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Bittschrift aller deutschen Satiriker
an das deutsche Publikum; enthaltend einen bescheidnen Erweis von dessen ieziger Armuth an Thorheiten, nebst Bitten und Vorschlägen derselben zum Besten der deutschen Satire abzuhelfen
Weises Publikum!
Die Titelblätter wiederhallen noch immer die alte Behauptung: difficile est, satiram non scribere. Und zu den Zeiten dessen, der sie schrieb, war sie auch völlig richtig. Aber einige Blikke in unsre Bitschrift werden doch lehren, daß sie es in unsern nicht mehr ist; daß das goldne Alter der Satire, wo es Juvenale und Narren gab, längst verflossen und daß also die Liebhaber jenes Motto, fals sie nicht die erste Lüge ihres Buchs auf das erste Blat desselben sezen wollen, künftig der Wahrheit das non in dem obigen Verse aufopfern werden müssen. Nicht blos unfigürliche Narrenschellen sieht man iezt selten; auch die figürlichen und unsichtbaren erscheinen nicht häufiger. Und daß man den theuren Hanswurst vom Theater verwiesen, liesse sich auch noch verschmerzen; aber daß er aus dem Parterre und so gar aus den Logen fliehen müssen, das kostet den Deutschen ihre ohnehin geringzähligen Satiriker und nöthiget uns das gegenwärtige wirksame Mittel ab, mit dem buntschekkigten Gegenstand der Satire zugleich sie selbst dem Untergange zu entreissen.
Ehe wir aber das Publikum von seiner Armuth an Thorheiten zu überführen anfangen; müssen wir doch denienigen Theil desselben, der sich auf die Rechte der Satire nicht völlig versteht, über das Recht der Satiriker, vom Publikum Thorheiten zu verlangen, in der Kürze belehren. Die bessern Leser werden die Belehrung über eine schon bekante Sache gütig überschlagen. Die Unentbehrlichkeit unsers Ordens, der zum Wehrstand gehört, sezen wir als eingestanden voraus; vorzüglich da der Naturkündiger Phanias unsre Lobrede, die in unserm Munde stinken würde, mit einer Geschiklichkeit unternommen, die Plinius des folgenden Lobes würdigt: Urtica quid esse inutilius potest? condidit tamen laudes eins Phanias Physicus. Unsre unentbehrlichen Talente nun tragen stat der Früchte, die andre Autoren dem Gaumen des Lesers anbieten, Blätter, die seine Hände stechen; die Gallenblase ist unsre Hippokrene und gleich den Theologen können wir nur die Hölle, aber nicht den Himmel schildern. Die Gegenstände des Spottes aber theilen wir in unsern Kompendien wie natürlich in ehrwürdige und lächerliche, oder in Tugenden und Laster ein, so wie die Richter bald Unschuldige bald Schuldige verdammen, und die Konsistorien bald heterodoxe bald orthodoxe Kandidaten mit einem übeln Testimonium bestrafen. Jedoch müssen wir anmerken, daß wir nur dan ehrwürdige Dinge verspotten, wenn es uns an lächerlichen fehlet; und nur äusserster Mangel an Missethätern und Barnabas zwingt uns zur Geiselung eines gotmenschlichen Rükkens und zur Dornenkrönung eines heiligen Haupts. Die Ursache dieser Weigerung läst sich leicht errathen. Denn wem ist unbekant, daß die Muskeln der Leser das Belachen der Tugend nicht so willig akkompagniren als ihre Vernachlässigung derselben vermuthen liesse, ia daß sie nicht selten diese Göttin durch das Klatschen der Hände für die Unfolgsamkeit der Füsse zu entschädigen suchen? Aller dieser Schwierigkeiten ungeachtet gossen wir neulich auf die heiligsten Gegenstände, auf Religion, Keuschheit und Bibel unsre Galle; woraus das weise Publikum auf den Grad einer Theurung an Thorheiten vorläufig schliessen kan, die uns zur Nährung unserer Galle so wie den Juden im belagerten Jerusalem, nichts als die Beraubung der Altäre übrig gelassen. Eigentlich stehet die Verspottung des Ehrwürdigen einzig und allein den Invaliden des Wizes, kraft eines alten Privilegiums zu. Der Kontrast zwischen dem Grossen und Kleinen, der eben zum Lachen kizelt, läst sich nämlich bei an sich grossen Gegenständen am leichtesten verstärken; (daher alle Parodien ohne Mühe gemacht und mit Vergnügen gelesen werden) warum solte man nun einem erschöpften Satiriker seiner Arbeit einige Erleichterung, die er sich durch die Wahl des Gegenstandes zu verschaffen sucht, noch misgönnen? warum seiner Schwäche Angriffe auf unbewafnete und edlere Gegenstände verdenken, da doch selbst der alte Löwe, nach Plinius, mit seinen abgenuzten Waffen stat der wilden Thiere Menschen zu würgen anfängt? Daher dieienigen, welche dem ehrwürdigen Verfasser der Charlatanerien die Bibelspötterey verübeln, entweder eine schlechte Kentnis der satirischen Regeln oder eine flüchtige Lesung seiner Satiren verrathen: denn es hätte sie nur einen kritischen Blik in die Charlatanerien gekostet, und sie würden darinnen einen Wiz entdekt haben, der weiter keinen als heiligen Gegenständen mehr gewachsen ist. Und wenn sie Leute loben, welche dem Himmel doch wenigstens die Hefen von den Kräften, die ihnen der Dienst des Teufels abgezapft, mit zitternden Händen überreichen; warum wollen sie denjenigen tadeln, der den Bodensaz einer Gallenblase, die der Spot auf den Teufel längst erschöpfte, heiligen Gegenständen weihet und die Bibel mit derselben Schwäche verspottet, womit sie der gedachte Christ befolgt? Doch wir spotten nicht blos über ehrwürdige Gegenstände, sondern auch über Thorheiten; und darüber eben so oft, und eben so gern. Hasen sind unser Ziel und unsre Nahrung und so bald uns hungert, so rufen wir aus dem Bauer zu unserm reichgekleideten Hern: Spizbube und zu seiner treuen Gemahlin: Hure. Nichts können wir daher sehnlicher wünschen, als die Vermehrung der Narren. Ein Gesuch an das Publikum, seine Narheiten zu verdoppeln, ist also nicht blos andern Mitgliedern desselben, sondern auch uns Satirikern erlaubt und so bald wir nur erwiesen, daß es uns die von ieher gewöhnliche Anzahl Narren nicht mehr liefert, so ist es verbunden, dieser Armuth abzuhelfen. Freilich da wir diesen Erweis zu führen niemahls nöthig halten und immer mit der Anzahl der Narheiten der Welt zufrieden sein könten, so zufrieden, daß Swift so gar eine Lobrede auf die ganze Welt versprach: so findet man unsern Gesuch ein wenig auffallend und grübelt deshalb nach gezwungnem Tadel desselben. Daher wendet man denn gegen die Billigkeit unsrer Bitschrift ferner ein: dieienigen, die die Thorheiten vermindern sollen, dürfen sie nicht zu vermehren suchen. Die erste Hälfte liesse sich zugeben, ohne daß es darum von der andern nöthig wäre. Denn schon das Beispiel der Richter würde für uns antworten, die die Lasterhaften, häufiger wünschen, weil sie von der Bestrafung derselben leben und die nicht selten dem unerfahrnen Landman ihre Kunstgriffe für seine Fehler unterschieben, um sie an ihm ahnden zu können. Allein es ist gar nicht einmahl wahr, daß die Satire die Thoren bessern wolle; sie wil sie ia nur vergnügen. Dieses wissen selbst die Thoren so gut, daß sie in ieder satirischen Schilderung das Bild ihres Nachbars, aber nie ihr eignes suchen und darum auch finden: denn geschähe das leztere, so würden sie Vergnügen gegen Besserung vertauschen, stat daß sie iezt so wohl nicht gebessert als nicht betrübt werden. In einer Lobrede sucht man, wie im Spiegel, nie fremde Gegenstände, sondern nur sich selbst zurückgestrahlet; allein bei der Satire ist es umgekehrt. Daher wir bei allen Besizern satirischer Bilderkabinetter umsonst nach ihrem eignen Portrait gefraget, ungeachtet es der nächste Nachbar in duplo besas, so berichtet Moore, daß die meisten Italiener, welche die Gemählde von allen Dingen besizen, ihr eignes nicht besizen. Ist aber einem Satiriker an der Ausrottung der Thorheiten ia etwas gelegen, so tadelt er sie nicht, sondern lobt sie, welches man die Figur der Ironie betitelt; wie die Zauberer nach einem uralten Aberglauben, die Kinder durch Loben töden. Übrigens mag iene falsche Meinung vom Endzwek der Satire durch unsre Vorreden entstanden sein, die man wörtlich auslegte, stat sie mit bessern Lesern wie Träume und Dedikationen durch das Gegentheil auszulegen.
Diese allgemeinen Gründe wollen wir nur noch durch einige besondre verstärken. Um Thorheiten kan vorzüglich das traurige Schiksal unsrer Schriften betteln, deren Gestank beinahe noch geschwinder verstäubt, als die Nasen, die er züchtigen sollen. Kein Papier reift eiliger zur Hülle des Pfeffers, als das, was schon vorher Hülle von satirischen Pfeffer gewesen; und gegen den Zahn der Zeit verpanzert unsre satirische Zähne die Härte umsonst, die sie mit den längerlebenden Knochen der Esel theilen. Wir sterben nur wenig später als die Thorheiten, die wir töden und gleichen den Pillen, welche mit dem Unrathe, den sie exuliret, fortgehen. Wer liest unsern Rabner noch? niemand vielleicht als sein Verleger in Leipzig. Wer liest unsern noch viel grössern Liskov? nicht einmahl sein Verleger, denn der ist tod. Wenn daher unsre Zähne unsern Magen überleben sollen, oder wenn dein Gedächtnis unsre Geburten nicht durch seine vielen Löcher fallen lassen sol, so müssen wir in dasselbe Vielschreiberei aufschütten, so wie sich in dem löcherichten Siebe die Körner nur durch ihre Menge erhalten, und sonach unsre Fruchtbarkeit mit deiner Vergessenheit weteifern lassen, und mit der Stärke unsrer Phantasie die Schwäche deines Gedächtnisses verbessern. Ein neuer Grund also, warum du deine Thorheiten vermehren must, ist der, damit wir unsre Satiren vermehren können.
Weiter. Der Satiriker sind in kurzem so viele geworden, daß wir, fals nicht bald der Narren eben so viele werden, gegen einander unsre eignen Geiseln kehren und gleich Offiziren, mit unsern Waffen stat zu kriegen duelliren, und wie die Schafe in Island, mit den Zähnen, denen das Gras mangelt, die Wolle der Mitbrüder abscheren werden müssen. An dieser unglücklichen Vermehrung ist blos Sterne schuld, bei dessen Erscheinung auf einmahl alle Kinder unsrer schönen Geister zu zahnen anfiengen und von dessen Augen und Lippen zu gleicher Zeit ein allgemeines Weinen und Lachen auf die deutschen Gesichter flos, welche darauf nicht selten zu gleicher Zeit Zwiebeln für ihre Augen und Risifolium für ihre Lippen, und keine Nieswurz für ihre Nase brauchten. Sonderbar beiläufig! daß zu Einer Zeit in Deutschland alles übertrieben lachen und übertrieben weinen wollte als sonst geschah; so wie in demselben vierzehnten Jahrhundert auf einmal die Sekte der Geiselnden und die Sekte der Tanzenden aufstand. Doch mag auch Paris nicht von aller Veranlassung zu der sternischen Spotsucht rein sein: denn seine Stuzer, die vor etlichen Jahren Dornstökke mit unbeschnittenen Stacheln trugen, haben vielleicht unsre geistigen Stuzer in der alten Nachahmung wenigstens bestärkt, in ihren Schriften mit dem Stokke nicht blos zu gehen, sondern zu stechen. Vielleicht glaubst du iezt, aus der Menge der Satiriker einen Schlus auf die Menge der Thoren erschleichen zu können, allein du irrest dich, weil die sternischen Nachahmer ihre Spashaftigkeit nicht erst an Thorheiten, sondern an verehrungswürdigen Dingen übten und daher mit dem Lachen gar nicht auf deine Freigebigkeit in Thorheiten zu warten brauchten. Auch rechnen wir diese launichten Leute, die blos spasen, nur aus Mitleiden zu unsrer Zunft, die eigentlich spottet. Ferner unterschieden sie sich von uns, die wir gleich den Mahlern seltner uns als fremde Gegenstände mahlen, dadurch, daß sie mehr sich als ihre Leser lächerlich machten. Dieses Verdienst übrigens, das ihnen mit Recht die meiste Achtung und Lesung erwarb, muste ihnen zwar bei ihren Fähigkeiten sehr leicht zu erreichen sein: denn allemal war die schlechtste Satire auf andre die beissendste auf sie, so wie eine übelgemachte oder übelgeladene Flinte in demselben Verhältnis den Schüzen stat des Zieles trift; allein die Höhe, zu welcher sie dieses Verdienst hintrieben und bei der nicht selten das Lachen des Lesers in Mitleiden zerschmolz, war immer eine Seltenheit und rechtfertigt die Leser, die lieber den Lacher als sich belachen, und auch die Schönen, fals man noch das kleine Verdienst der unzüchtigen Reden beifüget, wegen der Wiederhohlung der Auflagen. Auch der Liebling des Publikums, der Verfasser der Raritäten des Küsters von Rummelsburg, bleibt dieser Selbstbelachung troz dem Anschein des Gegentheils getreu: denn wenn er z. B. in irgend einer Stelle seines Buchs einen Dumkopf lobet, so wil er sich doch damit nicht loben – das that er schon in der Vorrede beim Tadel seiner Rezensenten – sondern er wil sich wirklich belachen, nur hat er die Ironie so wenig in seiner Gewalt, daß sein Lob kein verstekter Tadel hebt, und er sich nicht einmal belachen, sondern nur loben kan. Und hierin übertrift ihn der Herausgeber von Hölty's Gedichten, H. Geißler der iüngere (der nun iezt nicht mehr so unbekant wie H. Geißler der ältere ist) in einem hohen Grade. Denn die Satire auf sich selbst, die er in Hölty's Lob einflochte, ist ihm so gut gelungen, daß wir sie vielleicht der iuvenalischen entgegen stellen, ia in der Bitterkeit nicht selten vorziehen können. Stat sich einen Affen zu nennen, macht er ihn vielmehr so gleich und zeigt dadurch, daß er das Tadeln besser als die Rezensenten verstehe, die dem Autor nicht beweisen, sondern nur vorwerfen, daß er ein Esel sei. Er tadelt seinen Stil nicht, aber er läst ihn dafür drukken und erwartet von seinen kritischen Lesern, daß sie eine Schreibart, welche die Fehler der Prose mit den Fehlern der Dichtkunst paret, welche harte und übelgebaute Perioden, lange Allegorien und kühne Metaphern, neue Wörter und einige dem Lessing unglücklich nachgeahmte Idiotismen sucht, zugleich enthält, ohne sein Erinnern von selbst lächerlich finden werden; diese Erwartung drückt er zu Ende der Satire immer noch in demselben Stile so aus: »Über alle Belohnung würde die aus der Ferne flüsternde Ahndung des sanftesten Gefühls fähiger Seelen gehen dem Herausgeber« – Solte übrigens unsre Vermuthung, daß nicht alle diese Fehler die Fehler seiner eigenen Schreibart sein, sondern daß er einige aus Satiren und Rezensionen über den iezigen affektirten Stil genommen und nur für eigne ausgegeben, gegründet sein: so hätte seine Hand stat einer Satire gar ein Pasquil auf seinen Kopf gemacht und die Selbsterniedrigung bis zu einer Tiefe getrieben, die er vor dem Richterstuhl der Selbstliebe mit der Hofnung des Gewins aus der voreiligen Zusammenstoppelung fremder Gedichte kaum entschuldigen könte. Um die Verschiedenheit des Ganges, den dieselbe Laune in verschiednen Köpfen nimt, bestimter zu zeichnen, fügen wir den Kunstgriffen der gedachten zween Köpfe noch den eines dritten bei, nämlich des Verf. der Charlatanerien, welcher um nicht blos sich, sondern auch seine Leser lächerlich zu machen, in der Vorrede sein ironisches Lob auf sich selbst, mit der geschwinden Vergreifung seines Buchs zu rechtfertigen, die Mine annimt. Er wil nämlich das Herz und den Kopf des Publikum auf eine feine Weise züchtigen, das seine Schriften, welche doch für beides wenig enthalten, so häufig gelesen; daher thut er, als wenn er den Beifal desselben billigte, indem er auf ihn stolz zu sein vorgiebt. – Wir sind aus unserer Bahn gekommen, die iedoch unsre Verirrungen immer durchkreuzet haben.