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Dieses Gespräch hatte den günstigen Erfolg, daß Papa Feyertag als ein verwandelter Mensch, oder vielmehr ganz als der Alte, wie ihn seine Freunde früher gekannt hatten, bei dem abendlichen Zusammensein in Edwin's und Lea's Hause erschien. Er hütete sich zwar, die Geschichte seiner Bekehrung zum Besten zu geben, sondern that sehr geheimnißvoll über die Gründe, die ihn bestimmten, wieder nach Berlin zurückzukehren. Daß er aber gegen seinen Schwiegersohn keinen Stachel im Busen davontrug, bemühte er sich auf alle Weise an den Tag zu legen, hauptsächlich durch ein behagliches Schrauben und Aufziehen, ein Sticheln auf Leute, die stille lägen, um Fett anzusetzen, und mehr auf Propagation, als auf Propaganda hielten; im Uebrigen war er der zärtlichste Papa und Großpapa, den man wünschen konnte, und erzählte, was er nur in der besten Laune zu thun pflegte, seine eigene Liebesgeschichte, die ihn zum Besitz von »Muttern« geführt hatte.
Mohr saß mit einem stillen, schlauen Rümpfen der Unterlippe dabei und verrieth durch keine Silbe, welchen 233 Antheil er an diesem Wunder hatte. Auch beschäftigten ihn bald ganz andere Gedanken. Zunächst machte ihm Edwin's noch immer leise vibrirende Aufregung ernstliche Sorge. Auch den beiden Frauen, zumal der Hausfrau, sah er es an, daß sie sich Mühe geben mußten, ein schweres Herz hinter leichten Scherzen zu verstecken. Als selbst der Wein und Alles, was Mohr im Verlauf des Abends an Schnurren und abenteuerlichen Einfällen zum Besten gab, den Druck nicht zu lüften vermochte, der wie aus einer unsichtbaren Wetterwolke schwerer und schwerer sich auf die beiden Ehepaare herabsenkte, setzte der Freund sich an das Instrument und fing an zu phantasiren. Er spielte wohl eine Stunde lang und vergaß Ort und Zeit über dem eigenen Spiel, in welchem er alle Lieblingsthemata Christianens der Reihe nach anklingen ließ. Da er endlich aufhörte und sich nach der Gesellschaft umsah, merkte er, daß das Mittel ganz im entgegengesetzten Sinne gewirkt hatte. Reinhold saß neben seiner kleinen Frau, die sich still die Augen trocknete, brütend wie ein schwarzbärtiger Genius der Schwermuth; Lea war hinausgegangen und kam erst nach einer langen Weile mit todtblassem Gesicht zurück; Edwin hatte das Brodmesser in der Hand und war eifrig bemüht, einen Strohteller in ganz kleine Stücke zu zerschnipseln. Nur Papa Feyertag lag in der Sophaecke zurückgelehnt und schlief den Schlaf des Gerechten.
Sie trennten sich früher, als es sonst ihre Gewohnheit war. Mohr ging noch lange durch die Stadt, und in seinem erfinderischen Gemüth verdrängte ein Plan den 234 andern, wie das Uebel, das so plötzlich wieder ausgebrochen war und den schönen Einklang dieser beiden Menschenleben zu zerstören drohte, am raschesten und sichersten zu heben sein möchte.
Zuletzt erfand er eine völlig unsinnige Katastrophe, die darauf hinauslief, daß er Toinette als die moralische Urheberin von Balder's Tode darstellen und durch eine kühne Mordanklage sie für ewig von Edwin trennen wollte. Es war in der ganzen Erfindung kein Funken Menschenverstand, aber gerade das Ungeheuerliche und Unmögliche darin schmeichelte seiner überreizten Stimmung und brachte es dahin, daß er endlich wie Einer, der mit seinem Tagewerk wohl zufrieden sein kann, zu Bette ging und sieben Stunden in Einem Striche schlief.
Er fuhr aber mit einem kleinen Schrecken in die Höhe – aus einem Traum, in welchem er der Unheilstifterin die stärksten Dinge gesagt und mit ihrem gräflichen Gatten ein Pistolenduell auf Tod und Leben verabredet hatte, – da er Edwin in grauer Morgenfrühe an seinem Bette stehen sah, wieder mit Rock und Wandertasche, wie in den letzten Tagen ihrer Reise. Edwin lächelte zu seinem Erstaunen und schien überhaupt auf einmal ein viel gesunderer Mensch geworden zu sein.
Ich wollte nur fragen, ob du mit willst, sagte er. Lea hat mir auseinandergesetzt, daß es thöricht wäre, die letzten acht Ferientage hier zu versitzen. Ich hätte ja längst einmal die Partie nach den »Wildwassern« machen wollen, die etwa drei bis vier kleine Tagereisen hin und zurück kostet. Daneben könnte ich noch mancherlei 235 unterwegs mitnehmen, dich schließlich wieder bei Frau Christiane und dem bedeutenden Knaben abliefern und kurz vor Schulanfang wieder zurück sein. Ich wollte erst nichts davon hören. Mir ist draußen nicht recht wohl; um jede Felsecke, fürcht' ich immer, könnte mir ein Gesicht entgegenkommen, das ich lieber vermiede. Aber freilich, müde und arbeitsunlustig, wie ich bin, wäre ich auch hier nicht viel nutz und ängstigte nur mein gutes Weib. Höre, Heinz, diese Lea kennst du noch gar nicht, Niemand kennt sie. Ich möchte sehen, wie viele Weiber das, was uns jetzt begegnet ist, mit so großer Seele hingenommen hätten. Geh nur, sagte sie, es wird dir gut thun, wenn du nur versprichst, es nicht wieder so toll zu treiben, wie die letzten Tage, sondern wirklich bloß spazieren zu gehen. Wenn du dann wiederkommst, findest du eine ganz vernünftige Frau. – Ich hörte es in ihrer Stimme zittern, es wollte ihr feucht aus den Augen quellen, aber sie brachte trotzdem ein Lächeln zu Stande und dann – ihren Mund hab' ich freilich nicht geküßt, so lang ich zurück bin – hab' ich's nicht gewagt, weil ich an die letzte Nacht im Schlosse dachte? – hat sie es mir noch nicht gönnen wollen? Aber es fehlt mir jetzt, ganz sonderbar fehlt es mir – du wirst mich auslachen, Heinz, aber ich meine, ich wäre auf Einen Schlag wieder ganz genesen, wenn diese meine einzige Freundin, meine kluge, stolze, traurige kleine Frau –
So laß uns gleich zu ihr gehen und sag ihr das! Ich habe mich ohnedies noch nicht von ihr beurlaubt. Und so früh es ist – 236
Nein! fiel Edwin mit ängstlicher Hast ihm ins Wort, sie erwartet uns nicht mehr. Auch für unsere Nachbarn hab' ich ihr die Abschiedsgrüße hinterlassen. Komm, mein Junge. Ich weiß nicht, was es ist, aber ich kann's nicht erwarten, bis ich erst wieder in Wald und Feld bin. Was deine Rechnung hier im Hause betrifft, die ist schon bereinigt. Es versteht sich, daß der »Stern« nur eine Dépendance unserer Hütte ist, in Fällen, wo hohe Reisende eintreffen, die wir bei uns nicht unterbringen können.
Er half ihm rasch sein Wanderränzel packen und drängte ihn dann zur Thür hinaus. Als sie eben aus dem Hause traten, sahen sie den Wagen des Gasthofs, der täglich um diese Stunde die Reisenden von der Bahn abholte, zurückkommen. Eine einzelne Dame, dicht verschleiert, die mit dem Nachtzug eben angekommen sein mußte, saß in die Ecke des schwerfälligen Kastens gedrückt. Als sie an den beiden Wanderern vorbeifuhr, machte sie eine lebhafte Bewegung, als erkenne sie Jemand, zog sich aber rasch wieder zurück.
Auch Edwin war zusammengefahren. – Hast du wohl bemerkt –? sagte er rasch.
Was?
In dem Wagen da – die Verschleierte – mir war einen Augenblick, als erkennte ich – an der Art sich vorzubeugen –
Du siehst Gespenster, mein Bester. Herzoginnen reisen mit Gefolge und nicht im Omnibus.
Du hast Recht! Ja wohl, ich bin ein Narr. Was 237 hätte sie auch hier – Aber das ist eben das Kreuz, daß ich alle Augenblicke zusammenfahre, wenn nur ein Wagen rasselt – eine Thüre geht. – Die Natur, die mich zum Philosophen machte, hat nur für Eins nicht gesorgt: für eine angemessene Dosis der berühmten Ataraxie.
Leider wahr! versetzte Mohr achselzuckend. Aber deine kluge Frau hat Recht: dies Kraut wächs't draußen im Gebirg und bei den Wildwassern. Auch ich bin nicht unerschütterlich, Kind, und ersuche dich freundlichst, mich nicht so krampfhaft anzupacken, wenigstens nicht ehe ich gefrühstückt habe. Dies wollen wir also auf der nächsten Station vor allen Dingen besorgen, und dann sing' ich dir das alte Eichendorff'sche Wanderlied, das Christiane sehr hübsch componirt hat:
Durch Feld und Buchenhallen
Bald singend, bald fröhlich still,
Recht lustig sei vor allem,
Wer's Reisen wählen will! 238