Jean Paul
Grönländische Prozesse
Jean Paul

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Zweites Bändgen

Vorrede

Es ist ein alter und in mancher Rüksicht löblicher Gebrauch der Autoren, dem Buche eine Vorrede vorauszuschikken, die man nach dem Titelblat zu lesen pflegt. Um diesem Gebrauche nachzuleben, hab' ich daher folgende Vorrede ausgearbeitet:

Junge Schriftsteller, merkt irgend ein alter an, stellen in ihren Vorreden bogenlange Selbstvertheidigungen auf. Dieser Bemerkung fehlet zur Algemeinheit noch der Zusatz: »und wenn sie die Stirne ihres Buchs mit diesem Galgen verschonen, so loben sie ihre Fehler wenigstens in einem langen Beschlusse, und verhängen den Hintern mit dem zierlichgeflochtenen Schwanze.« Da ich zur Bestätigung dieses Sazes schon im ersten Bändgen mehr als einen Bogen geschrieben, so werd' ich ihrer Fortsetzung im zweiten nur Einen widmen. Auch würde die Schürze mit der Länge einer Schleppe das Fortschreiten unterbrechen, und in die Vorrede, über welche der Leser noch mit dem ersten Hunger herfält, schikt sich keine so lange Abhandlung von Nichts als in den Schlus, woran der gespeiste Gast sich für etwas andres hungrig lesen wil.

Lange Ohren sind die Erbsünde, für welche kein Esel etwas kan, und welche auch der billigere Theolog keiner ewigen Höllenpein würdig achtet; aber wenn der Esel yanet, so begeht er eine wirkliche Sünde. Denn er hätte auch schweigen können; zum Wetterpropheten übrigens verlangt man nicht einmal den Saul, geschweige seine Eselin, sondern die Prophetenkinder selbst. Daß ich unter dem Esel einen Autor verstanden wissen wil, brauch' ich nicht zu sagen. Dieser bittet nun in der Vorrede, mit seiner Dumheit vorlieb zu nehmen, weil er dafür nichts könne; allein iedes gute Journal antwortet darauf mit Recht, dafür aber könne er etwas, daß seine Dumheit gedrukt worden. Allein diesem widersprech' ich nun in dem Verfolge meiner Rede; allein ich hoffe, den Leser für den Widerspruch meiner Ideen durch ihre Schönheit zu entschädigen und seine beleidigten Augen wieder durch die Vorsprache seines bestochenen Gaumens zu gewinnen. Denn er wird gewis nicht die Unhöflichkeit ienes Gasts nachahmen, der über eine sparsam erleuchtete Tafel hinrief: »Gebt mir ein Licht mehr und ein Gericht weniger!« – Dieser ansehnliche Gedankenstrich sol weder die Sizstange eines ausgeflogenen Gedankens sein, noch der Fühlfaden eines an sich unempfindsamen Perioden, noch der Staubfaden eines poetischen Blümgens, auch nicht eine Spiknadel, welche die Stelle des Speks zu vertreten pflegt, noch viel weniger der bout rimé eines Sinnes, dessen Ergänzung der Autor dem Leser ansint, am allerwenigsten das Seitengewehr oder der Stachel eines Epigrams, und endlich weder der Fetschwanz eines Perioden mit schlechter Wolle noch die geradgespante Schönheitslinie von Hogarth... Hätte nicht iezt der Leser mich gefragt, »nun was denn?« so wüste er schon folgendes Ende des vorigen Perioden: sondern blos ein Markstein sol er sein, der, gleich einem Absaze, unähnliche Materien von einander sondert, wie es im gegenwärtigen Beispiel das Geschwäz über Gedankenlosigkeit und das über Gedankenstriche ist. – Die erste Satire, zu welcher diese Vorrede dich begleiten wird, ist die schlechteste in diesem Buche. Dieses sag' ich deswegen, damit du nicht Messer und Gabel bey dem Gerichte weglegst, das seinen bessern Nachfolgern nur den Weg bahnen sollen. Der Rath, den man in den alten Rednerschulen den Rednern gab, die Rede mit einer schwachen Stimme anzufangen und mit einer verstärkten fortzusezen, verdient noch iezt Befolgung. Bei mir und bei dem Seidenwurm, dessen Kopf anfänglich nur Floretseide zu spinnen vermag, scheint die Natur ienen Rath in einen Befehl verwandelt zu haben. Ist der »Erweis von der iezigen Seltenheit der Thorheiten« keinen Dreier werth, so thue ich wohl, wenn ich eine Satire über die Kunstrichter edire, und darauf mich an meiner satirischen Peitsche aufknüpfe oder im Flus Lethe ersäufe, um in einer bessern Welt, mit Abraham, Isaak und Jakob gratis zu essen. – Fast blos schriftstellerische Schellen werden im gegenwärtigen Bändgen auf die Kapelle gebracht; und ich ärgere mich, daß es nicht auch im vorigen geschehen. Unser einer, der von allen Gemächern Bedlams keine besser kent als die Studierstuben, weil er darinnen gebohren und erzogen worden, solte erst an vergoldeten Bücherrükken, die ihm ieder Bibliothekar gern zeigen wird, seine Geisel üben, eh' er sie über die mit holländischem Tuche bekleidete Menschenrükken zu schwingen wagte. Denn belacht er Narren, die er nicht kent, so ähnlicht er den Hexen, welche den Gegenstand ihres Zorns verwunden wollen, indem sie nur sein Bild aus Wachs verwunden; oder der Obrigkeit, welche stat des Diebes sein Bild aufhängt. Ich rezensire mich hier, aber ich lobe mich nicht, und was iezt so arg stinkt, ist nicht Eigenlob, sondern Eigentadel. Ferner: die satirische Geisel scheint (in Deutschland nämlich) mit dem Staubbesen das gemein zu haben, daß sie die Rükken der Nichtgelehrten umsonst schlägt. Hieraus würde nun gegen die Nothwendigkeit der Satire wenig zu folgern sein. Denn nach der Meinung der Theologen, die schon längst im Himmel sind, dauern die Höllenstrafen, ungeachtet sie die Verdamten nicht bessern, dennoch ewig fort; allein eine Satire, welche bekehrt, ist mir alzeit lieber. Dieses Lob gebührt nun den Satiren über die Fehler der Autoren; vielleicht darum, weil keine bitterer sind, und weil sie vor andern Satiren das Glück haben, eben von denen, für die sie geschrieben worden, gelesen zu werden. Keine Dame wird eine Nessel brechen, um daran zu riechen; aber wohl der Botaniker, um sie zu skeletiren. – Der englische Juvenal, Pope, reitet einen satirischen Pegasus, welcher sowohl beiset als fliegt, und er ähnlicht dem Kasuar, dessen Flügel mit Stacheln bewafnet sind. Eine starke Einbildungskraft spornet immer so sein Lachen an, daß er ihm nie den Zügel zu halten vermag; daher in seiner vortreflichen Dunziade ihm die Ironie unmöglich gelingen können. Der englische Luzian, Swift, dessen satirische Dornen unter Weihrauch duftenden Rosen lauern, übertraf Popen in der Ironie zu sehr, um ihn in der Stärke des Ausdruks zu erreichen, und wenn die Ironie seines Busenfreunds in vorbrennende Schüsse ausartet, so scheint er hingegen die Sicherheitsflinte des H. Regnier zu führen. Überzeugt, daß der Zufal sie ihm nicht losschiessen könne, geht er mit derselben den Winkelzügen des Schwarzwildprets so lange nach, bis sie die Hofnung zu treffen, losdrükt. Nur mus er freilich zu einem einzigen satirischen Hieb oft in ganzen Seiten aushohlen. Die Satiren dieser beiden Genies würde nur die übertreffen, welche ihre ausschliessenden Vorzüge in einem gewissen Grade zu vereinigen übernähme. Die Vereinigung ist nicht unmöglich; allein zu ihrer Wirklichkeit müsten vorher viele erbärmliche Versuche den Weg gebahnet haben. Für einen solchen erbärmlichen Versuch bitt' ich nun den Aufsaz über die Seltenheit der Thorheiten anzusehen; übrigens hat einer, welcher Popen und Swiften elend nachahmet, nicht nöthig, um Verzeihung zu bitten, daß er beide noch elender vereinigt. – Die Künstler verkaufen den wohlriechenden Staub, den das Holz unter der Bearbeitung abgeworfen, zum Räuchern. Gerade so mögen die Epigrammen, welche diesen Band beschliessen, als Abfälle von den vorhergehenden Satiren, als Staub, der aber freilich nach Weihrauch nicht riecht, oder wenn ihr wolt als Feilstaub, den die kritische Feile den satirischen Waffen zum Besten ihrer Schärfe abgenommen, mit unterlaufen. Ich weis nicht, ob ihre Klingen spizig sind; klingend sind sie wenigstens nicht d. h. sie sind prosaisch. Warum es freilich iezt noch Mode ist, das Singedicht mit Füssen und mit Reimen zu belästigen, mag Apollo wissen. Die Kürze, zu welcher man ihm dadurch zu verhelfen glaubt, wird nicht selten eben dem Reime und dem Metrum aufgeopfert: denn nur an Wernike's Versen sind wie am Merigel die Füsse zugleich Stacheln; und wenn ihr denn auch endlich durch eine lange Allee von vielen Versen den Witz des lezten eingehohlet, so habt ihr doch nichts als ein Epigram, welches gleich den Ochsenhörnern, zwar am Ende spizig, aber auch bis dahin hohl ist. Ja nicht selten verschwindet noch dazu die Spize der Allee, wenn ihr an das Ende derselben gekommen. Vielleicht ist ein prosaisches Epigram auch darum besser, als ein versifizirtes, weil ich nur das erstere machen kan. Man hat den Fuchs so oft getadelt, daß er die Trauben, welche er entbehren mus, sauer schilt; ich dächte, man lobte ihn doch einmahl dafür, daß er die Trauben, die er ersprungen, für süs ausgiebt. – Die Ähnlichkeit meines Buchs mit einer Polyglottenbibel, d. h. die Ungleichheit der Schreibart hab' ich schon einmahl entschuldigt; aber wird die Wiederhohlung des Fehlers nicht die Wiederhohlung der Entschuldigung nöthig machen? Müste man also nicht denen, die wie Moses verbieten, das Feld mit mancherlei Samen zu besäen, noch einmal sagen, daß nicht blos der Ekel nöthige, im Genus der Schönheiten und also in der Nachahmung derselben den Unbeständigen zu machen, sondern daß auch die Unähnlichkeit der Lagen die Unähnlichkeit der Schreibart diktire? Die Philosophie kan wohl eine allgemeine Sprache erfinden; auch bietet Herr C. G. Berger ihr hiezu die Hand, wenigstens die drei Schreibfinger; allein dem Montaigne und auch manchem schlechten Kopf ist es unmöglich, immer dieselbe Sprache zu reden und dem Felle der Gedanken dieienige Beständigkeit in der Farbe abzugewinnen, welche nach den neuern Versuchen, das Fel des Chamäleons beobachtet. – Der Fetflekken giebt es in diesem Theile weniger als im vorigen, wo Gleichnisse die Prozesse anfiengen und endigten, und die Hutschnalle und die Schuhschnalle schimmerte; allein selbst diese Vorrede, der als dem Hute des Buchs die Tressen doch so wenig stehen, daß iezt blos der Bediente, aber nicht der Her Gold auf dem Kopfe trägt, hat der Tressen so viele, daß sich vermuthen lässet, das Kleid werde deren wenigstens eben so viele haben. Ob sich übrigens die Wäsche leichter von einem Fetflek oder von einem Stokflek reinigen lässet, werden die Wäscherinnen am besten wissen. Nur ich lasse mir es nicht ausreden, daß die Kräfte der Sele wohlfeiler beschnitten als gedüngt werden, und daß zwei silberne Sporen theurer sind, als ein lederner Zaum. »Alsdan sind aber deine Satiren nichts als Samlungen von Epigrammen!« Meinetwegen! Findet ihr an demienigen Gliede meines geistigen Kindes, welches wie Kaiser und Könige unter einem fremden Namen reiset, allein demungeachtet wie sie mit seinem eignen iedem bekant ist, zu viele Verschönerung; so bin ich zufrieden, wenn ihr alle seine Glieder tadelt, aber doch den Hintern lobet. Ist ia auch eine gewisse Statue unter dem Namen der Venus mit dem schönen Hintern berühmt! Den Griechen Peron verewigten blosse Salben und am Demetrius Phalereus lobte man stat schöner Augen die schönen Augenlieder; daher er den Beinamen χαριτοβλοφαρος bekommen. Beiläufig! Dieser Demetrius könte mit seinen Augenliedern auch denen zu Passe kommen, die uns stat der tiefsinnigen Gedanken eine schönere Einkleidung der abgenuzten liefern. Dies alles ist wiederum Selbstrezension, aber wiederum kein Selbstlob; und ich mag niemanden weniger ähnlichen, als den Stuzern, die ihren dürftigen Lenden herkulische Verschwendung schuldgeben. Vielmehr verräth Überflus an Zierrathen Armuth an Wiz; und nur ein Wirth, bey welchem selten vornehme Leute einkehren, nimt Betler und Spizbuben auf, und bestiehlt in Ermanglung reicher Diebe, arme Diebe. Mr. le Camus Bischof von Bellay sagte einmal, eh' er seine Rede anfieng: Messieurs, on recommande à vos charités une jeune Demoiselle, qui n'a pas assés de bien pour faire voeu de pauvreté. D. h. ins Deutsche übersezt also: lieben Herren, habt Mitleid mit einem Autor, der zum Gelübde der geistigen Armuth zu arm befunden worden, und zu wenig Wiz hat, um ihn nicht zu verschwenden.

Bis auf die Mode, nichts kluges zu sagen, blieb meine Vorrede den übrigen treu; allein iezt verlast sie ihre Vorgänger und schimpft nicht ein einzigesmal auf die Rezensenten. Denn ich sehe auch wenig Billigkeit in dem Verfahren, auf den gutgemeinten Tadel der Kunstrichter mit Schmähungen zu pränumeriren. Ich, meines Orts, dank ihnen vielmehr im voraus für das Razenpulver, das sie mir streuen werden, und verspreche, dasselbe ihrer Absicht gemäs, als Zahnpulver zu verbrauchen. Denn man mus nämlich nicht denken, daß sie mit dem kritischen Dolche, den sie z. B. auf mich zükken werden, mich töden wollen; vielmehr wollen sie mich damit bessern. Nur daß sie einen Dolch zum Zahnstocher nehmen. Der leztere übrigens hat noch niemand getödet; wenn ich den Agathokles ausnehme, dessen Zahnstocher aber sein Vetter überdies vergiftet hatte. Spühret man den Absichten der Rezensenten etwas genauer nach, so findet man, daß sie den Autor fast alzeit darum nur verwunden, um ihn anzuspornen. Ihnen fluch' ich also nicht; und ihren Got, den Momus, bet' ich gar an. Mein Gebet zu diesem Got hab' ich von gewissen Tatarn in Siberien entlehnet, die es als das einzige an den ihrigen abschikken. »Schlag mich nicht tod!« bet' ich nämlich.


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