Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Zwölftes Kapitel.

Die Professorin Valentin wohnte in einem neuen hübschen Hause, in großen, sauberen Zimmern, die aber für ein kunstverwöhntes Auge bei aller Nettigkeit der Einrichtung etwas Stimmungsloses und Nüchternes hatten. In dem größten und ungeschmücktesten von allen empfing sie Edwin; der kleine Maler hatte ihn nicht hinaufbegleitet; er sollte noch ein paar fertige Holzstöcke an den Besteller abliefern. Die stattliche blonde Frau, die vor Jahren auffallend hübsch gewesen sein mußte und noch jetzt, in der Mitte der Vierziger, zumal wenn sie lachte, mit ihren hellen Augen und weißen Zähnen jugendlich anmuthig erschien, saß in der Mitte von fünf oder sechs Näherinnen unter Bergen von Kattun und Leinewand, die sie eben zu Kinderkleidern und Hemden verschnitt. Sie begrüßte ihren Besuch wie einen Erwarteten und führte ihn in ein kleineres Zimmer nebenan, ihr eigentliches Zu-Hause, wie sie es nannte, mit Schreibtisch, Bücherschrank, Blumentisch und allerlei bunten Siebensachen ausgestattet. Ueber dem Sopha hing das Bild eines hypochondrisch blickenden Mannes mit grauem 172 Haar. Auf dieser gefurchten Stirn und gepreßten Lippe stand deutlich zu lesen, daß dem Original die Sorge für seinen Unterleib Zeitlebens das Wichtigste gewesen war.

Mein seliger Mann! sagte die Professorin, gleichsam Edwin und das Bild einander vorstellend. Seit zehn Jahren bin ich nun Wittwe; aber Sie finden hier noch Alles wie zu seinen Lebzeiten, da nebenan (sie öffnete die nächste Thür, um Edwin hineinblicken zu lassen) sein Arbeitszimmer, seine ganze Bibliothek, obwohl ich, da er Mathematiker war, kein einziges von all den Büchern lesen kann. Aber sie waren seine Lieblinge und sein Stolz, und ich glaube, das Bild da fiele plötzlich von der Wand, wenn nur eines davon in fremde Hände käme. Wenn es nach mir ginge, je eher je lieber schaffte ich diese abscheulichen Bücher aus dem Hause. Sie haben mich, als sie ihm noch nützen konnten, Thränen genug gekostet.

Thränen?

Lieber Herr Doctor, Sie sind auch ein Gelehrter, ich hoffe, Sie machen es einmal besser und sagen nicht, wie mein Seliger: erst meine Bücher und dann meine Frau. Und er hatte mich doch aus Liebe geheirathet und nicht aus Mathematik. Aber schon nach zwei, drei Jahren, obwohl ich nicht gerade häßlicher geworden war, fand er diese abscheulichen Dreiecke und Sechsecke, die vertrackten Plus- und Minus-Krähenfüße viel reizender, als die blauen Augen und runden Wangen seiner jungen Frau. Nun, ich beklage mich nicht. Ich hatte es geahnt, und gewußt, was ich wollte.

Diese Eifersucht abgerechnet, die Sie mit so manchen 173 Frauen theilen, müssen Sie doch auch viel Glück in diesen Räumen genossen haben. Sie würden sie sonst nicht mit so großer Pietät in dem alten Zustande erhalten.

Die Wittwe sah ihn mit einem seinen Seitenblick an, als wolle sie sich erst überzeugen, ob er nicht noch zu jung sei, um ihm intime Eröffnungen zu machen. Sein gutes Gesicht, seine klare, sichere Haltung ohne jede Vordringlichkeit schienen ihr zu gefallen. Er war so ganz anders, als andere junge Gelehrte, die sie bei ihrem Manne hatte aus- und eingehen sehen. Mit ihrem raschen weiblichen Scharfblick hatte sie es gleich erkannt, daß einer der seltenen Menschen vor ihr stand, die in der That klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben sind.

Sie sind noch jung, lieber Herr Doctor, erwiederte sie ohne Ironie; ich weiß nicht, ob Sie die Erfahrung schon gemacht haben, daß gewisse Naturen eine Ausnahme von dem allgemeinen Gesetz sind und nicht dem Glücke nachrennen, sondern ihrer eigenen Plage. Sehen Sie, obwohl ich noch sehr jung war, als mein seliger Mann um mich warb: so gescheidt war ich doch schon, genau zu wissen, daß ich, was man so Glück nennt, mit ihm nicht finden würde. Wer beglücken soll, muß selbst des Glückes fähig sein. Mein armer Valentin war der unglückseligste Selbstquäler, den man sich denken kann, und so, ohne es zu wissen oder zu wollen, quälte er seine ganze Umgebung. Ich konnte das damals so mathematisch sicher voraus berechnen, wie ich es Ihnen jetzt sage. Und doch zog ich ihn allen Andern vor; denn er gab 174 mir eine Aufgabe, eine beständige, tägliche und stündliche Arbeit an mir selbst, und danach verlangte meine Kraft, die sehr energisch ist und immer eine Schwierigkeit zu überwinden haben will. Da nun nichts schwieriger ist, als sich selbst zu überwinden – ich war nämlich ein sehr verwöhntes, verhätscheltes Ding, Alles trug mich auf den Händen, ich kokettirte mit Jung und alt, mit meinem eigenen Herzen, ja, Gott verzeih' mir's, mit unserem Herrgott selbst. Wie das nun kam, daß mir plötzlich die Augen aufgingen, daß ich mir sagte: du bist eine alberne Puppe, du wirst deine unsterbliche Seele in Grund und Boden verhunzen, wenn das so fortgeht, – das ist eine zu weitläufige Geschichte. Genug, da ich dabei in meinem Innersten resolut und ehrlich geblieben war, nahm ich mir vor, es mit einem recht widerwärtigen oder unglücklichen Manne zu versuchen. Es ist ja wohl keine Indiscretion, wenn ich Ihnen vertraue: zu derselben Zeit war auch mein lieber alter Freund König mein Anbeter; wir necken uns noch immer damit, daß ich seine erste Liebe gewesen sei. Wenn Sie diesen Mann näher kennen lernen, werden Sie mir zugeben: einen glücklicheren Menschen, ein liebevolleres Christengemüth hat es schwerlich je gegeben. Wäre ich seine Frau geworden, ich hätte ein Leben wie im Paradiese gehabt. Aber eben das war mir zuwider. Ich fühlte, es hätte mich zuletzt verflacht und vereitelt, von einem so vortrefflichen Menschen mein Lebenlang überschätzt zu werden. Nun, bei Valentin hatt' ich manchmal vom Gegentheil mehr als mir lieb war; aber ich habe es dennoch nie bereut. Und jetzt 175 setzen Sie sich da neben mich, lieber Herr Doctor, und erzählen mir ein bischen von meinem Pflegekind, der Lea.

Ich Ihnen, gnädige Frau? Vielmehr würde es mich höchlich interessiren, über meine Schülerin, die eine ziemlich verschlossene Natur zu sein scheint, über ihre Jugend und frühere Erziehung von Ihnen etwas zu erfahren.

Das gutmüthige, helle Gesicht der munteren Frau überflog ein trübes Lächeln. Wenn ich Ihnen darauf genügend antworten könnte, säßen Sie schwerlich jetzt neben mir, sagte sie. Aber entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Man braucht mich drinnen.

Eine der Näherinnen war mit einem fragenden Gesicht in der Thür erschienen. Die Professorin verließ Edwin, und er hörte sie im Nebenzimmer mit ihrer klaren, bestimmten Art Verschiedenes anordnen und auftragen. Dann kam sie wieder herein.

Ich habe immer alle Hände voll zu thun, sagte sie. Da ich jetzt leider keine häuslichen Sorgen mehr habe, lass' ich mir gern in den Vereinen und Anstalten, an denen ich Theil nehme, so viel Arbeit aufpacken, als den Andern von sich abzuwälzen beliebt. Ach, lieber Doctor, so manche Freude man hat, wenn so eine Schaar taubstummer oder verwahrlos'ter oder verwais'ter Kinder sich für die neuen warmen Kleider bedankt: ein einziges eigenes Kind, das gar nicht taubstumm oder verwahrlos't zu sein brauchte und nicht einmal besonders dankbar, würde doch ein ganz anderes Glück sein. Surrogate sind eben nie die Sache selbst. Und darum gerade 176 betrübt es mich so, daß das einzige Kind, das ich fast wie ein eigenes zu lieben fähig wäre, sich mir so wunderlich entzieht; nicht lieblos, nicht undankbar, aber von dem Besten, was in ihr sein mag, erfahre ich nichts, und das Beste, was in mir ist, kann ich ihr nicht mittheilen, da sie nichts damit anzufangen weiß.

Sie sprechen von meiner Schülerin?

Die Professorin antwortete nicht gleich; sie saß still vor sich hinblickend, die hübschen weißen Hände im Schooß gefaltet.

Kein Mensch hat mir so viel Kummer bereitet, fuhr sie endlich fort, bei so viel Liebenswürdigkeit, Güte, Selbstvergessenheit und eigener Kraft. Aber das ist es eben: das Eine, was noth thut, wo das fehlt – Sie sind ein Philosoph, lieber Doctor, aber ich hoffe, keiner von denen, die durch das Wissen um den Glauben gekommen sind. Und sehen Sie, dieses seltsame Mädchen – es ist nicht Wissensdünkel, was sie ungläubig macht; Niemand kann bescheidener von seiner Unzulänglichkeit denken, als sie. Aber es liegt ihr im Blut. Sie sollten die Mutter gekannt haben, von der hat sie das Gemüth geerbt, Zug um Zug. Niemals ist mir etwas räthselhafter gewesen, als wie mein alter Freund, der Maler, der ein so lebendiges Gottesbedürfniß hat, neben dieser Frau so glücklich sein konnte, die gar kein Hehl daraus machte, daß sie ohne Religion war, ja einmal sogar, als ich sie geradezu fragte, mir offen gestand: sie wisse überhaupt nicht, ob es einen Gott gebe. Sie wolle es nicht läugnen; ihr aber habe er sich nicht offenbart. Ob sie 177 auch ihrem Manne solche Geständnisse gemacht, weiß ich nicht. Aber ich glaube fast, selbst dadurch wäre er nicht an ihr irre geworden; er hätte sie nun erst recht geliebt. Und freilich mußte man sie lieben; habe ich es doch auch nicht lassen können, sogar nachdem ich es längst aufgegeben hatte, sie auf den Weg zum Licht zu führen, der mich selber durch alle Tiefen und Untiefen dieser Welt geleitet hat. Daß sie eine Jüdin war, erschwerte ihr freilich die wahre Erkenntniß. Aber wäre sie nur wenigstens eine rechte Jüdin gewesen! Ich habe vor Allem, was eine echte Ueberzeugung ist, Respect. Diese Frau dagegen gestand mir mit dem ruhigsten Gesicht: von allen Mysterien des Lebens wisse sie in ihrem dreißigsten Jahre nicht mehr als in ihrem zehnten; weder das Diesseits noch das Jenseits verstehe sie, sie habe auch gar kein Verlangen, es je zu ergründen; ihre schöne, herzliche, gedankenlose Gegenwart mit Mann und Kind sei ihr ganz genug. Ich erschrak förmlich, wie das zum ersten Mal so ganz unverhüllt herauskam. Was ist diese armselige Dämmerung unseres irdischen Daseins, wenn kein Strahl von oben sie erleuchtet und wärmt, bis wir einmal in die volle Klarheit gelangen? Und dabei war sie keine flache, im Sinnlichen aufgehende Natur; wie hätte sie sonst den feinsinnigen Mann, gerade diesen, so werth halten, so von Herzen lieb haben können? Aber vielleicht eben, weil er ihr trotz alledem so fremd war, wie sie ihm ihr Lebelang geblieben ist, gerade darum hingen sie an einander. Es mochte doch ein verschwiegenes Heimweh in ihr leben nach dem Frieden der Kinder 178 Gottes, und in ihm etwas von der erlösenden Gnade, die auch das verschlossenste Gemüth nicht aufgiebt und das Verlorene ewig sucht. Dabei war sie fern davon, irgend etwas zu verachten oder zu bespötteln, was Anderen heilig ist, und es verstand sich ihr von selbst, daß ihr Kind in der Religion des Vaters erzogen wurde. Natürlich, da sie selbst keine hatte und ihr doch wohl zuweilen vor diesem Nichts graute, wollte sie an ihrer Tochter sich nicht versündigen. Aber es half nichts; das Blut ist zu mächtig. Ich fürchte, die Tochter würde, wenn man sie aufs Gewissen fragte, von ihrem Katechismus nicht viel mehr übrig behalten haben, als die Mutter je davon besessen hat.

Die Klingel, die draußen im Flur ertönte, unterbrach die Rede. Wir werden leider gestört, sagte die Frau, die Augen rasch trocknend, die ihr feucht geworden waren. Ich habe Sie bitten lassen, mich zu besuchen, weil ich das Kind, wie gesagt, fast so sehr liebe, als hätt' ich es unter dem Herzen getragen. Sie müssen mir erzählen, lieber Doctor, was Sie mit ihr treiben, damit ich darüber ruhig sein kann, daß Sie nicht am Ende das Uebel noch ärger machen.

Ich gebe ihr allerdings keinen Religions-Unterricht, versetzte Edwin, indem er sich erhob. Ich selbst bin kein Theologe. Aber die Weltweisheit, mit der ich mich beschäftige, hat eben so viele Menschen zu einem persönlichen Gott, wie von ihm abgeführt. Keine Erkenntniß vermag die Gemüthsbedürfnisse, aus denen alle Religion entspringt, zu ersetzen oder zu zerstören. Was die 179 Theologen Gnadenwahl nennen, kann auch meine Psychologie ruhig in seinen Würden lassen, und ich bin der Letzte, der eine Menschenseele von dem Wege ablenken möchte, der sie zu ihrer inneren Beruhigung führt – wenn es auch freilich nicht meines Amtes ist, den Missionären ins Handwerk zu pfuschen.

Sie sah ihn während dieser Worte forschend an. Ich verstehe Sie nicht ganz, sagte sie, ihm die Hand reichend. Aber so viel weiß ich: Sie sind ein guter, ernsthafter und inniger Mensch. Sie werden dem Kinde kein Unheil bringen, das nur aus dem Unheiligen stammt.

Eine Dienerin trat in diesem Augenblick ein und meldete: Herr Candidat Lorinser.

Sehr angenehm! erwiderte die Professorin. Dann, wieder zu Edwin gewendet: Nun müssen Sie durchaus noch ein wenig bleiben. Sie werden da eine Bekanntschaft machen, die Sie mehr interessiren wird, als die einer alten Frau, die nur so schlecht und recht eine gute Christin zu sein hofft, wie tausend andere. 180



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