Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Ein seltsamer Zufall fügte es, daß gerade an demselben Tage und fast zur selben Stunde noch ein Anderer der Freunde die Entscheidung über sein Wohl und Weh einem weiblichen Wesen ans Herz legte und keinen tröstlicheren Bescheid erhielt, ja mit noch räthselhafterem Schicksalsspruche zurückgewiesen wurde, als Edwin.

Dies aber trug sich folgendermaßen zu.

Mohr war, wie jeden Tag, auch heute in das Häuschen an der Lagune gekommen, um nach Christiane zu fragen. Seit der Unglücksnacht hatte er sie nicht wiedergesehen, er nicht und kein anderes männliches Auge; denn auch Marquard, ihren Lebensretter, zu sich einzulassen, hatte sie sich entschieden geweigert. Sie saß in der schmalen Kammer hinter der Küche, die ihr die alte Magd abgetreten hatte; das einzige vergitterte Fensterchen ging auf den Canal und die blinde, schwärzliche Feuermauer hinaus. Da hatte sie sich eingeriegelt und öffnete nur auf Lea's Klopfen: aber auch für deren herzliches Bezeigen blieb sie stumm und saß die ersten Tage starr wie eine Bildsäule auf dem Strohschemel am Fenster, die Augen immer 195 nur auf das trübe Wasser da unten geheftet. Es schien, daß sie sich hier wie in einem selbstgewählten Gefängniß vorkam, am liebsten auf Lebenszeit von der Welt abgetrennt. Von den Speisen, die ihre Pflegerin ihr brachte, berührte sie nichts, als ein wenig Suppe und Brod, und das Einzige, was sie gesprochen hatte, war am dritten Tage die Bitte gewesen, ihr eine Arbeit zu geben. Seitdem hatte sie, immer auf derselben Stelle sitzend, vom frühen Morgen bis in die Nacht genäht, Weißzeug ausgebessert und Tücher gesäumt und auf alle schüchternen Bitten und Fragen des Mädchens nur einen Händedruck und ein düsteres Kopfschütteln zur Antwort gehabt.

Auch heute derselbe hoffnungslose Bericht. In der Nacht hatte sich Lea in die Küche geschlichen und an der Kammerthür gehorcht. Sie habe die Aermste ruhelos hin und her gehen hören, vielleicht um sich zu erwärmen, da die Nacht kalt war und sie es nicht litt, daß ein Feuer in dem kleinen Ofen angezündet wurde. Manchmal habe sie gestöhnt wie ein Mensch im tiefsten Jammer, den er vergebens in seine Brust zurückzudrängen sucht. Erst lange nach Mitternacht sei es still geworden.

Was soll daraus werden, wenn Gottes Barmherzigkeit kein Wunder thut und die arme verfinsterte Seele mit einem Strahl seiner Liebe und Gnade erleuchtet! rief der kleine Maler mit einem tiefen Seufzer. O mein Kind, siehst du nun nicht, wie Recht ich habe, daß alle irdischen Wege ins Dunkel und in die Irre führen, ohne das demüthige Bemühen, die Hand unseres Gottes zu erfassen und uns daran aufrecht zu erhalten? Dies arme 196 verlorene Leben! Gott verzeih' mir's, aber fast muß ich dem Doctor Recht geben: wer kann wissen, ob es zu ihrem Heil war, daß wir uns so viel Mühe gaben, sie wieder aufzuwecken!

Lea stand an ihrem Maltisch, das blasse Gesicht zu Boden gekehrt. Sie sagte Nichts. Das Herz war ihr von eigenem und fremdem Kummer so schwer, daß sie selbst am liebsten sich aus dieser Welt hinweggewünscht hätte, wäre nicht der Vater gewesen.

Meine verehrten Freunde, sagte Mohr, von dem Stuhl aufstehend, auf dem er eine Weile brütend und dicke Wolken aus seiner Cigarrette qualmend gesessen hatte, – auch ich bin der Meinung, es müsse endlich etwas geschehen. Wir haben der Barmherzigkeit Gottes hinlänglich Zeit gelassen, falls es ihr beliebt hätte, ein Wunder zu thun. Vielleicht wartet sie, ob wir uns nicht vorher noch rühren und das Ding mit unsern geringen Menschenkräften angreifen möchten. Und dazu bin ich wenigstens, als ein ziemlich hartgesottener Heide – nichts für ungut, Herr König – fest entschlossen.

Was wollen Sie thun? fragte Lea, erschrocken aufblickend.

Mohr reckte seine herculische Gestalt, wie er es zu thun pflegte, wenn er nach langem Bedenken mit einem Entschluß fertig geworden war. Die nervigen Arme stießen fast gegen die Decke, dann vergrub er die Hände in dem krausen Haar und sagte, die Augen halb zudrückend und die Lippe rümpfend: 197

Dieser Marquard mag sein Handwerk gut genug verstehen, soweit es das Physische betrifft. Aber mit dem Frottiren der Glieder ist nicht Alles gethan. Es gilt, auch die Seele, die jedenfalls bei der Gelegenheit mit erstarrt ist, durch spirituelle Friction und allerlei moralische Senfpflaster wieder zu erwärmen; sonst friert so eine desperate Menschenseele noch immer ihren Todesfrost fort, während der Körper schon ganz munter sich seines wieder aufgethauten Blutumlaufs erfreut. Ich will hinein zu ihr und ein bischen Wiederbelebungsversuche mit dieser scheintodten Seele vornehmen, was wir schon längst hätten thun sollen.

Sie wird Sie nicht vorlassen, sagte Lea mit trübem Kopfschütteln, und wenn auch – was hab' ich nicht alles an guten Worten und herzlichstem guten Willen aufgeboten –

Gewiß, mein verehrtes Fräulein, aber das ist's eben: Sie haben sie mit Handschuhen angefaßt. Ich – hm! ich will's auf eine derbere Manier versuchen. Teufel auch! – nichts für ungut, Herr König – aber wahrhaftig, der böse Feind, wenn's einen giebt, lachte sich ins Fäustchen, und das mit Recht, wenn wir diese arme Seele, die wir ihm mit Noth aus den Krallen gerissen, nun so schwachmüthig ihm wieder verfallen ließen. Hier gilt's Gewalt gegen Gewalt und zuerst ein bischen Finesse; wenn Sie jetzt anklopfen, Fräulein Lea, und sagen, Sie wollten zu ihr hinein, und lassen dann mir den Vortritt – eine so unschuldige Kriegslist wird ihnen am jüngsten Tage nicht als Sünde angerechnet werden. 198

Ich fürchte, es ist umsonst, erwiederte Lea, wenn es nicht gar noch schadet. Ich wenigstens – aber vielleicht verstehe ich das nicht.

Sie ging hinaus, und Mohr folgte ihr, auf den Zehen, in einer ungeschickt erkünstelten Munterkeit, wie wenn es auf einen lustigen Schwank abgesehen wäre. Dabei zitterten die Hände, mit denen er sich durchs Haar fuhr.

Als Lea an die Kammer klopfte, hörte man eine fast erloschene Stimme von innen: Wer ist da?

Ich, liebe Christiane, antwortete das Mädchen; und ich wollte fragen, ob Sie erlaubten – denn hier ist –

In demselben Augenblick wurde der Riegel zurückgeschoben. Mohr trat ohne Weiteres an Lea vorbei in die halbgeöffnete Thür.

Hier ist nämlich noch Jemand, setzte er Lea's Rede fort, der sich nach Fräulein Christianens Befinden erkundigen möchte. Verzeihen Sie es einem alten Freunde,. daß er sich nicht immer hinter Schloß und Riegel abfertigen lassen will? Beim Styx, verehrte Freundin, Sie haben sich hier gerade nicht das lustigste Quartier ausgesucht. Dieser helldunkle Käfich ist ungemein dazu angethan, Grillen zu fangen.

Sie sprach kein Wort. Sie war beim Eintritt Mohr's, der die Thür sofort hinter sich zumachte, heftig zusammengefahren und zu dem Stuhl neben dem vergitterten Fenster zurückgeflüchtet. Da stand sie unbeweglich, die Arme fest über der Brust gekreuzt, die Augen so tief gesenkt, daß sie fast zu schlafen schienen. Der scherzende 199 Ton erstarb ihm auf den Lippen, als er die Todtenblässe auf ihrem Gesicht gewahrte und den Ausdruck eines hoffnungslosen Leidens um Mund und Augen. Wie er näher trat und Miene machte, eine ihrer Hände zu fassen, drückte sie sich noch dichter an die Fensterwand, glitt auf den Stuhl nieder und wehrte mit dem abgewandten Haupt und einer schaudernden Geberde des Körpers seine Annäherung ab.

Ein unsägliches Mitleid durchzuckte ihn.

Fräulein Christiane, sagte er, als er sich erst ein wenig von der Erschütterung dieses Wiedersehens erholt hatte, mein Besuch ist ihnen widerwärtig; das thut mir herzlich leid, aber ich habe viel zu ernste Gründe zu meiner Zudringlichkeit, um, wie es wohlerzogene Menschen in solchen Fällen zu thun pflegen, mich Ihnen gleich wieder zu empfehlen. Je ruhiger Sie mich anhören, je rascher werden Sie mich los. Wollen Sie mich anhören?

Er wartete lange Zeit und konnte hören, wie schwer sie athmete.

Nein! brach es endlich rauh von ihren kaum sich öffnenden Lippen. Gehen Sie – lassen Sie mich – ich habe Nichts zu hören noch zu reden!

Erlauben Sie mir, das zu bezweifeln, fuhr er mit scheinbarer Ruhe fort. Zunächst – Sie sind krank. Die gescheidtesten Kranken wissen nicht, was ihnen heilsam ist, sie sind gewissermaßen unzurechnungsfähig. Ob Sie mir etwas zu sagen haben, weiß ich nicht. Ich dagegen hätte Ihnen allerdings Einiges zu sagen, und 200 zunächst, ohne alle Umschweife: ich weiß, Sie sind mir böse, daß ich Sie verhindert habe, Ihren Zweck zu erreichen und dieser Welt, die Ihnen aus unbekannten Gründen mißfiel, den Rücken zu kehren. Wissen Sie, warum ich mir diese eigenmächtige Freiheit nahm? Nicht etwa aus allgemeiner Menschenliebe. Ich würde mich wohl hüten, den Ersten Besten, den ich den Sprung in den Abgrund machen sähe, am Rockschoß zurückzuhalten. Nein, mein theures Fräulein, was ich für Sie gethan, habe ich aus ganz gemeiner Selbstsucht gethan. Denn ich muß Ihnen erklären, daß diese Welt, wenn Sie sich nicht mehr darin aufhielten, auch für mich sehr an Reiz verlieren würde, etwa wie ein Quartett, bei dem die erste Geige nicht mehr mitthäte. Entschuldigen Sie das nicht sehr geistreiche Gleichniß. Aber Ihrem so ungnädig abgewandten Gesicht gegenüber bin ich froh, wenn ich nur überhaupt meine Sätze zusammenstopple, ohne alle Stilprätensionen.

Sie schwieg noch immer, die Stirn gegen die nackte Wand gedrückt, die Hände jetzt krampfhaft in einander geschlossen.

Ich weiß nicht, für was Sie mich bisher gehalten haben, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort, indem er sich an den Pfosten des Bettes lehnte und sich heimlich die Stirn trocknete, obwohl es sehr kalt in der Kammer war. Wahrscheinlich haben Sie keine ganz so schlechte Meinung von mir gehabt, wie ich selbst, da ich eitel genug war, Ihnen gegenüber so viel als möglich meine besten Seiten herauszukehren. Aber Eins wissen Sie 201 noch nicht von mir: ich mag als Mensch ziemlich unnütz und unerquicklich sein, so ein überzähliges, verpfuschtes Individuum: als Pudel aber bin ich ausgezeichnet. Die paar Menschen, an denen ich hänge, werden mich nie wieder los, sie mögen anfangen, was sie wollen, es mag ihnen lieb oder leid sein. Und so muß ich leider auch Ihnen erklären, daß es Ihnen nichts helfen wird, mich zurückzustoßen, mich schlecht zu behandeln, wohl gar, um mich nur loszuwerden, noch einmal ins Wasser zu gehen: der Pudel springt Ihnen nach und holt Sie doch wieder heraus, und müßte es mit den Zähnen sein.

Ich weiß, daß Sie, wenn Sie mich überhaupt eines Wortes würdigten, jetzt fragen würden, mit welchem Recht ich mich an Sie herandränge, was Sie mich angehen, warum ich Sie mit meinen unerbetenen Pudel-Qualitäten belästige. Liebes Fräulein, ich könnte darauf antworten, daß ich das selbst so wenig wüßte, wie ein richtiger Pudel, daß es eben Instinct sei. Aber ich habe vielleicht noch eine bessere Antwort: mein Lebensunglück, liebe Freundin, ist, immer nur etwas Halbes zu Stande zu bringen. Nun verdrießt es mich ungeheuer, daß es mir auch diesmal, mit der Rettung Ihres Lebens, wieder nur halb glücken zu wollen scheint, und da will ich doch einmal sehen, ob ich's jetzt nicht durchsetzen kann – wenn ich mich ganz und gar – mit Haut und Haar – mein bischen Kopf und Herz und meine reichliche Portion Eigensinn zusammengenommen – dieser Aufgabe widme.

Stoßen Sie sich nicht an meine nicht sehr gewählte 202 Ausdrucksweise, liebe Christiane! Es ist mir trotzdem verdammt heiliger Ernst damit, das können Sie glauben. Wissen Sie, was ich den Brüdern in der Tonne sagte, als ich Sie zuerst gesehen und mir die verdiente Abfertigung von Ihnen geholt hatte? – Daß Sie »ein ganzer Kerl« wären, vor dem ich ungeheuren Respect hätte. Und diesen Respect habe ich heute noch, und weil ich Sie für eines der seltenen Frauenzimmer halte, denen ein braver Mensch auf alle Gefahr Herz und Hand –

Still! O um Gotteswillen, still! unterbrach sie ihn, aus ihrer Versteinerung auffahrend. Gehen Sie, gehen Sie – sagen Sie Nichts mehr – jedes Ihrer Worte ist wie eine glühende Nadel, mir ins wunde Fleisch gebohrt – oh oh! Das –! Sie wissen nicht – Sie sollen auch nie wissen –

Narrenspossen, bestes Fräulein! Ich soll nicht wissen? Als ob ich überhaupt zu wissen wünschte – oder als ob irgend Etwas, was ich erfahren könnte, meine Gesinnung für Sie zu ändern im Stande wäre! Nein, meine verehrte Freundin, das ist gar nicht Pudel-Comment. Sein Herr kann das Vaterland retten oder silberne Löffel stehlen, er leckt ihm gleich ehrerbietig die Hand. Was Sie für eine Veranlassung hatten, jenes sehr voreilige kalte Bad zu nehmen, verlange ich bis ans Ende der Welt nicht zu erfahren. Es war Ihnen natürlich nicht ganz wohl in Ihrer Haut, Sie hatten allerlei von den bitteren, wurmstichigen Aepfeln genascht, die am Baum der Erkenntniß hängen, und der Krampf, der in Folge dessen Ihr Inneres zusammenzog, schien Ihnen 203 unerträglich. Sei's drum! Jetzt liegt das hinter uns, wir haben uns von der Indigestion durch eine Gewaltcur befreit und können nach und nach wieder Geschmack an der Hausmannskost finden, die das Leben so im Durchschnitt auftischt. Leuchtet Ihnen dies nicht ein, Beste, Theuerste von allen Künstlerinnen? Sie wären nicht, was Sie sind, Sie spielten nicht Beethoven, wie Sie ihn spielen, wenn Sie an allen Abgründen und Dornenhecken dieses mißlichen Daseins so ganz heil und ungerupft vorbeikämen.

Er wartete eine Weile, ob sie antworten würde; dann versuchte er wieder, sich ihrem Fenster zu nähern; aber wieder wehrte sie mit ängstlicher Geberde ab, als ob er sich entwürdigte, wenn er ihre Hand berührte.

Nein – nein – nein! rief sie mit erstickter Stimme. Sie denken tausendmal zu gut von mir. Ich – o es giebt Nichts, was weniger zu leben verdiente – weniger das Leben zu ertragen vermag, als dies elende Geschöpf, nach dem Sie – aufopfernd wie Sie sind – Aber nein, ziehen Sie Ihre Hand nur wieder zurück; Sie wissen nicht, wen Sie damit aufrichten wollen!

Steht es so? sagte er plötzlich ruhig. So müssen wir wohl ohne Mäntelchen das Ding beim Namen nennen, damit wir uns nur verständigen. Die Statistik und die blinde öffentliche Meinung stimmen darin überein, daß von allen Frauenzimmern, die sich eigenmächtig aus der Welt schaffen, neun Zehntel aus unglücklicher Liebe, betrogener, unerhörter oder verhängnißvoller Leidenschaft den Tod suchen. Sollte Ihr Fall unter diese gehören, so wollte ich Ihnen nur mittheilen, daß mich die 204 gemeinen Vorurtheile der Welt nicht abhalten können, mich Ihnen trotz alledem zur Verfügung zu stellen. Sie, wie ich Sie kenne, können nie etwas Niedriges, Halbes, Armseliges gethan haben – was allein Sie in meinen Augen herabsetzen könnte, weil es Ihr Bild in mir zerstören und Lügen strafen würde. Selbst wenn eine Leidenschaft Sie einem Unwürdigen in die Arme geführt hätte und Sie den grimmigen Schmerz über einen bübischen Verrath, eine teuflische Niederträchtigkeit –

Er verstummte plötzlich, erschreckt durch den furchtbar starren, fast medusenhaften Ausdruck, mit dem sie ihm voll ins Gesicht sah.

Ich danke Ihnen, sagte sie tonlos. »Teuflische Niederträchtigkeit« das Wort ist gut, sehr gut! Schade nur, daß ich Ihnen nicht erklären kann, warum es so vortrefflich paßt. Denn das – das spricht kein Mund aus, außer im Wahnsinn, und der will leider noch immer nicht kommen. Vielleicht, wenn ich mir das Wort noch oft vorsage, recht bedenke, wie gut es paßt – aber nein, so menschenfreundlich ist das Schicksal nicht! In den Koth mit dem Wurm, wenn er sich noch krümmen will. Aber ihn zertreten, ihm den Gnadenstoß geben – behüte! das wäre viel zu menschlich, zu großmüthig für eine verehrungswürdige Vorsehung. Pfui, wie einem die Zunge bitter wird von diesem Erdgeschmack!

Sie schauerte zusammen. Dann richtete sie sich von ihrem Strohsessel in die Höhe, als ob eine fremde Macht sie aufrüttelte. Sind Sie wirklich noch hier? rief sie. Fühlen Sie denn nicht, daß ich unter allen 205 Menschen Sie am meisten hassen muß, weil Sie mich Verlorene mir selbst zurückgegeben, mich in mein Schicksal zurückgeschleudert haben, dem ich schon entronnen zu sein glaubte? Das ist auch wieder so ein ausgesuchter Hohn, daß Sie mit Ihrem guten, warmherzigen Wahn, mir helfen zu wollen, jetzt kommen müssen, wo Nichts mehr zu retten ist. Hahaha! Wenn Sie noch eine Weile bleiben, kann am Ende noch Rath werden zum Wahnsinn. Das wäre denn wirklich ein Freundschaftsdienst, durch den Sie Viel wieder gut machten. Bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen? Wir können ein bischen Musik machen; – ein paar falsche Töne mehr oder weniger – was liegt daran? Die Sphärenharmonie kommt darum nicht aus dem Takt. Nun? Wollen Sie nicht? Warum schweigen Sie jetzt?

Christiane, sagte er, und ein unerschütterlich ernster Wille klang aus seiner Stimme, – ich will Ihnen mein fatales Gesicht aus den Augen schaffen – für heute! Aber darauf verlassen Sie sich: Sie sehen mich wieder. Denn bei meiner armen Seele: Sie wissen nicht, Sie ahnen nicht, was ein redlicher und tapferer Mensch für Mittel hat, Wunden zu heilen, die tödlich scheinen. Ich – o Christiane, hier – nach Allem, was Sie mir gesagt haben – ich kann Sie nicht aufgeben, kann Sie nicht sich selbst überlassen; und dies furchtbare, dies unbegreifliche Schicksal – lassen Sie mir nur Zeit, mit ihm zu ringen; ich denke, ich bin der Stärkere von Beiden. Mir gehört Ihr Leben. Sie haben es weggeworfen, und ich, der ehrliche Finder, bringe es Ihnen zurück – 206 und wenn Sie es verschmähen, so ist es mein. Lassen Sie mir nur Zeit! Versprechen Sie mir nur –

Nichts! sagte sie mit wilder Entschlossenheit, mit der sie sich gegen die Kraft seiner beschwörenden Worte zu waffnen suchte. Ich bin zu Ende. Nie – niemals sehen Sie mich wieder!

Sie wandte sich ab und verbarg ihr Gesicht in beide Hände, die sie gegen das Eisengitter drückte. Nach einer Pause hörte sie ihn sagen: So sei es denn; ich gehe. Aber jedes Wort, das ich gesagt habe, bleibt bestehen. Von jetzt an ist Ihr Leben mein. Ich will doch sehen, wer es mir aus den Händen reißt!

Damit schritt er aus der Kammer.

Lea und der Vater erwarteten ihn draußen im Wohnzimmer. Er ging stumm an ihnen vorbei, als sähe er sie nicht. Der Ausdruck seiner Züge war so stier und drohend, daß Keins von Beiden ihn anzureden wagte. 207

 


 


 << zurück weiter >>