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Um dieselbe Zeit, wo sich dies im Hinterhause zutrug, war der Hausherr vorn im Laden im Gespräch mit einem Kunden begriffen, der ihm eben, sorgfältig in eine alte Zeitung gewickelt, ein Paar gestickte Pantoffeln zum Ausbessern gebracht hatte.
Es war etwas Ungewöhnliches, den Meister um diese Tageszeit nicht in der Werkstatt zu finden. Aber es war auch, wie man sich entsinnen wird, ein ungewöhnlicher Tag, Reginchens Geburtstag, und die Mutter, die sonst im Laden das Regiment führte, mußte es heut an ihren Gemahl abtreten, um selbst in der Küche den Teig zu dem üblichen Festkuchen einzurühren. Sie hätte sich das nicht nehmen lassen, obwohl an der nächsten Ecke eine Conditorei war. Aber das Reginchen liebte seit seinem vierten Jahr eine bestimmte Art hausbackener Pflaumenkuchen, und obwohl sie der Mutter selten etwas recht machen konnte und beständig gehofmeistert wurde, war sie doch, was sie recht gut wußte, ihr Augapfel, für den die brave Frau durchs Feuer gegangen wäre. Also stand Madame Feyertag, so heiß der Tag war, ohne Murren 69 neben der Magd am Herde und ließ sich heute sogar die Hauptsorge, weßhalb sie ihren Eheherrn nicht gern im Laden duldete, nur wenig anfechten: die eifersüchtige Furcht, es möchte weibliche Kundschaft vorsprechen und der Meister andere Füße, denen er das Maß nehmen sollte, niedlicher finden, als die mit dem legitimen Pantoffel geschmückten seiner Frau Meisterin.
Zu einem solchen Verdacht hatte nun freilich der gute Mann, obwohl er in seinen Gesellenjahren ein loser Vogel gewesen sein mochte, während der dreiundzwanzigjährigen, höchst friedfertigen Ehe nicht den leisesten Anlaß gegeben. Nur seit einigen Monaten war etwas mit ihm vorgegangen, das der klugen Frau auffiel; nicht sowohl in seinem Thun und Treiben, da er seine soliden Lebensgewohnheiten ruhig fortsetzte, auch gegen obbemeldeten Pantoffel sich in der That nicht auflehnte, wohl aber in seinen Reden. Daß er beständig vom Fortschritt sprach und gegen alle Sklaverei, auch die häusliche, sehr anzügliche Reden losließ, war sie schon gewohnt und gönnte ihm gern dieses unschuldige Vergnügen, da dennoch Alles nach wie vor in Staat und Familie seinen ruhigen Gang ging. Seit einem Vierteljahr aber war der Ton seiner Umsturz-Tischreden verändert und ihre Spitze regelmäßig gegen »die Weiber« gekehrt, denen er die boshaftesten Sachen, und zwar meist in wundersamen Fremdwörtern, nachsagte. Es war noch gut, wenn er diese schnöden geflügelten Worte nur in dem liberalen Bezirksverein aufgeschnappt hatte, dem er überhaupt seine ganze fortschrittliche Bildung verdankte. 70 Aber dort waren, bis auf besondere feierliche Anlässe, die Frauen ausgeschlossen, und bei Festen hatte immer ein recht anständiger Ton geherrscht, von dem obligaten Toast auf das schönere Geschlecht ganz zu schweigen. Wenn es nun plötzlich statt »Frauen« immer nur »Weiber« hieß und vom »Geschlecht« mit einer Geringschätzung gesprochen wurde, zu der Madame Feyertag's Person und Betragen nicht die mindeste Veranlassung gaben, so war nichts wahrscheinlicher, als daß der Meister seine ganz neue Weiberkenntniß in anderen Kreisen gemacht und vielleicht, durch eine Bekanntschaft im Laden verführt, auch dem leichtfüßigeren Theil des Geschlechtes näher getreten war, als es für den Hausfrieden wünschenswerth sein konnte. Seitdem hatte Madame Feyertag ein scharfes Auge auf den heimlichen Sünder, duldete ihn nicht mehr im Laden und hatte sich auch, wenigstens in Reginchens Gegenwart, die anzüglichen Reden nachdrücklich verbeten.
Der gute Mann wußte sich für diesen Zwang durch desto freiere Mittheilungen gegen Andere zu entschädigen, und eben an jenem Vormittage, wo wir ihn ausnahmsweise im Laden treffen, war er im besten Zuge, seinem Herzen Luft zu machen. Der ihm diesmal still halten mußte, ließ den Strom seiner Beredsamkeit mit einigem Befremden über sich ergehen. Es war ein kleiner ältlicher Herr von schüchternem, aber lebhaftem Wesen und einer so gewinnenden Harmlosigkeit im Ausdruck des zarten, regelmäßig geformten Gesichtes, daß es selbst einem flüchtigen Beobachter auffallen mußte; eines jener 71 Gesichter, die wegen der Feinheit der Haut früh verwelken und doch eigentlich nie alt werden. Ein kleines graues Schnurrbärtchen bemühte sich umsonst, der unschuldigen Kindermiene einen martialischen Anstrich zu geben, wie es auch der Stirn, die am Scheitel kahl geworden war, nicht gelang, ihren Besitzer in den Verdacht eines tiefen Denkers zu bringen. Die sanften kleinen Augen aber konnten, wenn es sich um Wichtigeres handelte, dennoch ein eigenes Feuer ausstrahlen und das ganze Gesicht aufs Ehrwürdigste verklären.
Dieser kleine Mann trug ein sauber gebürstetes, aber ziemlich fadenscheiniges Röckchen, nach der Mode, die vor zehn Jahren regiert hatte, und eine große schwarze Cravatte, in der eine Tuchnadel mit einem weiblichen Miniaturporträt steckte. Einen altmodigen, mit Flor umwundenen grauen Hut hatte er auf den Ladentisch gestellt und saß, die Hände auf ein Stöckchen aufgelegt, dem Meister gegenüber, der eben die Pantoffeln geprüft und erklärt hatte, sie ließen sich ganz gut noch einmal herausflicken, wenn auch etwas von der Stickerei dabei verloren ginge.
Nur so schonend als möglich, lieber Meister, bat der kleine Herr. Sie sind das letzte Geburtstagsgeschenk meiner seligen Frau, was sie selbst gearbeitet hat. In den fünf Jahren hab' ich sie beständig getragen; aber ich trete so leise auf, daß ich nicht viel Schuhwerk abnutze. Ich bin wohl Ihr schlechtester Kunde, setzte er mit einem entschuldigenden Lächeln hinzu.
Ist nicht an dem, Herr König, versetzte der Meister, 72 ist mir immer eine Ehre und ein Vergnügen, für Sie und Ihre werthe Familie zu arbeiten, schon von wegen dem hohen Spann, der bei Ihnen in der Familie ist, und dann, weil Sie ein Maler sind und für die Façon ein Auge haben. Was die Dauerhaftigkeit anbelangt, so ist das nicht Ihr Fehler, sondern liegt im Leder; und übrigens, wenn das Fräulein Tochter nur erst auf Bälle geht, wird sich das schon finden. Dagegen hilft keine solide Arbeit, Herr König; Tanzschuhe, die nicht wie Mohnblätter sind, nur so zum Zerblasen, damit legt der beste Schuster keine Ehre ein.
Der kleine Herr schüttelte nachdenklich den Kopf.
Meine Tochter, fürcht' ich, wird Ihnen in dem Artikel wenig zu verdienen geben, lieber Meister, sagte er. Sie will von allen noch so anständigen Pläsirs, die ich ihr gern gönnen würde, nichts hören: immer nur ihre Arbeit und ihr Vater, und davon ist sie nicht abzubringen.
Nu, nu, sagte der Meister und zog eine kleine silberne Dose aus seiner Jacke, um sie dem Maler anzubieten, das wird sich schon geben. Weiß wohl, Fräulein haben immer so was Apartiges gehabt, auch die Frau Mama gar nicht vergessen können, aber Weiber sind Weiber, Herr König, und Jugend hat keine Tugend. Zwar tragen Sie selber noch immer den Flor um den Hut; es mag also wohl im Blute liegen. Aber es giebt sich schon. Der Wille, Herr König, ist der Meister, die Vorstellung ist schwach, so schwach, daß man oft gar keine Vorstellung davon hat. 73
Sie sind im Irrthum, erwiderte der Andere und sah mit einem stillen, sinnigen Blick zu Boden. Sie ist wieder ganz heiter geworden, und auch ich, obwohl mir meine selige Frau noch alle Tage fehlt, – der liebe Gott will keine Kopfhänger, dazu hat er die Welt viel zu schön gemacht. Den Flor da – allerdings, den hab' ich um den Hut behalten. Warum sollt' ich ihn wieder herunterthun, und wann? Es wäre mir wunderlich vorgekommen, an einem bestimmten Tage zu mir zu sagen: von heute an soll es nicht mehr so sein, wie es gestern war; ich will jetzt das Erinnerungszeichen wegthun. Hätte ich damit die Erinnerung weggewischt? Aber wenn auch die Mutter noch lebte, das Kind, glaub' ich, wäre darum nicht anders. Es hat einen ganz eigenen Charakter.
Erlauben Sie gütigst, daß ich Ihnen da widerspreche, sagte der Meister mit großer Bestimmtheit, trotz der höflichen Wendung, deren er sich befleißigte. Weiber, was Weiber sind, haben überhaupt keinen eigenen Charakter, sondern nur so einen Gattungscharakter. Denn ihre ganze Bestimmung, weßhalb sie auf der Welt sind, ist nur, mit Salvenia zu sagen, die Gattung fortzupflanzen, was man Propagation nennt. Ein Frauenzimmer, das noch was Anderes will, mit dem ist's nicht ganz richtig, ohne Ihrer Fräulein Tochter zu nahe treten zu wollen.
Der Maler sah ihn so groß an, als es seine kleinen Augen irgend erlaubten. Was reden Sie da für sonderbare Sachen, lieber Meister? sagte er ganz treuherzig. Ist ein Weib nicht so gut ein Geschöpf des lieben Gottes, 74 wie unsereins, nach seinem Bilde geschaffen und mit Seele und Geist begabt?
Der Meister lachte überlegen in sich hinein.
Nehmen Sie mir's nicht übel, Herr König, sagte er, aber diese Ansicht ist eben ein überwundener Standpunkt. Haben Sie denn noch gar nichts von dem großen Philosophen Schopenhauer gehört? Der giebt's Ihnen scharf; der beweis't's Ihnen, wie zwei mal zwei Vier, was es mit der ganzen sogenannten Ehemancipation der Frauen auf sich hat.
Ich komme wenig zum Lesen, versetzte der kleine Maler. Aber das Wenige, was Sie mir da mittheilen, macht mich nicht eben begierig, einen Schriftsteller kennen zu lernen, der von dem edelsten und liebenswürdigsten Theil der Menschheit so gering gedacht hat. Da halte ich es lieber mit meinem Schiller: »Ehret die Frauen«!
»Sie flechten und weben« – fiel der Meister ein. Nu ja, das mögen sie denn auch künftig thun, das ist eine ganz nützliche Beschäftigung. Sonsten aber, was Männergeschäfte sind – dieses niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige Geschlecht, wie Herr Schopenhauer sich ausdrückt, nee, Herr König, das soll man sich nicht über den Kopf wachsen lassen. Propagation, nichts weiter. Aber Propaganda, sehen Sie, so für das Liberale und Fortschrittliche, das ist unsere Sache. Da ist zum Beispiel meine Frau; die beste Frau von der Welt! Aber wenn ich ihr nicht dann und wann den Meister zeigte, wo käm' ich hin? Ich gebe zu, ich habe in den letzten Jahren aus purer 75 Faulheit und Insolenz sie mehr machen und reden lassen, als gut war. Aber der Schopenhauer, der hat mich wieder bei der Ehre gekriegt. Jetzt, wenn sie ihre sociale Stellung verkennen will und sich zu sehr ehemancipirt: sei still, Guste, sag' ich. Auch du warst einmal ein Knalleffect der Natur; aber jetzt knallt es nicht mehr, und der Effekt bleibt aus. – Dann schimpft sie über meine nichtsnutzigen Redensarten, wie sie's nennt, aber sie wagt nicht mehr zu raisonniren, weil sie nämlich gar nicht ahnt, was ich eigentlich damit sagen will, und daß es im Schopenhauer steht. Hahaha!
Er kicherte vergnügt und rieb sich die breiten Hände.
Wie sind Sie nur an das arge Buch gerathen? fragte der Maler.
Sehr einfach. Bei mir hinten im Hof wohnt ein grundgelehrter Herr, Philosoph von Profession und nächster Tage Professor der Philosophie. Wie er einmal nicht zu Hause war, kommt der Buchbinderjunge und liefert einen ganzen Pack frisch eingebundener Bücher in meinem Laden ab, die soll ich richtig an den Herrn Doctor besorgen. Es war nach Tische, wo ich sonst ein bischen nicke. Da, so halb verschlafen, nehm' ich, ohne mir was dabei zu denken, gerade das oberste Buch in die Hand und fange drin an zu lesen, wo's gerade traf. Potz Wetter, wie gingen mir da auf einmal die Augen auf!»Ueber die Weiber stand oben drüber. Ich habe nicht aufhören können, bis ich die letzte Zeile gelesen hatte. Ich sage Ihnen, Herr König, der alte König Salomo, der doch auch was von Frauenzimmern 76 und Gattungsbegriffen und Propagation wußte, bei dem hätte er noch in die Schule gehn können.
Schopenhauer heißt der Verfasser? und einen Philosophen nennen Sie ihn, weil er die alten Gemeinplätze über das andere Geschlecht wieder aufwärmt?
Die Augen des kleinen Malers funkelten bei diesen Worten. Er griff nach seinem Hut, als habe er Eile, den Laden zu verlassen.
Ein Philosoph ist er, so sagt selbst der Herr Doctor, und nicht bloß von wegen dem, was er über die Weiber geschrieben, sondern noch ein dickes anderes Buch hat mir der Doctor gezeigt, es sei aber zu schwer für mich, meint er, so was von Willen und Vorstellung. Wenn Sie es etwa lesen möchten, der Herr Doctor borgt's Ihnen gern.
Ich danke. Ich wünsche durchaus nicht, mit einem Herrn, der solche Gesinnungen hat und verbreiten möchte, Bekanntschaft zu machen.
Der Doctor? Da sind Sie sehr auf dem Holzweg, Herr König. Der will gar nichts von dem Aufsatz über die Weiber wissen und sagt, es stände eben so viel Wahres wie Falsches drin. Er ist noch ein Junggesell, Herr König, was weiß so einer von Gattungsbegriffen? Und auch sonst giebt er sich gar nicht mit Frauensleuten ab, sondern lebt bloß mit seinem kranken Bruder. 's ist Ihnen wie in einem Kloster, Herr König; meine Guste sagt immer, zwei so ordentliche junge Herren würde man in ganz Berlin nicht zum zweiten Mal finden, und wenn man's in der Zeitung ausschriebe und hundert Thaler Belohnung drauf setzte. 77
Wirklich? Und dabei so gelehrt, wie Sie sagen?
Nur bloß der Aeltere, der Doctor; aber mit dem ist es was ganz Stupides! Er hat nicht viel, weil er an der Universität ist, und Sie wissen wohl, der Cultusminister will die ganze Universität aushungern, um dann alle Stellen mit Pastoren zu besetzen; im Bezirksverein ist nur Eine Stimme darüber. Da giebt denn unser Doctor Privatstunden, und der Bruder verkauft seine paar Drechslerarbeiten, und davon leben sie und bezahlen immer pünktlich die Miethe und die Hausrechnung für Kochen und Waschen. Zwei junge Menschen, Herr König, von einer ganz fabelhaften Immoralität!
Der Maler hatte den Hut wieder aus der Hand gestellt und schien mit einem Entschluß zu kämpfen.
Wissen Sie was, lieber Herr Feyertag, sagte er endlich, es wäre mir doch lieb, Ihren Doctor kennen zu lernen. Wenn das Alles so ist, wie Sie sagen, so wäre er am Ende der Mann, den ich schon lange gesucht habe. Meine Tochter nämlich beklagt sich, daß sie sich in ihrer Bildung nicht allein forthelfen könne. Was sie weiß, hat sie von ihrer Mutter. Aber seit die todt ist, habe ich sie zu nothwendig im Hause gebraucht und gedacht, wenn ich ihr nur Bücher kaufte, einen anschlägigen Kopf hat sie ja, so würd's schon von selber gehn. Es scheint aber doch, daß sie ohne ordentlichen Unterricht nicht fertig wird, und nun ist sie auch wieder zu erwachsen und zu gescheidt, um so mit dem Ersten Besten sich zu begnügen, und eine Lehrerin, ein Fräulein, das 78 bei hohen Herrschaften Stunde gegeben hatte, mit der hat sie gleich das erste Mal so klug gesprochen, daß die erklärt hat, sie könne nichts mehr bei ihr lernen. Wenn also Ihr Doctor wirklich so ein Phönix ist und nebenbei ein braver Mensch –
Wenn Sie mit »Phönix« die Feuerversicherung meinen, davor kann man freilich bei jungen Leuten nie gutstehen; aber auf seine Bravheit will ich Gift nehmen, und alles Andere sollen Sie selbst untersuchen – falls es nämlich wirklich Ihr Ernst ist, Ihr Fräulein Tochter – nun übrigens geht mich das nichts an. Meine Regine kann lesen und schreiben und Hortographie, und damit ist sie für Alles, was nicht die Propagation betrifft, hinreichend versehen. Indessen, Jeder hat sein Maximum. Wenn's Ihnen darum ist, Herr König, den Doctor können Sie gerade jetzt antreffen. Es sind Ferien und auch seine meisten Privatschüler abgereis't.
Ich denke doch, sagte der Maler schüchtern, indem er seinen Hut aufsetzte und dem Meister in den Flur hinaus folgte, das Honorar für die Stunden wird nicht unerschwinglich sein?
Davor brauchen Sie keine Bange zu haben, versetzte der Schuster und schloß die Ladenthüre ab. Wenn der Doctor überhaupt bezahlt würde, wie er es verdiente, könnte er sich das schönste Haus unter den Linden kaufen und brauchte nicht meine alte Hintertreppe zu steigen. Aber lieber honorig, als Honorar, das ist sein Maximum. Hier links und dann über den Hof, Herr König, wenn ich bitten darf. 79