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Bei aller dankbaren Schätzung einer lebendigen Teilnahme, die sich in der Befassung mit Sprachproblemen, sei es in dem Interesse für die schon untersuchten, sei es in der Aufwerfung neuer, kundgibt, muß gesagt werden, daß der Dank des Lesers für die Erschließung des geistigen Gebiets nicht zur Belästigung entarten darf und zum Mißbrauch der Zeit, die einer Arbeit gehört, an deren jeden Buchstaben sich ja Sprachprobleme hängen. Wo käme man hin, wenn man sie alle mit den Lesern erörtern wollte? Haarspalten ist eine unmögliche Beschäftigung, wenn man's nicht trifft, und die Nachhilfe, die da von mir verlangt wird, läßt mich oft in einen Refrain einstimmen, wonach Holzhacken mir lieber wäre. Weitaus peinlicher sind allerdings die Experten. Das sind jene, die bereits ein mißlungenes Resultat darbieten, und zwar mit stummer Gebärde, gegen die es keine Berufung gibt. Sie zitieren einen Satz aus der Fackel, streichen den vermeintlichen Fehler an und sind nun überzeugt, daß der Autor da nichts als Zerknirschung fühlen werde.
»Aber er hat eben dem Erlebnis dieses Kontrastes später einen Aufsatz gewidmet, von dem anonyme Dummköpfe mich fragten, ob ich ...«
Also eine Konstruktion, von der ein solcher offenbar zweifelt, ob ich –. Die Fortsetzung lautet: »... ihn mir ›gefallen lassen‹ werde«, und ich ließ ihn mir so gut gefallen wie die Konstruktion, deren Freiheit in nichts anderm besteht als in der Verwendung einer Form, die in Fällen, »von« denen etwas »gilt«, »von denen sie sagten, meinten, wußten, wünschten« nur darum plausibler ist, weil man, unbezüglich, »von einem« zwar etwas sagt usw., jedoch nicht fragt. In Wirklichkeit ist es aber an und für sich eine haltbare (freilich fast lateinische) Konstruktion, da dieses »von« im relativen oder sonst freieren Anschluß ein ganz anderes ist als das in der absoluten und strengen Fügung. Ganz deutlich wird das bei »zweifeln«. Man könnte nicht sagen: »ich zweifle von ihm, ob er ...«, wohl aber, »er, von dem ich zweifle, ob er ...«. Und ganz ebenso auch bei »fragen«. Dieses »von« in loserer Anknüpfung ist eben nicht jenes, das die unmittelbare Verbindung mit dem Gegenstand herstellt, sondern es ermöglicht, von ihm etwas auszusagen, was sich »von« ihm eigentlich nicht aussagen läßt, nur ungefähr über ihn, mit Beziehung auf ihn. Die Wendung: »Ein Aufsatz, über den (oder bezüglich dessen) sie mich fragten, ob ich« wäre aber plump. Dieses »von« in der Bedeutung »in Betreff« läßt sich sogar verwenden, wenn die Anknüpfung eine absolute ist, zum Beispiel bei Wedekind: »Und vom Beifall vieler braver Seelen frag ich mich umsonst, woraus er stammt« (zusammenfassend für »was den Beifall.. betrifft«). Es ist eben einer jener Fälle, von denen man zwar schon alles zu wissen glaubt, von denen man aber zur Kenntnis nehmen soll, daß sie noch manches Wissenswerte enthalten, welches erst jenseits der Schulregel erkennbar wird. (Nun dürfte man aber nicht etwa antworten: Ich nehme von diesen Fällen zur Kenntnis, daß sie ..., sondern: Ich nehme zur Kenntnis, daß diese Fälle ...) Der Stil holt sich seine Erlaubnisse nicht vom grammatikalischen Aufpasser; seine Freiheit beruht auf einem Gesetz, dem sich schließlich auch die syntaktische Norm verdankt.
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Recht fatal ist ihm auch die Bereitschaft solcher, die ihm nicht mit der Grammatik, sondern mit anderen Wissenschaften unter die Arme greifen wollen:
»Die größere Hälfte des Ertrages ...« In den mathematischen Wissenschaften gibt es nur zwei gleiche Hälften. Ist es in den Sprachwissenschaften anders?
Gewiß nicht, wenn sie das mathematische Objekt betreffen. In der Sprachkunst aber kann es auch anders sein. Etwa, wenn wohl ursprünglich die Absicht bestand, zwei Hälften, also natürlich gleiche Hälften, zu verteilen, wenn das aber dann nicht geschah, weil zu der einen noch etwas dazukam, und gleichwohl die ursprüngliche Absicht bekundet werden sollte. Oder wenn der Griff anschaulich gemacht würde, der in gleiche Teile zu teilen unternahm und ein anderes Ergebnis hatte. In der körperlichen und wissenschaftlichen Welt sind's dann keine Hälften mehr, in der geistigen noch immer. Aber es sei zugegeben, daß die Krämerelle der verläßlichere Stil ist.
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Ein Leser verweist auf zwei allerdings problematische Wendungen in der Fackel, deren Gemeinsames in der äußern Inkorrektheit und der scheinbaren Flüchtigkeit besteht. Gleichwohl ist es das Ergebnis einer Verdichtung, wenn in Nr. 668–675 von dem Prunkvorhang die Rede ist, »den ich seit so vielen Jahren wiedersah« und in Nr. 676–678 von dem Bestreben, »um ihre tiefe Nichtbeziehung zum Theater hinwegzukommen«. In einer Sprache der Mitteilung wären es jedenfalls Fehler, und gewiß kann auch hier ohne Schaden für die Gestaltung »nach« und »herumzukommen« gesetzt werden. Rationalistisch besehen, würde die erste Stelle bedeuten, daß seit so vielen Jahren das Wiedersehen vor sich ging. Aber sie bedeutet, daß ich ihn seit so vielen Jahren nicht mehr und nun wieder gesehen habe. In der andern ist gedacht, daß sie um ihre tiefe Nichtbeziehung herum- und darüber hinwegkommen wollen. Für den einfacheren Ausdruck bliebe noch ein Zweifel, ob »um« durch »über« oder »hinweg« durch »herum« zu ersetzen wäre. Das zweite schiene mir der Gesamtvorstellung besser zu entsprechen. Doch kommt es in sprachlichen Dingen mehr auf den Zweifel an als auf die Entscheidung.
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Hochverehrter Herr K.!
Ich verdanke hauptsächlich Ihnen, daß ich mit vermehrten Sinnen lese: die schöne Sprache erhöht den Genuß der geistigen Darbietung. Und umgekehrt darf ich wohl sagen, es sei Ihre dankenswerte Schuld, wenn mir Sprachschlampereien die Freude an inhaltlichen Kunstwerken verleiden.
Dies zur Erklärung meiner Fragen, die dem Wunsch entstammen, belehrt zu werden, nicht dem Ehrgeiz, eines Dichters Irrtümer aufzuspüren.
1. ) Ich glaube, der erste Satz der letzten Fackel hätte zu lauten: In dieser kleinen Zeit, die ich noch gekannt habe, als sie so groß war; ...
Nein. Es ist eine vorhandene, jargonhafte Wendung, die aber auch richtig deutsch ist. »Als« wäre die Zerstörung des Zitats, wäre eigene Aussage und schlecht. Würde bedeuten: ich habe die kleine Zeit damals gekannt, als sie groß war, es wäre also von ihr höchstens ausgesagt, daß ich sie gekannt, nicht aber daß ich sie als große Zeit gekannt habe. Es ist einer jener Fälle, wo als der weitere, über die bloße Datierung hinausgehende Begriff der Agnoszierung mit vollem Recht »wie« statt »als« eintritt.
2. ) Ich halte es für unzulässig, eine Frage dahin zu beantworten und jemanden dahin zu informieren, wie es auf S. 36 ... und auf S. 154 ... geschah. Ich meine, es hätte im ersten Falle »damit«, im zweiten »darin« zu heißen; zum Vorbild der Leser umsomehr, als es geradezu krankhafter Brauch geworden ist, sich auch dann »dahin zu äußern« und auch dann »dahin Stellung zu nehmen und zu antworten«, wenn das Wort »dahin« ohne Ersatz gestrichen werden muß.
Es gibt eben Leser – und gewiß sind sie nicht die schlechtesten –, die der Fackel die »schöne« Sprache verdanken und die Witterung für die Sprachschlampereien in andern Druckwerken. Sie wissen aber doch nicht genug von einem Stil, der die Trivialität des Lebens aus deren eigenem Sprachstoff gestaltet. »Die bekannte Schuldfrage dahin beantworten« ist nicht so schön wie »damit«, aber damit ist meine eigenste Schuldfrage nicht beantwortet. In einer Epoche, in der der bessere Ausdruck plausibel war, hätte ich diesen gebraucht. Heute und hier war die Sphäre nicht anders darzustellen. Ich stelle dar, ich zitiere. Darin ist mehr Stil als im Schreiben. Eben den »krankhaften Brauch« brauche ich. Wo's mein eigenes Wort ist, wird man schon merken. Im zweiten Fall – »dahin richtig informiert werden, daß« –, wo geradezu die Sphäre der Presse den Ausdruck liefert, wäre »darin« auch an und für sich falsch, eine Verschiebung des Gedankens. Nie wäre die Lesung: darin zu erzwingen, und » dahin« bezeichnet eben die Richtung der Information, die Weisung.
3.) Es fällt mir auf, daß Sie auf S. 46 .. von einer Fähigkeit, etwas tun zu können, sprechen. Hieße es nicht richtig: »die wegen ihrer Fähigkeit, vom Krieg zu erzählen, von der Verpflichtung, ihn zu erleben, enthoben waren«? Dadurch träte auch der Gegensatz des Erzählens zum Erleben noch schärfer hervor.
Eben nicht. Auch mir fällt und fiel natürlich auf, daß die Fähigkeit, etwas tun zu können, ein Pleonasmus ist. Aber diese Fähigkeit, dieses Können kann ja gar nicht oft genug berufen werden. Die Fähigkeit, vom Krieg zu erzählen, wäre bloß die literarische Fertigkeit, die sie hatten und die sie vom Krieg befreit hat, nicht die moralische Bereitschaft, die sie außer jene Menschheit gestellt hat, welche nur leiden konnte. Sie waren nicht nur fähig, zu schreiben, das heißt, sie konnten nicht nur schreiben, nein sie waren fähig, es zu können. In der glatteren Antithese: »... wegen der Fähigkeit, vom Krieg zu erzählen, von der Verpflichtung, ihn zu erleben ...« erledigt sich der grimmige Kontrast schon durch das unübersichtliche Nebeneinander der drei gleich kurzen Satzteile, zwischen denen noch die Nähe der sinnverschiedenen »vom« und »von« Verwirrung stiftet. Ähnlich hat mir einmal jemand die bewußte Überfülle einer Wendung wie etwa »Er erlaubt sich, etwas tun zu dürfen« bemängelt, weil er nicht bemerkt hat, daß hier Devotion dargestellt war. (In diesem beabsichtigten Pleonasmus vertritt das Komma einen Doppelpunkt.) Und noch ein unerfüllbares Begehren:
4.) Endlich bitte ich Sie um Aufklärung, warum Sie mitunter Fremdwörter auch dort setzen, wo gleicher, wenn nicht besserer Sinn und Klangfarbe mit deutschen Worten erzielbar ist. Zum Beispiel: S. 22 Existenz (Dasein), Artikel (Aufsatz), konsequent (beharrlich, unwandelbar, unentwegt); S. 42 interessant (reizvoll, fesselnd), Publikation (Herausgabe), Diktion (Sprache, Fassung), Thema (Gegenstand, Dinge, Stoff). Ich habe mich auf Fälle beschränkt, in denen es sogar genügt, einfach das Fremdwort zu übersetzen, ohne erst den Satzbau umdenken zu müssen.
In unwandelbarer Verehrung und Ergebenheit
Warum ich Fremdwörter auch dort setze, wo gleicher, wenn nicht besserer Sinn und Klangfarbe mit deutschen Worten erzielbar ist? Weil dort nicht besserer oder auch nur gleicher Sinn und nicht Klangfarbe mit deutschen Worten erzielbar ist (wiewohl diese vermöge ihrer Bodenwüchsigkeit auch den stärkeren Plural haben). Man versuche nur einmal, an jenen Stellen die Fremdwörter in die empfohlenen deutschen Worte zu übersetzen (ohne erst den Satzbau umdenken zu müssen; denn das fehlte noch, daß ich einen Satz anders zu bauen hätte, um ein Fremdwort zu vermeiden). Abgesehen von dem klanglichen Unterschied sollte es mir einfallen, statt von einer journalistischen Existenz von einem journalistischen Dasein zu sprechen! Es wäre geradezu eine Blasphemie (wofür ich tatsächlich Gotteslästerung sagen könnte). Man versuche insbesondere, jenes »interessant« zu übersetzen. Oder die »Diktion« etwa in die »Sprache«, die gleich darauf vorkommt. In den meisten Fällen wird wohl auch dann, wenn der Sinn und selbst auch die Klangfarbe nicht unmittelbar berührt würde, das Fremdwort von mir vorgezogen werden: denn meine Mission ist eine profane und mein Reich ganz von dieser Sprachwelt. Das interessante Thema ist hier oft und oft erörtert worden. Das beste Deutsch hat zwischen zwei Fremdwörtern Raum. Deren Gegner mögen erst ein paar Generationen an die Neuerung gewöhnen, dann werde ich, was die folgende tut, wenn ich's erlebe, in deutschen Worten abbilden.
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... »den keines Leumunds Schande nicht überwinden kann.« Die (wohl?) beabsichtigte doppelte Negation ergäbe wiederum eine sinnstörende Bejahung.
Kein Zweifel. Und dennoch könnte sie beabsichtigt sein? Aber die »Sprachlehre« kann unmöglich auch dem löblichen Zweck gerecht werden, die Grundlage der Schulbildung auszuflicken. Denn wenn eine Leserin sich Sorgen macht, weil sie doch in der Logikstunde gelernt hat, daß eine doppelte Negation eine Bejahung ergibt, so ist das zwar bedauerlich. Aber dafür, daß sie in der Lesebuchstunde die Beispiele der verstärkten Negation (zumal in der volksmäßigen Tonart der Sphäre, in der der Leumund umgeht) versäumt hat – dafür werde ich doch nicht verantwortlich sein?
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Und so geht's weiter im Bedürfnis nach einer Aufklärung, die sich doch jeder in einer Besinnungspause, ehe er den Briefträger mobilisiert und noch andere Arbeitskräfte beschäftigt, selbst verschaffen könnte. Ärger aber sind die Fälle, in denen sie nicht erbeten, sondern gewährt wird, und der ärgsten einer: der mich nicht selbst betrifft, sondern im Ton der Beschwerde an ein vermeintliches Aufsichtsrecht appelliert. Ein Rechnungszettel eines Zahlkellners oder ein Abriß vom Rezeptblock eines andern Fachmannes ist es, auf dem schlicht die Anzeige erstattet wird:
Lichnowsky, Fachmann, 284 oben:
»mitbringen würde, wenn Sie mir Gelegenheit geben« (entweder werde, dann geben, oder würde, dann gäben).
285 unten: »Apfelmus ... Teller davon machen zu lassen« Aus Apfelmus kann man keinen Teller machen, die Dame meint » Teller voll« machen zu lassen. Sie hat wenig von Ihnen gelernt, ähnliches findet sich fast auf jeder Seite.
Wenn sich ähnliches auf jeder Seite des »Kampfs mit dem Fachmann« findet, dann ist jede Seite gut. Wenn ich aber das gelehrt habe, was der kundige und manierliche Thebaner mir abgenommen haben will, dann ist jede Seite von mir schlecht. Es ist ein ausgesprochenes »Mausi« von einem Fachmann, der den Kampf aufnimmt, und es bleibt schon nichts übrig, als es mit dem Speck seiner Sprachkenntnis zu fangen. Zunächst dort, wo der Fachmann für Grammatik auch einer für Tellererzeugung ist, der sehr richtig meint, daß man »aus« Apfelmus keinen machen kann. Nur daß eben die Autorin nicht von einem Teller »daraus«, sondern von einem »davon« gesprochen hat. Von Apfelmus kann man immerhin ein Quantum machen und selbst ein Porzellanfachmann würde wissen, daß ein Teller nicht nur als Gefäß, sondern auch als Maß in Betracht kommt. Der andere Einwand ist das Schulbeispiel einer Ahnungslosigkeit, die durch ihre Pietät für den Willomitzer vor jedem Eindringen in die sprachliche Sphäre geradezu geschützt bleibt. Man muß aber den Kampf selbst mit einem Flachmann aufnehmen, der da vermutet, daß, weil hier »wenn« steht, eine conditio sine qua non vorliege, ein Verhältnis, in dem der Nachsatz den Vordersatz bedingt und dieser ohne jenen überhaupt nicht bestünde: Ich würde die Trophäe mitbringen, wenn Sie mir Gelegenheit gäben zu jagen – Sie tun es aber nicht. Also schon eine reine Kausalbeziehung. Gedacht ist aber, daß die Gelegenheit außer Zweifel steht. Auf dieser einmal gegebenen Prämisse ist das Mitbringen der Trophäe etwas, was sein oder nicht sein kann. Der Erfolg hängt nicht von der Gelegenheit ab, sondern von der Fähigkeit (von der Wahl, die dann immer noch bleibt, oder dergleichen). Die Gelegenheit ist schon da, auf ihrer Basis beruht die Möglichkeit, beruht die Entscheidung über das, was im »würde« enthalten ist. Das »wenn« ist hier so viel wie etwa ein »sobald« (sobald als), das »würde« nichts anderes als ein »werde«, welches aber mehr das Vorhaben ausdrücken würde als die Fähigkeit, die sich die Leistung zutraut. Auch in der Wendung: »ich werde ..., wenn Sie mir geben« wäre natürlich keine Bedingung enthalten, sondern nur das Verlangen nach der Gelegenheit, die Leistung zu vollbringen. Der Fachmann ist durch das »wenn« geblendet, vermutet eine zu erfüllende oder bereits unerfüllte Bedingung und würde wohl auch die (bald folgende) Konstruktion bemängeln: »Und wenn der Brief hundertmal echt war, gerade der Ton könnte die Annahme rechtfertigen, daß er erfunden sei«. Hier ist das »wenn« ein »wenn auch«, eine gedachte Grundlage, auf der sich erst die weitere Möglichkeit (»könnte«) ergibt. (»Wenngleich« würde die konkrete Grundlage bedeuten.) »Wenn sich ähnliches auf jeder Seite des ›Kampfs mit dem Fachmann‹ findet, dann ist jede Seite gut.« Ich könnte auch, ohne den leisesten Zweifel ausdrücken zu wollen, sagen: »dann wäre jede Seite gut«, in dem Sinne eines Eingehens auf die von jenem gesetzte Basis: »wenn das so ist, dann wäre«; ich sage es nur positiver. Freilich: »wenn sich ähnliches ... fände, dann wäre ...« – dies wäre die bedingende Beziehung, durch die ich ausdrücken will, daß es sich nicht findet, weshalb nicht jede Seite gut ist. Die getadelte Wendung ist grammatisch richtig. Die engere grammatikalische Konvention, die dieses Stilproblem unmöglich berühren kann, darf bei der Niederschrift eines solchen Satzes wohl vor das Bewußtsein treten, aber einzig zu dem Zweck, um mit gutem Entschluß sogleich zurückgestellt zu werden. Er ist, wie er ist, stilistisch der vollkommene Ausdruck dessen, was ausgedrückt werden soll, und jeder der beiden, die der Fachmann vorschlägt, wäre schlecht. Ob der Autor des Kampfs mit der Sorte etwas »von mir gelernt hat«, weiß ich nicht. Hätte er aber nur solche Erwägung und solches Vollbringen wie die vom Fachmann getadelten Sätze von mir gelernt, so wäre das offenbar doch mehr, als was die Fachmänner von mir gelernt zu haben wähnen.
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Sehr verehrter Herr K.,
Es ist nicht einfach, Ihnen einen Brief zu schreiben; aber vielleicht entschuldigt der gute Wille das Wagnis.
In der letzten Nummer der Fackel, Seite 139, letzte Zeile, schreiben Sie: »... denn schließlich alle Tage wird man nicht fünfzig Jahre und ebensooft hervorgerufen.«
Das Wort »ebensooft« ist unbedingt ein Lapsus; denn die Beziehung auf »fünfzig« oder auf »fünfzig Jahre« ergibt eine Glosse in der Fackel!
Darf man Sie mit dem Hinweis auf diese winzige Entgleisung bitten, bei Autoren, die sonst ein einwandfreies Deutsch schreiben, Nachsicht walten zu lassen – in der nachsichtigen Annahme, daß sie nur »entgleist« sind.
Wer ich bin: ein Übersetzer, der bisher übersetzt hat aus Liebe zum Wort und zur Wortschöpfung – – und der Ihnen dankt für das Beispiel, das Sie allen ohne Ausnahme geben, durch Ihren extremen Respekt vor der »Alchimie des Wortes«.
Ihr aufrichtig ergebener
– –
Sehr geehrter Herr!
Sie sagen, es sei »nicht einfach«, Herrn K. einen Brief zu schreiben, und müssen leider Recht behalten. Der »gute Wille, der das Wagnis entschuldigen soll«, ist die Absicht, in der Wendung »... denn schließlich alle Tage wird man nicht fünfzig Jahre und ebensooft hervorgerufen« einen Fehler zu entdecken. Das Wort »ebensooft« sei »unbedingt ein Lapsus; denn die Beziehung auf ›fünfzig‹ oder ›fünfzig Jahre‹ ergibt eine Glosse in der Fackel!« Unbedingt erscheint uns hier nur das »denn« als ein Lapsus, während uns die Glosse keineswegs ein unvermeidliches »Ergebnis« jener Beziehung dünkt. Sie danken Herrn K. für den »extremen Respekt vor der Alchimie des Wortes«, haben ihn aber selbst ganz und gar nicht bewährt, indem Sie in der satirischen Abbreviatur der Verbindung bereits gesetzter Motive: »fünfzig Jahre« und »fünfzig Hervorrufe« nicht die stilistische Absicht erkannt haben. Wir machen Sie deshalb auf einen weiteren Fehler dieser Wendung aufmerksam: denn nicht nur, daß ebensooft (statt etwa »ebenso viele Male«) nicht den fünfzig Jahren entspricht, können Fünfzig Jahre werden und Hervorgerufenwerden kein gemeinsames »wird« ergeben. Aber der Alchimie des Wortes, als der Kunst, unedle Metalle in edle zu verwandeln, ist eben alles möglich. Trotzdem steht der Erfüllung Ihrer Bitte, »bei Autoren, die sonst ein einwandfreies Deutsch schreiben, Nachsicht walten zu lassen«, nichts im Wege. Zumal wenn diese Bitte pro domo gesprochen wäre – Sie stellen sich ja als Übersetzer vor –, und wiewohl gerade ein »einwandfreies« Deutsch diese Eigenschaft nicht zu beweisen scheint. Die Nachsicht für »Entgleisungen«, die Sie wegen der ihm selbst widerfahrenen vom Herausgeber der Fackel verlangen, wird Ihnen ganz und gar gewährt, und um dieser Beruhigung willen ist es gut, daß Sie sich im Gegensatz zu so vielen Briefschreibern nicht beschieden haben, Ihre Entdeckung anonym vorzubringen.
– – –
Die Folge: das immer wieder erlebte, hier einstweilen noch briefliche Umsichschlagen des »Verehrers«: »in der letzten Zeit« sei ich »größenwahnsinnig geworden, größenwahnsinnig und eitel« (eine etwas späte Entdeckung), Freunde hätten ihm abgeraten, mir das zu schreiben, ich würde ihn nun »erledigen«, er jedoch würde sich das »zur Ehre anrechnen« (das glaub ich), »im Übrigen ist das unwesentlich« (glaub ich auch); meine Art beginne »peinlich« zu werden (ohne Zweifel), die Antwort habe ihn »einfach traurig gemacht«, »traurig und niedergeschlagen« sei er. Ja warum denn? Weil er, der seine stilistische Unzulänglichkeit durch deren Anschuldigung beweist, sachlich belehrt wurde? Nein, weil ich damit »eine so verblendete Eitelkeit« beweise, »daß man nur traurig werden kann«. Ich; man. Und was die Sache betrifft?
Im Übrigen haben Sie meine Einwände nicht entkräftet, sondern einen großen, von »liebenswürdigen«, unsachlichen Bemerkungen triefenden Bogen um den Mittelpunkt der Sache geschlagen.
Und was ich doch, durch meinen beispielgebenden Respekt vor der Alchimie des Wortes, wieder einmal für Unheil angerichtet habe! Ein Bogen, der trieft und zwar von unsachlichen Bemerkungen. Und ich hätte geglaubt, daß das nur ein Tinterl kann.
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Einer, der nicht traurig, sondern heiter, und nicht niedergeschlagen, sondern, weil anonym, frech ist. Aber da so etwas auch die Frechheit hat, seine Bemängelung »Zur Sprachlehre« zu betiteln, und weil sie in der Tat in diese gehört, so sei ihm das Hochgefühl, von mir beachtet zu sein, vergönnt:
Nr. 649–656, Seite 78: »als ob nicht gerade an dem Tage ganz Berlin schon gelacht hätte.« Frage an Herrn Kraus: Sie wollten also nicht sagen, daß an dem Tage schon (dem Ihrer 1. Vorlesung in B.) ganz Berlin das Lachen begonnen hatte, sondern daß ganz B. schon gelacht hatte? Es hatte bereits ausgelacht, hatte sich den Bauch gehalten vor Lachen, war damit, wie gesagt, aber bereits fertig! Frage an Herrn Kraus: ?
Krieeeeeh!
(der im übrigen brav die Fackel liest)
Ein scherzhafter Blödling. Er meint offenbar, der Ruf des zerspringenden »Spiegelmenschen« werde nun von mir ausgestoßen werden. So etwas, durch mein Dasein in unaufhörlicher Bewegung, glaubt etwas entdeckt zu haben und überzeugt damit gewiß zwei Dutzend noch zarterer Organismen, welche ihn für den berufenen Vertreter der Sache halten, die ich usurpiert habe. Noch aufs Kuvert – nachträglicher Einfall – setzt er:
Ausrede auf »schon ganz Berlin« gilt nicht! (Krieeeeeh)
Ich werde diese Ausrede keineswegs gebrauchen, sie wäre nur die Dummheit dessen, dem sie als Möglichkeit einfiel, denn welche Stadt außer Berlin sollte noch gelacht haben? Glücklicher wäre die Ausrede (die er nun gebrauchen wird): »schon ganz Berlin«. Aber daß »an dem Tage schon« das Lachen begonnen hatte, wollte ich tatsächlich auch nicht sagen, weil mir die witzige Möglichkeit, daß das Lachen meiner ersten Vorlesung gegolten hat, nicht in den Sinn kam. Und noch weniger wollte ich sagen, daß ganz B. schon gelacht hatte. Die Vorstellung, daß das »als ob ... gelacht hätte« die konjunktivistische Form des Plusquamperfekts »gelacht hatte« (mit dem Lachen fertig war) bedeuten könnte, kann nur ein ganz armer Teufel hegen, der es, selbst wenn ich's ihm einbläue, nicht spüren wird, daß der Sinn, den er mir da scherzhaft unterschiebt, doch die Form verlangte: »gelacht gehabt hätte«, während »gelacht hätte« die Gleichzeitigkeit mit der Handlung des Hauptsatzes voraussetzt. (Herr Kerr »hat sich präsentiert«, als ob Berlin nicht »gelacht hätte«. Das Lachen wäre in diesem Konjunktiv nur dann bereits vorbei, wenn es hieße: Er präsentiert sich, als ob B. nicht gelacht hätte.) Da ich aber nicht dies, nicht das und nicht noch etwas, das einem sprachstrengen Esel einfallen könnte, habe sagen wollen – was wollte ich dann eigentlich sagen? Ich wollte sagen und habe gesagt: Die Kerr-Sensation begann an dem Tage, an dem die erste Vorlesung stattfand, vor deren Publikum er sich » noch in voller Unbefangenheit präsentiert« hat. An dem Tage hat ganz Berlin schon gelacht. Nicht zu Ende gelacht (nicht: gelacht gehabt), sondern mit dem Lachen begonnen; nicht weil es meine erste Vorlesung war, sondern weil es der Tag war, an dem die erste Enthüllung über Herrn Kerr erschien, und das Lachen wurde mit jedem Tage, der eine neue brachte, stärker, bis daß er nach Kalifornien ging. Aber er zeigte sich »noch«, als man »schon« lachte. Das »schon« antwortet also dem »noch«. Der Satz hat den Akzent, den die Stellung des »schon« vor »gelacht« erzwingt, und damit den einzigen Sinn, den er haben kann: den Sinn, den er hat. (Wobei das »schon«, dank seiner Stellung nach »Berlin«, immerhin auch an den Umfang des Gelächters – ganz Berlin schon – etwas abgeben mag; denn ein Satz ist eine Gestalt und nicht bloß eine Konstruktion und muß die Kraft haben, über die Sinnbetonung hinaus jedem Begriff zu seiner Fülle zu verhelfen.) Nur einem Drehgehirn kann es gelingen, auf der Suche nach dem Sinn ihn zu verlieren, ihn durch Beziehung des »schon« auf den »Tag« (der ja durch das »gerade« determiniert ist) oder auf »Berlin«, oder gar auf ein unmögliches »hatte« zu verhunzen. Und es will mir »Sprachlehre« unter die Nase reiben!
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Einer, der den Mut seiner Überzeugung hat:
In Ihren »Sprüchen und Widersprüchen« schreiben Sie: »Ich möchte den Schweiß um die Trophäen der Kindheit nicht von meiner Erinnerung wischen.«
Ohne diese Versicherung hätte ich nicht geglaubt, daß Ihre Erinnerung schwitzt.
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der niemals – also auch Ihnen zuliebe nicht – anonym schreibt.
Gut. Doch anonym wäre besser, da ich nicht Bekanntschaften mache. Aber warum sollte meine Erinnerung nicht schwitzen, wie die Stirn, hinter der sie sich begibt, und wie die Stirn, an der sich begab, woran sie sich erinnert? Die Erinnerung tut doch alles, was ihr Inhalt tut! Das hat sie vor den gescheiten Lesern voraus, die bei einem Gedicht nicht mittun wollen. Sie wird sogar lachen, wenn sie sich einmal an die Versuche erinnert, mir fehlerhafte Formen nachzuweisen. Ich bin nicht so größenwahnsinnig zu glauben, daß ich keiner solchen fähig sei, ich bin darin sogar recht unsicher und habe eigentlich eine Richtlinie nur in der Gewißheit, daß jene Formen, die die gescheiten Leser für fehlerhaft halten, es nicht sind.
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Bei aller Wertschätzung für Karl Kraus wäre es doch besser gewesen, den Aufsatz ... nicht gar so langatmig zu halten. Nicht jede Nichtigkeit ist derart breitzutreten!
Ich glaube nicht, daß der viel von der Sprachlehre haben wird. Welche Nichtigkeiten werden da breitgetreten! So breit, daß man aus jeder Zeile erst etliche Seiten schlagen müßte, um sie für so einen Leser verständlich zu machen. Es besteht ganz sicher eine Tollhausperspektive zwischen mir und dem gesunden Leserverstand; nur fragt sichs, wer drin und wer draußen ist. Ich bin für derlei ein Problem der Quantität geworden! Nämlich so: mir können im Anschauen eines solchen Gehirns, vor dem ich mit verschränkten Armen, es spielen lassend, dasitze, zehn volle Seiten einfallen. Es antwortet, ich hätte eine Nichtigkeit breitgetreten. Nun ist aber jede Zeile der zehn Seiten so schlank und schmal, so fettlos, so mazeriert, daß man sie, um sie wieder für das Gehirn genießbar zu machen, zu zehn Seiten mästen müßte. Es denkt: Zehn Seiten sind »über« etwas geschrieben, dessen Beachtung im täglichen Berufsleben, das kaum Zeit für die Aufnahme der wichtigsten Themen gestattet, nicht eine Zeile verdienen würde. Also habe ich die Nichtigkeit offenbar breitgetreten. Denn über den Napoleon kann man ein Buch schreiben; wer jedoch über einen Feldwebel eines schreibt, hat das Thema breitgetreten. Diese Anschauung ahnt gar nicht, daß es noch den Vorwurf gibt: daß mein Stil schmalgetreten sei und daß die größte Schwierigkeit für den Leser in der gedanklichen Überlastung des Wortes beruhe und in der Unmöglichkeit, in dem vom Feuilleton her gewohnten Tempo auch
nur den oberflächlichen Sinn mitzunehmen. Mit der Langatmigkeit aber stimmt es durchaus. Sie dünkt denen, die zu kurz atmen, um mitatmen zu können, als ein Mangel. »Bei aller Wertschätzung wäre es –« Was schätzt mich da wert und was mag es an mir wertschätzen? So kurzatmig kann ich nicht schreiben, aber wenn ich eine Seite über diese Konstruktion schriebe, wie ginge ich der Wertschätzung erst verlustig! Denn es ist doch eine Nichtigkeit, die nicht wünscht, daß man sie breittrete. Nicht daß es so etwas gibt, ist das Kuriosum, sondern daß es glaubt, auf mich einen andern Eindruck zu machen als den der Erinnerung, daß es so etwas gibt. Einer, der von meinem Plan wußte, den Lesern nicht nur Sprache zu geben, sondern auch Sprachlehre zu erteilen, prophezeite mir einen Aufruhr des faulen Leserbehagens, wie ich ihn noch nicht erlebt habe. Ich erwarte mir mehr stille Apathie. Von zehntausend dürften dreihundert wissen, daß hier eben darum so Wichtiges vorgebracht ist, weil es die andern nicht ahnen, und diese, mit dem Gefühl, betrogen zu sein, ihren Groll hinunterwürgen und mich künftig ungeschoren lassen. Daß sie »kein Interesse« für dergleichen haben, ist doch eben das, was mich interessiert. Umso näher ist mir das mir Nächste, je ferner es ihnen liegt. Ich fühle ganz mit ihnen, daß es fürs Leben wichtigere und zur Erholung geeignetere Beschäftigungen gibt als den Versuch, Normen und Formen vom Sprachgeist her zu durchdringen. Aber da der einzige Erfolg, den ich mir wünsche, darin besteht, mich mit dem, was ich für wesentlich halte, beschäftigen zu dürfen und darin ungestört zu sein, so kann mich ihr Verdruß beiweitem nicht so enttäuschen wie sie meine Passion.