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Die Zeichnung der Karaktere in Schauspielen und Romanen spricht die jezigen Schriftsteller zu Meistern. Unerschöpflich sind sie in der Mannichfaltigkeit derselben. Sie mahlen nämlich nicht weniger als zwei Arten von Menschen, Heilige und Bösewichter, die, wie man weis, nur in den Köpfen der Dichter existiren. So sind im Damenbrete zweierlei Steine, schwarze und weisse. Die Menge der Heiligen macht Romane und Klöster zugleich berühmt, und jeder erstaunt über den Pinsel, der unsichtbaren Engeln ein Kleid von Luft anstreichen konte. Steigt aus dem Dintenfasse gar ein Seraph hervor, wie aus dem Mere eine Venus, so ist das Buch unsterblich. Denn je mehrere Stralen ein Meerstern hat, desto theurer ist er. Doch sizt unsern Mahlern auch der Teufel, und stat ihn gleich Luthern mit der Dinte von der Wand zu verscheuchen, zeichnen sie ihn hurtig damit ab und schmükken Nachttische mit seinem Schattenris. Und sie treffen ihn auch. Mit so schönen Hörnern, mit so schönem Schwanz, mit so schönen Pferdefüssen! – Überhaupt verleiht sein schwarzes Ansehen der ganzen Dichtung Leben und höllische Wärme, so schmükt oft das schwarze Bild eines Mohren das Fuhrwerk des Winters und erwärmet uns im Grimme des Frosts durch die Erinnerung an das heisse Äthiopien. Auch die Mahler aus der höllischen Schule schäzt man nach Verdienst: denn die schwarze Farbe ist die Leibfarbe der jezigen Mode, wie alte Bürger in alten Städten an Festtägen schwarz gehen. Unsere übrigen Pygmalione flikken ihre buntfärbigen Geschöpfe aus schönen Redensarten und rhetorischen Figuren der Almanache zusammen, gleich den Leuten, die aus verschiedenen Schmetterlingsflügeln Männergen zusammenpappen, oder den Mexikanern, die durch Zusammensezung verschiedenfarbiger Federn Gestalten erschaffen, die die Täuschung des Pinsels überbieten und die Wahrheit der Natur erreichen. – Jemehr ferner ein Musensohn die geschikte Grausamkeit eines Henkers in seiner Gewalt hat, desto mehr bemächtigt er sich unserer Thränendrüsen und unserer Bewunderung. Die heutigen Autoren dreschen durch die Schläge des Unglüks aus ihren Helden die vortreflichsten Gesinnungen heraus, und wissen der Vernunft durch Elend endlich den Sieg über die Leidenschaft zuzuschanzen; wie die Tartarn die Pferdemilch so lange schlagen, bis die groben Theile zu Boden sinken und die feinern, die Bestandtheile der Butter, oben bleiben. Andere predigen in Deklamazionen die Grösse ihres Helden, die sie darauf durch Unglük auf die Probe sezen, um sie in neuen Deklamazionen glänzen zu lassen; so schlägt man die aufgeblasene Schweinsblase mit den Händen und erweitert sie dadurch zu Annehmung mehrerer Luft. – Sogar stählerne Herzen können unsere Dichter durch fremde Leiden heis klopfen. Freilich verstehen nur sie die Kunst, den Bedienten wie den Herrn in sanfte Empfindsamkeit aufzulösen, alles in die Liverei der Traurigkeit zu kleiden, und den Einflus des Standsunterschieds auf die Gesinnungen zu vernichten. Das Schachspiel der Isländer hat so stat der Läufer Bischöffe. Nur unsere Dichter schneiden die Traurigkeit vollkommen nach dem Unglükke zu, und lassen bald um ein Würmgen den Degen, bald um einen Vater nur die Knopflöcher trauern. Ferner in alten Meisterstükken erinnert blos die Natur an das Genie des Dichters; aber unsre Dichter hüllen sich nie in eine Löwenhaut ein, ohne ihre grossen und daher hungrigen Gehörwerkzeuge um das Futter des Lobs betteln zu lassen. Unsere Dichter mahlen nie ihre Helden, sondern nur sich, blasen immer Leidenschaften zu Flammen an, die den Einflus ihrer Lunge voraussezen, und verrathen gleich gewissen Betrügern, die Menschheit des verkleideten Engels oder Teufels durch die menschliche Stimme. Wie vortreflich! Denn obgleich der Spiegel schlecht ist, der mehr sich oder seine Folie als die umgebenden Gegenstände sehn läst, obgleich das Klavier schlecht ist, dessen Tasten sich mehr als die Saiten hören lassen, obgleich der Taschenspieler schlecht ist, dessen langsame Hände die Täuschung seiner Kunst vernichten: so thut doch dieses der Ehre unserer Dichter keinen Eintrag; sie gleichen vielmehr den Spinnen, deren fruchtbarer Hintere ihren Weg durch zurükgelassene Fäden bezeichnet; sie machen die Zunge ihres Helden zur Lobrednerin ihrer Fruchtbarkeit. – Nichts ist unsern Scharfrichtern der Melpomene geläufiger als das Hinrichten und gleich der Feder der Ärzte, mordet die ihrige nach verschiedenen Methoden; als da sind, den Delinquenten an Seufzern sterben zu lassen, ihn durch Wehmuth auszumergeln, ihm durch einen Zufal das Lebenslicht auszublasen. Etliche läst man erfrieren; ein anderer mus sich mit dem natürlichen Tode begnügen. Die meisten läst man am hizigen Fieber erbleichen, weil es den Pazienten auch ausserdem noch zu Rasereien veranlast, nach welchen das vernünftige Publikum sehr begierig ist und die man daher mit Gedankenstrichen bordiert, durch die Presse verewigt. Freilich nur den Personen, deren Name das Buch betittelt, erlaubt man den edeln Selbstmord; freilich nur diesen darf man die Selengrösse andichten, die bei den vielfältigen Stichen der Grillen, wie der Hund bei den Stichen der Flöhe gegen ihre eigne Haut ihre eignen Zähne kehrt, oder die mit der Sense des Todes den gordischen Knoten poetischer Zuschwörung der Treue auflöset. Unsere heutigen Autoren, tiefsinnige Menschenkenner, lassen ihre Selbstmörder vortrefliche Oden vor der Spize des gezükten Dolchs singen, wie die singende Nachtigal ihre Brust gegen einen Dorn hinkehren sol und das Ende ihres Helden pranget mit den längsten und vortreflichsten Tiraden, wie der Schwanz des Paradiesvogels mit den schönsten und längsten Federn. Einige Selbstmörder tragen sich blos von Romanen, Liebesbriefen und Reliquien der vorigen Freuden ein Nest zusammen, in welchem sie wie der Phönix in seinem Neste von Spezereien und Weirauch, sanft und selig verscheiden. – Ich wüste zur Abhelfung der Einförmigkeit in den Hinrichtungen noch eine ungenuzte Todesart, die gewis allen Edlen Thränen genug abzapfen würde. Kupido schiest ganze Alphabete durch mit seinen Pfeilen; warum vergiftet man aber nicht wie die Indier diese Pfeile? Freilich geben die meisten ihren Geist an der Liebe auf; aber warum nur an der figürlichen, warum nicht an der unfigürlichen? Und sol immer nur Mangel an Liebesgenus, nie Überflus daran hinrichten? Doch der Aufnahme dieser rührenden Todesart schadet ihre Ähnlichkeit mit dem Namen eines verhaßten Volks. So nach müste man zur Wiederholung des Todes bei derselben Person greifen und nach dem Beispiel der Wiedergeburt einen Wiedertod erfinden.
Noch etwas über das Schauspiel und nachher eben so viel über den Roman! – Je mehr Personen in einem Stükke, desto vortreflicher dasselbe. Denn je mehr Pferde am Wagen, desto vornehmer der Herr darinnen. Die Kunst des Theaterdichters fröhnet nur dem Auge; und was läst wohl prächtiger als die Abwechselung, die Menge der Schauspieler in demselben Stükke? Wie denn überhaupt ein guter Theaterdichter alles Verdienst des Verstandes blos dem Schauspieler überläst, und dem Organisten gleicht, der nichts als die Melodie spielt, und den Sin dazu zu singen der Gemeinde frei stelt. – Über die Einheit des Plans sind unsere guten Köpfe längst hinweg; sie lassen in der Hofnung verdoppelter Stärke, ein Schauspiel zu dem andern stossen und gewinnen durch Verdoplung des Intresse die Täuschung der Leser und der Zuschauer. So schiessen ungewisse Schüzen mit doppelten Kugeln nach dem Ziele. – Die gröste Verwikkelung der Umstände wissen sie mit einem einzigen Streiche auszuwirren, und das Unglük ihrer Helden durch eilige Vernichtung desselben zur gewissern Erzeugung des Erstaunens zu benuzen. Eine Flintenkugel geht desto besser, je fester sie im Laufe stekt. Freilich übertragen sie dem Deus ex machina, wie die kleingläubigen Jünger ihrem Meister, das ganze Wunderwerk. – – Die Holländer vergötterten einmal Tulpen wie die Ägypter Zwiebeln; unsere Mode vergöttert Romane – die Romane, die den Schwanz der Liebe zu ihrem Maule fügen; die zu Thränen und zu noch etwas mehr reizen, gleich gewissen Giften, die zugleich vomiren und purgiren; deren Lesung das Mer der Wollust empört wie das Tabakrauchen den Speichel häufiger fliessen macht; die die Vernunft bekriegen, den Dunsen gefallen und Weibern zum Pflaster gegen die Wunden der Liebe dienen, gleich den Blättern der Tolbere, (Atropa Belladonna) die den Augen schaden, den Schafen behagen und die Geschwüre einer Weiberbrust heilen. Die besten Romane sind jezt diejenigen, worinnen die Fruchtbarkeit des Verfassers hundsartig jeden Winkel einer Materie beharnet, wo er wie ein Reife nur in krummen Linien läuft, wo er wie ein Hund beim Spaziergange seines Herrn bald rük- bald vorwärts springt, und wie mancher Hund mit seinem Schwanze, mit dem mühsam erreichten Ende des Buchs noch spielet, kurz wo jeder Theil nach der Trennung vom Ganzen, wie ein ausgerissenes Bein einer Spinne, noch fortlebt. Der Tarantelstich der Originalität hat nämlich alle Füsse der phlegmatischen Deutschen zu einem ewigen Tanze begeistert. Und das zum Vortheile des Parnasses, obgleich im gemeinem Leben das Springen der Esel schlechtes Wetter bedeutet, obgleich sonst eine Kugel auf der Kegelbahn, die mit Hüpfen zum Keile irret, nicht gut geschoben heist. Denn unsere scharfsinnigen Autoren verstekken hinter immerwährende Digreßionen ihre Unbekantschaft mit der Materie. So schüzt der schiefgeworfene Stein sich nur durch Hüpfen auf dem Wasser, gegen das Sinken. Überhaupt schmiegen sich luftlere Gefässe jedem Gegenstande an, und leichte Sachen fallen in verschiedenen Absäzen. Was noch mehr ist, nur der grosse Kopf eines heutigen Autors ist der Schuzengel seiner kühnen Füsse. Die Hörner der Gemse bewahren ihre fehlspringende Füsse vor dem Abgleiten in den Abgrund. Die schlafenden Augen des Nachtwandlers leiten ihn auf seinen gefährlichen Spaziergängen und sein Leben hängt an seiner Blindheit. Die Gewohnheit Digreßionen zu machen, gleicht der Gewohnheit gewisser Geizigen, die ihren Gast zu ihren Freunden um Bewirthung betteln schikken, und sich Dank mit fremden Wohlthaten erschleichen. – Die meisten jezigen Autoren schreiben aus Has gegen alle Weitläuftigkeit, stat der Romanen Universalhistorien der Geburten in ihrem Gehirne und die vorigen Biographen eines Harlekins sind zu Biographen ganzer Familien von Narren gereift. Nun erlebt der erste Band in kurzer Zeit Urenkel, und der Sohn wirbt dem Vater Leser, wie der Sohn eines Professors dem Kollegium des seinigen Ohren und Beutel – nun findet der Gast stat des blosen Rindfleisches, worauf er geladen wurde, den ganzen Ochsen theilweise aufgetischt – nun verkauft das Jus Patronatus die Pfarre nur mit der Zulage einer Witwe von fünf Kindern – nun schwängert eine einzige Begattung mit dem Apollo die Autoren wie eine einzige die Blatläuse mit mehrern Geschlechtern. Das heiss' ich Fruchtbarkeit! Das heiss' ich Lenden, die einen ganzen Haram von Musen befriedigen! – Einige Romanschreiber ködern die Neugierde der Leser durch lange Vorenthaltung der Hauptkaraktere an und verwahren den Helden der Geschichte als ein Samenthiergen in ihrem Dintenfasse, bis er endlich durch die Feder dem zweiten Alphabete – dem Schöpfer seines Embryonenstands – anvertrauet wird, und so durch das Honorarium almählig zum Manne aufwächst. Die stolzen Autoren gleichen nämlich den stolzen Kutschern, die das vorderste Pferd am weitesten von Wagen entfernt einspannen. – Einige Freunde der Rührung erregen mit vieler Klugheit die Unzufriedenheit des Lesers, durch eine widrige Endigung der Geschichte und jeder weis ihnen für den Unwillen Dank, den die geendigte Lektüre hinterläst, wenn der Held und die Heldin ihre Liebe viele Bände hindurch gegen das Schiksal vertheidigen und zulezt ohne den Lohn ihres Elends, ohne Vereinigung sterben. So versieht mein Schneider meinen Rok mit Knöpfen und Knopflöchern, deren nähere Vereinigung aber der modische Schnit desselben verhindert. – Die Schreibart der Romane ist bekant. Die eine gleicht ungesalzner Butter, so milde und so fade! Die andere ist das Gegentheil, und riecht nach Zwang und wizigem Schweis. Ein durchgeschwiztes Kleid ist im gemeinem Leben ungesund, allein nicht im litterarischen, welches das Widerspiel des gewöhnlichen ist, wie die Türkei nach Björnstähl's Bericht das umgekehrte Europa.