Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Schopenhauer würde die Kritik, die die ›Fackel‹ auch an der sprachlichen Gemeinheit der Zeitungen übt, gewiß nicht kleinlich finden. Eher aussichtslos. Sprechen und Denken sind eins, und die Schmöcke sprechen so korrupt, wie sie denken; und schreiben – so, haben sie gelernt, soll's sein –, wie sie sprechen. Fehlt nur noch die phonetische Orthographie. Was aber bis zu dieser fehlt, sind Strafbestimmungen gegen die öffentliche Unzucht, die mit der deutschen Sprache getrieben wird. Sie treiben es alle gleich arg; die pathetische Rede der ›Neuen Freien Presse‹ ist nicht besser als die nüchterne Mauschelweis der ›Zeit‹: dort vergißt man »an« die deutsche Grammatik, hier »auf« die deutsche Grammatik, das ist der Unterschied, und einer schreibt schlechter »wie« der andere. Wann sie endlich die Bedeutung der Konjunktion »bis« begreifen werden? Im Zeitungsdeutsch könnte man antworten: bis wir ein Strafgesetz bekommen, das die Prügelstrafe für den Mißbrauch von Konjunktionen einführt. Kürzlich schrieb die ›Neue Freie Presse‹: »Den wahren Schaden wird man erst bemessen können, bis der Schnee geschmolzen sein wird«; hier hilft noch das »erst« zur Sinnerfassung. Aber »eine Reihe von Firmen hat erklärt, von der neuen Einrichtung Gebrauch machen zu wollen, bis ihre jetzigen, zum Aufdrucke ungeeigneten Umschläge und ihre Markenvorräte aufgebraucht sein werden«; also nur so lange und dann nicht mehr. Die Firmen mögen das – es sind vielleicht Kai-Firmen – wirklich erklärt haben; aber sie wollten zweifellos sagen, daß sie, so lange bis ihre vorrätigen (»jetzigen«) Umschläge und Marken verwendet (»aufgebraucht«) sind, von der neuen Einrichtung nicht Gebrauch machen könnten, und erst, wenn jene verwendet wären ... Die Unterrichtsverwaltungen sanieren die Orthographie, und die grammatikalische Pest greift immer weiter um sich.
Für den Begriff »bis« geht dem Österreicher jedes Gefühl ab. Daß »bis« nicht das Ziel, sondern den Weg bezeichnet, sieht er nicht. »Ich werde warten, bis du kommst«, würde er, wenn ihn hier nicht der Sinn den Weg führte, so deuten: Wenn du gekommen sein wirst, werde ich warten. Das »bis« eröffnet ihm eine Handlung, anstatt sie abzuschließen. Der Krug geht bei ihm erst zum Brunnen, wenn er gebrochen ist, was freilich durchaus seiner Lebensanschauung entspricht. Er ist dem Begriff »bis« so lange nicht gewachsen, bis dieser sich ihm in einer Negativ-Konstruktion darbietet, kann sich aber selbst da nur helfen, indem er auch den bis-Satz mit der Negation versperrt. Hier versteht er, daß eine Zeitstrecke vorzustellen ist, innerhalb deren etwas nicht geschieht. Er erfaßt nun wohl das demonstrative »so lange« im Hauptsatz, kann sich aber das »bis« nur als das relative »solange« (in einem Wort) vorstellen: als Begleithandlung, nicht als Ergebnis. Daß der Krug so lange zum Brunnen geht, bis etwas Positives eintritt, muß er für falsch halten. Denn im Positiven bedeutet »bis« für ihn ein »wenn« oder »sobald«, während er es sonst als ein »solange nicht« auffaßt. Er weiß also nicht, was es bedeutet, bis ich ihn nicht darüber aufkläre. Und wenn man ihm das »nicht« nimmt, würde er es so denken: er wisse nicht, was es bedeutet, sobald ich ihn darüber aufkläre. Und da hätte er natürlich recht.
Es wird nicht mehr viele Deutsche geben, die noch den Unterschied von »nur noch« und »nur mehr« zu hören und eigentlich zu sehen vermöchten. Spürt man nur einmal, daß einer vorhanden ist, so wird man im Durchdenken dieser Schwierigkeit zu dem Punkt kommen, wo diese nur noch zu formulieren bleibt und nur mehr als eines der Rätsel erscheint, für das die Sprachwissenschaftler keine Lösung wissen. Denn wenn sie überhaupt erwähnen, daß es die eine oder die andere Fügung gibt, wiewohl es sie unaufhörlich gibt, so scheint sie ihnen, etwa Sanders in seinen »Hauptschwierigkeiten der deutschen Sprache«, selbst eine solche zu bereiten, und sie entgehen der Alternative, vor die man doch immer wieder gestellt ist (wenn man die Fähigkeit hat, hier einen Unterschied zu vernehmen) einfach dadurch, daß sie die beiden Werte gleichstellen und es offenbar der Laune überlassen, die Wahl zu treffen. Es wird indes an dem hier eingewobenen Beispiel schon klar geworden sein, welch ein wesentlicher Unterschied da besteht. »Nur noch« bezeichnet das Stadium einer Verminderung mit deutlicher Betonung eben dieses Prozesses, läßt also die Subtraktion erkennen, nach der nur noch das Bezeichnete übrigbleibt. Jedoch jenseits dieser Entwicklung, wenngleich infolge einer ganz anderen, abgeschlossenen und nicht mehr angeschauten, ist es nur mehr ein anderes. Im »nur noch« ist ein Gewordenes, im »nur mehr« ein Seiendes betont. »Nur mehr« bezeichnet kein Stadium, sondern nur (in diesem Vergleich wieder: nur noch) das greifbare Resultat eines nicht soeben erlebten Vorgangs, also nicht das einer Verminderung, sondern einer Verwandlung, eines Wechsels, der ein Größeres betroffen hat, das nunmehr nur mehr ein Kleines ist. (Im »nunmehr« wird das Resultat anschaulich.) Hier tritt der Unterschied des Grades, dort noch die Graduierung hervor. Mithin: »Ich bin nur noch der Schatten der Maria«. Aber etwa: »Ich bin keine Königin mehr, sondern nur mehr eine Gefangene«. »Nur noch« ist ein Imperfektum, es ergänzt die unvollendete Vergangenheit; »nur mehr« ist ein Perfektum, es bezeichnet die vollendete Gegenwart. Auf die Frage, was sich bei einem Brand begeben habe: »Ich weiß nur mehr, daß die Feuerwehr kam, als ich bewußtlos wurde; anderes weiß ich heute nicht mehr.« Doch auf die Frage etwa, ob man mit den Eintretenden sprechen konnte: »Ich wußte nur noch , daß Leute kamen.« Hier könnte freilich ergänzt werden: » Mehr wußte ich nicht oder nicht mehr«, indem da wieder das Resultat allein greifbar wird. Im Negativen fließen die beiden Begriffe zusammen: Ich weiß nicht mehr, was geschehen ist = ich habe kein Bewußtsein davon, und: ich wußte nicht mehr, was geschah = ich verlor das Bewußtsein. »Nicht mehr« dient also der Negation des »nur noch« wie des »nur mehr«; obschon jene ihre genauere Deckung eigentlich in einem »nicht weiter« (»nichts weiter«) erfahren könnte, wobei wieder, zum Unterschied von »nicht mehr«, die Entwicklung inbegriffen wäre. (»Mehr« enthält seinem Wesen entsprechend, das in die Vergangenheit zurückschlägt, im Gegensatz zu »noch«, das einem Zukünftigen Raum läßt, eine Negation und hat auch den Anschluß an die Negation.) Im Positiven gehen die Begriffe deutlicher auseinander. »Nur noch« bedeutet einen Rest, »nur mehr« ein Minus. Da in jenem mehr der Begriff der Veränderung vorwaltet, in diesem mehr der Begriff des Andersseins, so wird der Unterschied sich am ehesten mit dem zwischen einer Bewegungsdifferenz und einer Zustandsdifferenz decken, zwischen einem »erreichen« und einem »haben«, einem »werden« und einem »sein«. »Es bleibt nur noch übrig, etwas zu tun«: das andere ist schon geschehen. »Es bleibt nur mehr übrig, etwas zu tun«: anderes läßt sich nicht tun. (Wieder die Negation.) Man spürt, wie sich dieselbe Handlung in verschiedener Gefühlssphäre abspielt. Dem planmäßigen »tun« steht eines gegenüber, zu dem sich die Erkenntnis des Augenblicks, die Resignation entschließen mag. Ganz anschaulich wird das an dem folgenden Beispiel. »Es bleibt nur noch übrig, ihn zu begraben«: nachdem alle vorbereitenden Handlungen erfüllt sind. »Es bleibt nur mehr übrig, ihn zu begraben«: weil sonst nichts anderes übrig bleibt, weil man ihn ja doch nicht zum Leben erwecken wird, weil er nicht mehr lebt. »Er braucht nur noch kurze Zeit, um dort zu sein« ist von einem Zeitpunkt bezogen, von dem an die Absicht betätigt wird, dorthin zu gelangen. »Er braucht nur mehr kurze Zeit, um dort zu sein« wäre auf eine Leistung bezogen, die sich heute schneller bewältigen läßt als ehedem unter anderen Umständen. »Er braucht nur noch wenig Geld«: zu dem, was er schon bekommen hat. »Er braucht nur mehr wenig Geld«: er gibt heute weniger aus als früher. »Er muß ihm nur noch hundert Kronen geben«: von einer Schuld, die abgezahlt wird. »Er muß ihm nur mehr hundert Kronen geben«: während er ihm früher, etwa als Rente, mehr geben mußte. Streng gefaßt, wäre dort eine durch den zeitlichen Ablauf bestimmte Veränderung der Quantität, hier ein im zeitlichen Ablauf dargestellter Unterschied von Quantitäten betont. Die einfachste Begriffsbestimmung, zu der aber erst nach den schwierigeren zu gelangen möglich ist, wird wohl die sein, daß »nur noch« die Differenz innerhalb einer und derselben abnehmenden Handlung (Teilstrecke im Vergleich zur ganzen), »nur mehr« die Differenz zweier verschiedenen Handlungen (kurze Strecke im Vergleich zur langen) bezeichnet; also jenes den Vergleich innerhalb einer Handlung, dieses den Vergleich mit einer anderen Handlung. Manche Grammatiker bezeichnen »nur mehr« als Austriazismus. Aber ein solcher ist bloß die falsche Anwendung in den Fällen, wo »nur noch« zu stehen hat. In der Welt der Vorstellungen dürfte diese Form viel häufiger gerechtfertigt sein als die andere, aber der Österreicher kennt sie überhaupt nicht und gebraucht »nur mehr« für beide Vorstellungstypen, also vorwiegend falsch. »Nur noch« kann er gar nicht aussprechen. Den Fall, daß er nur noch zehn Minuten ins Amt braucht: weil er schon den größeren Teil der Strecke zurückgelegt hat, unterscheidet er nicht von dem Fall, daß er nur mehr zehn Minuten ins Amt braucht: weil er übersiedelt ist und jetzt einen kürzeren Weg zurückzulegen hat. Er sagt in jedem Fall: »Jetzt sind's nur mehr zehn Minuten«. Also auch dort, wo die Beobachtung unterwegs angestellt ist und sich nicht auf den Vergleich zwischen den Wegen bezieht. Österreich hat nur mehr sechs Millionen Einwohner: nach dem Umsturz. Wenn der Österreicher es sagt, glaubt man, daß er auch die zu verlieren fürchtet.
daß die wenigsten (Sprecher und Schreiber) wissen, daß diese Wendung falsch ist? Weil sie sie nicht zu hören und vor allem nicht zu sehen vermögen. Sie fragen dann vielleicht, »wieso es möglich ist«, eine Wendung zu sehen. Nichts ist unmöglicher als diese und nichts, als eine zu sehen, wenn es einem nicht gegeben ist. Wie es möglich ist, hier Klarheit zu schaffen, und wie es kommt, daß man sie dann hat, kann aber selbst der sehen, dem es sonst nicht gegeben ist. Der Vorgang des Kommens ist im »Wieso« bereits enthalten, und die Wendung ist ein inveterierter Pleonasmus wie ein alter Greis. Ich kann einer Erzählung mit »Wieso?« oder mit »Wie kommt es?« begegnen. Dieses »kommt« ist nur ein »wird«. »Wieso wird es« würde aber nicht bedeuten: auf welche Art wird es, entwickelt es sich so, geschieht es, sondern: durch welches Geheimnis der Schöpfung, aus welchem Ursprung wird es, entsteht es. Nur ein »kommen« im Sinne der Bewegung, des Entstehens ist mit »Wieso« zu verbinden. Wieso kommt einem ein Gedanke, ein Gefühl. » Wieso kommst du jetzt (da du nicht kommen solltest)?« Jedoch: » Wie ist es möglich, daß du jetzt kommst? Wie kannst du jetzt kommen?« »Ich kann es.« » Wieso (kannst du)?« »Es ist möglich.« » Wieso (ist es möglich)?« (Da es doch unmöglich scheint.) Wieso kommt es = Wie kommt es, daß es kommt. Wie es aber kommt, daß die wenigsten Leute wissen, wie man zu sprechen hat? Weil sie, was sie nicht wissen, von denen gelernt haben, die nicht schreiben können. Man mag getrost jede Wette eingehen, daß die gefeiertsten Romanschriftsteller den Unterschied nicht wahrnehmen und nicht etwa dort, wo sie die Leute reden lassen, wie diesen der Schnabel gewachsen ist; sondern daß sie schon ganz von selbst nicht wissen, wie man zu schreiben hat. Die meisten von ihnen haben's von jeher nicht gewußt, und die übrigen haben es vielleicht gelernt, aber »daran« vergessen.
Doch dürfen sie darum wieder nicht glauben, daß es unter allen Umständen falsch sei. Es gibt in der Sprache nichts Falsches, das die Sprache nicht zu einem Richtigen machen könnte. Die Wissenschaft von ihr ist die unentbehrliche Voraussetzung, um zu wissen, wann man sie umgehen darf. Ein Satz könnte aus lauter Fehlern zusammengesetzt und doch ein rechter sein. Nicht allein ein solcher, der sichtbar einem Sprachgebrauch nachgebildet ist. Die Regeln sind wohl einem Sprachgefühl abgenommen, aber ein feineres könnte sich wieder in ihrer Auflösung bewähren. »Daran vergessen« wäre hiefür ein extremes Beispiel, doch zur grundsätzlichen Darstellung solcher Möglichkeit ließe sich selbst dieses heranziehen. Es ist von »sich daran erinnern« oder »daran denken« bezogen, dessen Negierung nicht zu Ende gedacht ist, so daß aus der positiven Sphäre das »an«, das ja mit der Erinnerung vor allem entschwunden sein sollte, übrigbleibt. So ließe sich der Fall denken, daß ein »Vergessen«, in dem dieser Vorgang noch sehr stark betont sein möchte, etwa mit jener Absichtlichkeit, die sich nicht erinnern will, noch »an« dem Objekt haften bliebe. Es wäre so, daß man eben das, woran man sich sehr wohl erinnert, vergißt und diesen Wechsel vornimmt, nachdem das Objekt der Erinnerung als solches bereits gesetzt ist, so daß sich an diesem das Vergessen recht eigentlich betätigte. Wie immer im Bereich der Sprache, wo die Gestaltung nicht von der Regel, sondern vom schöpferischen Willen bedingt ist, käme es hier durchaus auf die Kraft an, die die Sphäre durchdringt, in der das Vergessen sich begibt, auf den Atem des Satzes, auf die Umgebung der Anomalie, um sie glaubwürdig erscheinen zu lassen. Man könnte von einem unzuverlässigen Zeugen, der sich an etwas nicht erinnern kann, woran er sich nicht erinnern will, wirklich sagen, er habe »daran vergessen«, und man hätte dem psychischen Sachverhalt keinen Abbruch getan. Denn der Sprache ist es gegeben, auch von einem falschen Sprachgebrauch einen richtigen zu machen.
»Die Wachleute mußten sich an den Händen nehmen, um, eingekeilt in die vorne und rückwärts andrängende Menge – –«
Wie war das also? Wenn die Menge vorne andrängt, so drängt sie ja eben rückwärts, und die Wachleute sind dann zwar bedroht, aber nicht eingekeilt. Das sind sie, wenn die Menge vorne und hinten andrängt, denn die Menge, die vorne andrängt, drängt rückwärts, und die Menge, die hinten andrängt, drängt vorwärts. Man müßte also, um das auszudrücken, entweder schreiben, daß die Menge vorne und hinten, oder daß sie (vom Standpunkt der Wachleute gesehn) rückwärts und vorwärts angedrängt habe. Aber das wäre nicht österreichisch. Deutsch ist, daß man vorne und hinten steht, nach vorne und nach hinten geht oder vorwärts und rückwärts. In Österreich steht man zwar vorne, aber nur rückwärts, nicht hinten, und geht »nach vorwärts« und »nach rückwärts«. Denn der Österreicher fühlt sich beim Wort »hinten« so sehr ertappt, daß er die größten sprachlogischen Opfer bringt, um es zu vermeiden. Er setzt für das zuständliche Adverb das Richtungswort, ergänzt es dort, wo es wirklich die Richtung bezeichnen soll, durch das tautologische »nach« und erfindet das Adjektiv »rückwärtig«. Alles das, weil er sich bei jeder nur möglichen Gelegenheit an den Rückwärtigen erinnert fühlt.
dürfte die Enthüllung sein, daß diese Form richtig ist, während im Gegenteil kein Autor davor zurückschrickt, daß er vor etwas »zurückschreckt«. Vielleicht sich, aber nicht mich! Er »erschrickt« ganz mit Recht, wenn ich ihn auf diese Analogie verweise, und er bleibt »erschrocken«, wenn ich wünsche, ihn davor auch zurückgeschrocken zu sehen und nicht »zurückgeschreckt«, diese falsche Form zu gebrauchen. Doch nie schrak er vor ihr, stets »schreckte« er vor der richtigen zurück. Wenn sie vor etwas »zurückschrecken«, bewahren sie noch Haltung, denn im Plural zeigt sich's nicht, ob sie stark oder schwach konstruiert sind. Freilich auch nur im Präsens; schon im Imperfektum werden sie transitiv gestimmt. »Schrick« nicht zurück, möchte ich jedem zurufen, wenn er »schreckt«, statt daß er schräke. Unerschrocken wie ich bin, aber auch durch keinen Mißerfolg so leicht erschreckt, gebe ich den Versuch nicht auf, abzuschrecken, wiewohl es ein altes, nicht erst durch die journalistische Schreckensherrschaft befestigtes Übel ist und vielleicht Jean Paul der einzige Autor, der davor zurückschrak. Wenn ich die deutsch Schreibenden davor zurückgeschreckt haben werde, so will ich ihnen den Stolz lassen, daß sie von selbst zurückgeschrocken sind.
ein Mann zum Beispiel aus innerster (gleichgeschlechtlicher) Einfühlung nachempfand, weshalb er als Mann geliebt werde, blieb er roh und ungefüge.
Werfel bedarf der Sprachlehre. Die Welt des Begriffes »ohne« enthält mehr Geheimnisse, als sich sämtliche Mitglieder einer preußischen Dichterakademie träumen lassen, in welche nur Leute aufgenommen werden, die keiner Beziehung zur Sprache verdächtig sind und sich auch sonst über ihr Metier wenig Gedanken machen. Unser Dichter drückt so ziemlich das Gegenteil von dem aus, was er sagen wollte. Er wollte sagen: Wenn ein Mann nicht ... gleichgeschlechtlich empfinden kann, bleibt er roh. Er verwechselt sine und si non. »Ohne« als solches enthält freilich jene beiden Möglichkeiten, zwischen denen annähernd die Spannweite besteht wie zwischen »wiewohl (nicht)« und »weil (nicht)«. Es geht also: Ohne gleichgeschlechtliches Empfinden bleibt der Mann roh. Mit der Auflösung in den Infinitiv – ohne gleichgeschlechtlich zu empfinden, bleibt der Mann roh – hapert es schon. Ganz unmöglich: Ohne daß er ... Da kommt ungefähr das Gegenteil des Sinnes heraus, nämlich die Anschauung jener, die gleichgeschlechtliches Empfinden für ein Minus halten. Eben ein solcher könnte sagen: Ohne daß X. gleichgeschlechtlich empfindet, ist er roh. Nämlich: wiewohl er nicht homosexuell ist, welche Eigenschaft doch allein schon für Rohheit spricht. Unser Dichter will aber sagen: Weil er (oder wenn er) nicht homosexuell ist, bleibt er roh. »Ohne« bezeichnet sowohl eine Bedingung wie eine Ausschließung. Nur im zweiten Begriff ist das Auflösen möglich. Ohne Presse wäre er nicht berühmt. Da kann ich keineswegs verwandeln: Ohne daß er die Presse hätte, wäre er nicht berühmt. Sondern nur: Wenn er die Presse nicht hätte, wäre er nicht berühmt. Das andere hieße: Er braucht gar nicht die Presse zum Unberühmtsein, er ist es sowieso. Dagegen zum Beispiel: Ich bin berühmt ohne Presse. Da kann ich verwandeln: Ich bin berühmt, ohne die Presse zu haben, oder: ohne daß ich sie habe. Also wiewohl. (Freilich hier auch: weil.) Ohne es noch deutlicher machen zu müssen, lasse ich gegenüber so kleinlichen Ausstellungen, die doch am Weltruhm nichts ändern können, den Einwand des Dichters zu: Ohne daß Sie die ganze »Barbara« gelesen haben, können Sie nicht wissen, daß sie ein Kunstwerk ist. Ich repliziere aber: Ohne mehr als dieses eine Kapitel gelesen zu haben, weiß ich, daß sie ein Schund ist. (In diesem einen auch Schmutz.)