Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Indessen hatten auch die beiden Wanderer ihren Tag in ziemlich ernster Stimmung verbracht. Es war leicht gesagt und gesungen:

Recht lustig sei vor allem,
Wer's Reisen wählen will –

aber schwer gethan. – Nachdem Mohr das ganze Lied zum Besten gegeben und Edwin am Schlusse nur so verloren bemerkt hatte, die Melodie sei recht munter – eine Anerkennung, die dem Gatten der Componistin lange nicht warm genug schien – gingen sie wohl eine Stunde lang einsilbig neben einander hin. Du verzeihst meine alte Unart, Heinz, hatte Edwin gesagt. Morgenstunde hat auch bei mir Gold im Munde, und Schweigen ist Gold.

Hm! brummte Mohr, ich wüßte auch nicht, was wir Zwei uns noch zu sagen hätten.

Es wollte ihm auch in der zweiten und dritten Stunde nicht einfallen. Der Tag war heiß, die Straße durch den Wald zwar anmuthig zu wandern, aber wie 270 es in die Berge ging, schien den Beiden, die sonst rüstige Fußgänger waren, jeder Schritt zu viel.

Die Sonne brannte schwer herab, als sie eine mit niedrigem Buschwerk bewachsene Höhe erklommen, von der eine stattliche Burgruine weit ins Land hinaussah. Sie hatten gehofft, hier oben eine Wirthschaft zu finden. Aber das Häuschen, das ehemals dazu gedient, war verlassen worden, der kleine Garten stand verwildert und sämmtlicher Sommerfrüchte beraubt, nur der Brunnen that noch seine Schuldigkeit. Als sie sich nothdürftig an ihm erfrischt hatten, lagerten sie im Schatten des verfallenen Wartthurms auf dem Rasen, und Mohr fing an, sich eine Cigarrette zu drehen.

Jetzt einen Robber Whist oder eine Partie Piquet! seufzte er.

Am hellerlichten Tage, hier im Grünen? lächelte Edwin. Unverbesserlicher Sünder!

Mohr sah ihn achselzuckend von der Seite an. Mein werther Heiliger, brummte er, wie oft hab' ich dir gesagt: dies ist eine deiner Grenzen; du hast keinen Spieltrieb. Aber warte nur, bis du erst dein Buch geschrieben, dein System fertig gezimmert hast. Dann wirst du am Ernst deine Lust gebüßt haben, und die Augen werden dir darüber aufgehen, daß ein vernünftiger Mensch es auch mit dem Spielen ernst nehmen kann.

»Ein tiefer Sinn liegt oft im kindischen Spiel« – das hat ja wohl auch ein ernsthafter Mann gesagt.

Ja wohl, und ein Philosoph von Métier sollte der Letzte sein, darüber zu spotten. So eine Whistpartie, 271 mein Theurer, ist dir förmlich ein Leben im Kleinen, wo der Eine mehr Glück als Verstand, der Andere mehr Verstand als Glück hat, Einer, der die schönsten Trümpfe in der Hand hält, nichts damit zu machen versteht, ein Anderer, der es wohl verstünde, durch das Ungeschick seines Partners endlich doch den Tric verliert und höchstens die Honneurs rettet. Ich nehme nie die Karten in die Hand, ohne eine gewisse Weihestimmung, wie wenn man das Schicksal, das sich sonst nur so gelegentlich durch einen Riß in den Wolken blicken läßt, jetzt einmal nöthigte, sich ganz dicht neben einen zu setzen und Farbe zu bekennen. Was ist dagegen ein Schau-, Lust- oder Trauerspiel, bei dem das Schicksal immer noch durch Orchester und Souffleurkasten von einem getrennt ist und man nichts verlieren kann, als höchstens sein Entree und den Glauben an eine neue Blüte des deutschen Theaters? Statt der »Bretter« sollte man von »Blättern, die die Welt bedeuten« reden.

Eine schöne Welt, in der es nur Buben, Damen und Könige giebt, außer einigen unpersönlichen Statisten; und das Alles um ein paar Pfennige! Nein, Bester, da es mir, noch mehr als am Spielsinn, am Geldsinn fehlt –

Mohr blies große Wolken vor sich hin. Wenn du dies nur sagst, um mir nicht Recht geben zu müssen, so verzeih' ich dir, sagte er ruhig. Wenn du aber selbst an diese triviale Bemerkung glaubst, so bedaure ich dich. Du bist sonst geistreicher, Edwin, oder vielmehr: du hältst es mehr der Mühe werth, wenn wir plaudern, mir nicht nur reinen Wein einzuschenken, sondern, da ich Kenner 272 bin, auch von deinen besseren Sorten. Soll ich dir sagen, warum du in diesem Augenblick dich den Teufel darum kümmerst, was du an mich hinschwatzest? Weil ich mich überhaupt schon seit drei Stunden nur deiner leiblichen Gegenwart erfreue, dein Geist aber abwesend ist.

Und wo sollte sich derselbe aufhalten, du Allwissender?

Hm! siehst du dort die Telegraphenstange, die zwischen den Fichten durchblickt und verräth, daß unten Eisenschienen durch den Wald laufen? Wenn du den Drath, der von hier oben kaum sichtbar wird, ein paar Stunden nach Osten verfolgst, in der Richtung, von wo wir eben hergekommen sind, so gelangt dein werther Körper dahin, wo dein geehrter Geist sich augenblicklich befindet, und von wo er sich heute noch nicht fünf Minuten entfernt hat.

Du könntest Recht haben, Liebster, versetzte Edwin ernsthaft. Ich gestehe, daß ich diesen ganzen Morgen beständig darüber nachgedacht habe, ob es nicht ein baarer Unsinn war, meine kleine Frau schon wieder zu verlassen, und noch dazu ohne Abschiedskuß. Ihr ist dabei nicht wohl und mir sehr übel, und du, armer Märtyrer der Freundschaft, mußt dich wohl oder übel mit mir langweilen. Nein, Liebster – und er sprang mit einem plötzlichen Entschluß vom Rasen auf – man muß nichts zu weit treiben, nicht einmal die Rücksichtslosigkeit gegen seine Freunde. Meinst du, ich wüßte nicht, daß, wenn man den Telegraphendrath nach Westen verfolgt, man in wenigen Stunden dahin kommt, wo dein Herz sich 273 aufhält, wenn auch dein Geist, freilich nicht in seiner glänzendsten Verfassung, sich neben mir befinden mag.

Ich bitte, meine Wenigkeit ganz aus dem Spiel zu lassen. Was für dich zuträglich ist, darum handelt es sich, und allerdings, Frau Lea's Erbweisheit in Ehren – diesmal, glaube ich, hat sie sich in der Methode vergriffen.

Scheint es dir auch so? rief Edwin mit leuchtenden Augen. Nun siehst du, mich hat mein sokratischer Dämon gleich am Ellenbogen gezupft; aber die Gewohnheit, eine höhere Weisheit zu verehren – Nein, ich emancipire mich, ich erkläre offen, daß diese abgeschmackte leibliche Motion, während die Seele unbeweglich auf Einem Fleck bleibt, eines vernünftigen Menschen unwürdig und eher schädlich als nützlich ist – mit einem Wort: ich entbinde dich deines traurigen Amtes, den Bärenführer zu machen, und kehre spornstreichs um, bis ich wieder den Rauch meines eigenen Schornsteins aufsteigen sehe.

Halt! fiel ihm Mohr ins Wort, indem er die Cigarrette den Abhang hinunterwarf. So löblich mir dieser rasche Entschluß erscheint: für diesen Tag gehörst du noch mir. Erstens, weil es auch deiner Frau heilsam ist, dich einmal wieder einen ganzen Tag zu entbehren. Dann aber, weil wir weder bei mir zu Hause, noch in diesen letzten Tagen dazu gekommen sind, von deinen Arbeiten zu sprechen. Das bewußte Buch, theurer Sohn, muß endlich geschrieben werden. Ich wünsche zu wissen, wie weit du mit dem System gediehen bist, oder ob gar die alte Schwiegermutter Mathematik das zarte Seelchen 274 Metaphysik, das ohne Phantasie nicht leben kann, so malträtirt hat, daß man an seinen Aufkommen zweifeln muß. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen. Daß wir uns nicht zu oft schreiben werden, ist leider auch für die Zukunft mehr als wahrscheinlich, und dann schreibt man ja auch heutzutage keine Briefe mehr, in denen etwas steht. Also sei so gut, dich wieder neben mich zu setzen und ein kleines Verhör über dich ergehen zu lassen. Oder besser noch, wir schleppen uns bis ins nächste Dorf, frühstücken erst und fangen dann an, dem schlafenden großen Pan die Würmer aus der Nase zu ziehen.

So thaten sie denn auch. Mohr wußte wohl, daß außer dem leise aber mächtig wirkenden Zauber von Lea's Nähe Nichts so heilsam für das erschütterte Gemüth des Freundes sein würde, als der Entschluß, den er in seiner Bescheidenheit immer noch hinausgeschoben, die Studien dieser letzten Jahre endlich in einem größeren Werke zusammenzufassen. Jetzt zum ersten Male fühlte Edwin selbst, während er die Grundzüge vor dem verstehenden Hörer hinzeichnete, daß in der Hauptsache nichts Wesentliches mehr fehle, daß es nur darauf ankomme, mit reiner Stimmung und gutem Muth ans Werk zu gehen. Dazu ermunterte ihn Heinrich auf alle Weise.

Wenn du mit dem Lehren warten willst, bis du nichts mehr zu lernen hast, darfst du nur posthume Bücher schreiben. Ich muß dir ungefähr dieselbe Predigt halten, mit der ich gestern einen noch viel wunderlicheren Christen bekehrt habe: dein Kopf ist ausgewachsen, dächt' 275 ich. Er mag so oder so möblirt und hie oder da noch ein Fenster durchgebrochen werden – die Grundmauern werden sich nicht erweitern. Und da er ziemlich geräumig und in den Verhältnissen nicht übel angelegt ist, so ist es für die Welt immerhin nützlich, zu erfahren, wie sie in diesem Kopf sich spiegelt. Ich für mein armes Theil habe noch ein besonderes Interesse dabei, daß das Buch bald geschrieben werde: erstens, weil es doch mir und unserem Ex-Volkstribunen dedicirt werden soll; und dann, weil es mich in meiner eigenen Unfruchtbarkeit beruhigt, wenn ich Freunde habe, die von sich reden machen und etwas Ganzes zu Stande bringen.

Als sie sich gegen Abend trennten und Mohr zuerst die Bahn bestieg, um zu Weib und Kind zurückzukehren, waren Beide, ohne sich's anders als durch eine gewisse überreizte Lustigkeit merken zu lassen, sehr bewegt. Sie hatten wieder mit einander getheilt, was Menschen am innigsten verbindet, reine, selbstlose Stunden ernstlicher Betrachtung und ruhigen Einklangs im Anschauen ewiger Gedanken. Und dazu hatten sie sich aufs Neue einander angehörig gefühlt durch die trauliche Gewohnheit alterprobter Freundschaft, die selbst da, wo die Gedanken trennen, die Wipfel gleichsam auseinanderstreben, die Wurzeln zweier Existenzen unauflöslich mit einander verschlingt.

Es war schon dunkel, als auch Edwin sich in den Bahnzug setzte, um die kleine Strecke zurückzulegen, die er Morgens gewandert war. Die ungeberdige Sehnsucht nach Hause hatte sich während der Stunde, die er einsam 276 auf der Station verwarten mußte, zu einem wahren Fieber gesteigert. Als endlich der Zug auf dem Bahnhof des Städtchens hielt, das nun seine ganze Welt umschloß, stürzte er so eilig hinaus, daß er weder rechts noch links sah, aus Furcht, ein bekanntes Gesicht zu erblicken, das ihn aufhalten möchte. Er bemerkte die beiden guten Freunde nicht, die denselben Zug erwartet hatten, Reinhold und den alten Feyertag, der, wie wir wissen, nach Berlin zurück wollte. Auch sie waren zu sehr in ein Gespräch vertieft, um den Wanderer im grauen Anzug zu beachten, der blindlings an ihnen vorbeistürmte und sofort den Weg um die Stadt herum durch die ehemaligen Wallanlagen einschlug.

Als er endlich athemlos, den Schweiß von der Stirne trocknend, an seinem Hause ankam, wunderte er sich erst, die Fenster dunkel zu finden, sagte sich aber gleich: Sie wird bei Reginchen sein! Der Aufschub verdroß ihn; daß er sie nicht gleich zu Hause finden könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen. So trat er eilig ein, um durch die Magd sie rufen zu lassen. Denn er fühlte sich unfähig, heute noch mit anderen Menschen, und wären es die liebsten Freunde, zusammen zu sein. Als er aber die Thür seines Zimmers öffnete, kam ihm die Magd mit dem Licht entgegen.

Der Herr Doctor! rief sie und ließ vor Schrecken beinah den Leuchter fallen. Herrgott, heute schon! Und die Frau –

Wo ist meine Frau? Wohl nur nebenan? 277

Bewahre! ganz fort, schon seit 'ner Stunde – der Herr Doctor müssen ihr ja auf der Eisenbahn –

Auf der Eisenbahn? Was redet Ihr da, Kathrin'? Wo sollte sie denn hin sein – allein – ohne daß ich –

Nach Berlin ist sie, mit dem Herrn Feyertag, und wann sie wiederkäme, das wüßte sie nicht, hat sie gesagt, – sie würd' es aber schon noch schreiben; und weil der Herr Doctor doch die ersten acht Tage noch nicht wiederkämen –

Fort? Nach Berlin?

Nun ja, zu dem Herrn Vater – und ganz plötzlich ist ihr das eingefallen. Der Herr Feyertag haben's der Frau vorgeschlagen, es wäre jetzt gute Gelegenheit, von wegen weil er selbst am Abend zurückreis'te, aber die Frau hat nichts davon wissen wollen. Dann aber, wie der andere Besuch kaum weg war –

Ein anderer Besuch? Wer – so laßt Euch doch die Worte nicht so mit Gewalt –

Ja, weiß ich's, wer es war? Ich habe die Dame meiner Lebtag noch nicht gesehen, auch hat sie ihren Namen nicht gesagt, und was sie mit der Frau gesprochen hat, hab' ich nicht hören können. Sehr schön war sie, groß und vornehm angezogen, und wie sie weg war, roch es hier noch lange nach Veilchen; da ist die Frau eine ganze Weile im Zimmer auf- und abgegangen und hat schreckbar blaß ausgesehen und mit sich selbst gesprochen. Und dann, wie ich ihr das Essen gebracht habe – nicht einen Bissen hat sie angerührt, und zu fragen hab' ich mir nicht getraut, sie hat auch Nichts mit mir gesprochen, bloß daß sie sich nun resolvirt hätte, 278 nach Berlin zu gehen. Und so ist sie gegen die Schummerstunde fort mit einem ganz kleinen Nachtsäckchen, und ich habe sie nicht einmal auf die Bahn begleiten dürfen. Wie sie dann weg war, ist mir recht bange und weichmüthig gewesen, ich wußte selbst nicht warum, und ich wollte eben zu Bette gehn –

Aber was haben denn der Herr Doctor? Soll ich ein Glas frisches Wasser –

Er war auf das Sopha gesunken und starrte wie vom Schlage getroffen vor sich hin.

Als er nach einer langen Pause die Augen öffnete, sah er die Magd, die von dem Allen nichts begriff, noch immer mit hülfloser Geberde mitten im Zimmer stehen. Was wollt Ihr noch hier, Kathrin'? sagte er barsch. Geht zu Bette, laßt mich allein, ich bedarf heute nichts mehr. Nein, kein Licht. Ich sehe klar genug. Gute Nacht! –

Die treue Person schlich still aus dem Zimmer. Er aber sank wieder in die Sophaecke zurück, hülflos in der dunklen Einsamkeit seinen wühlenden Schmerzen hingegeben. 279



 << zurück weiter >>