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daß man den Körper nicht blos für den Vater der Kinder, sondern auch der Bücher anzusehen habe, und daß vorzüglich die grösten Geistesgaben die rechte Hand zur glandula pinealis gewählet
Ein Beitrag zur Physiologie
Obwohl der paradoxe Titel dieser Abhandlung sich dem Leser durch ein Versprechen empfiehlt, dessen Grösse mich der Erfüllung desselben überheben könnte, und obgleich der ausgehangene Schild mit zu viel Zierrathen prangt, um nicht das säuerste Bier zu entschuldigen: so wil ich doch das schriftstellerische Recht, zu lügen, erst auf ein andersmal und vielleicht in der nächsten Ankündigung meiner Werke nüzen und iezt das Publikum durch meine Wahrhaftigkeit eben so sehr als durch mein Versprechen in Erstaunen sezen. Um aber doch der Mode nicht ganz ungetreu zu werden, wil ich nur einiges vorausschikken, was nicht zur Sache gehört. Dieser Beitrag zur Physiologie mag sich mit einer Abhandlung über die Büchertitel anfangen!
Die iezigen schriftstellerischen Produkte sind, wie bekant, die Geschöpfe und darum auch die Schöpfer guter Regeln, und ieder neue Roman ist ein andrer »Versuch über den Roman. Leipzig und Liegniz, bei David Siegerts Witwe 1774.« Was wunder, wenn man daher auch meine Regeln von dem Titelmachen auf den meisten Titelblättern realisirt finden wird! – Ein ächter Skribent mus über den Titel, zu welchem sich nachher allemal ein Buch findet, die ersten und meisten Federn zerkäuen: und das Versprechen mus früher aus dem Kiel fliessen, als die Verlezung desselben. Der Titel ist der Kopf des Buchs; das Kind deiner Feder mus daher mit dem Kopfe zuerst in die Welt sinken, wie das Gipfelgen des künftigen Baums am ersten durch die Erde keimt. Der Titel ist die Krone des Buchs; allein in Nürnberg ist die Krone schon vorhanden, wenn die Reichsfürsten noch in der Wahl des Haupts wanken, auf dem sie schimmern sol. Der Titel ist die Frisur des Buches; allein die Madam reicht dem Kamme ihren Kopf früher dar als ihren Rumpf den Händen des Puzes, und die Verschönerung steigt allmählich von der Nachthaube zum Nachtkleide herunter, wie die morgendlichen Sonnenstrahlen vom kahlen Scheitel des Berges zum schattigten Fusse desselben. Dieses Recht des Titels, am ersten Tage der Schöpfung des Buchs geschaffen zu werden, fliest aus dem andern Rechte desselben, durch Schmuck weit über die übrigen Theile der Schrift erhoben zu werden – darum vergleiche ich ihn mit dem Kopfe eines Kindes: denn am Kinde ist der Kopf verhältnismässig grösser als die übrigen Glieder, als am Jünglinge – und ferner mit einer Krone: denn ihr Werth und ihre Edelgesteine überstrahlen weit alle übrigen Insignien der höchsten Würde und selbst den Szepter – und endlich mit einer Frisur: denn unter der aufgeschwollensten Vergette wohnt das kleinste Gehirn, nämlich das eines Stuzers. Und dieses zweite Recht quilt wiederum aus verschiedenen Ursachen. Für einen wizigen Titel schenkt die Lesewelt das Privilegium, ihn mit einem unwizigen Buche zu begleiten. Wenn der Wiz sein Blendlaterngen nur auf der ersten Seite leuchten läst! dan mag er es immer auslöschen! Wenn ein Buch nur dem Insekt (der Laternenträger) gleicht, an dem zu Nachts blos der Kopf einigen Schimmer wirft! Je weniger Kopf daher ein Autor auf sich fühlt, desto mehr mus er den seines Kindes vergrössern; und einen guten Titel zum Herolde eines schlechten Buchs machen; so läst sich nach einigen alten Naturkündigern, aus der Grösse der obern Glieder des Körpers die Grösse der unehrbarn weissagen. Der Titel ist also der Lorberkranz, unter dessen Schatten sich das kahle Haupt verborgen hält. Ferner, mancher Achilles im Lesen, bleibt meistens bey dem Titelblatte stehen, stat daß ein Rezensent bis zur Vorrede geht – gleich einem gewissen indischen Fuchs (Izquepolt) der blos die Köpfe der Insekten frist. Was wunder, wenn daher ein Autor alle seine Talente zur Ausschmükkung des Blattes vereinigt, in dessen enge Grenzen die Seltenheit kauflustiger sein Vermögen, durch Aufklärung und Erwärmung der Welt seine Menschenliebe zu befriedigen, eingezäunet – und wenn er das Buch nur als ein Anhängsel zum Titel schreibt. An dieser Menschenliebe nimt auch der Verleger Theil: denn er stikt die Thüre seines Buchladens mit schönen Bücherköpfen, so verziert der Landedelman in England seine Stalthüre mit den angenagelten Schnauzen der erlegten Füchse. Und endlich sind auch die Rezensenten an der Menge affektirter Titel Schuld. Denn ehe sie durch scharfe Kritik das Buch genauer anatomiren, übt vorher ihr Wiz seine Stumpfheit an dem Titel, gleich dem Mezger, der mit dem stumpfen Ende seines Beils die Stirne des Ochsen zerschmettert und mit dem scharfen Ende das tode Thier zerhakt. Nun trift Wiz auf Wiz, und ein Wetterstrahl erstikt die Wirkung des andern. Da endlich der Autor das Leben seines welken und wurzellosen Namens durch Einimpfung den Journalen anvertrauen mus, die leider! gleich den Addreskalendern, nichts als Titel aufnehmen oder figürlich, die die toden Bücher blos skalpirend. h. so wie der Wilde von seinem toden Feinde blos die Haut der Stirne abzieht, also der Rezensent u. s. w. Die Fehler des Buchs werden in der folgenden Zeile mit den Vorhäuten der Philister verglichen etc. Diese Note hätte ich mir durch Weitschweifigkeit, die mich dem schlechtern Leser verständlich und dem bessern ekelhaft gemacht hätte, ersparen können. und selten andre Seiten als die erste zu Zeugen ihres Siegs aufführen, wie etwan David die Vorhäute der erlegten Philister: so ists natürlich, daß der Schriftsteller alle seine Einfälle auf einen Haufen, auf das Titelblatt zusammentreibt, um die Nachwelt durch die Vortreflichkeit des ewigen Theils über den Verlust des zeitlichen untröstlich zu machen, daß er den Alexander nachahmet, der auf seinem indischen Feldzuge durch Vergrabung grosser Helme bey der Nachwelt den Ruhm eines Generals von Riesen zu erschleichen dachte. – Einige zieren ihr Buch mit einer päbstlichen Krone d. h. mit einem dreifachen Titelblatte, weil sie zu uneigennüzig sind, demselben ein sechsfaches zu geben. Den ganzen Prunk vollendet noch das Motto, welches, wiewohl als geborgtes Gut, den Kopfputz des Kindes, wie Hare von Pferden und Missethätern den Kopfputz der Damen vergrössert; rothe Buchstaben mögen für Schminke, und eine Vignette für ein Schönpflästergen gelten. Übrigens könnte (nebenher anzumerken und die lange Ausschweifung mit einer neuen zu beschliessen) der Verleger seinen Namen auf dem Titelblatte schon über den des Autors hinwegrükken: denn der Autor ist ohnehin nur ein Konsonans, den man ohne seinen Verleger nicht aussprechen kan, und wir dürfen nicht den Juden gleichen, in deren Büchern die meisten Vokale den Konsonanten wie Staub an den Füssen kleben! – Ich hoffe nun den Leser zu meiner physiologischen Entdekkung durch dieses Präludium vorbereitet zu haben, das ich gleich andern geschickten Organisten und Autoren, durch einen Umweg von etlichen Akkorden leicht von seinem Moltone zum Durtone des Liedes hätte zurückbringen können.
Ein Autor braucht keine Sele; denn sein Körper ist seine Sele – so wie auf einem Kunstwerke des Parrhasius kein Gemählde hinter dem Vorhange verborgen stekte; denn der Vorhang war das Gemählde selbst. Sein Körper schenkt gewissen scheinbar-geistigen Handlungen nicht blos den Namen,Begreifen, einsehen etc. lauter Namen, die der Körper den geistigen Thätigkeiten leiht. Solche bildliche Benennungen gleichen den hebräischen Buchstaben, welche zugleich Gemälde und Name einer Sache sind. sondern auch den Ursprung; und nichts ist thörichter, als einen solchen deum ex machina wie die Sele ist zur Verfertigung einer solchen körperlichen Sache wie ein Buch ist herabzuzaubern. Die Anatomie (dies wird alles aus dem folgenden erhellen) ist der wichtigste Zweig der Experimentalselenlehre und ein junger Rezensent wird wohl thun, das Kollegium über die Ästhetik mit einem Kollegium über die Eingeweide zu verbinden. Die verschiedenen Glieder sind nichts als verschiedene Selenkräfte; und jedes Glied steht unter der Herschaft einer besondern Muse, so wie sonst jedes Glied von einem gewissen Stern beherscht wurde oder wie iedes nach dem Galen, seine eigne Sele besizt. Ich fürchte übrigens nicht durch den Beweis, daß Körper die meisten geistigen Kinder ediren, den Schimpfnamen eines Materialisten zu verschulden: denn behaupten, daß man ohne Kopf Holz spalten könne, heist darum nicht behaupten, daß man mit den Händen denken könne, und wenn ich den Materialisten das Nichtsein ihrer Sele zugestehe, so mus ich darum nicht ihren Gegnern das Dasein der ihrigen absprechen.
Montaigne widmete einen seiner Versuche dem Daumen; auf dieses berühmte Beispiel wage ich es, nicht nur dem Lobe des Daumens, sondern auch der Hand den grösten Plaz in dieser Untersuchung anzuweisen. Jeden Wahrheitsfreund mus es schmerzen, die götlichen Hände der Schriftsteller zu blossen Nachtretern ihrer Köpfe herabgewürdigt zu sehen. Man vergleiche die Verdienste ihrer Hände mit denen ihrer Köpfe, und enthalte sich dan des Unwillens über eine so alte Ungerechtigkeit! Das Buch verdankt der Hand seines Vaters den dikken Inhalt, und dem Kopfe desselben nichts als sein Bildnis von N. gestochen, das Buch verdankt der Hand Worte und Orthographie, deren Neuheit den Leser bezaubert, und dem Kopfe Gedanken, deren Alter ihm Ekel erregt; ohne Hand kan der Dichter so wenig als der Mahler mahlen; ohne Hand kan der Autor das Buch so wenig schreiben als der Sezer sezen, aber ohne Kopf es zu thun, hat der erste dem andern abgelernetWem fält hier nicht die Hand ein, die am Rande alter Bücher stehet und dem Leser die Schönheiten derselben, wie ganze Ärme den Furleuten den Weg, zeigen soll. und beide brauchen ihn nun zu nichts als zum Genus der Früchte ihrer Hände. Ja noch mehr, seitdem der Kopf den neuern Schriftstellern seine Schäze entzog, that die Hand sich zur Freigebigkeit auf, und sie haben es nur der Güte der leztern zu danken, daß ihnen die Feindschaft des erstern weniger empfindlicher fält; sie können nun zwar weniger denken, aber dafür mehr schreiben, für die Sele ihrer geistigen Kinder ist zwar ein Sedezformat zu weit, aber für den Körper derselben auch ein Oktavband zu eng, und stat des Nervengeistes verschwenden sie Dinte. Sie gleichen zwar dem Bären in der Schwäche des Haupts, die Plinius ihm zuschreibt, allein auch in der Stärke der vordern Tazen – eben so stekt in den Scheren des Krebses das Fleisch, das seinem Kopfe mangelt. Und da der Raubvogel weniger mit dem Schnabel als den Klauen die Beute zerfleischt: so ist klar, warum mancher Satiriker besser mit seiner Hand schreibt als mit seinem Munde spricht und die Lesewelt besser als seine Freunde unterhält. – Nichts ist daher undankbarer, als den Händen den Kopf, und der Lea, für deren Gesicht ihr Bauch Lobredner gebiert, die Rahel vorzuziehen, die ihre Schönheit nicht durch Fruchtbarkeit bestätigt; und nichts ist mir unerträglicher, als wenn Journale stat der langen Finger die langen Ohren loben,Lange Finger haben heist – ich weis nicht ob überal – stehlen. Ein räuberischer Autor arbeitet mit den Händen, ein dummer mit dem Kopfe. und den Händen den Weihrauch stehlen, um ihn dem Kopfe zu schenken. Eben so müssen oft die Hände des klugen Schreibers den Kopf des dummen Amtmans spielen und das machen, was sie blos mundiren solten – und doch lobt man nicht den Schreiber, sondern den Prinzipal für den wohlgerathenen Aufsaz. So dampft um den frisirten Kopf des Generals der Ruhm, den blos die kriegerischen Fäuste seines Heres erkämpft und verdient haben, und tausend Muskeln verliehren den Lohn ihres Sieges durch das einzige Gehirn, ohne welches sie siegten. Ich schränke hiemit die Verdienste der Hand nicht auf den Schriftsteller ein. Ich verehre alle die Vorzüge, die man an der orthodoxen Hand durch einen Ring belohnt, der einen Finger mit dem Denken kopulirt, und durch ein D, mit welchem die andern ihren Namen krönen dürfen; alle die Vorzüge, welche einem Arzte die Definizion, »daß er ein Wesen sei, in dessen Fingern die Fähigkeit lieget, an den Puls zu greifen und ein Uringlas zu halten« billig zuschreibt; alle die Vorzüge, welche die Hand eines Gasners seinem christlichgläubigen Gehirn verdankte, und durch deren Hülfe seine Finger den Glauben mit Wundern düngten; alle die Vorzüge, die wir auf schönen Händen küssen; alle die Vorzüge, die die Finger eines Königs, dessen Krone auf keinem Kopf ruhet, um seinen Szepter biegen. – Aber an einem Autor schäze ich die Hand am meisten; und an der Hand den Daumen. Mit Recht entziffert Lavater aus der Inskription des Daumens den Werth seines Besizers und ein noch ungedrukter Traktat von mir erhebt ihn zum Mikrokosmus in nuce. Daher belegte man nach einem alten Schriftsteller den Daumen darum mit dem Namen pollex, weil er von pollere abstamt; daher nanten ihn die Griechen αντιχειρ d. h. die Vice-Hand. Wenn das Denken einen Gleis auf der Stirne fährt; so hinterläst das Schreiben eben dasselbe Zeichen der Geistesanstrengung auf den Daumen, und Bayle erzählt von Sebastian Maccius, einem Poeten des siebzehnten Jahrhunderts, daß sein Kiel, den er nie ruhen lies, tiefe Furchen in seinen Daumen und seine Schreibefinger gezogen. Eine Rezensent trägt auf dem Daumen sein vornehmstes Gewehr – ich meine den Nagel, mit welchem er die räudigen Schafe des kritisirten Buchs für die Schlachtbank bezeichnet.
Converso pollice – quemlibet occidùntIuv. Sat. III. v. 36 – Auch passet hieher, wiewol ebenfalls nur im figürlichen Sinne, was Statius irgendwo vom Tode dichtet, daß er lange und schwarze Nägel habe. |