Jean Paul
Grönländische Prozesse
Jean Paul

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Beschlus

Nicht Adieu, sondern Got grüs dich, lieber Leser! Ich hätte nämlich Vorrede stat Beschlus schreiben sollen, hätt' es nicht zu affektirt gelassen. Warum aber die Leibwache nicht vor die Thüre? darum. Die meisten Vorreden sind Küchenzettel, die der Wirth einem hungrigen Reisenden von den guten Speisen macht, die er gehabt hat, haben wird und nicht hat; die meisten sind lobende und lügende Leichenpredigten auf das in Vergessenheit begrabne Geistesknäblein, d. h. die heuchlerische Demuth des Schriftstellers wird die Prophetin seines Schiksals, wie Moliere an dem eingebildeten Kranken starb, den er troz seiner eignen Krankheit spielte; wenige sind Henkel des Buchs. Dies alles solte die meinige nicht sein; sondern blos eine freundschaftliche Unterredung mit dem Leser meiner Satiren. Wir haben uns wie ein par Eheleute den ganzen Tag miteinander gezankt; aber schlafen diese darum nicht zu Nacht in Einem Bette? Eilt doch auch der Respondens mit dem Opponens nach der lateinischen Heze zum gemeinschaftlichen Schmause und man giebt dem Barbier, der Ader gelassen, gerne eine Schale Kaffee, wenn man in der Stadt, und ein Glas Brandewein, wenn man auf dem Lande wohnet. Wer weis nun nicht (dieses ist das Darum aufs obige Warum) daß man unter der Thüre am liebsten und vertraulichsten mit dem Freunde redet, bei dessen Ankunft man unter vielen Komplimenten den verlohrnen Schlüssel zum Herzen suchte?

Man seze noch hinzu, daß gewisse Pferde in der ersten Viertelstunde am meisten schwizen und freilich dan nimmer. Der Schweis verunstaltet ein geschminktes Gesicht. Und wer ist daran Schuld? Hauptsächlich die Rezensenten, die in ihren Urtheilen die Figur pars pro toto lieben, die aus dem Anklopfen nicht nur auf den Werth des Zeigefingers, sondern auch des ganzen Menschen schliessen, und nach diesem Schlusse sanft oder wild herein sagen, die aus dem Komplimente des Fusses den Werth des Kopfes weissagen u. s. w. Wer kan da essen, trinken, und frölich sein, wenn ein Har den Dolch der Kritik trägt, der über einen, wie über das Haupt jenes Schmeichlers, hängt? nicht zu gedenken, daß aus dieser übeln Gewohnheit der Rezensenten die üble Gewohnheit der Schriftsteller entspringt, gleich dem Monde gros aufzugehen, und die Mitte der Laufbahn durch Abnahme der Grösse zu schimpfen und das Horn, gleich der Schildkröte, am Schwanze zu tragen.

Der Verfasser des Buchs über die Ehe hat also in dieser Rüksicht Unrecht, wenn er von der Vorrede, vom Hute, rühmet, daß man sich damit dekke. Darum geh' ich Chapeaubas, und mag gewissen Richtern mein Todesurtheil nicht in die Feder sagen. »Aber dies alles ist ja eine Vorrede zu einer Vorrede; und die deinige ist so unbedeutend, so ler!« Sie sol aber auch nichts anders sein, da sie blos, wie gesagt, ein Freundschaftsgespräch oder bildlich eine Schüssel Krebse ist, die man nach der Mahlzeit giebt und die wenig Fleisch und viel, auch wohl schöne Schale haben.

»Aber zum Verhör selbst! Denn was wolltest du sonst mit unser einem reden wollen? Also die ungleiche Schreibart?« ist freilich sichtbar; aber auch verzeihlich. Ihr Puls nämlich schlägt bald heftig bald mat, wie es die Umstände mit sich bringen. Die Welt im Kleinen mus natürlich mit der Welt im Grossen, und die Sakuhr mit der Sonnenuhr übereingehen. So fält man aus der Ironie in die Deklamazion, wenn auffallende Thorheiten für kalten Spot zu warm machen. Für Thoren Horaz oder Voltaire, für Bösewichter Persius und Pope. Freilich sind die Satiriker die besten, welche mit ihrer Peitsche mehr zuschlagen als klatschen. Und endlich ist der Mensch so ein nachahmendes Thier! Was Wunder wenn derjenige, der heute aus dem gestrigen Stükke unaufhörlich »Als ich auf meiner Bleiche« wiederholt, morgends eine Arie aus der Alzeste wiederkäuet. Der Gelehrte ist das Echo seiner Bibliothek, und mancher der Spiegel eines Spiegels. Selbst der Körper ist der Resonanzboden der Sele, ich sage nicht ihr Echo. Denn etc.

»Und die unzusammenhängende Schreibart?« ist vielleicht zusammenhängend. Es wäre unfein, dem Leser das zu sagen, was er sich selbst sagen kan, ihm wie einem Kinde das Buchstabiren zu lehren, und mit dem Stokke oder dem Griffel auf ieden Buchstaben aufmerksam zu machen. Der Rok ist abgenuzt und unbrauchbar, auf dem man alle Fäden zählen kan, und nichts ist gothischer als die modischgrossen Schuhschnallen, um ein par kleine Riemen mit einander zu verbinden. Manche Flüsse strömen unter der Erde fort; aber dan, sobald sie wieder sichtbar werden, gebühret ihnen noch der Name ihres Ursprungs. Die Bücher sind die angenehmsten, deren Verfertigung der Autor dem Leser zum Theil überläst. Wer uns gefallen wil, sagt la Bruyere, mus verursachen, daß wir uns selbst gefallen, und mancher Schriftsteller ist seine Bewunderung weniger seinen Talenten als der geschmeichelten Eigenliebe seiner Leser schuldig. Daher verwandelt man so gern nahe Vergleichungen in Allegorien – ich sage nahe Vergleichungen, weil man nur das leichtere zu errathen geben mus und Kinder nur die Ähren aufzulesen haben, die der Schnitter nicht mit in seine Garben gebracht, und weil der Autor seinem Wize da, wo er klein ist, einen Schein von Lebhaftigkeit in der Meinung des Lesers ertheilen mus, der das Vergnügen an eigner Thätigkeit auf die Rechnung fremder Talente schreibt. Daher der Geschmak am sternischen Wize.

»Die gezierte, mit Gleichnissen überladene?« So ein Tadel wäre nun wohl leichter vermieden als verdient, wenn es nämlich einer ist. Und daran zweifle ich. Ich rede jezt ohne Beziehung auf mich. Warum sollen gewisse Schönheiten nur einzeln etwas werth sein und in Herden verliehren, und den Elephanten gleichen, die einzeln ihre Stärke gebrauchen, und in Geselschaft ihre Kräfte und ihre Wildheit vergessen? »Aber sie ermüden den Leser« und was ermüdet ihn nicht? Mus er so lange lesen, bis er zu viel gelesen? Die Ärzte rathen, daß man zu essen aufhören sol, wenn es am besten schmekt. Freilich wird der Genus des Brodes nie zum Ekel; aber ich denke Brod schmekt auch nicht so gut als eine Torte. »Seneka« ich weis es; aber ich weis auch, daß sein Wiz oft ein Kastrat ist und nur eine schöne Stimme hat, daß derselbe öfter Worte mit Worten als Gedanken mit Gedanken Ringe wechseln läst, und daß seine Geburten oft den Blumen gleichen, die der Zufal durch Kälte an den Fenstern bildet. Solcher Wiz ist nur Zuker, den die Kinder lieben und den eine ältere Zunge freilich nicht vergöttern kan. Auch sind Anthithesen leichter als Vergleichungen gemacht, und seinem Wize fehlet oft die Lebhaftigkeit, ob man es gleich dem guten Stoiker ansieht, daß er sich pudert, eh' er die Hare ausgekämt und gekräuselt, und den Vogelbauer von altem Kothe reinigt, eh' er den Vogel gefangen. – Überhaupt, nebenher anzumerken, trit ieder dem Wize das Gras ein, und jeder rükt den Gränzstein des Verstandes weiter. Als wenn der Kantor, der orgelt und singt, nicht eben so gut sein müste, wie der Pfarrer, der predigt! Ja, Wiz und Verstand sind Blutsverwandte. Zwar sezt der eine über den Graben und der andere macht einen Umweg; der eine ist für Mesalliance, und der andere zählt erst die Ahnen, der eine stampft wie das Pferd aus jeder gepflasterten Strasse Funken und der andre braucht ein Feuerzeug, um ein Licht aufzustekken; der eine hat ein teleskopisches und der andere ein mikroskopisches Auge. Aber eine Henne sieht den unsichtbaren Raubvogel in der Höhe und das unsichtbare Würmgen unter ihren Füssen zugleich, und der Wiz ist öfter mit Verstand als der Verstand mit Wiz verbunden. Freilich spielt der Wiz blos aus der Tasche und scheint blos dem geköpften Vogel den Kopf aufzusezen, oder einen ungeköpften zu köpfen; aber er vergnügt doch. Und was thut, was kan der Verstand mehr, wenn er verlobte Ideen kopulirt? Die angenehme Empfindung unserer Thätigkeit ist doch am Ende der einzige Lohn für jede geistige Anstrengung. – – Aber um wieder auf den obigen Leser zu kommen, so glaube ich, daß bunte Tapeten, wenn man sie sich anschaffen kan, die Nuzung der Wand keinesweges erschweren, und daß selbst die Blätter der Bäume nicht zweklos sind. Wenigstens litten, nach Sander, die Trauben der Weinstökke, von denen man alles Laub abgebrochen, in heissen Monaten vielen Schaden. Die Schlehenblüthe riecht zwar süs, aber sie schmekt bitter, und der Diamant, der glänzt, schneidet Glas. Auch mus eine Reitpeitsche schöner gearbeitet sein als die Peitsche eines Postillions. Freilich verführet oft ein Bild zu einem andern, wie aus dem Blatte der Prikkelbere ein andres wächst, und ein Gedanke hült sich in mehrere Ausdrükke, wie Weiber in mehrere Rökke; allein warum sol man auch den Kamtschadalen gleichen, die von ihren Zwillingen alzeit ein Kind umbringen, oder dem Ephor Emerepes, der, ein Freund des Alten, die zwo neuen Saiten zerschnit, womit Phrinys die Musik zu vervolkomnen gedachte? –

»Weithergeholte Vergleichungen, welche zu verstehen man erst eine Reise um sein Gehirn machen mus.« Die Richtigkeit eines Gleichnisses gründet sich auf die Richtigkeit seiner Ähnlichkeit. Wie unvermeidlich aber ist die Täuschung, das in der Hize der Arbeit für ähnlich zu halten, was erst durch Zwischenideen, die man bei dem Leser unrichtig voraussezt, ähnlich wird? Schreiben ist empfangen, empfangen geniessen; aber im Genusse gleichen wir alle dem Papagei, der während seines Fressens auf Einem Beine steht. Die Gegenwart ist eine falsche Brille und oft scheint die Fliege, die zu nahe vor dem Auge vorbei fliegt, ein Adler, und der Adler, den die Entfernung in einen schwarzen Punkt verwandelt, eine Fliege zu sein. Daher geht's mit den Büchern wie mit den Kindern; in den ersten Jahren mögte man sie, wie man sagt, vor Liebe fressen, im zehnten Jahre verwandeln sich ihre schönen Einfälle in Kindereien, und der Rektor des Gymnasiums spricht dem Jungen die Talente ab, die sein Schulmeister an ihm fand. Ferner eine ängstliche Selbstkritik kühlet nicht nur den Enthusiasmus zu sehr ab, wie eine Schnuppe (oder ein Räuber) das Licht geschwinder verbrennen macht; sondern zu viele Fasttäge entnerven auch, ein zu sehr gepuztes Licht brent trübe, und ein oft gewaschnes Hemde wird feiner und dünner zugleich. Endlich ist gewis, daß diejenigen Weiber die wenigsten Kinder gebären, die sie am längsten säugen, wie natürlich.

»Schmuzige Gleichnisse« nicht blos um noch schmuzigere Thorheiten zu bedekken, sondern auch darum. Unsre Verfeinerung ist zur unverschämtere Annahme ziemlich schmuziger Laster gediehen; warum sol die Verfeinerung nicht gar bis zur freien Anführung ihrer Benennungen gehen? Ist es eine Ehre eine Hure zu sein; warum ist es eine Schande sie bei ihrem Namen zu nennen? Dort sag ich salvo titulo; warum sol ich hier sagen salva venia? Warum wollen wir den Schweinsstal übertünchen; und warum über einem gekrönten Wurm, der sich nun in mehrere Würmer auflöset, eine prächtige Pyramide bauen? Daß doch die Zunge so gerne den Antipoden des Herzens spielt! Noch mehr. Nakte Völker sind nicht so wollüstig als gekleidete, und die nakten Namen gewisser Dinge schmeicheln der Begierde weniger als die, welche gefährlichen Reizen zum Negligee dienen. Die Gewohnheit nur macht die Sele zum Kastraten, troz eines herkulischen Körpers. »Die Einbildungskraft geht gern im Schatten spazieren« sagt zwar ein französischer Schriftsteller. Aber eben in den schattichten Alleen sind die meisten Huren, und die Nacht, die nach den Philosophen die Mutter aller Dinge ist, ist auch die Mutter der Bastarte. – Freilich mus man hierinnen die Ausschweifung der Autoren vermeiden, die ihren Nachttopf über den Vorbeigehenden ausschütten, die ein schönes Zimmer mit den kothigen Stiefeln beschmuzen, zu deren Reinigung ein Teppich vor der Thüre ermahnte und diente. Aber meine Leser mögen selbst käuen; so wie sie in Rüksicht der schmuzigen Gleichnisse selbst für eine Serviette sorgen mögen!

»Warum die Bücher nicht zitirt, woraus naturhistorische Bemerkungen u. s. w. genommen worden?« weil ich derselben zu viele zu zitiren gehabt hätte, und überhaupt den Schönen nicht gleichen mag, die ihre Bibliothek mit dem Rükken an das Fenster stellen, um ihre Belesenheit bewundern zu lassen. Aber die Richtigkeit mancher naturhistorischen Bemerkung oder mancher Nachricht eines Reisebeschreibers, die zu einem Gleichnisse gedienet, bleibt dahingestellt; und wozu wäre sie auch nöthig? Daher ich oft den Volksaberglauben und abergläubige Bücher genüzt. Nur eines anzuführen »Das in der Medizin gebräuchliche Regnum animale oder Thierbuch etc. von Kräutermann. Arnstadt und Leipzig. In Verlegung Ernst Ludewig Niedtens 1728.« Es komt hier nur auf die Verdauung an; von einem schlechten Buche läst sich ein guter Gebrauch machen, aus schmuzigen Lumpen verfertigt man ja schönes weisses Papier und wer weis nicht, daß der Flus Paktolus sein Gold dem Bade des langöhrigten Midas verdankt? Überhaupt nüzet dem Wize Gelehrsamkeit so wie sie dem Verstande schadet, der nur im finstere Brunnen die Sterne sieht. Der eine gleicht den Insekten, die viele Augen haben, der andre dem Riesen Polyphem, der nur eines hatte. Der eine ist ein Vielfras und macht vor dem Essen keinen Tanz, der andre singt wie die Vögel am schönsten ungefüttert. Der eine ist ein Wechsler, der viele und vielerlei Münzen im Vorrathe hat, und der andre ein Ökonom, dessen Vermögen in liegenden Gründen besteht. Die Amtspflicht des Wizes ist wie bekant entfernte Ideen gleichsam durch Kanäle zu verbinden; aber Entfernung findet in einem spannenlangen Gebiete nicht stat; und in Rüksicht des Verstandes ist ohnehin ausgemacht, daß er sich im Gegentheil durch ein Fernglas die Augen verdirbt. Manche Gelehrte dachten selbst nicht, weil sie sich zu sehr mit dem beschäftigten, was andre dachten.

Aber ich wil meine Leser des angefangenen Kritisirens überheben. Nihil est perniciosius quam immatura medicina, sagte Seneka, auch rügt man am Mohren keine Sommerflekken. Wenigstens gleicht jede Selbstvertheidigung dem Stokke, den man mehr zur Zierde als zur Wehre bei sich führet, solt' es auch ein knotichter Genieprügel sein. – Allein nur noch einige Anmerkungen zu etlichen Satiren in diesem Buche. Mögen sie auch ein wenig unordentlich unter einander stehen; wer wird wie der Kaiser Geta, nach dem Alphabethe essen wollen? – Dies heiss' ich die übrigen Brokken samlen.

Zu No. I. Der Spot über die Geniesucht, die nun mit dem Tode ringt, scheint nicht so ganz unnöthig zu sein. Denn ihr Abfahren sogar zugegeben, erwachen nicht manche Menschen im Grabe zum Dakapo ihres Lebens auf? Ferner auch tode Körper stekken an, und Stükke Aal entspringen oft dem höllischen Feuer, zu dem sie die Köchin schon verdamt hatte. Ein einziges Genie vermag unsern Gaumen zu verpesten, und ein neuer Got uns in die vorigen Gözendiener zu verwandeln. Ja die Zähne einer Wasserratte blos waren zur Überschwemmung etlicher holländischer Provinzen nöthig. Doch gesezt es bliebe bei diesen Thorheiten bei der ersten Auflage, gesezt wir wiederkäuten unsre Schande nicht, und wären klug genug, um nur zehn Jahre lang thöricht gewesen sein zu wollen; warum wolte man die vorigen Narheiten nicht durch nachfolgenden Spot bei der Nachwelt entschuldigen? Der verschmizte Knabe spielt bei der Ankunft des Vaters den zankenden Moralisten, um dadurch seinen Antheil an der Strafe derer, in deren Geselschaft man ihn überraschte, von sich abzulehnen. Mit Nesseln vertreibt man den Gestank eines Leichnams aus dem Hause. Den im Gefängnis gestorbenen Missethäter flicht man aufs Rad; der Japaner kaum zu gedenken, die den unbestraften Leichnam durch Einpökelung für seine Strafe aufbewahren.


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