Josef Kastein
Eine Geschichte der Juden
Josef Kastein

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Rom und Judäa

Mit dem Aufstieg des Hasmonäergeschlechtes, mit dem siegreichen Kampfe, den ein winziges Volk um der Freiheit seiner Ideale willen gegen eine politische und kulturelle Großmacht 145 der Zeit führt, setzt zugleich die Geschichte der Juden mit einer neuen Phase und mit einem harten dramatischen Akzent ein. Aus dem leidenschaftlichen Willen des Volkes, die Gesetze ihres Werdens und ihres Ablaufs nach der Stimme in ihrer eigenen Brust zu gestalten, entwuchs ihm ein taugliches, heroisches Instrument. Aber in der Sekunde, in der das Ziel erreicht ist, wird dieses Instrument eine selbständige Kraft, wird das bisher Dienende eigenlebig und setzt sich seine eigenen Zwecke. Die Hasmonäer hören auf, Vollstrecker des Volkswillens zu sein; sie werden Anwärter auf das, was ihnen die Umwelt suggeriert: Exponenten des Machtwillens, Imperialisten, Despoten. Aber das Volk hat diese Regenten zu anderem Zwecke aufgerufen. Es wollte den Führer in des Wortes tiefster Bedeutung, den Menschen, der im Sinne und im Geiste der vertrauenden Gefolgschaft vorangeht und hilft. Sie erheben ihn, wie er das Ziel erreicht hat, zum Fürsten. Aber sie verweigern ihm die Gefolgschaft, wie er von dieser Machtstellung aus zu eigener und ihnen fremder Zielsetzung aufbricht. Volk und Regentschaft fallen auseinander. Jedes lebt seine eigene Idee. Ihre Interessen treffen sich nur gelegentlich und zufällig. Das Böse hingegen, das den Regenten aus ihrer falsch aufgefaßten Stellung zum Geschick wird, zermalmt zugleich sie selbst und das Volk und den Staat.

Simon, der Fürst, der letzte der Hasmonäerbrüder, tut an sich nur das, was vernünftige Voraussicht für die Existenz des Staates Judäa bedeutet: er befestigt die Grenzen des Landes. Aber schon sein Nachfolger und Sohn Jochanan Hyrkanus treibt Eroberungspolitik. Er will einen großjüdischen Staat haben. Darum durchbricht er die Umklammerung durch die benachbarten Kleinstaaten und Stadtschaften durch ihre Unterwerfung. Er besetzt den wichtigen Hafen von Jaffa und öffnet seinem Lande wieder den Handelsweg. Wohl war das alles judäisches Gebiet, aber der Teil des Volkes, dem nur an der geistigen Autonomie liegt, läßt selbst diese formelle Legitimation 146 nicht gelten. Zudem tut Jochanan Hyrkanus etwas, was in der Geschichte der Juden sich jetzt einmalig ereignet und was sie mit Mißtrauen und dunklen Ahnungen betrachten: er stellt die Idumäer vor die Wahl, ihr Gebiet zu verlassen oder zum Judentum überzutreten. Diese Bekehrung mit dem Schwerte, die später ein wichtiger Machtfaktor des Christentums und des Islam wurde, löst den berechtigten Gedanken aus, daß Glaube eine Sache der Herzensentscheidung und nicht des geduckten Nackens sei. Der freiwillige Übertritt zum Judentum war ihnen bekannt. Jetzt lernten sie den erzwungenen kennen. Sie mußten dafür die furchtbare Vergeltung des Geschickes entgegennehmen: aus den Idumäern wurde ihnen Herodes gegeben.

Es konnte das Volk nicht versöhnen, daß mit der politischen Macht der Wohlstand des Landes wuchs. Sie waren nicht Untertanen. Sie hatten eine Idee zu vertreten und stellten demgemäß an ihren Regenten bestimmte Forderungen. Aus der mangelnden Übereinstimmung in den Zielen von Volk und Regierung erwuchs jetzt diejenige Aufteilung des Volkes in Parteiungen, die den Rest seiner staatlichen Existenz mit erbitterten und blutigen Kämpfen erfüllte.

Es versteht sich, daß die Hasmonäer ihren Anhang hatten, wie jedes Königtum ihn hat. Er bestand aus der herkömmlich Aristokratie genannten Schicht und aus denen, deren Existenz mit einer Dynastie verbunden ist. Es gehörte dazu aber auch derjenige Teil der Gesellschaft, der aus der Berührung mit der griechischen Kultur die Staatlichkeit einer Nation nur noch nach dem Vorbild der Umgebung begreifen wollte. Alle diese Gruppen, die in ihrer Gesamtheit die Partei der Sadduzäer darstellten und die in ihrer geistigen Verfassung als die Nachfolger der gemäßigten Hellenisten aus der Zeit der seleucidischen Herrschaft bezeichnet werden können, lehnten keineswegs die Religion und die verbindliche Kraft ihrer Gesetze ab, aber sie stellten den Staat unbedingt über die 147 Religion. Darum bekämpften sie diejenige Entwicklung der religiösen Idee, die immer neue Umzäunungen aufrichtete, die in jede Funktion des privaten Alltags, der Politik und der öffentlichen Betätigung hineingriff. Sie erkannten nur das als Gesetz an, was im Pentateuch geschrieben stand, und an mündlichem Gesetz nur das, was sich klar und eindeutig aus dem geschriebenen Wort ableiten ließ. Sie verstanden nicht, daß die ständige Erweiterung des Gesetzes ja nur dem Versuch diente, die ständig wechselnden Lebensbeziehungen im Geiste der überlieferten Lehre zu erfassen und zu gestalten. Gerade diese Dinge wollten sie nach den Gesetzen regeln, die sie aus ihrer Bekanntschaft mit der griechischen Kultur und dem griechischen Denken kennengelernt hatten.

Die Sadduzäer waren eine Minderheit, aber ungewöhnlich stark durch ihre politische Position. Ihnen gegenüber standen die Pharisäer, die man nur in ihrer Eigenschaft als Gegner der Sadduzäer eine Partei nennen kann, weil sie in Wirklichkeit die überwiegende Mehrheit des Volkes darstellten. Sie wurden geführt von den Besten der Zeit, den Gelehrten und den Schriftkundigen, den direkten Nachfolgern der Soferim und Chassidäer.

Der Begriff der Pharisäer ist aus der tendenziösen Darstellung der Evangelien zu einer Vorstellung erstarrt, die völlig falsch ist. Die Pharisäer sind die konsequenten Fortsetzer der theokratischen Idee. Sie haben die Propheten begriffen und aus der Betrachtung des Weltgeschehens und dem eigenen Schicksal immer wieder erlebt, was die Sadduzäer nicht begreifen wollten: daß das Tun des Einzelnen und der Gesamtheit unter allen Umständen an einem festen Maßstabe gemessen werden müsse, wenn anders das Geschehen nicht als sinnbetont, sondern als zufällig-sinnlos erscheinen soll. Diesen Maßstab fanden sie da, von wo aus sie lebten: in der Verpflichtung zur Realisierung eines sittlichen Daseins. Erst kommt die Idee des Handelns, dann die Handlung. Nicht umgekehrt. Über allem 148 steht die sittliche Forderung und die Form, in der sie ihren Niederschlag findet: das Gesetz. Auf das Politische übertragen und im Gegensatz zu den Sadduzäern heißt das: der Staat ist nicht Selbstzweck. Mit ihm und für ihn soll nichts geschehen, was über die Notwendigkeiten der Theokratie hinausgeht. Keine Eroberungspolitik, sondern Konsolidierung nach innen. Verzicht auf den Ruhm der politischen Nation zugunsten der geistigen Nation.

Darum entbrennt der Kampf der Parteien zuerst. Es ist vorläufig noch ein reines innenpolitisches Machtproblem, das hier erwächst. Es wirkt sich aus in dem Versuch, auf die Regierung als die repräsentative und auf das Synhedrion als die gestaltende Organisation des jüdischen Staates Einfluß zu nehmen. Die religiösen und kulturellen Differenzen sind erst eine Folgeerscheinung aus der Zeit, da die Grundfesten des Staates schon erschüttert waren und die politische Kontroverse mehr und mehr gegenstandslos wurde. Darüber ist später zu sprechen.

Es entsteht in dieser Zeit, wo es in der Geschichte des jüdischen Volkes wieder einmal um die Entscheidung geht, noch eine andere Gemeinschaftsform von besonderer Eindringlichkeit: die Essäer. Man kann sie nicht eine Partei nennen, weil ihnen das Element der politischen Betätigung abgeht. Man kann sie auch nicht eine Sekte nennen, weil sie sich nicht aus religiösen Differenzen abgespalten haben. Sie sind eine Gruppe von Menschen, die als erste sich dazu verstanden haben, sich aus dem schweren, dauernd lastvollen Geschick ihres Volkes dahin zurückzuziehen, wo die Seele ihren Frieden mit Gott machen kann, da es ihr scheinbar verwehrt ist, mit der Welt in Frieden zu leben. Sie verneinen weder die jüdische Religion noch das jüdische Volkstum. Aber sie können nicht mehr mitkämpfen. Übermächtig ist in ihnen der Drang geworden, diese Sorge anderen zu überlassen und sich mit der ewig bedrohten Region ihrer Existenz, der Seele, in die Einsamkeit, in die Stille und 149 Betrachtung, in die Mühelosigkeit des »Reiches nicht von dieser Welt« hineinzuflüchten. Alles hat sie enttäuscht und müde gemacht, was da draußen in der Welt in Kriegen und Parteiungen gekämpft worden ist; auch alles, was in solchen Zeiten der Not an Kriegselend, Bedrückung, Religionszwang, Hunger, Verfolgung, Blutvergießen und Unruhen das Land durchtobt hat. Sie knüpfen dort wieder an, wo vor Jahrhunderten die Nasiräer begonnen haben. Sie meiden die Städte und ihre Lebensart. Sie richten am einsamen Rande des Toten Meeres, in Engedi, ihr Zentrum auf, schlicht und streng in Kleidung und Lebensführung, bedürfnislos und ohne persönliches Eigentum. Sie geben alles, was sie besitzen, der Gemeinschaft in Verwaltung. Sie sind die ersten Kommunisten. Sie halten gemeinsam ihre Mahlzeiten, die durch das Gebet eine religiöse Prägung bekommen und Vorläufer des Abendmahles sind. Sie erstreben die Reinheit im biblischen Sinne und symbolisieren sie durch tägliche Tauchbäder, die Vorläufer der Taufe. Sie halten unter sich eine strenge Disziplin, lassen neue Mitglieder nur nach mehrjähriger Prüfungszeit zu und halten sehr darauf, daß der Novize ehelos sei, weil er in der Ehe die Gesetze der lewitischen Reinheit nur sehr erschwert erfüllen kann. So sind sie auch Vorläufer der Ordensbildung, des Klosterlebens und des Zölibats.

Jede Kraft, die nicht den bescheidenen Bedürfnissen des Tages gehört, verwenden sie auf die Erreichung ihres Zieles: der wachsenden Gemeinschaft mit Gott. Sie bilden ihre besonderen Geheimnisse aus, wie man sich ihm nähern könne. Sie kennen mehr als einen Gottesnamen und können ihn auslegen und verwenden, ein Geheimnis, das sie nur den Auserwählten unter ihnen in feierlicher, mystischer Zeremonie ausliefern. Von ihrem mystischen Werben um Gott nehmen sowohl die Kabbala wie auch die christliche Gnosis ihren Ausgang. Sie ziehen viele magische Elemente in ihre Lehre hinein. Sie bevölkern den Himmel und die Erde mit Geistern. Besonders von den bösen 150 Geistern, den Schedim, wissen sie, daß sie Menschen überfallen und sich in ihnen festsetzen. Darum nehmen sie Beschwörungen und Austreibungen vor, die dem schlichten Volke einleuchten und mit denen es schon einen Sinn verbinden kann, wie später Jeschu von Nazareth ein Gleiches tut.

So entwächst diese Gemeinschaft um der individuellen Entfaltung der Seele willen dem lebendigen Dasein des Volkes, entwächst in der mystischen Vertiefung sogar der Welt und sehnt sich nach dem endgültigen Abschluß, dem »Himmelreich«, dem Reiche, das nicht von dieser Welt ist.

Jochanan Hyrkanus, der an sich bereit ist, es mit allen Parteien zu halten, muß erfahren, welche Einschätzung ihm das pharisäisch gesinnte Volk zuteil werden läßt. Man traut ihm nicht zu, daß seine äußere Politik ihm noch Zeit läßt, an das zu denken, was das Volk beschäftigt. Darum legt man ihm nahe, auf die Würde des Hohenpriesters zu verzichten. Das kränkt ihn maßlos. Er stützt sich fortab völlig auf die ihm ergebenen Sadduzäer und besetzt mit ihnen die Position, die den Pharisäern so wichtig ist: das Synhedrion. Damit stehen Regierung und Aristokratie gegen das Volk. Die Pharisäer verzeihen weder dem König noch den Sadduzäern den Einbruch in ihren geheiligten Bezirk. Aus dem Gegensatz von Parteiauffassung wird in einer sehr schnellen Entwicklung der Haß von Gegnern, von wirklichen Feinden, die sich nach dem Leben trachten. Zehn Jahre nach seinem Tode, unter der Regierung des Alexander Jannäus ist bereits der Bürgerkrieg reif. Jannäus ist ein Mann nach dem Herzen der Sadduzäer: griechisch gebildeter Weltmann, Despot, Krieger. Er lebt nur für seine Feldzüge. Das Volk muß zahlen und Soldaten stellen. Seine Funktion als Hoherpriester benutzt er, um das Volk durch Abweichungen von der ihm wichtigen Tradition zu reizen. Er läßt im Tempel während eines Feiergottesdienstes seine Söldner in die Menge einhauen, die nicht mit ihm zufrieden ist. Bis dem Volke die Geduld reißt und es zur Waffe greift. Diesen König 151 wollen sie nicht, selbst wenn er, wie seine Vorgänger, das Staatsgebiet erheblich erweitert. Sie kämpfen sechs Jahre gegen ihn, bis er versteht, daß er gegen die Mehrheit seines Volkes nicht regieren kann, und die Hand zum Frieden bietet. Aber sie wollen nicht mehr. In einem Paroxismus von Wut gegen diesen Soldaten und Philhellenen rufen sie syrische Truppen ins Land, um sich mit deren Hilfe von ihrem König zu befreien. Jannäus wird vernichtend geschlagen und irrt als mittelloser Flüchtling umher. Da erbarmt sich das Volk seiner und jagt die Syrer wieder zum Land hinaus. Aber Jannäus zeigt, daß er die Schule seiner Umgebung absolviert hat. Kaum wieder in seine Rechte eingesetzt, läßt er 800 Pharisäer in Jerusalem kreuzigen. In der Nacht darauf fliehen 8000 Pharisäer in das Ausland. Bei den gegenseitigen Parteikämpfen sollen 50 000 Mann umgekommen sein.

Der Riß ist unheilbar. Selbst als nach Jannäus' Tode seine Witwe Salome-Alexandra die Regierung übernahm und durch ihr kluges Regiment das Land ruhig und zufrieden machte, nutzen die Pharisäer und die zurückgekehrten Flüchtlinge doch zunächst die Sympathien der Königin und die ihnen eingeräumte Macht dazu, sich an den verhaßten Sadduzäern zu rächen. Die endgültige und katastrophale Verwicklung setzt unmittelbar nach ihrem Tode ein. Sie hat zwei Söhne, Hyrkan und Aristobul. Hyrkan, ein völlig belangloser, unselbständiger Mensch, ist Hoherpriester. Nach dem Tode seiner Mutter muß ihm der Thron zufallen. Aber Aristobul, das Ebenbild seines Vaters, beansprucht ihn für sich. Unter der Drohung eines Heeres, das gegen Jerusalem rückt, willigt Hyrkan in eine Teilung der Funktionen: er beschränkt sich auf das Amt des Hohenpriesters. Aristobul wird König. Die Sympathien des Volkes sind auf seiten Hyrkans, die der Sadduzäer auf seiten Aristobuls.

Aber Sympathie und Antipathie haben keine Bedeutung mehr gegenüber dem Schicksal, das sich hintergründig 152 aufrichtet. Diese Monarchie, die von dem ihr zugewiesenen Wege abgewichen war, mußte notwendig da landen, von wo sie ihre geistige Nahrung bezog: in der Sphäre der Weltpolitik nach griechischem und römischem Muster. Sie hatte folgerichtig sich mit dem gleichen Schicksal abzufinden. Und um den Eindruck gerechten Ablaufs zu vertiefen, mußte ihre eigene Sünde ihr den entscheidenden Stoß versetzen. Die Einmischung Roms in die judäischen Verhältnisse ist bedingt durch die Tätigkeit eines Mannes aus dem Volke, das Jochanan Hyrkanus gewaltsam zum Judentum bekehrt hatte, durch den Idumäer Antipater.

Antipater, Sohn des idumäischen Statthalters Antipas, dieses neue, unfreiwillige Mitglied des jüdischen Staates und der jüdischen Religion, hatte mit vielen anderen Landsleuten den Weg nach Jerusalem gefunden, um von der neuen Situation das denkbar Mögliche an Nutzen zu ziehen. Über die jüdische Aristokratie, die den Proselyten gern empfängt, findet er den Weg zu Hyrkan, dem Hohenpriester. Es entsteht eine unheilvolle Kombination. Hyrkan ist schlaff, unselbständig, gutmütig, dumm. Antipater ist klug, kühl, berechnend, ohne eine Spur von Skrupel. Er begreift sehr bald seinen Einfluß auf diesen Schwächling und die ungeheuren Chancen, die für ihn selbst darin liegen. Er bringt ihn in völlige Abhängigkeit von sich, bis Hyrkan sein totes Werkzeug ist. Alles, was jetzt an katastrophalen Dingen geschieht, entwächst einem Gedanken aus dem Gehirn dieses Mannes, der jede Situation nur darnach wertet, was sie ihm persönlich eintragen kann. Aus solchen Erwägungen überredet er sein Mündel, heimlich mit ihm aus Jerusalem zu fliehen, sich die Unterstützung des peträischen Araberkönigs Aretas zu erkaufen und mit dessen Heer und den eigenen Anhängern gegen Aristobul zu ziehen, sich die Königswürde wiederzuverschaffen. Hyrkan gehorcht. Die verbündeten Truppen belagern den König in den Festungswerken von Jerusalem. Der Ausgang dieses Krieges ist ungewiß. Beide 153 Parteien spähen nach Unterstützung aus. Auf ihren Anruf antwortet Rom, der Henker der Welt.

Zwischen Rom und Judäa besteht schon seit einem Jahrhundert, noch von der Zeit des Juda Makkabäus her, ein Bündnisvertrag, einer jener Verträge, die Rom gerne einging, sofern ihm daraus keine Verpflichtungen, sondern Möglichkeiten erwuchsen. Nach Bedarf werden sie auch geleugnet oder übersehen. Dazu ist Rom jetzt geneigt. Es hat sich langsam und systematisch an die Erbschaft des zerfallenden Seleucidenreiches herangeschlichen, hat Mazedonien unterworfen, den Achäischen Bund zerschlagen und Schritt für Schritt in Kleinasien Fuß gefaßt. Jetzt nähert es sich, nach der Unterwerfung Armeniens, den Grenzen Syriens. Im Jahre 65 taucht Scaurus, der Legat des Pompejus, in Damaskus auf. Er hört, in Judäa sei Bruderkrieg. Der Legat mischt sich sofort ein. Beide Brüder sind völlig blind für den Sinn einer solchen Einmischung. Rom hat seine Faust ausgestreckt. Es zieht sie nicht mehr zurück, ehe sie Staat und Volk und Land nicht zerschmettert hat.

In dieser geschichtlichen Situation stellen sich zwei Tatsachen mit aller Deutlichkeit dar. Die eine offenbart das Ergebnis der judäischen Politik. Sie hat sich im Überschwang der Abwehr auf das Gebiet der internationalen Politik begeben, hat die Aspirationen einer Großmacht betätigt, hat Eroberungen vorgenommen und hat sich damit den Weg in eine Welt hinein gebahnt, die zu negieren ihre Aufgabe gewesen wäre. Nun sie sich einmal den Gesetzen dieser Welt ausgeliefert hat, bleibt ihr nichts anderes übrig, als das Schicksal dieser Welt zu teilen. Sodann manifestiert sich eine weitere Tatsache von gesteigertem inneren Gewicht: das Führertum in Judäa hat seinen Sinn verloren. Diese vornehme Aufgabe, aus der einzigartigen Idee der Theokratie geboren, wird nicht nur übersehen, sondern auch verneint. Die Herrscher sind nicht mehr Funktionäre, sondern Regenten nach dem Muster der griechischen und 154 römischen Welt. Ihr Amt ist nicht mehr Dienst, sondern Selbstzweck. Bei dieser Diskrepanz zwischen Amt und Sinn des Amtes, zwischen autokratischer Herrschaft und einem Volke, das in dem Regenten nur den Vertreter ihrer eingeborenen Ideen zu sehen gewillt ist, muß notwendig beides, die Regentschaft wie der Staat, zerbrechen.

Der Zusammenstoß mit Rom bedarf im Gegensatz zu dem Zusammentreffen zwischen Judäa und Griechenland keiner besonderen Auseinandersetzung. Soweit Griechenland in Frage kam, interessierte brennend der griechische Mensch, soweit Rom in Frage kommt, interessiert nur ganz an der Oberfläche die Idee der römischen Politik, die in der Machterweiterung des Imperiums und in der Aufrichtung einer auf politischer Intrige, skrupelloser Verwaltung und Mord in Form von Kriegen beruhenden Weltherrschaft seinen Ausdruck findet. Um deswillen war eine Auseinandersetzung des Judäers mit dem Römer weder möglich noch nötig. Sie hat auch de facto nicht stattgefunden. Judäa begegnete keiner Kultur, die es berühren oder beeinflussen konnte. Es begegnete in jeder Hinsicht so in Rom der Mittelmäßigkeit, wie es in Hellas einer geistigen Überreife begegnet war. Der Umstand, daß Rom einer Welt das Gesetz, die Rechtsnorm gegeben hat, konnte einer Gemeinschaft, deren Gesetze weit tieferer Quelle entsprangen, keinerlei Verpflichtung auferlegen. Darum hat Judäa mit vollem Recht und von allem Anfang an in Rom nichts anderes gesehen als die Repräsentation der geistlosen, brutalen und stumpfen Gewalt. Roms Verhalten gegenüber Judäa vermittelte ihm vor allem ein tiefes Verständnis dafür, daß und warum in der römischen Mythologie der Januskopf figurierte.

Für die jetzt folgende Einmischung Roms lag nicht der Schatten eines Rechtsanspruches vor. Judäa, das durch Freundschaftsvertrag verbündete Land, bekam plötzlich eine Bedeutung zugewiesen als Bestandteil des Syrischen Reiches, als 155 dessen Rechtsnachfolger Rom sich fühlte, obgleich Judäa nur vorübergehend unter syrischer Botmäßigkeit war und der Status quo schon seit geraumer Zeit als erreicht zu gelten hatte. Aber Judäa lag nun einmal im Zuge der römischen Eroberungen und bildete vor allem die Brücke nach Ägypten.

Im Jahre 64 verlegt Pompejus seine Residenz nach Damaskus und befiehlt den Parteien, vor ihm zu erscheinen, damit er den Streit schlichte. Sie gehorchen. Selbstverständlich denkt Pompejus nicht daran, den Streit wirklich zu schlichten. Er konnte es auch nicht, weil er als Römer die Ideengegensätze in Judäa als außerhalb seines Denkbezirkes liegend nicht verstand. So vertröstet er die Parteien auf eine spätere Entscheidung. Seine Absicht geht dahin, zunächst noch zur Sicherung Syriens die peträischen Araber niederzuwerfen, um sich dann in größerer Ruhe mit Judäa befassen zu können. Was dieses Befassen bedeutet, versteht Aristobul im letzten Augenblick. Es ist schon zu spät. Pompejus veranlaßt Aristobul, ihn mit seinem Heere auf dem Feldzug gegen die Araber zu begleiten. Aber während des Marsches schwenkt Aristobul plötzlich ab und wirft sich in die Festung Alexandrium. Pompejus unterbricht seinen Feldzug sofort und läßt seine Armee gegen Alexandrium anrücken. Er verlangt ohne die Spur eines Rechtes die Übergabe der Festung. Unter dem Druck der Gewalt zieht Aristobul ab und begibt sich mit seinem Heer nach Jerusalem. Auch hierhin folgt Pompejus ihm sofort. Aristobul kann angesichts dieser schnellen Verfolgung und der Überlegenheit der römischen Waffen nichts Tatsächliches unternehmen und begibt sich, wie Pompejus schon in Damaskus gewünscht hat, in sein Feldlager. Nun schickt Pompejus einen Gesandten nach Jerusalem, damit er von der Bevölkerung eine Kriegsentschädigung eintreibe. Die Bevölkerung stellt sich auf den einzig erdenklichen Standpunkt, daß niemand in Judäa bislang mit Rom Krieg geführt habe, und läßt den Gesandten folglich schon an den Toren der Stadt abweisen. Pompejus antwortet darauf, indem 156 er Aristobul verhaften läßt und zur Belagerung Jerusalems schreitet.

In der Stadt sind die Meinungen noch in diesem Augenblick geteilt. Die Anhänger Aristobuls sind für Widerstand, die Anhänger Hyrkans sind für Nachgeben. Die Partei des Aristobul zieht sich daher auf den Tempel und seine Befestigungsanlagen zurück. Dort leisten sie gegen Pompejus drei Monate Widerstand, bis er sich im Herbst 63 die strengen Vorschriften über die Sabbatruhe zunutze macht und an einem solchen Tage die Mauern stürmt. Mit einem Gemetzel, in dem 12 000 Judäer erschlagen werden, beginnt er den aktiven Einfluß Roms auf die Geschichte Judäas. Die Führer der patriotischen Partei läßt er hinrichten, die Befestigungen werden geschleift, das Land wird tributpflichtig gemacht und dem römischen Protektorat unterstellt. Dem Hyrkan wird die Königswürde genommen, während man ihm die Würde des Hohenpriesters läßt. Er bekommt den bedeutungslosen Titel Ethnarch. Zum Landesverweser von Roms Gnaden wird der Idumäer Antipater eingesetzt. Der Schein der staatlichen Autonomie ist zwar gewahrt, aber fortan herrscht Rom durch die Kreatur Antipater. Die Hasmonäer spielen nur noch die Rolle von Insurgenten, die in allzu später Erkenntnis dessen, was ihre Aufgabe gewesen wäre, mit ihren schwachen Kräften gegen die größte Macht der Welt um Thron und Herrschaft ringen, vom Glorienschein der Dulder umstrahlt und in dieser Tragik ihres Geschickes vom Volke verzeihend als legitime Repräsentanten aufgenommen und unterstützt. Einstweilen werden Aristobul und seine beiden Söhne Alexander und Antigonus als Gefangene nach Rom geschickt. Während Alexander schon unterwegs entflieht, werden die anderen mit einer Reihe gefangener Krieger zusammen im Triumphzuge vorgeführt, in diesen Veranstaltungen, deren Geschmack und Kultur auf dem Niveau von Tierbändigern stehen.

Keiner der nunmehr folgenden römischen Prokuratoren und 157 Legaten unterläßt es, von seiner Position einen denkbar gewalttätigen Gebrauch zu machen. Unter dem Druck der Macht, die sich fast ausschließlich in Akten der Roheit und Gewalt dokumentiert, wird jeder Vorgang in Judäa, der sich überhaupt noch mit dem äußeren Leben der Nation befaßt, nur noch Reaktion gegen Macht und Gewalt. Die Ungeistigkeit Roms erzeugt auch die Ungeistigkeit der Gegenwehr: den politisch-nationalen Abwehrkampf.

Schon mit dem ersten Prokurator Gabinius setzen die Willkür und die ersten Unruhen ein. Er plündert das Land aus, soweit er es eben kann. Daher findet Alexander, der auf seiner Flucht nach Galiläa gekommen ist, sofort die bereitwillige Unterstützung einer Bevölkerung, die aus dem Widerstand gegen das römische Regime über Nacht den Patriotismus aus sich entlassen hat. Es gelingt Alexander, drei Festungen zu besetzen, die er aber sämtlich dem Heere des Gabinius ausliefern muß. Ein Jahr später erscheint auch der inzwischen aus Rom geflüchtete Aristobul, und trotz allem, was gegen ihn einzuwenden ist, stellen sich die Patrioten zu einem erneuten Aufstand ihm zur Seite. Nach schweren Kämpfen wird er verwundet, erneut gefangengenommen und nach Rom verschickt. Ein Jahr darauf sammelt Alexander von neuem die Verteidiger der judäischen Freiheit zu einem neuen Aufstand, aber wieder erliegt er dem Gabinius.

Die politischen Umwälzungen in Rom, die Bildung des Triumvirats beschert Judäa den Crassus. Seine ausschlaggebende Verwaltungshandlung besteht darin, sich aus dem Tempelschatz eine erhebliche Menge Gold zu erpressen, wobei er feierlich sein Wort gibt, nichts sonst anzurühren, und daß er sodann ungeheure Werte daraus stiehlt, um seinen Feldzug gegen die Parther zu finanzieren. Das Volk zittert vor Empörung. In dem Augenblick, in dem es vom Tode dieses eidbrüchigen Diebes erfährt, explodiert von neuem der Aufruhr in Galiläa. Pitholaus, der alte Parteigänger des Aristobul, wird 158 der Führer. Wieder müssen römische Legionen anrücken. Sie kommen unter Cassius, dem späteren Beteiligten an der Verschwörung gegen Cäsar. Der Aufstand wird niedergeworfen. 30 000 Gefangene werden als Sklaven in alle Welt verkauft.

Die Ereignisse sind jetzt in ihrem Ablauf schon alle so schicksalhaft, daß selbst ein von Rom unternommener Versuch, Judäa die Freiheit in die Hände zu spielen, vor dem höheren Plan und der geheimen Sinngebung der Historie versagen muß. Pompejus und Cäsar, die überlebenden Triumvirn nach dem Tode des Crassus, kämpfen gegeneinander um die Macht. Cäsar geht über den Rubikon. Er besetzt Italien, das Pompejus preisgegeben hat. Um im Orient einen zuverlässigen Helfer zu haben, setzt er den gefangenen Aristobul in Freiheit und gibt ihm zwei Legionen, damit er in Syrien gegen Pompejus kämpfen könne. Anhänger des Pompejus durchkreuzen den Plan und vergiften Aristobul kurz vor seiner Abfahrt. Der Prinz Alexander, nach zwei Niederlagen immer noch bereit, gegen Rom zu kämpfen, sammelt Truppen und will zu Cäsar stoßen. Der Statthalter des Pompejus läßt ihn ergreifen und hinrichten. Von dieser tragischen Vernichtung einer Dynastie, die in der letzten Sekunde durch Heroismus das zu retten versucht, was sie in der unbedachten Nachahmung fremden Vorbildes gefehlt hat, profitiert allein der Idumäer Antipater. Wie die Schlacht bei Pharsalus (48) den Sieg Cäsars entscheidet, stellt er sich sogleich auf dessen Seite. Durch seine Beteiligung mit Geld, Truppen und Beeinflussung der Stimmung in der ägyptischen Judenschaft leistet er Cäsar entscheidende Dienste. Zum Dank ernennt Cäsar ihn zum Epitropos, zum verwaltenden Vormund von Judäa.

Das ist eine Position, die einer wirklichen Regentschaft gleichkommt. Antipater schreitet daher entschlossen zur Grundlegung einer eigenen Dynastie. Er ernennt seinen Sohn Phasael zum Strategen, das bedeutet: zum autochthonen Verwalter des Bezirkes Jerusalem, und seinen Sohn Herodes zum 159 Strategen von Galiläa. Herodes fühlt sich durchaus als Vollstrecker römischen Willens. Er setzt sich daher zur Aufgabe, den Herd der fortgesetzten Aufstände, das Land Galiläa, zur Ruhe zu bringen. Gegen diese Patrioten, die sich unter dem Galiläer Ezechias sammeln und einen erbitterten Kleinkrieg gegen Syrer, Römer und die Freunde des Antipater führen, zieht Herodes aus eigener Entschließung zu Felde, nimmt Ezechias und seine Mitkämpfer gefangen und läßt sie hinrichten. Es bricht ein Sturm der Entrüstung im Lande aus. Noch gab es die autonome judäische Gerichtsbarkeit. Die galiläischen Patrioten unterstanden dem judäischen Gesetz. Sie hätten dem Synhedrion zur Aburteilung überwiesen werden müssen. Die Mütter der Erschlagenen erscheinen in Jerusalem und flehen ohne Unterlaß um Vergeltung, ein euripidäischer Bittgang der Mütter. Aber der römische Statthalter gibt inzwischen Herodes die Möglichkeit, sich seiner drohenden Verurteilung wegen Mordes durch die Flucht zu entziehen.

Wie alles bisher, so dient auch diese Gefahr der Machtentwicklung der Antipatriden. Herodes flieht zu Sextus Cäsar, der ihn zum Strategen von Cölesyrien ernennt.

Nach der Ermordung Cäsars (44) taucht im Orient der Mörder Cassius auf und übernimmt die syrischen Legionen. Das Land hat ihn wegen seiner Hinrichtung des Pitholaus noch in bösem Angedenken. Jetzt verlangt er ungeheure Leistungen an Kriegssteuern von den Judäern. Antipater und Herodes dienen ihm bei der rücksichtslosen Eintreibung mit allen Kräften. Städte, die nicht schnell genug zahlen, werden mit der gesamten Bevölkerung in die Sklaverei verkauft. Die Folge ist eine Verschwörung gegen Antipater, der vergiftet wird. Antigonus, der letzte überlebende Hasmonäer, Sohn des Aristobul und Bruder des Prinzen Alexander, versucht in dieser Situation noch einmal eine Staatsumwälzung. Aber es gelingt Herodes, diesen erneuten Aufstand niederzuschlagen. Er hat die Stirne, mit seinen Truppen in Jerusalem einzuziehen und zu verlangen, 160 daß man ihn als Sieger feiert. Die Krönung seines Kampfes gegen die Verteidiger der Volksfreiheit vollzieht Hyrkan selbst, indem er seine Enkelin Mariamne, die Tochter des hingerichteten Prinzen Alexander, mit Herodes verlobt. Die Brücke zur Verwandtschaft mit der hasmonäischen Dynastie ist geschlagen.

Angesichts der Entwicklung dieser Dinge versucht das judäische Volk noch einmal auf dem Wege des Rechtes und der vernünftigen Vorstellung bei Rom eine Beseitigung der Antipatriden durchzusetzen. Aber der neue Herr des Landes, der Triumvir Antonius, lehnt nicht nur dieses Verlangen ab, sondern ernennt Herodes und Phasael, diese brauchbaren römischen Werkzeuge, zu Tetrarchen, zu gemeinschaftlichen Regenten Judäas und zu Schutzbefohlenen Roms.

So wird das judäische Volk erneut auf den Weg der Machtanwendung und der Selbsthilfe verwiesen. Die sinnlosen Steuererpressungen des Antonius, der in Ägypten als der königliche Hörige der Kleopatra Unsummen verbraucht, geben einen weiteren Anstoß zur Revolte. Das Unternehmen scheint begünstigt durch eine den ganzen Orient ergreifende Aufstandsbewegung gegen die brutale römische Verwaltung.

Wieder taucht Antigonus auf und wird vom Volke willig als der Erretter von der römischen Sklaverei angenommen. Er dringt mit Hilfe parthischer Truppen in Jerusalem ein. Das Volk geht zu ihm über. Nach einem schweren Kampf in der Stadt verschanzen sich Herodes und Phasael in den Festungswerken. Phasael begeht Selbstmord. Herodes flieht nächtlich mit seiner Familie und begibt sich nach Arabien. Antigonus kann nach Beseitigung der römischen Garnison sich selbst in die Ämter als König und als Hoherpriester einsetzen. Eine Eignung hatte er weder zu dem einen noch zu dem anderen Amt.

Herodes ist nach Rom geflohen. Wieder schlagen Gefahr und Bedrohung für ihn zum Vorteil aus. Antonius ernennt ihn 161 unter Zustimmung Octavians zum König von Judäa, mit dem Auftrage, den Unruhen im Lande ein Ende zu machen. Herodes ist mit anderen Worten darauf verwiesen, sich sein Amt gegen das Volk, das er beherrschen soll, und gegen eine aus dem Erbrecht legitime Dynastie zu erkämpfen. Diese Aufgabe ist nicht leicht. Aber Herodes erzwingt sie in dreijährigen schweren Kämpfen, in denen er immer wieder römische Truppen zur Hilfe erbitten muß. Drei Jahre kämpfen reguläre Truppen gegen Freischärler. Jede seiner Aktionen steigert Repressalien und Gewaltakte der Patrioten. Das ganze Land ist in einem gegenseitigen erbitterten und schonungslosen Gemetzel aufgewühlt. Mit unsagbaren Opfern auf beiden Seiten gelingt es ihm gegen Ende des zweiten Jahres, das Land so weit zu besetzen, daß er im Frühjahr 37 mit Hilfe der römischen Legionen zur Belagerung Jerusalems schreiten kann. Noch während der Vorbereitungen zum Sturm vollzieht er seine Vermählung mit der hasmonäischen Prinzessin Mariamne. Angriff und Verteidigung stehen als das Ergebnis dreijähriger Kämpfe hüben und drüben im Zeichen äußerster Erbitterung. Wie im Juli 37, nach einem fast zwei Monate währenden Sturm, das letzte Bollwerk Jerusalems fällt, wüten die römischen Soldaten wie die wilden Tiere in der Stadt, und Herodes muß den Soldaten Geld versprechen, damit sie ihn nicht zum Herrscher über eine Stadt voll Leichen machen. Antigonus wird gefangen. Herodes bewirkt bei Antonius eine bis dahin selbst in der Geschichte Roms verpönte Hinrichtungsart für einen König: das Enthaupten.

Mit diesem zugleich abschließenden und einleitenden Akt der Brutalität und über 100 000 Tote hinweg betritt Herodes, der Halbjude, tierischer Mensch und tragische Kreatur, den Thron Judäas.

Das Dasein und die Taten des Herodes sind in dieser unmäßig bewegten Zeit von einer schicksalhaften Bedeutung. An seinem Tun und an den Ideen, die dahinter stehen, entzünden 162 sich zugleich die rohesten und die heroischsten und die geistigsten Formen des Widerstrebens aller Gewalt. Er zwingt noch einmal dieses Volk zu der letzten und schwersten Entscheidung über die Sinngebung ihrer Existenz als Einzelne und als Gemeinschaft. Er zeugt den Paroxismus der vaterländischen Verzweiflung, die weltenferne Abkehr von allen Dingen dieser Welt, das leidenschaftliche Begehren, das Zeitliche allein zu meistern durch das Unvergängliche: die sittliche Idee. In der Reaktion auf ihn liegen beschlossen das nationale Schicksal eines Volkes und die seelische Grundstimmung, aus der das übernationale Schicksal einer Religion entsprang. Die Aktualität der messianischen Idee, ihre Spontanität, ihre verhängnisvoll kurze Zeit der Reife weisen auf ihn als denjenigen, den seine Mitwelt, sofern sie Gut und Böse überhaupt begreift, als die Verkörperung und die lebendige Repräsentation des bösen Prinzips auf Erden betrachten durfte.

Zu nahe standen seine Zeitgenossen vor der Großartigkeit und der Ungeheuerlichkeit seiner Manifestationen, um zugleich die vernichtende Tragik seines Lebens begreifen zu können. Was blieb ihm, den die berechnende Zucht seines Vaters auf die Bahn eines Herrschers in Judäa gedrängt hatte, den Rom in seiner Jugend erzogen hatte, der den Sinn von eineinhalb Jahrtausend jüdischer Entwicklung nicht als Erbteil im Blute trug, dem das Volk mit jeder Haltung, jeder Miene und in sinnlos wiederholten Verzweiflungsakten die Beschimpfungen »Halbjude« und »idumäischer Sklave« entgegenschrie, – was blieb ihm anderes übrig, als sich sein Recht immer durch das einzige Mittel zu ertrotzen, das die Natur ihm an die Hand gegeben hatte: die böse Gewalt. Er war jetzt zur Herrschaft gelangt und war bereit, sie so zu stützen, wie er es in Rom gelernt hatte: durch Hinrichtungen und Proskriptionen. Vor allem mußte er sofort die Hasmonäer beseitigen. Selbst den Schlechtesten von ihnen war das jüdische Volk bereit, aufzunehmen, wenn es dadurch eines Herodes ledig geworden 163 wäre. Aber sie waren seine Verwandten durch seine Gattin Mariamne. Dennoch mußte der Trieb zur Selbsterhaltung siegen. Hyrkan, den amtsentsetzten Hohenpriester, nimmt er zunächst unter seine persönliche Kontrolle. Dann klagt er ihn wegen Hochverrates an und läßt ihn von einem gefälligen Synhedrion hinrichten. Seinen Schwager Aristobul III. läßt er bei einem Familienfeste in Jericho ertränken. Seine Schwiegermutter Alexandra, die wirklich gegen ihn konspiriert, wird hingerichtet. Mariamne, die er bis zum Wahnsinn liebt, wird Ende 29 unter Anklage des Ehebruchs gestellt und hingerichtet. In einem Zeitraum von sieben Jahren hat Herodes somit den Rest der hasmonäischen Dynastie durch schlichten Mord oder durch Justizmord ausgerottet. Die noch verbleibende Verwandtschaft der hasmonäischen Familie wird ebenfalls in einem Zuge hingerichtet. Es vergeht in Herodes Regierung kein Tag ohne einen Akt der rohesten Despotie. Das Geringste ist, daß er unaufhörlich das letzte Stück Eigentum und Besitz aus seinen Untertanen herauspreßt. Er braucht es, wenn nicht für seine sinnlose orientalische Hofhaltung, so für den cäsarischen Bauwahnsinn, den er entwickelt. Er fühlt sich als König eines kulturlosen Barbarenvolkes. Aber der Welt, von deren Gnade er lebt und von deren Anerkennung er abhängt, will er beweisen, daß er ein Mann von Weltkultur ist. Er erbaut eine Reihe neuer Städte nach griechisch-römischem Vorbild. Andere Städte läßt er im gleichen Stile umbauen. Er baut – zwischen Ptolemais und Jaffa – Cäsarea am Meer, den Sitz der römischen Verwaltung, die Zwingburg Judäas. Er stiftet für Tempel und Theater und öffentliche Bauten unzählige Gelder in das Ausland, bis nach Athen und Sparta. Und das alles muß das Volk bezahlen. Dazu kann er sie noch zwingen durch seine Steuereintreiber. Aber er kann sie nicht zwingen, an den Theatervorstellungen, an dem Spiel von Gauklern, an den Kämpfen zwischen Menschen und wilden Tieren teilzunehmen. Sie leisten passiven Widerstand. Nur einmal gehen 164 zehn Jerusalemer Bürger ins Theater, jeder mit einem Dolch unter dem Mantel. Zehn Dolche für Herodes. Ein Spion verrät sie. Sie werden hingerichtet. Das Volk reißt den Angeber in Stücke.

Nun weiß Herodes, daß jeder Patriot im Lande sein Mörder werden kann. Er umgibt sich mit einem weit verzweigten System von Spitzeln und Spionen. Verbannungen, Hinrichtungen, Einkerkerungen, Konfiskationen häufen sich. Es wird schweigsam im Lande. Herodes sieht es mit verbissenem Zorn. Im Ausland gilt er viel. In seinem Lande nur bei denen, die von ihm leben. Aber den anderen möchte er wenigstens Bewunderung abringen. Darum wendet er seine verschönernde Tätigkeit auch seiner Hauptstadt zu. Er baut einen gewaltigen, stark befestigten Palast für sich, für das Volk einen neuen, sehr kostbaren Tempel. Aber selbst hier verdirbt er mit seiner Servilität gegen Rom die mögliche Wirkung auf das Volk: er läßt über dem großen Portal einen römischen Adler anbringen. Das Volk haßt dieses Symbol. Herodes sinkt immer tiefer in Mißtrauen und Verbitterung. Er will sich Anhängerschaft erzwingen und verlangt, daß seine Untertanen ihm den Treueid leisten. Tausende, insbesondere unter den Pharisäern, verweigern ihm den Eid. Er belegt sie mit Geldstrafen. Die Frau eines seiner Hofbeamten bezahlt die Strafe für 6000 Verweigerer. Aber weiter wagt Herodes nicht zu gehen. Sowie das Murren im Volke zu laut und bedrohlich wird, lenkt er ein. Aber er beruhigt nichts dadurch. Sein Thron steht völlig vom Volke isoliert. Thrazische, germanische und gallische Söldner beschützen ihn.

Es wird endlich Zeit für ihn, an seine Nachfolgerschaft zu denken. Von den fünf Söhnen der Mariamne sind zwei, Alexander und Aristobulus, in Rom bei Asinius Pollio erzogen. Er läßt sie jetzt in die Heimat kommen. Das Volk sieht in den beiden Prinzen nur die Söhne der unglücklichen Mariamne und wendet ihnen stürmisch seine Sympathie zu. Herodes wird 165 unruhig. Um seinen Söhnen jede verfrühte Hoffnung zu nehmen, läßt er seinen Sohn Antipater aus einer früheren Ehe ebenfalls an den Hof kommen. Schon beginnt die Palastintrige, das Aushorchen, Mißtrauen, Verleumden, Denunzieren. Es ist ein Gewirre von Lügen und Ängsten, das Herodes endlich auflöst, indem er die beiden Söhne der Mariamne im Jahre 7 vor ein römisches Gericht in Beirut unter Anklage des Hochverrates stellt. Man ist ihm gefällig. Die Prinzen werden verurteilt und gehenkt. Jetzt ist Antipater der erklärte Erbe des Thrones. Aber der König lebt ihm zu lange. Eines Tages entdeckt Herodes einen völlig vorbereiteten Plan, ihn mittels Gift zu beseitigen. Von neuem muß er einen Sohn vor das Gericht stellen. Nur zögert er noch, die erkannte Todesstrafe zu vollstrecken.

Er ist alt und unheilbar krank. Der brennende Wunsch des Volkes, ihn endlich tot zu sehen, komprimiert sich zu dem Gerücht, er sei gestorben. Da explodieren die Leidenschaften. Entfesselte Menschen stürmen zur Demonstration gegen das ganze herodianische Geschlecht zum Tempel, geführt von Juda ben Sariphäus und Matthias ben Margeloth. Der verhaßte römische Adler wird vom Tempeltor gerissen und zertrümmert. Da brechen Herodes' Söldnerscharen in die Masse. Vierzig Führer der Demonstration werden gefangengenommen. Herodes verhört sie persönlich. Eine Welt von kaltem, verachtungsvollem Haß trifft ihn. Auf die Frage, wer sie zu dieser Untat angestiftet habe, antworten sie ihm knapp und mit ungeheurem Gewicht: »Das Gesetz!«

Das zerbricht ihn. Er läßt sie hinrichten, zum Teil lebendig verbrennen. Er fühlt, es geht zu Ende. Schnell gibt er Befehl, noch das Todesurteil an Antipater zu vollstrecken. Wie Octavianus Augustus die Nachricht empfängt, sagt er: »Das ist ein Mensch, bei dem ein Schwein es besser hat als ein Sohn.« Fünf Tage nach diesem letzten Mord verendet Herodes. Thrazische, gallische und germanische Leibwachen geleiten ihn zur Ruhe. 166 Das Volk stöhnt tief befriedigt und erleichtert auf. Es gab ein abschließendes zeitgenössisches Urteil: »Herodes stahl sich zu einem Thron wie ein Fuchs, regierte wie ein Tiger und starb wie ein Hund.«

Aber noch über den Tod hinaus erweist sich Herodes als ein Mensch, der das Land und das Volk als sein persönliches Eigentum betrachtet. Er hat in seinem Testament das Land unter drei seiner Söhne verteilt. Dabei war für Judäa Archelaus als König bestimmt. An ihn wendet sich sofort das Volk mit dem Anspruch auf Senkung der Steuern und Freilassung der politischen Gefangenen. Er erklärt, daß er vor der Bestätigung seines Amtes durch Rom nichts gewähren könne.

Wie die offizielle Trauerzeit für Herodes herum ist, bekundet das Volk ostentativ und mit aufreizender Deutlichkeit seine eigene Trauer. Sie geht nicht um Herodes, sondern um die bei dem Adlersturm ermordeten Patrioten. Die Rufe nach Beseitigung der herodianischen Dynastie sind ganz offen. Neue Forderungen werden gestellt: die verantwortlichen Ratgeber des Herodes sollen bestraft werden. Seine Kreatur im Amt des Hohenpriesters soll entfernt und dafür ein Würdiger gewählt werden. Archelaus bleibt bei dem Hinweis auf die mangelnde kaiserliche Bestätigung.

Das Passahfest des Jahres 4 kommt heran. Große Pilgerscharen ziehen nach Jerusalem. Sie demonstrieren erneut, und zwar im Tempel. Sie bekunden damit den ihnen selbstverständlichen Zusammenhang zwischen dem Staatlichen und dem Religiösen. Es kommt zu Zusammenstößen. Archelaus läßt die gesamte Garnison anrücken. Man zählt 3000 Opfer. Er befiehlt Heimkehr der Pilger. Sie tragen den Aufruhr und die Empörung über das ganze Land.

Während Archelaus sich nach Rom begibt, sendet der syrische Statthalter Quintilius Varus eine Legion nach Jerusalem, weil die Situation so bedrohlich ist. Auch Augustus schickt für die Zwischenzeit vorsorglich den Prokonsul Sabinius nach 167 Judäa. Das Schebuothfest rückt heran und mit ihm unzählige Pilger, denen schon die politische Demonstration die Hauptsache ist. Sie beginnen sofort mit dem Angriff auf die Römer, in drei große Haufen geteilt. Im Tempel wird erbittert gekämpft. Die Soldaten plündern. Der Prokonsul Sabinius beteiligt sich und stiehlt 400 Talente Gold. Dann wirft ihn das Volk samt seinen Truppen in den Königspalast und schließt ihn ein. Er schickt nach Varus und ruft um Hilfe.

Auch die Provinz ist in Aufruhr. In Galiläa erhebt sich Juda, der Sohn des hingerichteten Ezechias, gegen Römer und Herodianer. In Transjordanien steht Simon an der Spitze der Insurgenten. Überall wütet die Anarchie. Jeder Verdacht, mit den Römern zu sympathisieren, und schon jede neutrale Haltung, die sich nicht offen gegen Rom bekennt, wird von den Revolutionären mit Gewalttaten beantwortet. Varus braucht zwei Legionen, um den Aufstand einzuschränken. Sabinius entzieht sich der Verantwortung durch Flucht.

Inzwischen markten in Rom Archelaus, Herodes-Antipas und Philippus um die Erbschaft ihres Vaters. Es ist auch eine Abordnung des Volkes da, die erschütternde Anklagen gegen die Herodianer erhebt und ihre Beseitigung verlangt. Aber Augustus kann die frühere Linie seiner Politik nicht verlassen. Er entscheidet: Archelaus bekommt Judäa, Samaria und Edom mit dem Titel Ethnarch. Herodes-Antipas wird Tetrarch von Galiläa und Peräa, Philippus Tetrarch eines Gebietes am Nordrand Palästinas.

Archelaus setzt die Politik seines Vaters neun Jahre lang fort. Dann geht wieder eine Abordnung von Judäern, dieses Mal von Samaritanern unterstützt, nach Rom und erhebt Anklagen in einer Fülle und Schwere, daß Augustus nicht umhin kann, Archelaus zur Verantwortung zu laden. Die Rechtfertigung gelingt nicht. Er wird seines Amtes enthoben und nach Vienna an der Rhone verbannt. Sein Herrschaftsgebiet wird der Provinz Syrien zugeteilt und unmittelbar der römischen 168 Verwaltung durch einen besonderen Prokurator mit dem Sitz in Cäsarea unterstellt. Aus dem Prokurat ist die unmittelbare römische Herrschaft geworden. Es beginnt der Schlußakt sowohl des staatlichen wie des religiösen Dramas.

 


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