Jean Paul
Grönländische Prozesse
Jean Paul

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Bei den Menschen κατ' εξοχην d. h. bei den Edelleuten mus sich unsre Klage zu einer andern Wendung bequemen. Denn ohne gegen sie ungerecht zu sein, können wir ihnen nicht eben das vorwerfen, dessen sich alle die andern Gegenstände unsrer Klagen schuldig gemacht. Vielmehr müssen wir gestehen, daß die meisten von ihnen auf manchen Thorheiten troz des äussern Widerstands beharren, denn von ihrem Stolze z. B. können sie darthun, daß er wenigstens eben so viele Ahnen wie ihr Blut alt sei. Allein eben diese Einförmigkeit ihrer Schellen ist der Satire nachtheilig und nicht viel weniger nachtheilig als gänzlicher Mangel derselben. Wen ekelt nicht ein uraltes Lachen zu wiederhallen; wen ekelt nicht eine Satire, deren Vergeblichkeit alle ihre Vorgänger zusichern? und wir fragen die Adelichen selbst, ob sie an der Satire über den Ahnenstolz in den grönländischen Prozessen nur wohl so viel Geschmak gefunden haben, wie an einem Vomitiv oder gar so viel wie an einer adeliches Blut reinigenden Arzenei? Wir zweifeln sehr; und doch, wenn auch ihr Lachen kein Aufstossen des Ekels verbittert hätte, blieb darum das Lachen der übrigen vom Nachgeschmak des Unwillens verschont? Unter die übrigen, welche den Ahnenstolz billigen und daher den Spot darüber für unbillig erklären, gehören so gar einige von uns; von denen auch daher der V. der obengedachten Satire sich einige Vorwürfe zugezogen. An ihrer Spize stehet so gar der grosse Swift, der in seinen unsterblichen Satiren den Ahnenstolz (den groben sowohl als den feinen) soviel wir wissen niemahls belacht, sondern alzeit lobt und billigt. Noch deutlicher äusserte er seine Gedanken hierüber in einem noch ungedrukten Aufsaze. »Einige Kautelen, die angehende Satiriker zu beobachten haben« betitelt. Dieser ernsthafte Aufsaz, der zwar wie alle seine ernsthaften Aufsäze, (wie schon der Graf Orrery bemerkt) tief unter seinen satirischen bleibt, scheint uns doch wegen manches guten Raths seine Unbekantheit (denn selbst der genaue Johnson gedenket desselben in der swiftischen Lebensbeschreibung mit keinem Wort) nicht zu verdienen. Daher wir nicht übel zu thun glauben, wenn wir den Anfang der gedachten Vertheidigung des Ahnenstolzes übersezzen und hier einrükken. In der Mitte der 37 Seite seines Manuskripts fähret er denn so fort: »So unbillig ein Spot über unehlige Geburt iedem Vernünftigen vorkommen mus; eben so unbillig, ia noch unbilliger mus einer über den Stolz auf adeliche Geburt ihm dünken, und es wird mir leicht sein, die Ungerechtigkeit des leztern wenigstens so gut zu erweisen, als ich eben vom erstern erwiesen. Der Stolz macht lächerlich, wenn er sich nicht auf Dinge, die Werth haben, gründet, sondern blos von luftiger Nahrung aufschwillet; gar nicht Lachen aber, sondern neidische Ehrfurcht vielmehr mus der Stolz erwekken, der aus dem Bewustsein schäzbarer Vorzüge erwächst. Hätte nun der Adel die erste Art des Stolzes, brüstete er sich auf den Besiz einer Feder oder eines Stüks Pergaments: so berechtigte er die Satire freilich zum Lachen, und ieder rechtschaffene Edelmann würde mit mir ihn der Geisel willig Preis gegeben sehen. Allein eines solchen dummen Stolzes habt ihr ia selbst, ihr lustigen Leute, weder den hohen noch den niedrigen Adel iemahls noch beschuldigt; sondern ihm vielmehr den edlern Stolz alzeit beigemessen, den Stolz nicht auf ein Wappen, sondern auf das, wovon es Zeichen ist, auf Verdienste der Vorfahren. Auch wird ihn ieder Edelman zu äussern sich nicht schämen: denn ist Tapferkeit keine Eigenschaft, worauf man stolz sein darf? Kan nicht also ieder Edelman, soviel es die Gränzen der Moral erlauben, sich selbst sehr hochschäzen, da ieder die Tapferkeit von wenigstens einigen seiner Ahnen durch heraldische Belege ausser Zweifel sezen kan? Warum habt ihr aber dennoch zeither lachen können? Ich wenigstens kan es hier, so sehr ich es sonst liebe, nicht; denn auch noch folgendes hält mich davon ab. Man kan die schäzbaren Dinge, oder mit einem Wort die Verdienste, auf die ein edler Stolz sich gründen läst, füglich in eigne und fremde, und also in solche eintheilen, die man hat, und in solche, die man nicht hat. Nur alter Adel besizt die leztern, nur die erstern trift man bei neuem an. Fals nun beide die Gegenstände ihres Stolzes gegen einander zu vertauschen nicht thöricht genug sind, so darf die Satire beide nicht anfeinden; den Stolz des neuen Adels auf eigne Verdienste zwar auch nicht, noch weit weniger den des alten auf fremde. Denn wessen Verdienste sind ungezweifelter, des Lord G-s seine, dessen Tapferkeit wir erst auf das Wort der Zeitungen glauben müssen, oder des Lord L-th seine, dessen Vorfahren sich durch ihren Werth das verdienten, was man nachher erst unter dem König Jakob I. für Geld sich kaufen konte? oder wessen Werth ist unvergänglicher, der des Herzog's F-b-d, dessen Statseinsichten troz ihrer Grösse der Raub einer einzigen Krankheit, einer äussern Verlezung und ieder Geringfügigkeit werden können, oder der des Grafen B-ld, dessen Ururahn seinen Scharfsin durch das bekante noch bis iezt unübertroffene und von den grösten Statsmännern noch bewunderte Statssystem der etc. verewigt hat? Ich denke immer des leztern Verdienste sind am gewissesten, und des leztern Werth am dauerhaftesten. Daß er aber diese fremden Verdienste nicht mit eignen vermehrt, ist vielleicht selbst sein einziges eignes Verdienst und zeugt von vieler Klugheit. Denn den Ruhm, welchen man geerbt, nicht vergrössern, sondern geniessen, heist wie ein Man handeln, der die Thorheiten des Geizes in geistlichen und leiblichen Gütern zu vermeiden weis, der die Erbschaft nicht wieder vererbt, und für zweite Erben aufspart, sondern selbst zu verbrauchen und unter seine Gläubiger zu vertheilen klug genug ist. Überdies verträgt ein altes Wappen nicht iede beliebige Einschaltung neuer Figuren; ein Pegasus z. B. würde einem redenden Wappen geradezu widersprechen, und ich hab' es aus dem Munde angesehener Edelleute, daß auf einen Stambaum sich keine Lorberzweige pfropfen lassen. Daher so wie ein Christ seiner Unfähigkeit zu eignen guten Werken durch Zueignung der guten Werke seines Erlösers abhilft, eben so kan ein Edelman die Verdienste seiner Vorfahren zu seinen eignen machen, wenn er sie sich zueignet, unfähig sie sich zu erwerben. Daraus folgt aber auch, daß der Satiriker den Ahnenstolz, welchen die Vernunft so dekt, nicht für unvernünftig und lächerlich erklären dürfe; sondern vielmehr an einem Adelichen das alte Blut, das in dessen Ahnen für grosse Thaten schlug, wenigstens eben so ehren müsse, als man in Madure an den Eseln die Selen ehret, die vorher in verstorbnen Edlen wohnten; kurz, daß adeliche Verdienste darum, weil sie angeboren sind, nicht weniger Achtung verdienen, als Ideen, Sünde, und Krankheiten, die alle gleichfalls angeboren sind.« So weit Swift; und so weit auch unser Beweis von der Vernünftigkeit des Adels, dessen Stolz nicht einmal, für eine Thorheit gelten kan. Ja auch diesen sogar haben einige schon fahren lassen; wir bemerken an verschiednen Edelleuten, welche die Akademie bezogen, um da einige Romane zu lesen, daß sie den Adelichen so lange nicht spielen, als sie einen Unadelichen zeugen und verschiedne Barons haben den Federhut vorher auf den Tisch gelegt. Ja auch im Umgange mit Manspersonen vergist der iezige Edelman sein Erbbegräbnis, und erst ein zweites von mus ihn an das seinige erinnern und ein andrer bescheidne Edelman seine Bescheidenheit verscheuchen, so wie die lateinischen Negazionen durch Verdoplung eine entgegengesezte Bedeutung annehmen, und ein Federbusch mus dem andern Φιλιππε ανθρωπος ει zuwinken. – Zwar wolten einige Edelleute dieser empfundnen Armuth an Thorheiten durch Reisen entfliehen und sich mit ausländischen bereichern; allein so viel sie auch damit französischen und englischen Satirikern mögen genüzet haben, so wenig nüzten sie doch damit den Deutschen. Denn das falsche Mittel machte sie ihren Endzwek ganz verfehlen; um Höflichkeit zu lernen, hätten sie nicht nach Frankreich, sondern nach Sina reisen müssen, und Grobheit lehren die Holländer weit besser als die Engländer. Um über Gemählde zu reden, hatten sie eben so wenig nöthig Italien als die Gemählde zu sehen, und um zu lügen, brauchten sie nur die sieben Wunderwerke der Welt in Augenschein genommen zu haben. Sollen daher ihre Reisen zu ihrer Bildung ausschlagen, so müssen sie künftig, soviel wir einsehen, sich der Unbequemlichkeit unterziehen, zu den Wilden selbst zu reisen, weil uns diese Völker doch nicht, wie die Franzosen, Missionaren schikken. Denn weit besser und viel wohlfeiler als von den Franzosen würde alsden ein blühender Graf nebst seinem Hofmeister, von den Grönländern über seinen Nachbar, und von den Kamtschadalen über Got spassen lernen. Ein Kannibale würde ihn die Unterthanen nicht, wie der Finanzpachter, nur aussaugen, sondern fressen lehren. Wie viele Gelegenheit zu huren würden ihm die Hottentoten anbieten, ohne dafür mehr zu fordern als etwas Rauchtobak; und für die Mittheilung der Franzosen würde er nur bunte Gläser zahlen dürfen und die Krankheit so wohlfeil kaufen, daß er sie heilen lassen könte: denn unter den Wilden kosten die Huren noch nicht soviel wie die Ärzte und der Gift nicht soviel wie der Gegengift. Wir bitten daher alle adeliche Eltern, denen Bildung ihrer Kinder nicht ganz gleichgültig ist, diesen Vorschlag näher zu beherzigen und, nach einer günstigen Beherzigung, auszuführen, um dadurch auf einmahl den Klagen über die Vergeblichkeit der Reisen ein Ende zu machen, so wie den unsrigen über den Mangel an Thorheiten.

Geschmükt mit grossen Schnallen, einem grossen Hute und grossen Stokke, mit einem kleinen Harbeutel, kleinen Rökgen und kleinen Westgen, nicht ohne Wohlgeruch und ohne Puder, die Geisel in der Tasche, das Schnupftuch oder halb ausser derselben, trit unser satirisches Kor dem schönen Geschlechte näher, macht mit seinen beschuhten Boksfüssen die gewöhnlichen Sprünge der Höflichkeit, und greift mit gebognem Rükken nach den schönen Händen, um die noch schönern Handschuhe zu küssen. Schönes Geschlecht! das uns hasset und doch auch nachahmet; das den Satyrn den angebohrnen Ungehorsam gegen zwei Gebote der andern Geseztafel nur halb vergibt, den Ungehorsam gegen das achte Gebot nämlich nicht vergiebt – womit haben wir eine so heftige Rache deines Pinsels verschuldet, daß er uns aus Satyren zu Teufeln umwandelt und seine ungerechten Zeichnungen noch in giftige Farben kleidet? Wir haben nur Boksfüsse; und du leihest uns Pferdefüsse. Wir tragen nur kleine und gerade Hörngen; aber du krönest uns mit so grossen und so krummen Hörnern, wie sie der Teufel vom Ochsen und dein Her vom Aktäon entlehnet. Wir haben gewis keinen sonderlichen Schwanz; aber du verlängerst unser Steisbein so sehr wie deine Schleppen. Zwar so weis, wie du dich, können wir uns nicht mahlen; aber du mahlst uns doch so schwarz wie den bösen Feind. Noch einmal also: wodurch haben wir diese Schilderung verdient? Durch unsern häufigen Spot vermuthlich? Aber wir haben doch über dich nicht mehr gespottet, als über die, die dich anbeten; und immer zehn Satiren über unser eignes Geschlecht gegen Eine über dich geschrieben. Oder durch unsern bittern vielleicht? Aber so zanke dich mit den Rezensenten, die uns dazu zwingen. Gleich den Offizieren, deren spanisches Rohr an dem Soldaten die Menschlichkeit bestraft, womit er die Spiesruthe über die Wunden seines Kameraden geschwungen, geben sie uns mit dem Dolche oder dem Degen der Kritik alle die Streiche wieder, die dir unsre galante Geisel schenken wollen; daß wir aber deinen schönen Rükken auf Kosten des unsrigen schonen sollen, kanst du wenigstens, so lange in der gelehrten Republik das salische Gesez noch gilt, nicht fordern. Pope's Bitterkeit entschuldige zwar nicht mit der Empfindung von Rükkenschmerzen, aber doch von Kopfschmerzen; Boileau's Bisse rechne dem Schnabel eines indianischen Hahnes anNach dem l'année litteraire wurde Boileau in seiner Kindheit von diesem Thiere an einem empfindlichen Orte verwundet; nach Helvezius läst sich aus dieser Verwundung seine Bitterkeit gegen Weiber u. s. w. erklären. und eh' du Voltairens Spot auf dich verdammest, so verdamme auch vorher seine Lobreden auf dich. Oder hassest du iede Satire überhaupt? Aber du liebst sie doch an dir so sehr! Denn lieben must du sie, weil du auf die Schmeicheleien der Männer immer mit Spot antwortest, deine Lippen eben so gern, wie deine Wangen mit Eßig schminkest; und als Göttin Europens mit deinem Gesicht, auf welches die Natur bunte Reize pflanzte, und mit deinem Munde, in welchen die Mode satirische Nesseln säete, den Göttinnen der Ägypter, den Zwiebeln nämlich zu gleichen kein Bedenken trägst, deren schöne Blumen auf einer scharfen Wurzel blühen und die zugleich beissen und gefallen. Dieser ungerechte Zorn aber ist es dennoch, der die Satire um deine bisherige Wohlthätigkeit brachte, der die Rache dir eingab, vernünftig zu werden, um unserm Lachen die Nahrung zu entziehen. Da, wie wir eben erwiesen, dein Zorn ungerecht ist; so mus es auch deine Rache sein. Wie hart du dich aber an uns gerächt, wollen wir iezt darthun. Wir können auf dein geneigtes Gehör um desto gewisser rechnen, da wir in unserm Erweis vor iedem satirischen Zuge uns hüten, und deine Thorheiten iezt nicht belachen, sondern nur die Verminderung derselben erweisen und ihre Vermehrung erbitten werden, kurz da wir unsre Satirn weniger den Teufeln als den Affen d. h. den Stuzern, welche ebenfalls deine Unfruchtbarkeit an Thorheiten täglich dir kniend vorwerfen, ähnlich machen werden. –


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