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Dichters Klage

Unsere Sprache hat keine Hüter mehr; keine Gesetze schonen sie; lieblos wird mit ihr verfahren; daher weigert sie auch die Frucht, ihr geschundener Leib gebiert nicht mehr und verwirrt in geheimnisvoller Rache die Sinne und Geister der Menschen.

Solches klagt Herr Jakob Wassermann und zwar – die Sprache hat doch noch ein gutes Wort geboren –: ausgerechnet in der Neuen Freien Presse. Und zu dieser Klage verführt ihn die Begeisterung für die Dante-Übersetzung des Herrn Rudolf Borchardt, der die Sprache wieder gebärfähig gemacht und mit ihr die folgenden Terzinen gezeugt hat (wobei Herr Wassermann »aufmerksam macht, daß der Hiatus beim lauten Sprechen zu verschleifen ist«. Nachträgliche Reklamationen werden nicht berücksichtigt):

Wir lasen eines Tages durch Kurzeweil
Von Lanzelot, wie Minne ihn unterjochte,
Allein selbzweit und wähnten kein Unheil.

Mehr denn einmal die Blicke uns schon verflochte
Zu lesen das, und schuf uns Farbe krankend;
Doch war's ein Punkt nur, der uns übermochte:

Als wir da war'n, wo solchem Freunde dankend,
Kuß ward, was sehnlich Lachen eh gewesen,
Trank mir den Mund, am ganzen Leibe wankend,

na und so weiter, es können auch Druckfehler sein. Herr Wassermann empfing es »wie eine Botschaft, unmißverständliche Versicherung, daß das Gut der Sprache, Gut der Phantasie, also auch Gut des Herzens, um etwas Kostbares und nie wieder zu Verlierendes bereichert worden war«. Natürlich gibt er zu, daß der Leser vor »solcher Fülle des Fremden, fremden Wortes und fremden Bildes, gewaltsamer Struktur und neuartiger oder aus verschütteten Sprachquellen wiedergehobenen Prägung« seine eigene Flüchtigkeit und Ratlosigkeit »zu einem Unvermögen und einer Verschrobenheit des Autors stempeln wird, was in solchen Fällen die Regel ist«. Aber die Ausnahme wäre, daß der Leser nicht recht hätte, und gerade die trifft hier nicht zu. Denn wenn bei Herrn Borchardt wirklich »alles unwegsam, verschlossen, trotzig, von eherner Folgerichtigkeit und granitener Härte« ist, also jener schöpferische Stand erreicht, vor dem der Durchschnittsleser zurückschrickt, so möge er es doch versuchen, zunächst mit diesem das äußere Verständigungsmittel der Sprache gemein zu haben und dann erst unverständlich zu sein! Unwegsamkeit ist spielend zu erzielen, wenn man Dante aus dem Deutschen ins Mittelhochdeutsche übersetzt; aber auf die kommt es keines Unwegs an. »Ein so ungeheures Gedicht wie das Dantesche«, meint Herr Wassermann, könne »in dem Deutsch unserer Epoche ganz unmöglich wiedergegeben, nicht einmal umrissen werden«. Aber auch kein Originalwerk kann demnach in der heutigen deutschen Sprache entstehen. Dies wird offenbar aus dem Umstand erschlossen, daß weit und breit keines entsteht. Nun, Herr Wassermann kann von dieser Schwierigkeit ein Lied singen:

In diesem Bezuge sind wir so verarmt, daß von dem Grad der Verarmung nur die wenigen Dichter, denen es aufgegeben ist, mit solchem Handwerkszeug Bild und Gestalt hervorzubringen, wissen und darunter leiden. Sie müssen sich wegträumen vom hoffnungslos Mittleren und das ehemals rein gewesene Becken mit verzweifelten Händen vom Spülicht des Alltags und Kehricht der Mode erst einigermaßen säubern, ehe sie dazu gelangen können, aus ihm zu schöpfen.

Ist das ein Jammer! Sie müssen sich zugleich wegträumen und säubern. Aber seit wann sind denn die Herrschaften genötigt, wenn sie schaffen wollen, aus einem Schaffel zu schöpfen? (Und aus einem ehemals rein »gewesenen«, das also wohl damals schon nicht mehr rein war.) Und warum verwenden sie denn zur Beseitigung von Spülicht und Kehricht ihre verzweifelten Hände? Und überdies ist ihnen die Sprache auch noch ein Handwerkszeug. Ja, mit der Sprache ist's eben schwer. Bei den anderen Künsten würden Farbe und Stein vielleicht doch nicht mit Pinsel und Meißel verwechselt werden. Aber Herr Wassermann wollte jedenfalls sagen, daß der Dichter aus dem Zeug der Sprache schaffe, und dieses sei eben minderwertig geworden.

Die Flexionen verlieren ihre Festigkeit, Grammatik und Syntax werden nachgiebiger, die Verba unheilvoll geschwächt und verweiblicht, die substantivische Kraft des Satzgebildes macht mehr und mehr einer adjektivischen Unbestimmtheit Platz.

Aber wenn der l. u. über Wassermann schreibt, ist's doch schön. Und im Feuilletonteil wird die alte Schopenhauerklage angestimmt. Als ob der Zustand nicht bloß die Verluderung der Empfänglichkeit bedeuten würde und den wahren Geber hindern könnte, die Flexionen wieder zu festigen, es mit einer unnachgiebigen Syntax zu halten, die Verba zu stärken und substantivische Kraft statt adjektivischer Unbestimmtheit zu bewähren. Nein, er muß sich statt dessen wie Herr Borchardt »am Mittelhochdeutschen des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts schulen und in die provençalische und toskanische Minnedichtung versenken«! Herr Wassermann hält sich allerdings in diesem Bezug schon mit etwas Schopenhauer schadlos, spricht von Borchardts Unternehmen, » als welches durchaus für sich besteht« und »mit keiner der früheren Disziplinen und Fassungen irgend verwandt ist« – was von einer Übersetzung zu sagen ziemlich sinnlos ist und von dem Bestreben kommt, »alt« zu schreiben –, und sagt, es gehe um etwas, »worauf deutsche Augen und Ohren nicht zuvörderst eingestellt sind«. Sagte er das alles auf Wassermannisch, es klänge beiweitem nicht so tiefgründig. Den Lesern der Neuen Freien Presse – ausgerechnet – erzählt er, er erblicke in Borchardts Werk (das selbstverständlich »bei der ›Bremer Presse‹ gedruckt ist«) »eine Bereicherung des Goldbestandes unserer Literatur, der keine papierene Fälschung etwas anzuhaben vermag«, und fordert sie zu »Aufblick und Hingabe« auf »und damit Befreiung von den marternden Geschäften und Häßlichkeiten des Tages«. Aber sie werden, wenn mehr denn einmal die Blicke uns schon verflochte zu lesen das, und schuf uns Farbe krankend, gleichwohl nur im Aufblick zum Stagelgrünen Rettung suchen. Ihr Undank bewiese aber nicht das geringste für die sprachschöpferische Qualität des Borchardt'schen Werkes. Denn die Trivialität wird erst zu schanden an der Sprachschöpfung, die, so weit entfernt vom Mittelhochdeutschen wie jene selbst, eben aus dem Zeug der Trivialität Bild und Gestalt hervorbringt. Herr Wassermann und der »engere Kreis von Freunden« um Borchardt mögen zur Kenntnis nehmen, daß das möglich ist. Daß im Zitat eines Zeitungsausschnittes Sprachschöpfung sein kann und mehr als in einer Dante-Übersetzung. Daß die beiden Verse mit dem Naturreim »Wessely – Presse lieh«, deren Verfasser sich keineswegs vom hoffnungslos Mittleren wegträumen mußte, ja daß sogar die Verse:

man bemerkte u. a. die Persönlichkeit
der Berta Zuckerkandl

reinste Lyrik sind. Kein Becken mußte da vom Spülicht des Alltags und Kehricht der Mode »zuvörderst« gesäubert werden. Denn es kommt in der Literatur nicht auf das Wort an, sondern darauf, wo und wie es steht. Unverständlich sei das Verständliche. Für verschroben halte philiströse Ratlosigkeit das Einfache. Eben dieses bedarf dreimaliger Lektüre, um die Wortgestalt erkennbar zu machen. Die Herren Dichter brauchen eine andere Sprache? Ich werde ihnen was malen; besser dichten sollen sie, dann wirds schon gehn! Mir ist seit den Tagen, da ich die unbeholfensten Schulaufsätze gemacht habe, selbst der Wortbestand der heutigen Sprache Gottseidank nicht so weit erschlossen wie etwa dem Dichter der Renate Fuchs. Wenn ich ein Substantiv brauche, lasse ich mir ein Fremdwort einfallen, um im Fremdwörterbuch nach Synonymen zu suchen, und wenn ich ein Adjektiv brauche, so schlage ich halt im Ullmann nach. Und doch bin ich auch in Verlegenheit vor dem Reichtum an Wortgestalt, bevor ich das Wort habe, und würde auf Volapük ein besseres Gedicht zustandebringen als die um Borchardt und Wassermann. Es ist freilich sehr beklagenswert, daß die Zeitungswelt, die den Ruhm dieser Herrschaften besorgt, auch die Verflachung der Sprache durchgeführt hat. Aber was der Zustand den Dichter angehen soll, habe ich nie verstanden. Das welkste Wort blüht doch unter seinen Händen, die gar nicht verzweifelt sein müssen, es wäre denn vor der Fülle, die da ersteht, und im Bewußtsein der Nichtempfänglichkeit einer Zeitungswelt vor eben diesem Wunder. Sie spürt nur Papier, und ein und dasselbe Wort ist doch zugleich Papier und Gold. Der große Maler muß auch mit Kot malen können, und dies steht mir noch über der den Philister erschütternden Sicherheit, daß er mit Farbe Kot malen kann. Alles andere sind Ästhetenfaxen, die der Kunst von der andern Seite her so wenig nahe kommen wie der Philistersinn. Von der Relativität des Wortwerts, von der Veränderlichkeit der Wortmaterie zwischen Gestaltung und Nichtgestaltung wie innerhalb der Gestaltung, von dem, was zwischen den Worten Atem, Raum und Leben hat, ist da wie dort keine Ahnung. Was mir die Blicke verflochte zu schreiben das, zwingt mich nicht ins dreizehnte Jahrhundert. Mit Zeug und Handwerkszeug zufrieden, bringe ich aus der Trivialsprache Bild und Gestalt des heutigen Lebens hervor. Aber selbst um ein Liebesgedicht zu machen (das um kein Gran mehr Lyrik enthielte als jeder Satz einer Glosse), habe ich mich nie in die provençalische und toskanische Minnedichtung versenkt.


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