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Noch anderen Tieren gab die Zoodirektion die Möglichkeit, die Freiheit zu gewinnen, doch sie nutzten sie nicht aus.
Das waren zwei Schimpansenkinder, die, an der Hand und auf dem Arm ihres Wärters, an schönen Tagen durch den Zoo wanderten. Manchmal ließ der Mann die beiden schwarzhaarigen Gesellen von der Hand. Dann erklommen sie einen Baum und bauten sich nach Art ihrer Vorfahren Nester.
Niemals hatten die beiden Kleinen gesehen, wie ein Schimpansennest gebaut wird, und doch konnten sie es, sie hatten es im Blut.
Oben im Gewirr der Zweige und Blätter saßen sie und knickten in einem Umkreis von einem dreiviertel Meter die Zweige nach innen. So entstand in wenigen Minuten ein dichtes, buschiges Nest, aus dem nur die Köpfe der jungen Schimpansen heraussahen.
Unten standen Scharen von Kindern und riefen die Namen der Affen, und wenn sie lange genug oben waren, rief auch der Wärter. Zwar die Bezeichnung Wärter paßte schlecht zu diesem Manne. Schimpansenpapa wäre die einzig richtige Bezeichnung gewesen. Er hatte ein ungewöhnliches Verständnis für Menschenaffen, und die beiden Schimpansenkinder hingen denn auch mit großer Liebe an ihm.
An kühleren Tagen zog er ihnen hübsche Sweater an, er lehrte sie, wie sie sich auf einem Kinderroller fortbewegen konnten, sie liefen auf einer Kugel, auf dem Seil, und schließlich lernten sie auch noch radfahren.
Niemals schlug der Pfleger seine Menschenaffen, wohl wissend, daß die außerordentlich empfindsame Psyche und der sehr hochstehende Intellekt dieser Tiere eine solche Behandlung nicht ertragen würde.
Eine große Liebe, unerschöpfliche Geduld und ein ganz besonderer Sinn, eben sein Talent für dieses Spezialgebiet, machten den Mann unersetzlich für seinen Beruf.
Man kann ohne Übertreibung sagen, dieser Menschenaffenwärter verstand die Sprache seiner Zöglinge. Die einschmeichelnden Laute, die sie bei gespitzten Lippen hören ließen, in allen ihren Abwandlungen deuten zu können, war ihm gegeben. Ihre Schreie in allen Schattierungen der Wut, der Angriffslust, der Furcht und des Gekränktseins verstehen, das konnte mit Sicherheit nur er.
Jochen Braun beobachtete ihn einmal, wie er am frühen Morgen, als noch keine Besucher im Affenhaus waren, bei dem großen Orang-Utan im Käfig seinen Morgenbesuch machte.
Der rothaarige Affe, dessen Arme zweieinhalb Meter spannten, kugelte sich mit dem Wärter auf der Erde herum.
Griechisch-römischer Stil war dieser Kampf nicht, aber es war zeitweise schwer, die Zusammenhänge der Gliedmaßen festzustellen, so ineinander gewirkt waren Mensch und Tier.
Wie sehr mußte der Wärter seines Orangs sicher sein, daß er so etwas wagen konnte. Der Tierpfleger war einen Meter und achtzig Zentimeter groß und breit in den Schultern, aber wenn man sagt, daß der Orang, der weit geringer in der Höhe war, dreimal so stark war wie der Mann, so schätzt man seine Kraft eher zu niedrig als zu hoch ein.
Jochen, der die Wrangelei mit großem Interesse verfolgte, sah, wie der Affe mit seiner außerordentlich langen Hand den Mann um den Oberarm faßte.
Einen Augenblick vergaß der Orang die Rücksicht, die er mit seiner Riesenkraft dem Pflegevater schuldete. Der schrie einmal kurz auf und rief dann vorwurfsvoll den Namen des Affen. Augenblicklich lockerte der Vierhänder den eisernen Griff, sich seiner überlegenen Kraft bewußt werdend.
Auch die Gruppe der ausgewachsenen Schimpansen, die zu der Zeit, als die jungen Schimpansen im Garten spazierengingen, schon alle gestorben waren, weil sie in ihrem Alter sich an den nordischen Winter nicht gewöhnen konnten, auch sie ließen den Wärter wie einen ihresgleichen unter sich herumgehen und zogen ihn freundlich an der Hand durch ihren großen Käfig.
Selbst der finstere Pascha liebte ihn sehr, und als er, der letzte dieser schönen, interessanten Tiergruppe, einging, starb er in den Armen seines Wärters so kummervoll und doch leidergeben wie ein Mensch.