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Gegen den Abgang jedes Jahrhunderts rafften sich, wie wir in der Geschichte bemerken, die Menschen zusammen, um dem neuen Jahrhundert rüstig zu begegnen. Im dunkeln oder helleren Gefühl, daß sie bisher gezögert, wollten sie das Versäumte schnell einholen, ehe das neue Jahrhundert käme, damit dies eine neue Zeit anfangen könne. Die Rosse der Begierden und Wünsche sahen ein nahes Ziel, die Herberge; sie nahmen ihre Kräfte zusammen und eilten dahin schnaubend.
Jedes neue Jahrhundert fing daher gewöhnlich mit Pracht an. Man wollte seinen Einzug mit etwas Neuem und Großem bezeichnen; man schmückte sie schön aus, die Pforte der Hoffnung.
Durch die ganze christliche Aera dies zu erweisen, wäre ein zu weiter Gang; in den neueren Jahrhunderten fallen die Wirkungen dieser Jubelfreude sichtbar ins Auge. Welche Bewegungen zu Ende des dreizehnten, zu Anfange des vierzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts in Geistern und Seelen der Menschen! Ihnen sind wir Petrarca, Huß, Luther, die Revolution in den Künsten, die Reformation, so manche Anlagen, Stiftungen, Unternehmungen, Entwürfe mit schuldig.
Und in unsrer Zeit – wer denkt nicht an den Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts mit einem stummen Entsetzen? Seit 1790 bis 1800 geschah, was das ganze Säculum nicht geschehen, worauf aber Manches längst zubereitet war. Wie viele Unglückliche sind aber nicht mehr, die mit dem Anfange unsers Jahrhunderts eine neue Welt hofften! Politisch und philosophisch stürmten die Wünsche, die Hoffnungen zusammen; das autonomische sollte das neue Jahrhundert heißen, wo Jeder sich Gesetze gäbe. Sogar eine neue Poesie und Kritik sollte ans Licht treten! ja, man glaubte sich schon im Besitz derselben; eine Poesie und Kritik, die das zum Vorzuge habe, daß sie sich an keine vorige Zeit anschlösse, sondern, in erwählten Menschen unmittelbar vom Himmel gestiegen, in ihnen leibhaft wohne.Kant, Fichte, Goethe und die Schlegel sind gemeint. Vgl. Herder's Brief an Jacobi vom 1. December 1797 (Aus Herder's Nachlaß, II. 316 f.) und an Gleim vom 22. December 1800. – D. Im Jahr 1804, glaubte man, werde die ganze Welt zu dieser neuen Poesie, Metaphysik und Kritik, ja auf ihren Flügeln zu einer neuen Physik und MedicinHier ist besonders an Schelling und die Brownianer gedacht. – D. bekehrt sein; man werde nichts als diese Schriften lesen.
Sonderbarer Contrast zwischen dem Anfange des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts! In jenem holte man Alles vom Himmel herab; nach dem jüngern Helmont sollte das tausendjährige Reich 1734 eintreten, nach Petersen alle Dinge wiedergebracht werden; in lieblichen Stimmen bewillkommte er die selige Zeit.Petersen's »Stimmen aus Zion«. 1696. – H. Man rüstete sich zu ihr durch Gebete, Bußpredigten, durch scharfe Rüge der Mißbräuche und Laster; die Erwählten, die Verfolgten stärkten einander und hofften. Am Ausgange des Jahrhunderts entsagte man Gott, erwartete von oben keine Hilfe; durch Autonomie sollte das Glück der Menschen gegründet werden; selbst müßten sie sich Recht schaffen und einrichten. Jene hieß man zu ihrer Zeit Enthusiasten, Fanatiker, Schwärmer; mit welchen Namen Diese sich geziert, ist Jedermann in Andenken; die Autonomie erforderte auch in Benennungen einen eignen hohen Egoismus.
Wie viel von säcularischen Hoffnungen zu hoffen und nicht zu hoffen sei, müssen uns Vernunft, Erfahrung und die Geschichte älterer Zeiten sagen; denn unglücklich ist ein Jüngling, der in einen solchen Strudel verwirrter Ideen, grober und feiner Anmaßungen fällt. Er rettet sich spät oder geht unter; immer aber verlor er mit dem Richtmaß seines Lebens auch seine schönsten Jahre.
1. Hoffen ist allerdings dem Menschen unentbehrlich. Alles, was lebt, was geht, sieht und hofft vorwärts, in die Zukunft. Bei Dante ist's eine der Höllenstrafen, mit dem Gesicht auf dem Rücken hinter sich zu schauen, und indem man vorwärts will, rückwärts zu kommen. Was nützte es, im Traumbuch der Vergangenheit zu blättern, wenn man aus ihm mit verglichener Gegenwart der Dinge nicht Schlüsse auf die Zukunft zöge? Umsonst hättet Ihr, Philosophen der Geschichte und Gesetzgebung, Plato und Aristoteles, Macchiavell, Campanella, Montesquieu, Paruta u. s. w., über vergangene Zeiten und Zeitveränderungen philosophirt; ohne Vorblick auf das, was etwa werden kann und soll, wäre eine Zerlegung vergangener Träume ein unnützer Traum.
2. Wenn also dem Menschen seine Augen vorwärts im Kopf stehen und er vorwärts zu gehen hat, so ist's natürlich, daß er das, was vor ihm liegt, auch messe und berechne. Rechnet er falsch, entweder nach einem unrichtigen Augenmaß (denn Augenmaße sind sehr trüglich) oder gar nach einem falschen Einmaleins, mißt er mit unrichtigen Stäben voriger Erfahrung und steckt oder zählt sie unrichtig: freilich, so gewinnt er falsche, oft lächerliche Resultate. Ist er endlich mit Hoffnungen so freigebig, daß er sie ins Blaue, ins Leere ausspendet, so wird allerdings der großmüthige Hoffnungsspender bald ein Bettler; denn leichter ist nichts als hoffen, schwerer nichts, als Hoffnungen erfüllen, Ungewisser nichts, als sie erleben.
3. Auf die Analogie der Dinge und Erfahrungen kommt's also an, nach welcher man rechnete und zählte; ist diese keine andre als die Zahl selbst, so hat man ein Zahlbrett, einen leichten, aber auch sehr grundlosen Kalender der Zukunft. Denn was ist Zahl? wie ungewiß zählt man das Alter der Welt, Begebenheiten, Revolutionen! Endlich auf welch einem Sprunge steht diese ganze Zeitenrechnung! Nachdem man mit gewissen Tagen oder Stunden Revolutionen der Natur, in den Gewächsen, in thierischen und menschlichen Körpern, zumal bei Krankheiten, bemerkt hatte, wandte man diese auch auf mystische Körper, auf politische Verfassungen, Staaten, Familien u. s. w. an. Diesem Hause sollte jene, jenem eine andre Zahl, gar ein Name immer fatal gewesen sein; man fürchtete sich für kritischen Stufenjahren der Reiche und Weltepochen wie seines Lebens. Auf andre Zeitsignale körnte man die Menschen und lud sie zu ihnen ein; durch Prophezeihungen beförderte man Manches, was ohne diese Prophezeihung kaum geschehen wäre. O welche Kinder sind die Menschen! Durch Träume und Zahlen werden sie regiert.Wer eine Sammlung solcher Zeitregeln zu lesen Lust hat, bekümmere sich um Georg Richter's Axiomata oeconomica, Jena 1618, um C. A. Brunner's Fatum, Leipzig 1704. Im sechzehnten bis ins achtzehnte Jahrhundert waren dergleichen Axiome sehr im Gange; in manchen Gegenden und Familien sind sie es noch. – H.
4. Heften sich die Zahlen der Weissagung an Revolutionen der Sterne, der Geister und Seelen, so bleiben sie immer nur Zahl; denn auf welchem Grunde steht auch diese Himmelsleiter? worauf beruhen die Cyklen wiederkommender Geister?De revolutione animarum humanarum, Lond. 1684, vom jüngern Helmont. – H. Nach Cardan sollte im Jahr 1800 das Christenthum untergehen oder eine große Revolution leiden; er wollte die Weissagung aus der Nativität Christi gestellt haben.S. Lessing's sämmtliche Schriften, Th. XVII. S. 274 [Werke, XVII. S. 250]. – H. Aber noch ist das Christenthum nicht untergangen, und woher wußte Cardan die Geburtszeit Christi? Der Menschheit ist Glück zu wünschen, daß sie von einem großen Theil dieser Zahlen- und Cyklen- Weissagungen befreit worden; im sechzehnten, siebzehnten Jahrhunderte beschäftigten sie die scharfsinnigsten Geister. Whiston, Dethlev, Cluver u. A. verschwendeten ihren Calcul, ihre Zeit, ihre Kräfte!De Cluveri Nova crisis temporum, od. Welt-Merkurius. Hamburg 1701. – H. Andre mißbrauchten damit die Menschen oder bequemten sich ihnen. Ein bekannter Mathematiker gab im Namen seiner Akademie der Kaiserin Anna auf alle Witterungsanfragen Bescheid und prophezeihte sogar einmal den Tag des Eisganges der Newa – glücklich. Er wagte es aber nur einmal.
5. Noch sind wir aber bei Weitem nicht über dies Zahlbrett der Weissagungen hinaus; einige Normen stehen fest da, die man sorgsam beachtet, z. B. die Weissagungen Malachias',Schon 1689 schrieb Menestrier eine Réfutation des Prophéties faussement attribuées à St. Malachie (dem Erzbischofe von Armagh nämlich, nicht dem jüdischen Propheten). Nach dieser Papstrolle heißt der jetzige Papst Aquila rapax, der vorige hieß Peregrinus Apostolicus, welchen Namen man im Leben und Tode desselben erfüllt fand. Nach dem jetzigen sollen noch 14 Päpste folgen; der letzte ist Petrus Romanus. – H. die Offenbarung Johannis. Eine Wohlthat ist's, wenn dergleichen Zahlprophezeihungen ängstlichen Gemüthern fern gehalten werden. Von der Offenbarung Johannis ist zu erweisen, daß sie den ihr untergelegten Zeitenkalender nicht kenne, noch weniger geschrieben sei, ein solcher Kalender zu werden.Nach Bengel (S. Gründliche Beurtheilung des Zeitpunktes, worin wir jetzt nach der Offenbarung Johannis leben. Frankfurt und Leipzig 1758) leben wir jetzt Cap. 13, 11 f.: »Wer siehet nicht, werden Manche sagen, die offenbare Erfüllung? Den falschen Propheten mit dem Maalzeichen, mit der ungeheuern Macht und überredenden Zunge, wer kennt ihn nicht?« Schwerlich Der, der die Weissagung stellte. – H. Ueberhaupt wirkt gegen ahnende Träume der alten Zeit nichts so kräftig als das Erwachen. Wachend träumt man nicht weiter und sieht, daß das Vorige ein Traum war. Wer die fortgehende Erleuchtung der Völker hemmt, stürzt sie wieder in die dunkle Zeit zurück, da man, wie im Finstern auf jedes Geräusch, auf jede weissagende Stimme horchte.
6. Schreckenden Weissagungen thue man ganz Einhalt; im Schrecken glaubt man, was man sonst nicht glauben würde. Aber auch fröhlichen vertraue man nicht zu sehr; denn wer sich ohne Grund, also auch vergeblich freut, kann sich nicht nur ebenso leicht ohne Grund betrüben, sondern wird dies sogar leichter; denn Furcht wirkt heftiger, unvorgesehener als Hoffnung. Ein solches Gemüth ist trotzig und verzagt, jedem nichtigen Reiz offen und verführbar.
7. Eine Voraussicht der Zukunft aus bestimmten Zeitumständen nach der Analogie der Dinge selbst vermische man mit jenen Zahlhoffnungen nicht; wer sie hat, wird sie bescheiden ansehen und weise gebrauchen. Nichts ist kindischer als der laute Selbstruhm: »Habe ich dies nicht vorausgesagt?« nichts alberner als auch in fast gewissen Erfolgen jeden Zeitumstand vorhersagen. Mache man die Probe, bei gleichgiltigen Dingen des Lebens seine Voraussehungskraft ins Spiel zu setzen: »wie dies und jenes erfolgen, wie man dies und das finden werde.« Finden wird man, daß man gar oft weit ferne vom Ziel gemuthmaßt habe. Bei wichtigern Erfolgen, wer hätte dies nicht erfahren? und bei Weltbegebenheiten, bei Revolutionen, beim großen Gange der Zeit, wo auf den tausendarmigen Zufall so viel ankommt, wer wollte sich über sie als ein Allvorwisser geberden? Zuletzt, sehen wir, kommt nach abgestumpftem Rath und ermüdeten Kräften der Wirkenden das Größte auf ein Kleines, oft auf das Kleinste an, das in der Hand der höchsten Vorsehung entscheidet.
Es ist schon bemerkt, daß unter Denen, die man im Anfange des vorigen Jahrhunderts spottend Enthusiasten, Schwärmer nannte, Männer waren, die an sorgsamer Vorsicht sowie an Wirksamkeit kaum einem Staatsminister wichen, die sich daher ihres reifen Verstandes wegen keine dergleichen Zeitbestimmungen der Zukunft zu Schulden kommen ließen. Spener z. B. war die überlegende Vorsichtigkeit, A. H. Franke die fröhliche Wirksamkeit selbst;Der Charakter Beider drückt sich in ihren Liedern aus. Spener's: »Welch eine Sorg' und Furcht«, Frankens: »Gottlob, ein Schritt zur Ewigkeit«. In ihren Schriften und Handlungen ist Beides sichtbar. – H. sie machten keine Kalender. Petersen, ein heller Kopf bei einem sanften Herzen, wurde durch seine Verfolger (man lese sein von ihm selbst geschriebenes LebenPetersen's Lebensbeschreibung, 1718. – H. dahin gebracht, daß er einer Hoffnung, die ihm sonst angenehme Hypothese geblieben wäre, zu viel Raum gab und sie sich zu nahe einbildete; ihre Zeit aber bestimmte er nie. Man höre seine kindlich-einfache, verständige Stimme:
Das Maß jedes Zeitalters.
Eine Stimme.S. Petersen's »Stimmen aus Zion«, Psalm 16. Hier mit Auslassung der Anspielungen auf die biblische Geschichte. Petersen war nicht nur ein redlicher und gelehrter, sondern auch ein talentreicher Mann. Leibniz schätzte seine Poesien. Küster, Venzky haben sie herausgeben wollen, es ist aber unterblieben. Manche seiner Stimmen aus Zion lassen sich wie Idyllen lesen, liebliche Bilder voll reiner Empfindung und hoher Wahrheit. – H.
Gott regieret weise; seine Wunder sind groß und viel. Nach Zahl, Maß und Gewicht ist Alles erschaffen; die Zeiten selbst vertheilete er.
Sie sind gleich einem Kreise, in welchem das Letzte nicht zu langsam kommt, noch das Erste zu geschwinde. Kein Geschöpf mag seinen Schöpfer übereilen; die Mutter gebieret ihre Kinder nicht auf einmal.
Auch thut das Kind nicht, was dem Mann zugehöret, und der Mann nicht Werke der Kinder.
Nach und nach offenbart Gott seine Wunder und legt jedem Alter nicht mehr auf, als es tragen kann.
Er lasset Verheißungen vorausgehen, ehe das Reich kommt, das er verhieß.
Allmählich wuchs die Wurzel hervor. Sie wächst und wird in Tausenden ihre Früchte tragen.
Die Pflanze gehet schon hinauf, schon schlagen ihre Knospen aus; wenn ihre Zeit kommt, ist die Krone da.
Die Finsterniß gehet zwar jetzt gegen das Licht auf, aber das Licht gehet auch auf gegen die Finsterniß. Da muß Eins das Andre offenbaren; das Licht wird aus der Finsterniß, die Finsterniß durch das Licht erkannt.
Die Höhe wird erkannt aus der Niedrigkeit, die Niedrigkeit aus der Höhe, das Recht aus dem Ungerechten, die Ungerechtigkeit aus dem Rechten der Gerechtigkeit.
Das Gute aber ist stärker als das Böse, und das Böse muß dem Guten dienen. Es muß seine Bosheit offenbaren, indem es das Gute anklagt und sich damit verräth, daß es nicht gut sei. Das Böse eilet zum Verderben, das Gute kommt allmählich nach und behält den Platz.
Es ist Alles, o Gott, voll Deiner Weisheit, Deine Ordnungen sind Güte und Wahrheit. Bleibet in der Ordnung Gottes, Ihr, seine Kinder, und eilet nicht vor der Zeit, zu stürmen die Mauern!
Arbeitet eine Mutter zur Frucht, ehe denn es Zeit ist? Mag Jemand alt sein, wenn er noch nicht Jahre hat? Erbauet Euch selbst zuvor zum neuen Bau; verwerfet nicht den edlen Samen, der in Euch keimet!
Seid auch nicht weibisch, wenn Gott Euch rufet zum Streit! Ihr müsset noch viele Arten der Kämpfe lernen. O herrlicher Kampf, wenn Alle zusammenkommen! wenn alle Streiter in ihren Ordnungen daherziehn!
Die Ordnung selbst und der vereinte Geist schlägt die Unordnung; der Vorschein schon der heiligen Zeit vertreibet die böse Zeit.
Gelobt sei Gott! Der Feigenbaum hat Knoten geschlagen! die Pflanze ist da, daraus die Blume sprießen wird. Gelobt sei der Gott der Ordnung!
Wer vermag diesen Grundsätzen zu widersprechen? sie sind die Vernunft selbst. So waren auch die Wirkungen, die der hoffende Enthusiasmus fürs Gute hervorbrachte, unvertilgbar. Der Eindruck z. B., den der verständige, fromme, unermüdliche Spener machte,Spener's Lebensbeschreibung von C. H. von Canstein. Frankfurt und Leipzig 1729. – H. erlosch an drei Orten, wo er lebte, Frankfurt, Dresden, Berlin, ebensowenig, als sein prüfender Geist in den sogenannten BedenkenSpener's »Theologische Bedenken«, Halle 1712. Consilia et judicia Thologica Frankfurt 1709. – H. noch jetzt zu sprechen aufhört. Seine Verleumder und Gegner (die Neider und Zänker), alle hat die Zeit entlarvt; ihre Namen sind gehaßt oder vergessen.
Frankens Waisenhaus, das er in Hoffnung, die bei ihm Zuversicht war, zu Stande brachte, hat nicht nur durch sich das ganze Jahrhundert hinab der Menschheit an ihrer bedürfendsten Seite ächt christliche Dienste geleistet, sondern auch ähnliche Anstalten, große und gute Seelen geweckt, die durch Franke glauben, lieben, hoffen, wirken lernten. Seine Verfolger beförderten viel Gutes, als sie ihn vertrieben.
Der Eifer, mit welchem er und seine Collegen sorgsame Seelsorger, verständige Theologen (nicht philosophische Rechthaber, nicht philologische Radixfänger und Wunderausgleicher) zu bilden strebten, hat vielen Provinzen Deutschlands in mehreren Generationen Vortheil geschafft; denn was sollen theologische Facultäten, wenn sie nicht zu ihren Aemtern tüchtige Männer bilden?
Wenn Christian Thomasius, den man auch zu den Enthusiasten zählte, gegen die Mängel der Universitäten, gegen die Zügellosigkeit der Studirenden, gegen die Verirrungen in verschiednen Wissenschaften praktisch schrieb und Cautelen aufstellte: ist ihm hierin, wie in dem Licht, das er der Rechtspflege gab, nach und nach der Beitritt aller Verständigen nicht gefolgt? Steht in Poiret's Schrift, die er herausgab,De eruditione solida, superficiaria et falsa. – H. nicht viel Wahres und Gutes? Sprechen alle seine philosophischen Schriften nicht wahre Vernunft, politische Klugheit, Kenntniß seiner selbst und Andrer, eine honnete Sittenlehre? Und giebt's einen edleren Enthusiasmus?
Wenn G. Arnold, ein schwächerer Kopf, Träumen der Mystiker zu sehr anhing, blieb deshalb seine Kirchengeschichte ohne Frucht? Sorgsam wurden ihre Unrichtigkeiten aufgesucht und berichtigt, bitter ihre Schwächen gerügt; im Ganzen aber, indem sie die alte ausgefahrne Bahn verließ, brach sie eine neue Bahn. Theologen in Helmstädt (einer Universität, die sich seit ihrer Stiftung eines liberalen Studiums beflissen hatte), unter welche auch Mosheim gehört, späterhin Semler, Spittler, Plank u. A. fuhren auf der Straße, die Arnold unkritisch, aber frommgläubig, mithin muthig eröffnet hatte, weiter. Jetzt vertheidigt Niemand mehr eine heilig-verfolgende Kirche.
Selbst Dippel, der freche Dippel ist dem Lutherthum nützlich gewesen. Schämt man sich nicht und erstaunt, wenn man hier, da und dort das heimtückische, arrogante Betragen ganzer protestantischer Ministerien damaliger Zeit liest? Kleine und kleinliche Päpste! Um so giftiger, weil ihnen zum Verfolgen nicht nur die Macht, sondern auch das Recht fehlte; denn der Protestantismus duldet keine Ketzerverfolgung.Die sogenannt Unschuldigen Nachrichten sind von diesen Schleichgängen aus ältern und neueren Zeiten, gegen ihre Absicht, treue Zeugen. Von 1701 haben sie bis über die Mitte des Jahrhunderts fortgedauert; ein merkwürdiges Depositorium von Anzeigen, Censuren, Berichten, Colloquien, Gutachten, Klagen, Briefen, Bejammerungen und – ächtem Urtheilen. Der Censorgeist darin war selten Luther's Geist, daher sich auch der Fortgang der Zeit ihm nicht bequemte. – H.
Wie in der Christenheit eine Hoffnung zukünftiger besserer Zeiten je hat verunglimpft und verfolgt werden können, ist fast unbegreiflich. Ist nicht das Christenthum selbst auf diese Hoffnung gebaut? Prophetische Aussichten einer künftigen goldnen Zeit waren da; sie weckten Christum, der als Kind schon darüber fragte und disputirte. Gegründet, aber unvollendet ließ er diese Zeiten nach, lehrte darum bitten, befahl, auf sie zu wirken und ein Reich Gottes in sich zu gründen. Nur also geistig und durch Vereinigung vieler Guten könne es befördert werden und werde unvermerkt, unablässig befördert; es kommt mit stillem Schritte. Jeder Strahl des Lichts, jede herzliche That, jede reinere Gesinnung bringt es näher und näher; alle Guten wirken dazu, auch ohne einander zu kennen, einverstanden. Nehme man dem Christenthum diese Hoffnung, diesen Glauben, so ist es selbst nicht mehr da; denn nur im Glauben und in einem stillen Wirken auf die Zukunft lebt es.
Maßen sich aber Christen an, der Vorsehung Maß und Ziel zu setzen, sie gegen die Vernunft zu zwingen, damit sie ihre Wege beschleunige: so zeigt das Mißlingen ihrer Wünsche selbst, daß der Berg, der ihnen so nahe schien, weiter, als sie dachten, entfernt liege. Glänzend steht er dort in den Wolken – hin zu ihm, doch unübereilt!
Nemesis und die Hoffnung.Zwei andere Übersetzungen Herder's von diesem Epigramm der griechischen Anthologie stehen in den Werken, VII. S. 62 u. 328. – D.
Hoffnung und Nemesis, Euch verehr' ich auf einem Altare;
»Hoffe!« winket mir Die, Diese: »Doch nimmer zu viel!«
Das Licht am Abend.
Eine Stimme.Petersen's »Stimmen aus Zion«, Ps. 15. – H.
Höret, Ihr Kinder der künftigen Welt, was ich singe! urtheilen solltet Ihr, ob ich recht gesungen habe.
Es muß noch kommen das Vollkommene, und wenn es kommt, so höret das Stückwerk auf. Es wird blühen in der Natur eine Lilie; wenn sie blühet, so genießet ihren Geruch die ganze Welt.
Das Reich der Güte wird immer größer und herrlicher werden; das Senfkorn wird zum großen Baum, daß die Vögel des Himmels unter seinen Zweigen wohnen.
Alles, was wachsen soll, hat einen kleinen Anfang, es gehet fort in der Ordnung; Eins kann das Andre nicht übereilen.
Ohne dem Kleinen ist das Größere nicht, und ohne dem Größeren kann das Größeste nicht erscheinen. Doch ist das Größeste das Größeste, und das Letzte ist das Beste.
Um des Letzten sind alle vorige Dinge; im Letzten sind begriffen alle vorige Zahlen.
Die Erde bringet zuerst das Gras, dann die Aehren, darnach in den Aehren den vollen Weizen. Wer hoffet nicht auf die Früchte, die der Baum endlich bringe? Wer will sich mit der Grüne, mit der Blüthe begnügen und mit der unzeitigen Frucht?
Ihr Thoren, wann wollt Ihr klug werden? was leugnet Ihr die bessern Zeiten in den letzten Tagen? Ihr werdet ja älter an Jahren, warum nicht auch an Verstande? Ihr sehet, daß das Kind sich verliere in dem Jüngling, wie der Jüngling in dem Mann.
Das Gegenwärtige dünket uns groß, wenn das Größere noch nicht gekommen ist; doch ist das Größere klein gegen dem Vollkommenen.
Aus dem Vorhofe kommt man in das Heilige, durch das Heilige gehet man ins Allerheiligste. Die Vorbilder gehen dem Buchstaben voran, das Wesen des Geistes übertrifft Beides.
Die Stadt Gottes wird inwendig gebauet; wenn es im Herzen helle wird, so wird es auch auswendig glänzen. Hallelujah, das Vollkommene kommt, das Gute behält den Sieg!