Nebelwallen bricht (»Vorschnell und töricht, echt wahrhaftes Weibsgebild!«) – Hekate groß anhebt:
Hab' ich nicht recht, Altmütter, die ihr seid?
Wie habt ihr, allzufrech, es nicht gescheut,
Daß ihr mit Macbeth kippt und wippt,
An Rätselkram und Mordwerk nippt ...
Die ersten zwei Zeilen dürften, wie ich aus der Übereinstimmung der deutschen Texte schließe, im Original Blankverse sein wie die beiden letzten:
Man ruft mich, horch! Mein kleiner Geist, o schau!
Sitzt in der Nebelwolk' und harrt der Frau.
Und wären sie's nicht, so wäre doch der Wechsel – wie ein zur Rede stellen zum kurz Angebundenen wird – von großem Reiz. Gundolf macht's korz:
Hab ich nicht Grund, ihr Vetteln ihr?
Was, gar zu Freche, wagt ihr hier,
Daß mit Mac
beth ihr treibt und tut
Geheimding und
Geschäft von Blut?
Bei Mommsen die schon zitierte schöne Stelle:
Und schlimmer noch, uns wird kein Lohn,
Ihr dientet dem verkehrten Sohn,
Der, trotzig und voll Übermut,
Sein Werk nur, nicht das eure, tut.
Bei Gundolf:
Und schlimmer noch! was ihr getan
War nur
nach des Mißratnen Plan
Voll Wut und Haß –
wie männiglich
Wirkt er für euch nicht, nur für sich.
Der Kehrreim der Hexen in ihrem vierten Auftritt lautet bei Mommsen:
Alle, alle, mischt am Schwalle,
Feuer brenn' und Kessel walle!
Noch anschaulicher bei Bürger:
Lodre, brodle, daß sich's modle,
Lodre, Lohe, Kessel, brodle!
Bei Gundolf:
Doppelt, doppelt,
Sud und Strudel,
Feuer brenn und Kessel
brudel!
Das alles ist, trotz raren Worten und eigener Interpunktion, von ungewöhnlicher Banalität und man hat bei Gundolf durchaus den Eindruck, als sei er bemüht, dem seichten Fluß der normalen Übertragung durch künstliche Stauungen Tiefe anzudichten und dem ihm Nichtergreifbaren auf Ungemeinplätzen zu begegnen. Vergebene, aber nicht zu vergebende Mühe! Denn so kommt ein Shakespeare zustande, dessen äußere Lückenlosigkeit die Fülle verdrängt, während die wahre Restaurierung in der Nachbildung der Vision, des Gedankens, der Stimmungsfarbe mit den Mitteln der andern Sprache zu bestehen hätte, auf die Gefahr hin, selbst das Vorstellungsmaterial einer Wendung durch ein ganz anderes ersetzen zu müssen. Und wäre es nicht, da die äußere Vollständigkeit oder Genauigkeit der vorhandenen Übersetzungen doch immer zugänglich bleibt, eine Tat für sich und verbunden mit der Tat am Wort: endlich für die Bühne oder für die vielleicht noch vorhandene Szene der inneren Vorstellung die endgültige Form zu schaffen, in der ein deutscher Shakespeare, sprachlich nur dort erneuert und verbessert, wo es Schlegel unterlassen hat, von Ballast und Beiwerk befreit erschiene? Mehr als der szenischen Fülle, die die Einrichtung meines Vortrags ergibt, bedarf weder Hörer noch Leser, und die schlechteste Übersetzung enthält Verse, die in der neuen Umgebung zu stärkerem Atem kämen, ganz wie sie ihn, aus Schlegel in die dürftigere Landschaft übernommen, verlieren. Wenn mir die Befassung mit den Ungeheuern einer irdischen Region einmal Raum und Ruhe ließe, Sprachwerte aus einer höhern zu schöpfen, dann wollte ich es aus keiner andern tun als aus der Wunderwelt Shakespeares und durch kein eigeneres Erlebnis als aus dem lustvollen Gefühl, es tun zu sollen!