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Es gibt einen Wunsch, eine Erlaubnis, eine Pflicht, eine Fähigkeit, etwas zu tun. Was da aber schreibt, hat den Wunsch, es tun zu »wollen«, leider auch die Erlaubnis, es tun zu »dürfen«, maßt sich ferner die Pflicht an, es tun zu »müssen«, und hat so ganz und gar nicht die Fähigkeit, es tun zu »können«. Bei einer Forderung schwanken sie, ob ihr Inhalt noch extra durch ein »sollen« oder »müssen« auszudrücken sei. Kommen dazu Konjunktivschwierigkeiten, so quetscht sich der Stilist der Neuen Freien Presse wie folgt aus:
In der ›Arbeiter-Zeitung‹ wird berichtet, der Bürgermeister habe die Forderung erhoben, daß die Bankabteilung ... rasch liquidiert werden solle und daß auch die Bezüge der leitenden Funktionäre eine Schmälerung erfahren müssen.
Eher eine Bank, der man Pleonasmus nachsagen kann. Zunächst: wenn es »solle« heißen soll, so muß es »müßten« heißen (wegen der Unkenntlichkeit des Konjunktivs im Präsens), wenn es aber »müssen« heißen sollte (also indikativisch gedacht wäre), so müßte es »soll« heißen. Sodann ist die Unterscheidung »sollen« und »müssen« falsch und nichts als ein Gegacker. Es müßte entweder heißen: »rasch liquidiert werden und auch die Bezüge ... eine Schmälerung erfahren sollten« (oder sollen), oder es sollte heißen: »rasch liquidiert werden und auch die Bezüge ... eine Schmälerung erfahren müßten« (oder müssen). Sodann wäre auch dies bedenklich, da der Inhalt der Forderung weder durch ein Sollen noch durch ein Müssen bezeichnet werden muß, sondern bloß durch das, was geschehen soll oder muß, bezeichnet werden soll. Der Bürgermeister kann zwar sagen: Die Bankabteilung soll liquidiert und die Bezüge müssen geschmälert werden, aber er stellt die Forderung, daß jene liquidiert (werde) und diese geschmälert würden (wegen der Unkenntlichkeit des Konjunktivs im Präsens statt: »werden«). Allenfalls, wenn der Inhalt der Forderung sehr stark hervortreten soll, darf das Sollen oder das Müssen ausgesprochen sein, aber dann besser im Indikativ als im Konjunktiv. (Wie nach einem Doppelpunkt kommt gleichsam der Fordernde zu Wort.) Mit Recht wäre also zu fordern, daß die Satzbildung liquidiert werde und der Pleonasmus eine Schmälerung erfahre, aber nicht, daß jenes geschehen solle und dieses geschehen müsse. Denn das wäre eben jene Überfracht, mit der der Journalismus reist, weil ihm das einfache Gepäck zu schwer ist.
Eine Karte an den Verlag der Fackel:
eine Krone......zwei Kronen
ein Schilling.....zwei Schillinge
Daß man dem Sprachlehrer K. K. das sagen muß! Instruieren Sie den Setzerlehrling!
Die Antwort des Verlags:
Wir senden Ihnen Ihre nicht nur törichte, sondern auch in ungebührlichem Ton gehaltene Karte zurück. Es fällt uns schwer, Ihre Entrüstung über den Plural »Schilling« auf dem Umschlag, selbst wenn er falsch wäre, nachzufühlen, wir möchten Ihnen aber für alle Fälle nebst einer Belehrung auch die Beruhigung erteilen, daß der Plural »Schilling« richtig ist, und richtig bleibt, wiewohl die Nationalbank Noten auf »Hundert Schillinge« ausgegeben hat. Dieser Plural ist der inkorrekte, auch wenn Sie durch den auftrumpfenden Hinweis auf den ganz anders gearteten Fall der »Krone« den andern für den falschen halten. Auch ohne diesen Hinweis glauben wir Ihnen natürlich gern, daß der Plural von Schilling an und für sich »Schillinge« lautet, und wenn Sie die einzelnen aufzählen, werden es schon solche sein. Aber der Summe auf dem Umschlag der Fackel liegt eben eine bessere sprachliche Berechnung zugrunde als Ihrem Tadel, der sich auf das törichte Argument der »Krone« stützt. Sie würden natürlich auch »eine Strecke von 100 Meter«, ein »Gewicht von zehn Zentner« für falsch halten, dagegen ein Haus fünf Stöcke hoch sein, eine Temperatur zehn Grade haben, einen Trupp aus fünfzig Männern bestehen lassen, eine Länge von drei Fußen (oder Füßen) und vier Zollen (Zöllen) ausmessen, etliche Laibe Brot oder Fässer Bier und Maße Wein verbrauchen u. dgl. mehr. Aber Sie wissen eben nicht, daß es mit dem Plural von diesen und allen Maßen seine besondere Bewandtnis hat. Warum die Elle, die Meile, speziell aber die Krone, bei der noch die andere gegenständliche Vorstellung mitwirkt, eine Ausnahme bildet, darüber mögen Sie sich mit Ihrem Sprachgefühl unterhalten. Wir wollen Ihnen nur die Versicherung erteilen, daß Sie getrost im Plural mit »Pfund«, »Taler« und »Pfennig« und ganz ebenso auch mit »Schilling« rechnen können, ohne sich übervorteilt fühlen zu müssen, und Sie werden diese Rechnungsart bei den besten deutschen Klassikern finden. Was der »Sprachlehrer K. K.«, dem Sie natürlich gar nichts »sagen müssen« und mindestens das, was Sie nicht wissen, in einem andern Ton zu sagen haben, mit einer Bemerkung auf dem Umschlag, ob sie nun wohl erwogen wurde oder ein Versehen ist, zu schaffen haben soll, dürfte auch Ihnen – bei einigem Nachdenken – unverständlich sein. Aber er verantwortet mit dem Verlag der Fackel den Plural »Schilling«, welcher entgegen der von Ihnen und sogar von der Nationalbank vertretenen Ansicht beibehalten wird. Ihr Rat, den »Setzerlehrling« zu instruieren – der einer humorig laienhaften Vorstellung von der Entstehung der Druckwerke entspringt –, wird also nicht befolgt werden. Dagegen hoffentlich unser Rat an Sie, sich künftig, wenn Sie schon glauben, uns aus Ihrem Mangel an Sprachgefühl einen Vorwurf machen zu müssen, wenigstens einer anständigeren Form zu bedienen.
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Ich hatte einen Esel sich in die letzte Nationalbank setzen lassen, weil er nicht gewußt hatte, wie der Plural von Schilling lautet, und darob den Lehrer tadelte. Die ganze Klasse hat sich gebessert:
Das Bundesministerium für Finanzen gibt bekannt, daß nach eingeholten Sachverständigengutachten die Währungsbezeichnung »Schilling« in der Mehrzahl und in Verbindung mit einer Grundzahl nicht abzuwandeln ist, wenn sie als zusammenfassende Wertbezeichnung und nicht als Bezeichnung einer Mehrzahl bestimmter Münzen gebraucht wird. Die Mehrzahl hat demnach » Zehn Schilling« zu lauten, wenn es sich um die Angabe einer Summe handelt, dagegen » Zehn Schillinge«, wenn eine Mehrheit bestimmter Münzstücke bezeichnet werden soll. Im Gebrauch der Ämter und Behörden wird künftig nach diesem Grundsatz vorgegangen werden.
Viel hab ich ja im österreichischen Leben nicht erreicht. Aber ich halt' es halt mit dem Valentin – nicht mit dem, der den Hobel hinlegte, sondern dem, der eine Brille ohne Gläser trug und, darob befragt, die Antwort gab: »Besser is schon wie gar nix«.
Sie senden wieder einmal Herrn K. K. eine Mahnung (angeblich noch unbeglichene S 5.72 zu bezahlen) mit der Drohung, seine Anlage vom weiteren Strombezuge » zur Abschaltung zu bringen«. Ein für allemal beehren wir uns Ihnen mitzuteilen, daß, wenn künftighin ein Betrag noch unbeglichen sein sollte, der Grund darin zu suchen ist, daß Sie entweder keine Rechnung geschickt oder die Buchung des bezahlten Betrages unterlassen haben. Der Betrag S 5.72 ist von uns am 5. Mai bezahlt worden. Wir möchten bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß weit empfindlicher noch als das angedrohte »zur Abschaltung bringen« der Gebrauch dieser Redensart ist, und Ihnen empfehlen, auf Ihrer Mahnkarte künftig einfach zu sagen, daß Sie eine Anlage vom weiteren Strombezuge »abschalten« werden. »Zur Abschaltung bringen« kann man eine Anlage überhaupt nicht, da diese selbst nichts abzuschalten hat. Dagegen könnte man allerdings einen Stromabnehmer, der unausgesetzt für beglichene Beträge mit der Abschaltung bedroht wird, zu einer solchen bringen. Nämlich zu dem Ersuchen, sie endlich vorzunehmen, und zu dem Entschluß, zu jener Petroleumbeleuchtung zurückzukehren, deren Bezahlung niemals mit solchen, vor allem sprachlichen, Schwierigkeiten verbunden war.
Soweit die Androhung der sachlichen Grundlage entbehrte, hat sich das Elektrizitätswerk korrekt entschuldigt: was das Sprachliche betrifft, muß die nächste abgewartet werden. Bis dahin mögen Sprachschüler darüber nachdenken, warum ähnlichen Formen, wie »eine Methode zur Anwendung bringen« oder »einen Plan zur Ausführung« nichts derart Ungemäßes anhaftet. Doch sei ihnen, um Unheil zu verhüten, der Fingerzeig gewährt, daß hier etwas wie eine komplementäre Handlung, ein schon begrifflich Einbezogenes, dazu Gehöriges »zum Ausdruck gebracht« wird, nicht aber, wie dort, etwas Äußerliches und dem Zweck der »Anlage« keineswegs Zukommendes. Gleichwohl sind alle diese Formen in einem tieferen Grunde inkorrekt. Anwendung, Ausführung, Abschaltung sind Aktivbegriffe: sie kommen von Tätigkeitswörtern, die die Tätigkeit dessen ausdrücken, der es tut, und nicht den Zustand der Sache, der es geschieht. Der kann wohl »zum Ausdruck gebracht werden«, da »Ausdruck« den Inhalt einer passiven Vorstellung hat. Ich kann mich zur Ausführung eines Planes bringen, den Plan nur zum Ausgeführtwerden. Das ist zum Glück unterlassen worden: eine Anlage wurde nicht zur Abschaltung gebracht, von der man wohl sagen könnte, daß sie »dem Schutze des Publikums empfohlen« ist (da doch bei elektrischem Licht Sprachlehre getrieben wird.) Wenn nicht wieder jener Kommunalausdruck bedeuten möchte, daß die Anlage bestimmt sei, das Publikum zu schützen. (Was freilich in gleichem Maße der Fall ist.)
Lawrence, The University of Kansas
1. Februar 1925
Im voraus bitte ich um Entschuldigung, daß ich wieder mit einem Zweifel an Sie herantrete. Ich lese soeben zum so-und-so-vielten mal in dem Fackelheft Nr. 632–639, und finde auf Seite 78, Zeile 3–4, folgende Stelle, die mich beunruhigt:
braucht dieses Bescheidwissen nur auf drei Buchstaben in der Mitte verzichten ...
auf Seite 73 aber steht:
oder man »braucht sich nicht erinnern«, wie Herr S. zu sagen pflegt
Da ich nicht Deutscher, auch nicht deutscher Abstammung bin, ist meine sprachliche Unsicherheit vor der Fackel schon etwas leichter erklärlich als die der meisten ihrer Leser; doch scheint mir zwischen den beiden angeführten Fällen kein formaler Unterschied zu bestehen, und da ich nicht annehme, daß im ersten Zitat ein Druckfehler vorliegt – daß ein »zu« zwischen den zwei letzten Worten von seinem Platz verschwunden ist –, und noch weniger an eine Entgleisung Ihrerseits glaube, sondern vermute, daß die Wendung, wie sie eben steht, beabsichtigt ist (denn meinem Gehör nach hat sie einen durchaus richtigen Klang – vielleicht weil »braucht« und »verzichten« so weit voneinander getrennt liegen? –, während das »braucht sich nicht erinnern« einen gräßlichen hat), so weiß ich mir anders nicht zu helfen, als daß ich mich wieder einmal an Sie wende. Sooft ich die Stelle auch schon gelesen habe, heute fällt sie mir zum erstenmal auf, und ich frage mich vergebens, warum sie, trotzdem so etwas »nicht geht«, so gut klingt. Mit grammatikalischer Vernunft komme ich der Lösung nicht näher, denn in sprachlichen Dingen (selbst in den muttersprachlichen) bin ich ganz und gar auf mein Ohr angewiesen (welches mich wohl manchesmal im Stich läßt). Jedenfalls weiß ich nicht wie ich zu dem ganz passablen Englisch gekommen bin, das ich heute schreibe (ohne jedoch Schriftsteller von Beruf zu sein), wenn nicht durch das Deutsch der Fackel, das so entscheidend und so glücklich auf die Schärfe meines Gehörs gewirkt hat.
Wie bei dem über das Weltmeer geflogenen Apostroph – dessen Problematik, wie Zuschriften von nicht weither beweisen, manchem Schwachkopf ein Lächeln entlockt hat – hat der Leser in Kansas selbst die Lösung des Zweifels gefunden, ohne ihrer sicher zu sein. Er fühlt nicht nur, sondern bezeichnet den Unterschied der Fälle ganz richtig; und er nehme dazu, daß an jener Stelle der Infinitiv mit »zu« dreimal hintereinander gesetzt wäre (zu verzichten ... zu verlassen ... anzutreffen). Mehr als für »facere« gilt für »scribere« das Non est idem, si duo, das sich hier schon zum Quod licet Jovi auswächst. An und für sich ist »brauchen« ohne »zu« keineswegs falsch – das wurde nie behauptet –, es gibt Fälle, in denen es sogar vorzuziehen ist, eben wenn sich die »zu« häufen oder wo eine mehr mundartliche Färbung oder die Veranschaulichung des abgekürzten Vorgangs intendiert ist, was ganz gewiß bei der dargestellten Sphäre (Verzicht auf drei Buchstaben im Wort »Bescheidwissen«) der Fall war.
In der von ihm selbst veranlaßten Zusammenkunft mit den Vertretern der Presse hat er sich als ein ganz moderner Mensch erwiesen und ist gar nicht weiter erstaunt gewesen, daß eine durch vielfache Gerüchte beunruhigte Öffentlichkeit Aufklärungen wünscht; ist keinen Moment verdrossen gewesen, Antworten und Auskünfte zu erteilen über die Verwaltung nationaler Güter, die seiner Obhut anvertraut sind. Als ich vor etwa zwanzig Jahren den damaligen Direktor der damals kaiserlichen Gemäldegalerie in einer Reihe von Artikeln ersuchte, dem Verdorren dieses Museums Einhalt zu tun, schweigte er und rührte sich nicht. Er war k. u. k. Beamter eines k. k. Hofinstitutes und fühlte sich nur seiner vorgesetzten Behörde verantwortlich.
Da ist unserm Salten, der auch im Stil der alten Chroniken zu Hause ist wie überhaupt in jedem außer dem eigenen, ein Fund geglückt; man braucht nicht immer Jargon schreiben. So wenig deutsch kann er natürlich nicht, daß ihm nicht das Imperfekt »schwieg« vertraut wäre, aber er hat irgendwo das alte »schweigte« gefunden, und dieses schien ihm aparter. Er weiß gar nicht, wie richtig seine Wahl war. Die seltene Faktitivform bedeutet nämlich »schweigen machen«, und das ist der alten Staatsmacht mit der Presse hin und wieder gelungen. (Adelung: »es geschehe nun auf welche Art es wolle, durch einen Befehl, durch Gründe, durch Befriedigung des Verlangens.«) Wenn nicht, schwieg sie, während die heutige, die Journalisten als Vorgesetzte anerkennend, ihnen Rede steht. Die Formen haben sich also immerhin geändert. Nur nicht die meinigen im Verkehr mit der Presse: ich stehe ihr immer noch dann Rede, wenn sie diese nicht hören will, und sie möchte mich nach wie vor schweigen, aber es gelingt ihr nicht einmal, mich totzuschweigen.
Stefan Zweig, heute einer der repräsentativen Schmuser der europäischen Kultur, würde es mir unmöglich machen, in der Seichtheit seiner tiefen Sätze nicht zu versinken, wenn ich mir in mühevoller Praxis nicht doch eine gewisse Fähigkeit der Resistenz erworben hätte, um mir's an der Stelle genügen zu lassen, auf die mein Blick gerade fällt.
Dreißig, ja vierzig Jahre übt und vertieft Sigmund Freud seine Methode und hätte er die tausend und aber tausend Beichten der ihm anvertrauten Seelen in der Schrift festgehalten, es gäbe kein Buch der Weltliteratur, das ihm dokumentarisch gleichte.
Hier kann man nur sagen: Aufgewachsen bei Opitz! Daß »gleichen« schwachförmig gebraucht wird, dürfte seit solchen Olims Zeiten, der die Welt noch ohne Neue Freie Presse geschaut hat, nicht der Fall und selbst damals nicht üblich gewesen sein. Es kann hier aber auch ein solcher Hang nach sprachlichen Pretiosen mitgespielt haben, der nicht die abgestorbene Form ergreift, sondern eine vorhandene, wenngleich seltene, in ihrer Bedeutung mißversteht und für was Kostbares hält. Dann wäre Herrn Zweig dasselbe passiert wie Herrn Salten, der auf einmal »schweigte«, weil er diese Form in einer Auslage gesehen hatte, ohne zu wissen, daß sie so viel bedeutet als: schweigen machen, beschwichtigen, also die Tätigkeit, die man gegenüber Schwätzern anwendet. »Gleichen« (gleichte, gegleicht) ist ein ebensolches Faktitivum wie schweigen (schweigte, geschweigt) und bedeutet – im Gegensatz zu »gleichen, glich, geglichen« = gleich sein – so viel als gleich machen, glätten, in Übereinstimmung bringen. Eher kann das Faktitivum »schweigen« stark abgewandelt werden (ich schwieg ihn), als schweigen im Sinn von »nicht sprechen« schwach. Und das Faktitivum »gleichen« hat in Zusammensetzungen durchaus die starke Abwandlung, so daß die Tätigkeit des Gleichmachens dann nicht anders konstruiert wird als die Eigenschaft des Gleichseins. Es wird also »verglichen«: wenn ich nicht eine Sache als solche gleich mache (glätte) oder reale Dinge in Übereinstimmung bringe (Münzen, Gewichte), sondern wenn ich eine Sache einer andern gleich stelle oder sie an ihr messe; doch kann sie auch als solche »beglichen« oder »ausgeglichen« werden (wobei allerdings mit einer vorgestellten Forderung oder Rechnung verglichen wird). Nur im rein mechanischen Sinn wird etwas »gegleicht«; aber selbst da »angeglichen«. Herr Zweig hat also irgendwo »gleichte« in der selteneren Bedeutung gefunden und diese mißverstanden, oder vielleicht doch die abgestorbene, niemals lebendige Form für seinen reporterhaft normalen Sinn gewählt. Jedenfalls gedachte er sich mit etwas Kostbarem zu schmücken. – Diese Beobachtung ist natürlich nur eine Kleinigkeit, eine von jenen, mit denen ich mich abgebe; aber sie scheint doch hinreichend Raum zu gewähren, daß man in ihr das Format eines Kulturessayisten unterbringe. Wenn so einer hinschreibt, daß einem Buch keines der Weltliteratur »gleichte«, so glaubt er schon mit einem Fuß in ihr zu sein. Aus der wievielten Hand jedoch selbst die scheinbar korrekten Fügungen ihm zugekommen sind, läßt sich leider nie feststellen. Meiner Methode genügt ein Zweig, um einen Wald von Federn zu sehen, die da vorgearbeitet haben. Aber das ist es eben, was der Zeitungsleser braucht. Die Bürgerschaft zwischen Berlin und Wien sieht sich durch die Emil Ludwig und Stefan Zweig mit der denkbar größten Zeitersparnis in die Weltliteratur eingeführt, und die Folge ist, daß solche Leute dann für Paris und London selbst schon zu ihr gehören. Sie machen dem Leser die Lücke, aus der seine Bildung besteht, wohnlich und behaglich, schmücken sie mit Urväter Hausrat, neuzeitlichem Zierat und sonstigem Unrat, und heben den Zeitgenossen liftartig auf ein Niveau, das er unten nur zu betreten braucht, um oben zu sein. Der Lift war auch nicht immer oben, aber es gelingt ihm immer wieder, und technische Hindernisse sind unschwer ausgegleicht.
Ein Leser aus Cassel schreibt:
Vielleicht interessiert den Herausgeber der Fackel das folgende Zitat, als Beweis für die Tatsache, daß vor 70 Jahren ein mittlerer Übersetzer besser um die deutsche Sprache Bescheid wußte, als heutigen Tags ein beliebter Feuilletonist:
Geschichte der Girondisten v. A. v. Lamartine. Nach der 3. franz. Auflage übersetzt von Wilhelm Schöttlen. Siebenter Band. Stuttgart, Rieger'sche Verlagsbuchhandlung 1851:
»Dieser junge Mensch war Camille Desmoulins, der inconsequent in seinem Mitleid, wie in seinem Hasse, sich in seiner bald verruchten, bald knabenhaften Leichtfertigkeit den Thränen hingab, wie er das Blut herausforderte. Mit Gleichgültigkeit oder Verachtung hielt ihn die Menge zurück und schweigte ihn wie ein Kind.«
Hier ist, was Stilgeckerei bei einem Literaten wäre, ein Stilmittel beim wahren Erzähler geworden: der Prosabericht wächst zu einer Ballade.
Aber da ich von Salten nicht schweigte, so gleichte es mir ganz und gar nicht, bei dieser Gelegenheit an Zweig vorüberzugehen und nicht auch seinem pretium affectationis ein besseres Vorbild darzubieten. Die Anfangszeilen der letzten Strophe der liebenswürdigen »Elegie an einen Mops« von Moritz August Thümmel enthalten das von jenem mißverstandene Faktitivum:
Wie hast du, guter Mops, nicht meiner Stirne Falten,
Sah ich dem Grillenspiel der deinen zu,
gegleicht!
Aber ich bin Pretiosenräuber. Zu den »kleinen Erfolgen«, mit denen ich kürzlich renommiert habe, kann ich, einem Gerücht zufolge, die Tatsache zählen, daß sich Herr Zweig entschlossen hat, in dem Nachdruck seines Freud-Aufsatzes, der im Jahrbuch für Psychoanalyse erfolgt, die rare Form durch die richtige zu ersetzen. Wenn man die beiden Fassungen vergleichte, würde man finden, daß es nunmehr kein Buch der Weltliteratur gibt, welches dem Werke Freuds gleichkäme, was ja in der Meinung übertrieben sein mag, aber im Ausdruck richtig ist. Ob Salten sich zu einer analogen Änderung entschlossen hat, darüber schweigte das Gerücht.
D. – anders, begreif ich wohl, als sonst in Bubiköpfen malt sich in diesem Kopf die Welt –:
Ludwig Fulda hat die Übersetzung Ibsens bewerkstelligt: pointierte Verse, Fuldasche Reimüberraschungen, die gar nicht an Übersetzung denken lassen. Man glaubt ein Original zu hören. Der fremde Passagier sagt zu dem mit den Wellen ringenden Peer: »Die Furcht hat Sie zu früh gepackt, man stirbt nicht mitten im fünften Akt ...«
Nicht ganz so groß ist die Fuldasche Reimüberraschung für den, der an Christian Morgensterns Übersetzung denkt und eben dieses Original zu hören glaubt:
Getrost, mein Freund! Ich habe Takt; –
Man stirbt nicht mitten im fünften Akt.
Dagegen hat P. – den man freilich in der Umgebung von Wiener Kritik so wenig nennen wie er zu ihr gehören sollte – wieder unrecht, wenn er meint, daß die Form »geschmelzt« ein tadelnswertes Fuldasches Original sei und nicht vielmehr ein alter, guter, hier der einzig richtige Gebrauch. S. wäre in solchen Fällen gewitzigt und hätte geschweigt.
Ich bin wohl kein Freund der Neutöner, die es aus Unfähigkeit zum alten Ton sind. Und was ich ihnen am meisten verüble, ist, daß sie den schmutzigsten Besitzern des gesunden Menschenverstandes dazu verhelfen, recht zu haben, und daß man sich die Hände abwischen muß, weil einem das Malheur zugestoßen ist, mit so was eine Ansicht zu teilen. Um der Plattheit des Herrn Blumenthal zu entgehen, stürze ich mich dann kopfüber in die schwindelnde Tiefe eines neuen Lyrikers.
Wie ein Frühlingslied von Theodor Däubler aussieht, wissen wir nun. Seine Winterlieder sind nicht besser geraten. Über einem dieser Lieder strahlt das Wort »Schnee«. Durch die Erinnerung singen mir die Verse Platens: »Leicht erträgt mein Herz des Winters Flockenschnee, weil ich Blütenschnee des Lenzes ahne.« Mit so einfachen Klängen begnügt sich unser Dichter nicht. Seine Schneeflocken sind Silberbienen und setzen sich »sehr stumm« auf welke Blätter. Kann man stummer als stumm sein? Der Schnee Theodor Däublers ist es imstande. Er kann auch noch andere Kunststücke. Er wirbelt nicht bloß, er »schwirbelt« auch – und er würde zweifellos auch zirbeln und girbeln, wenn es von ihm verlangt wird: denn was tut nicht ein gutmütiger Schnee für einen Dichter, der Neutöner von Beruf ist? Vielleicht lehrt er uns bald, daß es nicht bloß einen Wirbelwind, sondern auch einen Schwirbelwind gibt, und daß der Mensch nicht bloß eine Wirbelsäule hat, sondern auch eine Schwirbelsäule.
Herr Blumenthal ist vom Schwirbel bis zur Zeh ein Sprachkenner. Nur muß er noch zulernen, daß es einen Schwirbel, wenn auch nicht im Sinn von Scheitel, so doch im Sinne von Taumel, Schwindel wirklich gibt. Herr Däubler hat da gar keinen Schwirbel gemacht, sondern ein altes Wort ganz gut gesetzt. »Schwirbeln« heißt – wie jener im Sanders nachlesen kann –: sich wirbeln, drehn, taumeln. Dem Schnee soll vermutlich mehr als das physikalische Wirbeln, auch die Empfindung des Taumelns zugeschrieben werden; lautlich ist es, indem sich Sch mit wirbeln verbindet, eine anschauliche Darstellung des Treibens, eine recht schneehafte Abdämpfung des Wirbelns. Herr Blumenthal hat Pech. Denn »Zirbeln« gibt's auch und es bedeutet dasselbe, wie auch sogar »zwirbeln«, das es gleichfalls bedeutet und das die Scherzhaftigkeit zu erfinden vergessen hat. Nur »girbeln« gibt's nicht. Aber den Blumenthal gibt's. Er könnte mit der höchsten Lyrik genau so verfahren wie mit jener, die er gerade angefaßt hat und deren Einzelfall eben darum meines Schutzes sicher sein kann, so gefährlich mir auch der geistige Typus erscheinen mag. Was weiß ein Berliner Witzonkel von diesen Dingen und was gehen sie ihn an? Der Blumenthal verhält sich zur Lyrik wie der Blumenthal zu einem Blumental. Wobei das Trostlose ist, daß man ihn noch mit h schreiben soll und dieses nicht mehr!
Über ein Shakespeare-Wörterbuch schreibt in der Neuen Freien Presse ein Herr, der mit dem Wort auf einem so beschaffenen Fuß steht: Shakespeares Welt sei eine Insel der Seligen, die »jeder verlangenden Hand ihre goldenen Früchte reicht«.
Allerdings auch ein Eden mit einigen Bäumen der Erkenntnis, von denen es mehr als genug harte Nüsse zu brechen gilt.
Abgesehen von der Schwierigkeit der Vorstellung, daß es etliche Bäume der Erkenntnis gibt und daß es Nußbäume der Erkenntnis sind, kann man von einem solchen zwar Nüsse »brechen«, nämlich pflücken, aber für die Schwierigkeit dieses Brechens ist es völlig irrelevant, ob sie mehr oder weniger hart sind. Eine »harte« Nuß brechen kann nur heißen: sie aufbrechen, nachdem sie schon vom Baum gebrochen ist. Das meint er aber nicht, sondern er meint, daß es die Früchte vom Baum der Erkenntnis zu brechen »gilt«, was wieder darum seine Schwierigkeit hat, weil es ja verboten ist. Item, er meint, es gelte, die Nüsse von den Bäumen zu brechen. Sie aufbrechen ist erst das nächste, was zu geschehen hat. Denn:
Daß ein Forscher, der wie ein wetterfester und scharfäugiger Fährtensucher den Wegen Shakespeares zu folgen gewohnt und gewillt ist, auch zahlreiche dieser harten Nüsse zu entkernen vermag, davon zeugt fast jede Seite in Kellners letztem Buch.
Natürlich: es gehörte noch keine Kraft dazu, die harten Nüsse vom Baum zu pflücken, jetzt erst, beim Entkernen, muß sie sich an der Härte bewähren. Warum einer aber dazu ein wetterfester und scharfäugiger Fährtensucher sein muß und was ein solcher überhaupt im Paradies zu suchen hat, mag jener wissen, dessen Wege noch unerforschlicher sind als die Shakespeares.
Aus einem Prospekt:
Liebe gute Eltern!
Wollet Ihr Euren Buben
wollet Ihr Euren Knaben
gut und billig bekleiden dann bitte ich höflich um Ihren gesch. Besuch.
Selbst vom entlegensten Bezirke wenn sie kommen, ist es Ihr Vorteil.
Aus dem Begleitbrief:
Als gebürtiger Franzose und (angesichts derartiger Sprachausartungen leider) naturalisierter Österreicher, erlaube ich mir Ihnen den beiliegenden Prospekt zu überreichen, dessen Erfolg in Paris eine Serie von Maulschellen wäre, die der Verfasser von den lieben guten Eltern, die dort immerhin noch etwas auf ihre Sprache halten, empfinge.
Selbst vom entlegensten Bezirk wenn sie kämen, wäre es sein Nachteil! Aber wer wollte an das Wiener Merkantilleben mit Forderungen der Sprachreinheit herantreten? Wem sollte das Farbengebrülle dieses Plakatwesens noch das Gelalle dieser Texte hörbar machen? Der deutsche Charakter einer Stadt ist ihr Lebtag noch nicht an der Sprache, die sie spricht, erkannt worden. Doch die in Wien gesprochene und geschriebene, mit diesem Kauderwelsch des Verkehrs, diesem Rotwelsch des Handels und dem Deutsch der Zeitung, ist so geartet, daß man sich wundert, wie dergleichen auch nur ein Verständigungsmittel zwischen den Wienern bilden kann.
Gelesen habe ich ja noch nie eine Zeitung – wer weiß, vielleicht käme ich hinter die Vorzüge –; aber wohin der Blick nur fällt, nimmt er wahr, daß sie von puren Analphabeten gemacht wird. In keiner Sprache wird ja so schlecht gesprochen und geschrieben wie in der deutschen und in keiner deutschen Region wieder so schlecht wie in der österreichischen. Wien erleidet insoferne das Schicksal Babels, als der Herr daselbst verwirret hatte eines einzigen Volkes Sprache. Oft denke ich mir, wie eine Nation, die so auf die Fremden angewiesen ist, mit der Verpönung fremder Sprachen auskommen kann und ob es denn mit gebrochenem Deutsch allein auf die Dauer gelingen könnte, sich zu verständigen. (Wozu noch die Eigenheiten der Landesbräuche kommen, die, an und für sich unverständlich, ihren besonderen Ausdruck haben. Ich stelle mir eine Engländerin vor, an die ein Zahlkellner mit dem Wortgebild heranstürmt, dem nicht einmal zu entnehmen ist, ob es Frage oder Botschaft bedeutet, und das die Elemente der Gnade, des Geschmacks und des Willens zu der rätselhaften Formel vereinigt: »Gnädigste schon was Sisses befohlen –«. Wo in der weiten Welt gibt es dergleichen und wie könnte die perfekteste Kenntnis des Deutschen mit Zuhilfenahme von Wörterbüchern da zureichen?) Das Merkwürdige ist, daß die Einheimischen einander verstehen; offenbar gelingt es, indem jeder weiß, was der andere nicht meint. Die Journalisten nun scheinen sich irgendeinmal auf den ruchlosen Grundsatz »Schreibe, wie du sprichst« festgelegt zu haben und nehmen ihn wörtlich. Was da herauskommt – da sie also faktisch schreiben, wie sie sprechen –, ist ja toll, aber es wäre noch erträglich, wenn sich nicht auch die Konsequenz ergäbe: »Sprich, wie du schreibst«, indem nämlich dann die Leser so sprechen, wie die Journalisten schreiben. Und da jetzt auch alle Leser schreiben, so ist das, was schon Wirklichkeit ist, gar nicht mehr vorstellbar. Die Landessprache ist das Kauderwelsch, welches freilich durch die verschiedenen Arten des berufsweise gesprochenen Rotwelsch verzerrt wird und dessen reiner Charakter nur noch in der Amtssprache erhalten scheint. Der Umsturz hat auch die spärlichen Überbleibsel von Normen einer Syntax aufgelöst und man kann wohl sagen, daß seit der Lostrennung von den anderen Nationen in Österreich nicht mehr deutsch gesprochen wird. Leider scheinen es auch die Setzer verlernt zu haben, die in der Monarchie noch das Gröbste, was ihnen die Redakteure lieferten, zu beseitigen gewohnt waren und nur in Zeiten passiver Resistenz einen Artikel, wie er war, erscheinen ließen. Auf die Art haben schließlich die Redakteure manches gelernt und es ging zur Not. Ich glaube kein Redaktionsgeheimnis zu verraten, wenn ich der Vermutung Ausdruck gebe, daß alles was jetzt erscheint von den Lesern geschrieben ist, die es freilich von den Redakteuren gelernt haben. In der Neuen Freien Presse beginnt zum Beispiel ein Geburtstagsartikel folgendermaßen:
Seine vielen Bekannten werden erstaunt sein, zu erfahren, daß Mittwoch wird Professor Dr. Felix Ehrenhaft fünfzig Jahre alt.
Kann sein, es handelt sich um eine sogenannte »Verhebung«, auf die sich die Stilisten des Tages immer ausreden (als ob's ihnen wer geschafft hätte, den Beruf zu ergreifen); aber dann mauschelt eben schon die Maschine, was doch nur ein Fortschritt und kein Wunder wäre. Interviewt wird – im Neuen Wiener Journal – folgendermaßen:
Was ist das Neue, was Sie zurzeit beschäftigt?
Nämlich Herrn Zuckmayer; was ja ebenso wissenswert ist wie jede der Antworten, die immer dieselben prominenten Nichtskönner gleichzeitig auf die Fragen erteilen müssen, woran sie arbeiten, wohin sie aufs Land gehen und wie sie sich das Jenseits vorstellen. (Woran sie arbeiten, beunruhigt mich weniger als die anderen Pläne, die ich genau beobachte, um die eigenen danach einzurichten; mit dem Landaufenthalt gelingt's mir immer, mit dem Jenseits hoffe ich durchzurutschen, ohne dem Schauspieler zu begegnen, der in einer und derselben Nummer erklärt hat, daß ihn das Dampfroß nach Ostende zu bringen habe, wo er was von Gilbert singen wird, und daß er kämpfen, leiden, tragen wolle, denn es dränge ihn zum Vater, dessen ausgesetzte Söhne wir alle sind.) Was nun mich zurzeit beschäftigt, ist nichts Neues, sondern das Alte, das mich immer beschäftigt hat: die Lage des Deutschen in Österreich, das seit der Zeit, da es noch eine Lage der Deutschen in Österreich gab und infolgedessen eine Niederlage, darniederliegt. »Verhoben« ist da gar nichts, sondern es kommt eben davon, daß sie grade Michel sind, die schreiben, wie ihnen der krumme Schnabel gewachsen ist. In der Neuen Freien Presse tut sich wieder das Folgende:
Dann soll er ihm beim linken Arm gepackt und ihm zugerufen haben: »Schau'n Sie, daß Sie heraus kommen!« Als schließlich der Postbeamte gegen ein solches Vorgehen unter Hinweis auf eine eventuelle Meldung unter Diensteid hinwies, soll Dr. Busson ihm zugerufen haben: »Sie Bolschewist!«
Also was hat der Postbeamte eigentlich getan? Nein, so schlecht sprechen die Leute doch nur, wenn sie schreiben, und man kann, nehmt alles in allem, sicher sein, daß der flüchtigste Blick, der heute eine Zeitungskolumne streift, die Erfahrung bestätigen wird: mag der private Ausdruck im deutschen Sprachbereich den Tiefstand der Verkommenheit erreicht haben, er stellt neben der publizistischen Möglichkeit noch immer eine rhetorische Kunstleistung dar. Was öffentlich gesagt wird, ist nur mehr gelallt, gekotzt, ausgeworfen aus Mäulern, die rätselhafter Weise die Bestimmung haben, täglich zum Volke zu reden. Der mündliche Sprachgebrauch hat den Vorsprung erst wettzumachen, und da steht freilich zu befürchten, daß die Juden im Kaffeehaus mit der Zeit so sprechen werden, wie die in der Zeitung schreiben. Die Christen in den Ämtern nicht anders, nur noch verschärft durch die Angewöhnung dessen, was sie in der Reichspost und in der »Dötz« lesen. An eine Heimwehr für sprachliche Belange haben die Troglodyten bisher noch nicht gedacht. Schlechthin unvorstellbar, wie in der Gleichzeitigkeit des technischen Fortlaufs nach fünfzig Jahren die deutsche Rede (inklusive der jüdischen) beschaffen sein wird. Wenn nicht eine Diktatur – anderer Art, als sie sich der Herr von der Alpinen Montangesellschaft denken mag, der in jenem Fall die babylonische Verwirrung der einen Sprache heraufbeschworen hat –, wenn keine Diktatur mit dem Schwindel der Preßfreiheit tabula rasa macht und das Handwerk unter die Drohung der Prügelstrafe stellt, dann wächst eine Welt von Analphabeten heran, die nicht mehr imstande sein werden, die Zeitung zu lesen, sondern nur noch, für sie zu schreiben.
Deutsche Sprak, schwere Sprak. Ein Leser schreibt uns: Ein Wiener Abendblatt schreibt in einem Bericht über einen Unfall eines Schauspielers: »Der Künstler schwebt außer Lebensgefahr.« Es ist gewiß erfreulich, daß der Künstler demnach einem besseren Jenseits fernbleiben wird und ihm die letzte Ehre unerwiesen lassen kann. Ist es aber unumgänglich notwendig, daß die Wiener Blätter von Leuten geschrieben werden, die sich in der deutschen Sprache nicht zurechtfinden oder sollte es nicht doch umgänglich unnötig sein?
Das könnte man allerdings fragen, und der Sprachunterricht sollte nicht unerwiesen bleiben oder (wenn dies wegen der Wiederholung von »bleiben« mißlich wäre) nicht unerwiesen gelassen werden. Bis dahin sollen Zeitungen nicht drucken, was Leser schreiben, selbst wenn diese an Gedrucktem mit Recht Anstoß nehmen.