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Gründe für die Wichtigkeit der Regeln
1. Die Leute, welche figürlich auf dem Pegasus reiten, scheinen iezt dieienigen nachzuahmen, welche unfigürlich auf prosaischen Pferden reiten; beide tragen lange Sporen. Liebhaber der Allegorie würden noch hinzufügen; beide bringen die langen Sporen seltner auf die Pferde als in die Kollegien, und beiden fehlet zum geschwindesten Gallop nichts als ein Pferd.
2. Diese Mode kan man diesen Genies in so fern nicht verübeln, als sie den Genus von der angebohrnen Freiheit der Sprachwerkzeuge durch das Gleichnis rechtfertigen können, daß der despotische Zaum nur für das Maul der Pferde, aber nie der Esel schiklich sei. O Homer, o Homer, rufen sie hier aus, warum fandest du doch in England keinen Esel zum Übersezer! sondern höchstens einen Maulesel, so wie in Frankreich gar nur eine Stutte! Nach diesem Gleichnisse hätten die Deutschen freilich Recht, ihren Pegasus mit einem geflügelten Rükken und einem Eselskopfe zu mahlen.
3. Allein bei einem geringen Nachdenken wird ieder auf das Gleichnis fallen, daß die Reinlichkeit den vogelfreien Bewohnern des Mikrokosmus allenfalls zwar den Kopf, aber nicht die übrigen Glieder zum Wohnplaz einräume d. h. das Genie kan zwar auf einige Nachsicht gegen seine Fehler rechnen, allein an seinen Nachahmern, deren Haupt es ist, duldet man keine Läuse.
4. Daß die Affen sich den Menschen bis zur Annahme der Blattern, aber nicht der Sprache genähert, ist weit weniger bekant, als daß die Herren X dem Hern a ausser den Apostrophen, wenig Dichtergeschiklichkeiten abgeborgt, und daß die Schriften der Herren Y wohl das pokkengrubichte Gesicht, aber nicht die starke Zunge der Schriften des Hern b sich angeschaft.
5. Ohne mich mit fernern Ausnahmen von der Regel herumzubalgen, sez' ich fest: Genie und Kritik müssen Hand in Hand schreiben. Denn der Vogel fliegt sowohl mit Schwungfedern als mit Regierfedern und sein Schwanz lenkt seine Flügel.
6. Denn die Schiffe nüzen die Segel erst durch das Steuerruder – hievon machen selbst die Schiffe keine Ausnahme, auf denen, sobald sie flot sein werden, künftige Alexanders ihre Landmacht und ihre vier und zwanzig Pfünder zur Einnahme des silbernen Monds abschikken werden.
7. Ich kan meinen Gegnern die Freiheit, schimmernde Politur zur einzigen Wirkung der Regeln zu machen, ohne die Besorgnis gestatten, mein Wiz möchte dadurch in einen kleinern Kreis von Ähnlichkeiten eingezäunet werden. Denn der Polirung litterarischer Produkte hält nichts eine schönere Lobrede, als der Offizier, der seine Kinder wund prügelt, weil der Hahn an der Flinte und zwei Knöpfe am Rokke nicht blank waren. –
8. Oder als meine alte Base, die den hökkerichten Brei, eh' sie ihn aufträgt, mit dem Löffel glättet. –
9. Endlich als der Holländer, welcher den Stahl mit einer Eleganz und einer gleissenden Reinlichkeit austapeziert, um derentwillen das Rindvieh seine Wohnung mit dem reinlichen Besizer theilen mus und mit den reinlichen Eseln theilen könte.
10. Den Neuern, die zur Nachahmung unsrer Damen herabgesunken, ihre Bücher tragen und gebären, aber nicht säugen – sie mit ihrem Blute, aber nicht mit ihrer Milch nähren; (und deren Brüste die Wohlthätigkeit des Bauchs nicht fortsezen – könt' ich der Schärfe des Beweises wegen noch hinzufügen.)
11. Die das Lob mit stinkenden Fehlern anködern und gleich den Seiltänzern, nicht durch zierliche Pas um den Beifal des Kenners, sondern durch gefährliche Sprünge um das Erstaunen der Menge buhlen;
12. Die so wie die Bedienten den berauschten Kameraden bei der Herschaft für krank ausgeben, umgekehrt ihre kranke Phantasie für berauscht ausgeben und Armuth in Verschwendung verlarven;
13. Die sich die Schöpfung schöner Engel ohne die Schöpfung häslicher Teufel nicht denken können.
14. Und die auch bei der Sele die götlichen Kinder und den Urin aus demselben Kanal abzapfen wollen;
15. Diesen Neuern könte ich auf den Einwurf, daß die Kälte der Kritik zwar das Unkraut, aber auch zugleich die Blumen hinrichte, mit dem Beispiele Popen's antworten, dessen Feile immer auf die Stelle ausgerotteter Fehler Schönheiten pflanzte.
16. Allein meine Liebe zur Wahrheit untersaget mir diese so wenig gründliche Antwort und leitet mich dafür auf die seltnen Bemerkungen, daß sich den Regeln die Ähnlichkeit mit einem Kamme nicht absprechen lasse, der die Hare so wohl von altem Unrath säubert, als in neue Reize kräuselt. –
17. Und selbst auch nicht die Ähnlichkeit mit einem gewissen Streusand, der nicht nur die schmuzige Dinte in sich saugt, sondern auch manigfaltigen Schimmer über das Papier aussäet.
18. Ich wil des theologischen Spruchs gar nicht gedenken: Conservatio (d. h. die Kritik) est altera creatio; sondern nur des voltairischen: Nous eumes longtems neuf muses, la saine critique est la dixième qui est venue bien tard; ia sie gleicht der Margaretha de Valois, Königin von Navarra, auch darin, daß sie die vierte Grazie ist.
19. Daher ist sie nicht blos die Zierde, sondern auch oft der Keim grosser Schönheiten, so wie auf den Flügeln des Windes neben den wohlriechenden Düften der Blumen auch der fruchtbare Samenstaub derselben liegt.
20. Sie verbessert den Autor, indem sie sein Kind verbessert, und macht das erste Buch zur Hebamme des andern: so wie die neugebohrne Diane (d. h. der leuchtende Mond) ihrer Mutter der Latona, (der Nacht) die Geburt ihres Zwillingsbruders, des Apols erleichterte. Ein an den Zaum gewöhntes Pferd lasset zulezt ohne Zaum sich bändigen.
21. Man schmälert die Wichtigkeit der Regeln wenig, wenn man sagt, das Genie grabe seinen Reichthum aus seinen eignen Eingeweiden: denn ich sage, die Regeln sind das Eisen, womit man das Gold hervorhebt.
22. Behauptet man, die Kritik zerstöhre den Enthusiasmus des ersten Empfängnisses des Buches, so sez' ich hinzu, aber sie arbeitet an der Ausbildung desselben; die Kälte vergütet ihre Feindseligkeit gegen die Blüthe, durch die Zeitigung und Erweichung der herben Frucht.
23. Und wenn das Genie den Aufflug der Phantasie wirkt: so empfängt die Kritik sie bei dem Zurükflug. Das leztere ist das schwerste: denn der Knabe wirft den Bal mit weniger Kunst in die Höhe als er ihn auffängt.
24. Wolte man mich noch weiter verfolgen, und das Genie eine Venus und die Kritik einen Vulkan nennen; so würde ich diesem Einwurfe nicht blos mit der Ehe der Venus und des Vulkans begegnen, sondern auch aus dem Seneka einen Geburtsschein anführen, der den Amor für eine Frucht des Ehebettes besagter Venus und ihres Mannes erklärt.
25. Schlüslich wächst auf dem Kin des Genies meistens nur jugendliches Milchhar, aber von dem Kin der Kritik hängt ein mänlicher Bart herunter – den unbiegsamen Schnurbart noch ungerechnet, Der Jüngling fliegt Gedichte, der Man pfeift Rezensionen. Daher giebt die Mythologie den Pferden der Aurora Flügel, und den Pferden des Gottes des Tages keine.
Summa Summarum 25. Gründe oder Gleichnisse für die Wichtigkeit der Regeln.
Hier ruhe, Leser, ein par Zeilen mit mir aus, und überdenke noch einmal vorher diese Gründe, eh' du mich zu den Gegengründen begleitest. Lasse dich nie durch den Schimmer dem Lichte untreu machen; prüfe die Farbe ieder Behauptung und wische von der Lüge die Schminke. Aber die gesunde Wahrheit verachtet gekauftes Roth; darum hab' ich meine Säze ohne Puz aufgestellt, und das Dintenfas nicht zum Schminktopf erniedrigt. Manche Personen sollen ihre natürliche Augen durch gläserne ersezen. Allein fern sei von meinem Gänsekiel auch dieser Betrug! So wenig ich den Wangen der Wahrheit Schminke lieh', so wenig lieh' ich ihren Augenhöhlen Augen. Sie ist blind, lieber Leser! darum ziehe sie der philosophischen Lüge vor, die nicht blind ist! –