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38. Kapitel

Es standen einmal an einem schönen, stillen Morgen zwei Männer vor dem Bärenzwinger und unterhielten sich. Es war erst gegen einhalb neun Uhr, der Garten war noch sehr wenig besucht, und die beiden Herren, die dem Mittelstand anzugehören schienen, hatten sich eben erst kennengelernt.

Der eine, Inhaber einer Zooaktie, kam auch bald flott ins Plaudern, denn er wußte gut in den Verhältnissen des Zoologischen Gartens Bescheid. Er bot seinem Zuhörer eine recht annehmbare Zigarre, steckte sich selbst auch eine an, und so, behaglich den zartblauen Rauch in den schönen Morgen schickend, tauschten die beiden Männer ihre Gedanken aus. Doch, wie gesagt, es sprach vor allem der Aktionär, der andere hatte das angenehme Talent, zuhören zu können. Der redefreudige Herr berichtete über Geburt und Tod im Zoo, er wußte Genaues über neu angekommene Tiere zu sagen, und ob auf ihren Transportkisten Hagenbeck oder Ruhe gestanden hatte.

Er kannte die ganzen Zusammenhänge über den Wechsel auf dem Posten eines Nebendirektors, wußte auch, welcher von den alten Wärtern bald Oberwärter werden würde, kannte den Grund, der zur Entlassung eines Gärtners geführt hatte, und vor allem wußte er die genaue Höhe sämtlicher Gehälter vom Hilfsarbeiter bis zum ersten Direktor.

Sein Gegenüber war äußerst erfreut, einen so wohlunterrichteten Mann kennenzulernen. Er lauschte, stellte hier eine Frage, gab dort seiner Verwunderung Ausdruck, und nur selten wagte er einen bescheidenen Einwand.

Es war ja auch nichts einzuwenden. Denn der Aktionär, das mußte man ihm lassen, schien nur über Tatsachen zu berichten.

Hochinteressant war unter anderem, was der Mann über die geplanten und zum Teil sogar schon ausgeführten baulichen Neuigkeiten erzählte.

Über kurz oder lang gäbe es im ganzen Zoo kein Gitter mehr, meinte er. Auf der letzten Direktorenkonferenz, von deren genauem Hergang er Kenntnis hatte, sei dies und noch andere architektonische Veränderungen beschlossen worden. So hätte man zum Beispiel das Patent einer neuartigen Flugfessel erworben, deren Erfinder, einer der Vogelwärter des Zoo, zu Beginn des neuen Jahres Inspektor werden würde.

Diese Flugfessel ermöglichte es, die großen Drahtvolieren einzusparen, und damit würde das Bild des Zoologischen Gartens sehr viel reizvoller werden, als es bisher sei.

Der Witz bei dieser Flugfessel sei nämlich, daß der Vogel, der sie trägt, nur senkrecht in die Höhe fliegen könne, aber nicht nach irgendeiner Seite. Dadurch wären die Tiere genötigt, sich immer wieder in den für sie eingerichteten Auslauf herabzulassen, und an Stelle des Gitters genüge fortan ein entsprechend tiefer Graben.

Was auf dem Gebiet baulicher Veränderungen alles möglich sei, beweise ja die Kühlanlage unter dem Eisbärenzwinger, vor dem sie jetzt beide ständen. Der Zuhörer war erstaunt, denn von dieser Anlage hatte er noch gar nichts gehört.

Da könne man wieder sehen, meinte der andere, es hätte doch in mehreren großen Zeitungen gestanden. Ein ausführlicher Bericht über die Art der Anlage wäre veröffentlicht worden, doch das Publikum der Großstadt, zu sehr von dem Lärm der Tagesfragen in Anspruch genommen, liest darüber hinweg, wenn deutscher Erfindungsgeist neue Bahnen bricht.

Also die Eisbären, als Bewohner arktischer Gebiete, seien im letzten Sommer bei einem Haar drauf gegangen, weil sie der Hitze einfach nicht standzuhalten vermögen. Das ist ja auch für jeden denkenden Menschen vollkommen klar, wenn er sich den Temperaturunterschied zwischen der Heimat dieser Tiere und dem Sommer in unserem Lande vergegenwärtigt.

Es sind also in der Art eines Riesenfrigidärs Anlagen unter den Fliesen des Eisbärenzwingers eingerichtet worden, die durch elektrischen Strom in Gang gehalten werden. In großen, flachen Schalen wird dort unten Wasser in Eis umgewandelt, und ein äußerst fein erdachtes System reguliert je nach der Witterung die Menge des herzustellenden Eises. Auch das jeweilige Befinden der Eisbären ist maßgebend für die Kältegrade, die dort unten produziert werden. Interessant ist auch, daß der Fachmann, der die Apparatur bedient, früher in einer großen amerikanischen Kühlhalle tätig war.

Die Zigarren waren während dieser fesselnden Unterhaltung ausgegangen, und der Zuhörer mußte sich verabschieden, da er seinen Geschäften nachgehen wollte.

Er bedankte sich in freundlichen Worten für die ihm erteilten Aufklärungen, um so mehr, da ihm besonders das Vorhandensein der Kühlanlage unter dem Eisbärenzwinger völlig neu gewesen sei. Er würde sich freuen, bald wieder etwas von dem Herrn Aktionär zu hören. Vielleicht hätte er die Liebenswürdigkeit, ihn bald mal anzurufen.

Damit verabschiedete sich der Herr, indem er dem anderen seine Karte übergab. Auf dem kleinen Karton aber stand in korrekter, feiner Schrift:

»Prof. Dr. E. Helmis
Direktor des Zoologischen Gartens«

Der so gut orientierte Herr sah verdutzt empor. Gerade drehte sich der zweite Direktor des Zoo noch einmal um und lüftete lächelnd den Hut.

Doch der Aktionär machte rasch kehrt und verschwand in Richtung des Konzertplatzes.


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