Jean Paul
Grönländische Prozesse
Jean Paul

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V.
Epigrammen

Auf einen Garten ohne Statüen

Die Überschrift dieses Epigrams ist falsch; auf einen Garten mit Statüen, mus es besser heissen: Denn die schönen Töchter des Eigenthümers, die stündlich darin spazieren gehen, ersezen iede Statüe, sowohl die nakten von Göttinnen als die wandelnden des Vulkans auf eine täuschende und angenehme Weise,

Über silberne Esgeschirre und silberne Särge

Der Mensch isset die Thiere, und die Thiere nicht selten ihn von Silber. Und doch sind die Würmer, die ihren Wurm aus einem silbernen Geschir aufspeisen, nicht mehr als die werth, die den ihrigen auf einem hölzernen verzehren.

Über Passionspredigten

Die Katholiken haben Fastenspeisen und die Protestanten dafür Fastenpredigten; durch Lerheit heiligen iene ihren Magen und diese ihren Kopf, und beide machen des iährlichen Andenkens wegen, die Passionszeit Christi zur Passionszeit der Vernunft.

Jeder schäzt nur nach der Ähnlichkeit mit sich den andern

Daher schliest der Tanzmeister bey den Menschen, wie mancher heutige Dichter bei Withof's Versen, von den Füssen auf den Kopf; daher hält der Musikus dicke Ohren für lange Ohren.

Von der dunkeln Schreibart

Wer die Gebrechen seiner Gedanken in eine dunkle Sprache einkleidet und verhült, ahmet klüglich die Wirthe nach, die gerne trübes Bier in einem undurchsichtigen Gefäs auftragen.

Unterschied zwischen einem Räuber und einem gewissen vornehmen Mann

Der Räuber ist ein Falke, der nur für seinen eignen Magen stöst und der ebendeswegen vogelfrei ist; allein unser vornehme Man ist schon ein zur Jagd abgerichteter Falke, der auf Geheis des Fürsten in die Höhe steigt, um für den gnädigen Hern, der ihn füttert, auf jede Beute nicht unbelohnt herabzuschiessen.
 

Ein anders ist, wenn der Esel, ein anders, wenn der Herkules eine Löwenhaut um sich wirft, bey ienem ist sie nur Larve, bei diesem aber Kleid; der leztere hatte den überwunden, dessen Haut er sich zugeeignet, aber der erstere kam zu seiner fremden Montur gewiß nicht durch eigne Tapferkeit.

Auf einen seltnen Dichter, der die Zuhörer seiner Lieder auf den Wein mit Wein entschädigte

Dein Gesang mildert in uns das Feuer seines Gegenstandes, und beschüzt unsre Vernunft gegen den Feind, den er lobet; Deine Hippokrene ist unser Wasser in dem Wein und dein Lorberkranz unser Epheukranz.Mit Epheu kränzten sich die Alten, um sich durch seine kühlende Eigenschaft vor der Berauschung zu verwahren.

Der verliebte Richter

Der Gerechtigkeit und dem Amor sind die Augen verbunden; wenn aber ein Blinder dem andern den Weg weiset, werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?
 

Die so leicht durch Worte geärgert werden, haben meistens schon durch Thaten selbst geärgert, und manche Schönen gleichen dem Zunder in der Empfänglichkeit für iedes Fünkgen nur darum so sehr, weil sie ihm auch in dem Umstand, schon einmahl gebrant zu haben, gleichen.

An die blumichten Philosophen

Warum verbergt ihr, wie die Biene, euren Kopf in poetische Blumen? warum umhült ihr den Gedanken in überflüssige Verschönerung, und sezt den Leser der Nothwendigkeit aus, vom Bier, bevor er's trinken kan, den blinkenden Schaum erst wegzublasen. – Zwar ist Schaum auch Bier, aber nur weniger Bier.

Auf eine Schauspielerin, welche den Schauspieler, gegen den sie die Rolle einer Liebhaberin spielte, wirklich liebte

Gleich alten Lügnern, hältst du deine eigne Lügen für Wahrheit, und bist das, was du scheinest; dein Gesicht sieht wie deine Maske aus, und du gehorchest der Natur und der Kunst zugleich. So ist das Essen auf dem Theater Dekorazion und Wirklichkeit auf einmal, und lässet nur die ungesättigt, die es bezahlet haben. Der niedergelassene Vorhang endigt dein Spiel nicht, sondern verbirgt es nur; aber deine Rolle wirst du in deinem Hause nicht lange ohne das Zischen derer fortsezen, die den Anfang derselben auf dem Theater beklatschten.

Über den Rath des Marquis de Poncis, den Feind durch Soldaten die man aus Papier geschnitten, zu täuschen

Völlig unnöthig wär' es, aus Papier mit der Schere scheinbare Helden zuzuschneiden, so lange man noch Schneider hätte, die aus Tuch mit der Schere wirkliche Helden zuzuschneiden im Stande sind. Aber unsichtbar wohl, wie die Engel dem Elias, und in kleinerm Format kan das Papier, mit goldnen Waffen ausgerüstet und wie die Wilden mit Tapferkeit bemahlet, dem Tuche beistehen, und in Briefen können nicht nur Kaufleute die Here ihres Schachbrets, sondern auch Generale ihre stehende Armeen gegen einander anführen.
 

Kleider sind die Waffen, womit die Schönen streiten, und die sie gleich den Soldaten, dan nur von sich werfen, wenn sie überwunden sind.

Vertheidigung des Max, der Bücher liest, nicht um sie zu verstehen, sondern um sie gelesen zu haben, behaupten zu können

Ungeachtet Max Bücher nicht verdauet, sondern nur käuet, so hat er doch Recht auf seine Lektüre stolz zu sein: denn das ist schon ein Wunder und eine Ehre, daß so gar Max Bücher liest. So frisset die hölzerne Ente des Vaukansons die vorgeworfnen Körner ohne Ernährung und ohne Verdauung; allein an ihr als einer Maschine ist schon das genug Werth, daß sie die Körner wenigstens verschlukt. Dieses künstliche Verschlukken bringt der Künstler in der Ente durch einen verstekten Blasebalg, und die Natur in dem Max durch Begierde nach Ruhm oder Luft zuwege, und beide ziehen Körner in sich, weil sie Luft in sich ziehen wollen.
 

Dunsen können einen berühmten Man nicht loben; sie können mit ihren entgegengesetzten Öfnungen durch die zwo Trompeten der Fama nichts als stinkende Lüfte hauchen, die zwar die Nase des Nahen, aber nicht einmahl die Ohren des Entfernten erreichen. Tadeln können sie eben so wenig: denn ein stinkender Athem, der nicht räuchern kan, weht immer über hohle Zähne, die nicht beissen können. Indes könte der Duns berühmte Männer, wenn ihr so wolt, doch tadeln – durch sein Lob nämlich; und auch loben – durch seinen Tadel nämlich.

Über den misanthropischen Swift

Das Talent zur Satire, das den Narren verwundet, verwundet, zu sehr genährt, zulezt seinen eigenen Besizer. So wie der Nagel, der in Feinde Wunden schneidet, den selbst, der ihn trägt, durch überflüssigen Wachsthum verwundet, und von seiner neuen Länge in sein eignes Fleisch zurükgebogen wird; oder so wie der Zahn, womit das Thier andre verlezt, seinen eignen Gaumen verlezt und ihm das Käuen verleidet, wenn überflüssige Länge und Spize ihn zum sogenanten Wolfszahn umgewandelt.

An die Gerechtigkeit

Warum bestrafest du mit Ketten den so lange, den du nur mit dem Strik bestrafen soltest? warum raubst du deinen Opfern das Leben erst nach der Gesundheit; warum lähmest du, gleich gewissen Schlangen, sie mit Unbeweglichkeit, eh' du sie tödest, und giebst den Missethätern in dem Kerkermeister den zweiten Henker? Zwar hierin must du die Spinnen nachahmen, die, von alten Beuten sat, die neue mit den Fäden, die sie fiengen, umfesseln, und an ihrem Gespinst für den künftigen Tod aufhängen. Allein, warum sperrest du die Unschuld ein; – dan nämlich auch ein, wenn du sie nicht töden magst? Oder glaubst du, die, welche du nicht in freier Luft zu töden berechtigt bist, doch im Gefängnis töden, und die, welche du dem Tode nicht durch Verurtheilung überliefern darfst, demselben wenigstens durch Verzögerung der Lossprechung überliefern zu dürfen? Gewis! auf diese Fragen kanst du nur mit dem Beispiel des Faulthiers antworten, welches die Thiere, die in seine unmächtigen Klauen kommen, damit zwar nicht zerreissen kan, aber doch so lange festhält, bis sie von sich selbst verrekken.
 

Nur die Abwesenheit des Geniessens gestattet unseren Antliz seine Richtung gen Himmel: denn gleich dem Vieh, senken wir das Haupt, sobald wir weiden, und nähern es der Erde, auf der die Freude blüht.

Das Epigram

Das Epigram ist gleich den vergifteten Pfeilen, nur an der Spize vergiftet, oder gleich dem Rettich, nur am Ende des Schwanzes am schärfsten.

Von der Bestrafung der elendesten Schriftsteller

Das Gewehr des Rezensenten ist der Nagel des Daumen; das Gewehr des Satirikers sind die Zähne. Daher steht die Hinrichtung litterarischer Insekten den Rezensenten, aber nicht den Satirikern zu. Denn es umkehren, hiesse den Hottentotinnen gleichen, die gewisse Insekten, die sie mit dem Nagel töden sollen, mit den Zähnen töden. Oder wenn ihr die Geisel für das Gewehr der Satire erkent, so frag' ich, sol man das Ungeziefer geiseln oder töden?

Das Gratuliren am Geburtstage eines Vornehmen

Die ersten Christen nanten den Tag, wo der Märtyrer gelitten hatte, den Geburtstag desselben; so ist umgekehrt der Geburtstag des Vornehmen der Passionstag desselben, und was er sich an demselben zu wünschen hätte, wäre dies, daß andre ihm nichts wünschten.
 

Warum der Dichter A. schon seit acht Tagen sich nicht über die Gränzen der Menschheit hinausgeschwungen, wenigstens nicht höher gestiegen als die fünf Treppen zu seiner Behausung; komt daher, weil sein Wirth ihm keinen Wein mehr borgen wil. Ohne mit diesem aber seine Sele gesalbt zu haben, kan er eben so wenig fliegen, als es die Hexe, ohne ihren Leib mit Öl gesalbt zu haben, kan. Und vielleicht ist dieses Vermögen des Menschen, durch den Magen den Kopf zu erleuchten, durch Doppelbier seine Ideen zu verdoppeln, und auf den Schwingen des Pulses einen Wetflug mit den geflügelten Engeln einzugehen, kein kleiner Beweis seiner Grösse; es ist kein kleiner, mein' ich, daß er die Mittel seiner Vergrösserung zu seinen Füssen findet, daß die Erde, welche dem Himmel in fetten Dünsten neue Sterne leiht, auch demselben an den Menschen neue Engel leiht, und daß Dinge, die klein sind, uns gros machen. Zwar ist die Leiter köthig, deren Staffeln uns erheben; allein athmet darum, weil unser Fus, gleich dem Fus der Leiter, in Koth stehet, unser Kopf weniger den Äther. Zwar kömt aus dem Magen, der Küche des Geistes, unsern Sinnen Ekel, Verwüstung und Schmuz entgegen; allein ist das höhere Stokwerk, für das die Küche arbeitet, darum minder mit reizenden Gerichten, mit Zierrathen und mit Pracht geschmükt? und sol der schmuzige Koch die glänzenden Gäste beschämen? Unter dem blossen Brod und Wein im Abendmahle empfängt die Sele dennoch die herlichste Nahrung. –Auch Epigrammen (und folglich auch dieses) dürfen vom Tadeln im Loben ausruhen, und der Hintere derselben kan stat immer gleich dem Hintern des Stinkthier, die Nase mit Gestank zu beleidigen, schon mannigmahl gleich dem Hintern des Bisamthiers, ihr mit Wohlgeruch räuchern; wodurch sie denn auch freilich so lang, wie manche des Wernikke und wie dieses werden.
 

So wie zur Anzeige des schlechten Wetters Blumen und Sekrete ihre unähnlichen Ausdünstungen verdoppeln, so kündigen gute und schlechte Autoren durch höchste Anstrengung ihrer widersprechenden Talente den Sturz vom erstiegnen Gipfel des Geschmaks an, und beide treiben Schönheiten und Fehler auf ihre entgegengesezten äussersten Gränzen, die das nächste Zeitalter sie gegen einen Mittelpunkt vertauschen heist, wo sie einander wechselseitig durch ihre Nähe schwächen. Frankreich hat zu gute und zu schlechte Schriftsteller, um nicht zu sinken; aber England sinkt noch nicht, denn es hat nur die erstern; und auch Deutschland nicht, denn es hat Gotlob! nur die leztern.Dieses ganze Epigram hab' ich aus dem Munde eines berühmten Kunstrichters, der wie mehrere berühmte Männer die sonderbare Gewohnheit liebt, im Umgange und in seinen anonymen Schriften gerade das Gegentheil dessen zu sagen, was er in Schriften mit seinem Nahmen sagt.


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