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Druckfehler

Der Plan, Briefschreibern das Handwerk statt zu legen bloß zu beschränken, indem man ihrem Mitteilungsbedürfnis die Anzeige von Druckfehlern freigibt und ihrem Persönlichkeitsdrang das Bewußtsein, sich nützlich zu machen, war die Idee eines Hexenmeisters, der sich einmal wegbegeben hat, um als sein eigener Zauberlehrling zurückzubleiben und das Chaos einbrechen zu lassen. Da nun die Not groß ist und die ich rief, die Geistlosen, ich anders nicht los werde, so bleibt nichts übrig als die ausdrückliche Zurückziehung jenes Ersuchens, das an und für sich nur eine notgedrungene Erlaubnis war. Fast wird es erträglicher sein, wenn die vazierende Intelligenz, die sich seit jeher durch mich noch mehr gereizt fühlt als umgekehrt und die mich mit dem Balken in ihrem Aug liest, um den Splitter in dem meinen zu bemerken, sich wieder mehr an den Themen der Fackel zu schaffen macht als am Druck. Den wenigen, die in dankenswerter Weise technische Fehler bemerken und mitteilen, stehen die vielen gegenüber, die unter dem Vorwand, auf solche hinzuweisen, ihre Kritik an Sätzen der Fackel erlaubt finden, für deren vermeintliche Fehlerhaftigkeit doch der blindeste Glaube an meine Unfehlbarkeit nicht den Drucker verantwortlich machen könnte. Die Heuchelei aber, die für den eigenen Unsinn nicht mich als den Anreger verantwortlich zu machen wagt, sondern einem offenbar Unbeteiligten die Schuld gibt, ist derart antipathisch, daß die Summe, die man von jedem dieser Zudringlichen für die Kriegsinvaliden einheben müßte, mit dem kürzlich normierten Strafsatz zu niedrig bemessen scheint.

Einer bietet unter der Rubrik »Druckfehler« die Überzeugung an, daß es irgendwo statt: etwas »nicht wahr haben« »nicht für wahr halten« heißen müsse. Er will es nicht wahr haben, daß es jene Wendung gibt. Aber daß er einen so komplizierten Druckfehler angenommen hat, kann ich nicht für wahr halten; sondern nur hoffen, daß er den sprachlichen Unterschied zwischen einer Tatsache, die er nicht gelten läßt, und einer Behauptung, die ich bestreite, nunmehr anerkennen und Ruhe geben wird.

Ein anderer meint, daß in der Stelle:

– wie anders steht Ungarn vor der Welt da als wir, wie anders als der Bettlerstaat, der wir mit Ungarns Hilfe geworden sind, steht ein Räuberstaat da, wie anders als ein Staat der Arbeitslosen ein Staat, der den Willen zur Selbsterhaltung durch den Strick befestigt und hierauf durch die Bande der Dynastie!

es richtig heißen soll »ein Staat der Arbeitslosen, ein Staat«. Er hält also das wiederholte Subjekt für ein fortgesetztes Prädikat, identifiziert den Staat der Arbeitslosen mit dem Staat, der den Willen zur Selbsterhaltung durch die Bande der Dynastie befestigt, mit einem Wort, er vereinigt Österreich und Ungarn unter dem Zepter eines Kommas. Mein Satz ist gewiß schwer zu verstehen, aber schwerer mißzuverstehen, und wenn es schon zu verstehen ist, daß einer ihn mißversteht, so ist es doch wieder nicht zu verstehen, warum er glaubt, daß er ihn verstanden hat, und am schwersten zu verstehen, daß er mir's sagt.

Einer »vermutet, daß der Setzer ein Unglück angerichtet hat« in den Versen:

im Buch des Lammes nicht geschrieben steht,
das vom Beginn der Welt dem Tod bestimmt ist.

»Der Dativ (Buch) klingt« – ihm – »stärker als der Genitiv (Lammes), so daß der Relativsatz« – ihm – »falsch angeschlossen und sich auf ›Buch‹ zu beziehen scheint«. Die Beobachtung mag für den, der »Buch des Lammes« ausschließlich als biblische Wendung und somit als Einheit übernimmt, gar nicht uneben sein. Vielleicht aber wäre es auch gestattet, das Lamm lebendiger als das Buch zu empfinden, und im übrigen zu fragen, wie der Relativsatz wohl gelautet haben mochte, ehe der Setzer das Unglück angerichtet hat. Aber wenn ich mich lieber selbst beim Ohr nehmen wollte, es hörte doch nicht so fein wie das des Lesers. Immerhin einer, der hören will und darum auch fühlen könnte, daß es unwürdig ist, den Setzer zu schlagen, wenn man den Autor meint.

Etliche haben einen Druckfehler in den Versen entdeckt:

                         Und ihre Panzer feuerrot,
schwarzblau und schwefelfarbig und den Mäulern
brach Feuer, Rauch und Schwefel wild hervor

und alle begnügen sich, das »und« anzustreichen, da sie mit Recht vermuten dürfen, ich würde schon von selbst draufkommen, daß es »aus« (nach einem fehlenden Komma) heißen müsse. Umso unbegreiflicher, daß ich das dem Setzer habe hingehen lassen, der sich schon rein alles mit meinem Text erlaubt und mit ihm verfährt wie nur ich mit der Bibel. Es ist gut, daß noch Verlaß auf die Leser ist, die wenigstens nachträglich feststellen können, daß hervorbrechen in der Regel mit »aus« konstruiert wird.

Anerkennenswert ist auch die Sicherheit, die nicht bezweifeln läßt, daß es in der Stelle:

Die Hände dir zu reichen schauert's den Reinen, und selbst dem Bettler, der an der Kirchenpforte sitzt ...

den Bettler heißen muß. Aber das ist eine Angelegenheit, die sich der Betreffende eigentlich mit Goethe auszumachen hätte.

Ihr Antlitz wenden
Verklärte von dir ab.
Die Hände dir zu reichen
Schauert's den Reinen!

Er hält sie freilich schon für ausgemacht, nämlich daß »den Reinen« ein Akkusativ der Einzahl ist. Daß es, von wegen der Koordinierung mit den »Verklärten«, ein Dativ der Mehrzahl sein könnte, scheint ihm gar nicht in Frage zu kommen; auch nicht, daß hier nur »es schauert mir« und nicht »es schauert mich« gedacht sein kann, welches bloß als absolute Fügung möglich, also mehr Ausdruck der rein körperlichen Empfindung ist – demnach: »es schauert mich«, aber: »es schauert mir, etwas zu tun«. Wen aber Stilgefühl und Syntax nicht beraten, der hätte eine Möglichkeit, sicher zu gehn und zu entscheiden, ob »den Reinen« bei Goethe ein Dativ oder ein Akkusativ ist. Er kann sich beim »Urfaust« Rats erholen und mir die Bestätigung bringen, daß der fortgesetzte Dativ »dem Bettler« richtig war:

Ihr Antlitz wenden
Verklärte von dir ab.
Die Hände dir zu reichen
Schauert's ihnen,
Den Reinen!

Mit der gleichen unumstößlichen Sicherheit des Nichtwissens wird in einer Zuschrift, deren Humor schon eine Pein ist, in dem Epigramm »Prestige« die Form »Prestigiateure« als Fehler (statt »Prestidigitateure«), versteht sich als Druckfehler angestrichen, und zwar unter ausdrücklicher Berufung auf Meyers Lexikon, »den« nachzuschlagen ich aufgefordert werde. Nun ist Meyers Lexikon, von allen Dummheiten, die »er« enthält, abgesehn, kein Wörterbuch. Nach einem solchen jedoch kommt Prestigiateur = Prästigiator [Taschenspieler, Gaukler] von Prestige [Gaukelei], abgeleitet von praestigia [Blendwerk]; daneben gibt es Prestidigitateur [Schnellfingerer], v. ital. presto, rasch, u. lat. digitus, Finger: »wohl entstanden durch witzige Umbildung von Prestigiateur«.

Weniger seiner Bildung als seiner Intelligenz ringt ein Leser, Jurist, die Erklärung ab, daß es in dem zitierten Brief Rosa Luxemburgs in der Stelle:

Da liege ich still allein, gewickelt in diese vielfachen schwarzen Tücher der Finsternis, Langweile, Unfreiheit des Winters –

»wohl heißen muß«: Unfreiheit, des Winters, »womit die Zahl der schwarzen Tücher sich auf vier erhöht«. Er behauptet zwar nicht, daß es statt »vielfachen«: vierfachen heißen müsse, aber er vermißt das Komma, und er würde seine Auffassung für richtig halten, »selbst wenn sich im Original das Komma nicht fände«. Er stützt sie mit dem Gedanken, es sei kaum anzunehmen, »daß neben den so furchtbar einfachen Vorstellungen der Finsternis und der Langweile auch die einer ›Unfreiheit des Winters‹ in der Adressatin erweckt werden sollte, ohne daß andererseits die durch das Gefangensein bedingte Unfreiheit erwähnt wäre«. Und auch rhythmisch scheint ihm die Stelle vollkommener, wenn das Komma gesetzt wird; »Unfreiheit« noch durch den Artikel vor Finsternis determiniert, »des Winters« unmittelbar zu »Tücher« zu gehören. Mir nicht; es wäre ein arger Stilfehler und die Reihe zerfiele: der undichterischen äußeren Kuppelung der drei Feminina mit dem Maskulinum entspricht die innere Unstimmigkeit, da nach den unverbundenen Abstrakten für den konkreten Winter die Vorstellung des schwarzen Tuches nicht mehr zureicht, während die »Unfreiheit des Winters«, die als Einheit leichter von dem Artikel »der« getragen wird, eine dichterische Fügung ist. Ich möchte sie gegen die furchtbar einfache Vorstellung verteidigen, daß diese Gefangene, und erst an dritter Stelle, sich über ihre »Unfreiheit« beklagen wird, die sie wie Finsternis, Langweile und Jahreszeit als einen der Begleitumstände ihrer Gefangenschaft bezeichnet, und daß sie im Gefolge dessen, was sie als unmittelbare Einhüllung empfindet, der Finsternis und der Langweile, die Gefangenschaft und den Winter schwarze Tücher nennen wird, in die sie »gewickelt liegt«. Ich nehme eher an, daß Rosa Luxemburg nicht über die im Gefängnisleben inbegriffene Unfreiheit gesprochen haben wird, sondern daß sie im Gegenteil ihre auch im Gefängnis bewahrte Freiheit nur durch die allgemeine Schranke der Natur, durch die winterliche Beengung der Seele gefährdet fühlte. Ich würde diese Auffassung für richtig halten, selbst wenn sich im Original das Komma fände.

Nicht immer jedoch sind Leser so anspruchslos, einen Vorzug der Schrift als Fehler des Drucks zu entschuldigen: sie werfen ihn dem Autor auch vor, denn ihnen genügt er beiweitem nicht. Während ich selbst mich zum Beispiel für nichts weiter als einen gewöhnlichen Satzbauer halte, unschuldig an aller Lebenswirkung und ethischen Bereicherung, die die Sprache vermag, innerhalb dieser bescheidenen Tätigkeit allerdings mehr Grund zum Größenwahn zu haben glaube als alles was sich heute Schriftsteller nennt, aber doch immer nur an einen Satz und nie etwa an einen Roman alle Intensität der Empfindung und der Arbeit wende (und zwar an jeden Satz dieselbe, so daß es gar keinen Wertunterschied zwischen meinen Sätzen geben kann und jeder Bau gleich geschlossen und gefügt erscheint) – stellen die Leser viel höhere Anforderungen an mich. Es handelt sich um einen Witz, der in der Fiktion eines Druckfehlers besteht: »Der ehrliche Funder« (Name des Herausgebers der Reichspost). »Der anspruchsvolle Leser erwartet« (es begibt sich wirklich, daß mir so geschrieben wird) »eine unverrückbare Distanz« zwischen dergleichen und – der Gedankenstrich ist vom anspruchsvollen Leser und bezeichnet plastisch die Distanz – der Fackel. Denn dieser Witz einer Verlustanzeige (und er setzt ihn witzig fort) könnte, heißt es, von mir gefunden sein, nachdem er von einem Mitarbeiter des »Blauen Montag«, also wohl von jenem selbst, verloren wurde. Der anspruchsvolle Leser irrt insofern, als der Witz, wenn er wirklich von ihm gemacht wäre, doch von mir wäre und der von ihm gemachte sich von meinem unterschiede wie die Substanz des Meteoriten von der Lufterscheinung oder wie eine Handvoll Wassers vom Element. Mein Erfolg: daß die Witze, die in der Fackel stehen, nicht verbreitet werden können, erfährt erst dadurch seine Bestätigung, daß es selbst dort, wo es auf den ersten Blick möglich scheint, unmöglich ist. Wo das Witzmaterial auf die flache Hand genommen werden kann, glaubt allerdings der Leser, der nicht ahnt, um wie viel anspruchsvoller ich bin als selbst er: daß er damit schon den Witz hat. Aber hätte er nur eine Ahnung vom Witz, vom Satz, von dem Weg zu dem allzu bequemen Ziel (davon, daß die Kreuzung der Linien »Ungarische Dokumente – Verlustanzeige, verlorene Million der Reichspost – ehrlicher Finder« den Witz des fingierten Druckfehlers ergibt), so würde er nur sich selbst einen Verlust an unverrückbarer Distanz zur Fackel vorwerfen und einen längern Gedankenstrich brauchen, um an sie anzustoßen.


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