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Im Jahr 1701 den 15. Januar war es, als Friedrich I., Kurfürst von Brandenburg, Herzog von Preußen, sich die preußische Krone aufsetzte und damit ein neues nordisches Königreich schuf.
Seit Friedrich II., sein Enkel,Mémoires de Brandenbourg. Frédéric I. – H. von des Großvaters Eitelkeit und Prachtliebe auch in Ansehung dieses Schrittes französisch- und jugendlich-frei geschrieben, sind Mehrere diesem Ton gefolgt, die die Erhebung Preußens zum Königreich nicht anders als eine sogenannte Standeserhebung betrachtet haben, der Lage der Sache und dem Geist der Zeit zuwider. Wäre die preußische Krone nur ein Schmuck der Eitelkeit in den Lüften gewesen, so wären ihr Scepter und Kriegsstab auch nur eitele Symbole geblieben. Nun aber, welcher Staat hat in einem Jahrhundert sich nicht nur so fest gehalten, sondern auch auf die Umbildung der Staatspflege in Europa so viel gewirkt als Preußen? Ja, welche Krone wurde bei ihrer Entstehung vom größten Theil der protestantischen Welt mit so weissagender Freude und Hoffnung bewillkommt als diese? Mit dem Fortgange des Jahrhunderts entstanden mehrere neue Kronen, Sardinien, Sicilien; mit dem Ende desselben ist ein Königreich Etrurien ernannt worden: hat bei einer derselben das glückwünschende Aufjauchzen auch fremder Länder stattgefunden, als im Anfange des Jahrhunderts bei der Krone Preußen? Nichts ist ohne Grund; hievon lag der Grund in der Gestalt des nördlichen Europa.
1. Dem Charakter der nordischen, d. i. gothisch-deutschen Völker gemäß, betrachtete man die Regentschaft der Länder, und was zu ihr gehört, weit mehr persönlich als in den südlichen Monarchien. In diesen hing Alles dem Reiche selbst und seinen Pairs an; der größte Monarch war der, der viele Kronen besaß, Welten, in denen die Sonne, wenn es ihr beliebte, auf- und untergehen konnte; er selbst, der hohe Gipfel, verschwand beinah über diesem weit- und breitschichtigen Untergebäude. In Norden war's anders. Heerführer hatten diese Länder erobert; Heerführer verwalteten und beschützten sie persönlich. Könige von Dänemark und Schweden forderten einander heraus, sagten sich einander in Briefen die Wahrheit; daher man einen großen Theil der nordischen Geschichte wie einen Kämpferroman liest. So erschien Gustav Adolph in Deutschland, so handelten Karl Gustav, Karl XI. und XII., in Polen Sobieski u. A. In einem höheren Grad betrachtete man in Norden den Regenten als Haushalter seiner Staaten persönlich.
Im Hause Brandenburg waren vom Burggrafen Friedrich an Männer gewesen, die ihrem Fürstenthum wohl, zum Theil tapfer vorstanden. Kurfürst Friedrich Wilhelm, Vater des ersten Königes, der große Kurfürst genannt, war, wenn man so sagen darf, dieser Sprosse Gipfel. In Krieg und Frieden, in Verwaltung und Beschützung seiner Länder hatte er sich und seinem Heer einen Ruhm erworben, der ihm neben den Regenten erster Ordnung schon einen Platz gab. Zwischen Polen und Schweden hatte er sich so glücklich durchgewunden, daß er als souveräner Herzog von Preußen zwischen ihnen stand und beide ihn ehrten. Wenn, was er erworben, sein Sohn nun auch vor der Krönung bereits königlich genoß, so war dies in der Reihe der Dinge, in welcher man damals Ludwig XIV. übergern nachahmte, auch ein Schritt zur Krone. Es fiel weniger auf, wenn neben Dänemark, Schweden und Polen ein König von Preußen auftrat, als wenn ein solcher südlich zwischen Oestreich, Frankreich und Spanien aufgetreten wäre.
Das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch hat diese Persönlichkeit Preußens Könige in Krieg und Frieden begleitet. Bei Friedrich II. war sie so mächtig, daß man glaubte, er führe den Krieg allein; in Gesängen und Erzählungen, im Wahn des Volks war sein Name allwirkend. Auch in Verwaltung seiner Länder erkannte er sich selbst für den ersten Diener des Staats, für den Steuermann des Schiffs, der seinen Posten nie verlassen dürfe. Ohne Phrase, eigenthümlich hieß er in Europa der König. Schon sein Vater hatte als Oberster sein Heer, als Oberamtmann die Wirtschaft und Einkünfte seiner Länder verwaltet; Friedrich II. war König und Feldherr.
2. Damals war eine Zeit, da der Zusammenhang der Dinge Kronen ertheilte. Wilhelm von Oranien machte den Anfang. Er rückte auf den Thron der drei britischen Reiche und bahnte dem Hause Hannover dahin den Weg; beide dem Hause Brandenburg nahe und oft verwandte Häuser. Kurfürst Friedrich August von Sachsen hatte seine Wahl zur polnischen Krone durchgesetzt; zwischen beiden zur Krone Gelangten stand Brandenburg-Preußen mitten inne. Wenn jetzt nicht, hieß es bei den damaligen Conjuncturen Europa's, so vielleicht lange nicht oder nimmer.
3. Durch Friedrich August's Uebertritt zur römischen Kirche hatte das Corpus der Evangelischen in Deutschland sein Haupt verloren; und obgleich sowol in den sächsischen Landen als auf dem Reichstage für die Aufrechthaltung der Evangelischen gesorgt war, so mußte diesen doch daran sehr liegen, daß der mächtigste Fürst des nordischen Deutschlands, der sich zu ihnen hielt, auch an Ansehen gewönne. Daher die große Zustimmung der Protestanten, Reformirter und Lutherischer, zu dieser Thronbesteigung, die ihnen ein glückliches Augurium schien. Denn unleugbar ist's, daß in allen Theilen Deutschlands, wo Jesuiten hinreichen konnten, Protestanten damals gedrückt wurden. Ebenso bekannt ist's, daß mehrere einst protestantische Fürsten nach und nach zum Katholicismus übergegangen waren, daß andern nachgestellt ward, andre sich gutwillig dahin neigten. Die protestantische Kirche schien auf ihren Pfeilern zu wanken.
Nun hatte Brandenburg sich seit der Reformation in Ansehung der Religionen ebenso weise als gerecht betragen. Durch Agricola hatte ein milderer Protestantismus als in manchen andern Gegenden dort an den Ufern der Spree und Oder Platz gegriffen; Reformirte und Lutherische wohnten unter bestimmten Gesetzen des Staats meistentheils ruhig neben einander. Selbst auf der Universität Königsberg in Preußen milderten sich die harten Streitigkeiten, seitdem sie unter Brandenburg stand; durch Aufnahme der Flüchtlinge aus Frankreich hatte Friedrich Wilhelm vollends das Panier der Duldung in seinen Ländern gepflanzt. Daher schon unter ihm so manche Versuche zu Vereinigung beider Kirchen; daher auch in Sachen und Schriften der Religion der bessere Ton, die mildere Stimme der Geistlichen, worin die französischen Reformirten treffliche Beispiele gaben. Daher die willige Aufnahme so mancher anderswo Gedrückten und Verfolgten in den brandenburgischen Landen. Wenn Kursachsen seines Spener's müde war, nahm Berlin ihn auf; wenn Thomasius Leipzig verlassen mußte, durfte er in Halle lehren. August Hermann Franke, Petersen, Arnold, selbst Dippel und so viel andre ihrer Meinungen wegen Gekränkte fanden in den brandenburgischen Landen Schutz oder Beförderung; die neu gestiftete Universität Halle zeichnete sich in allen Facultäten durch Popularität und Freimüthigkeit, auch in neuen Gedanken und Entwürfen aus. Diesem Geist der Duldung und fortschreitenden Aufklärung stimmte damals, wie immer, der bessere Theil der Menschen wenigstens insgeheim bei; des alten Wustes im Dogmatisieren und Verfolgen war man müde. Auch wo sie unvorsichtig irre ging, nahm man an der Tendenz zum Neuen, zum Freien, zum Verständlichern, zum Bessern in den Ländern Brandenburgs Antheil.
4. Dazu kam das neue Jahrhundert und der neue Kalender, Umstände, oder wenn man will, Nichtigkeiten, die in die Gemüther der Menschen unglaublich wirkten und der Erwartung einen neuen Schwung gaben. Der dreißigjährige Krieg hatte Deutschland zerrüttet und arm gemacht; bald folgten dem westphälischen Frieden gemäß dieser Zerrüttung kleinkreisige Pracht, Luxus, neue Kriege. Man sehnte sich nach dem Jahr 1701 als nach einer neuen Epoche in Ordnung der Dinge zum Heil der Menschen, der Zahlen 1600 war man müde. Mit Staunen sieht man die Gährung, die damals in Herzen, Seelen und Schriften wallte und sich in Vorschlägen und frommen Wünschen oder gar in Weissagungen, eifrigen Strafreden und Berechnungen der Strafe ausgoß. Von oben erwartete man Hilfe; unter dem Druck der Zeit, unter der Streitsucht der Mächtigen wie der Gelehrten sah man das tausendjährige Reich nahen; man wünschte und berechnete seine Ankunft. Pietisten, Schwärmer und Mathematiker theilten sich in diese frommen Wünsche. Auch in Gesängen und Liedern strömten sie aus, wie sie sich jedem neuen Ereigniß als einem Zeichen der Zeit anschlossen und es deuteten und beseelten. In einer solchen Krisis der Zeiten nahm Friedrich die Krone, die ihm sein Geburtsort Königsberg, die Simon Dach ihm bei seiner Geburt prophezeiht haben sollte,Kur-Brandenburg's Rose, Adler, Löw' und Scepter, von Simon Dach poetisch besungen. S. das vorletzte Gedicht. – H. zu der die Ebräer aus der Kabbala selbst ihm reiches Glück wünschten. Von Mitternacht, sprach man, kommt Gold! neues Glück der Zeiten!
Und ist's nicht, obgleich auf andern Wegen, als man damals träumte, gekommen? hat Preußen durchs Jahrhundert hin zum allgemeineren und mildern Licht Europa's nicht mehr als jeder andre Staat seiner Größe beigetragen? Wenn nur durch Fleiß und Ordnung, durch Geschicklichkeit und Einsicht, durch Sparsamkeit und Geduld den Menschen gute Zeiten kommen können; wenn gegenseitige Verträglichkeit in Ansehung der Meinungen und Gottesdienste, Schutz der Unterdrückten und Verfolgten solche Zeiten vorbereiten: so hat diese Krone bisher nicht vergebens geglänzt.
5. Da zur Königswürde auch Anstand und Schmuck gehört, so hat Preußens Krone sich um den nützlichsten bemüht, den Flor der Wissenschaften und Künste. Klein sind die Spöttereien, die man auf die feierliche Einweihung der Universität Halle warf; ein Jahrhundert durch hat diese ihren Werth durch Verdienste erprobt.
Die Pietisterei z. B., die man ihr im Anfange des Jahrhunderts Schuld gab, hielt sie nicht dem verfolgend-frechen Dogmatismus einer damals schon absterbenden Stereodoxie, die Luther selbst zuerst würde verachtet haben, standhaft die Wage? Sie hat die Theologie nicht weiter gebracht, sie aber mehr zur Anwendung gelenkt; und hat nicht neben ihr in Halle die bessere Philologie, eine richtigere Kenntniß der Quellen und Ursprachen, die im Verfolg der Zelten dem Religionswesen allein eine hellere Ansicht gewähren konnte, zuerst Wurzel geschlagen? Der einzige C. B. Michaelis nebst seinem Bruder J. H. Michaelis leisteten hierin im Stillen mehr als die Carpzove, Maye, Pfeifer mit ihren dogmatischen Kritiken. Was Cennicot in Mitte des Jahrhunderts durch fremde Augen und Hände mit Geräusch begann, hatten sie im Anfange des Jahrhunderts mit stillem Fleiß angefangen und auf mancherlei Weise zum rechten Anblick der heiligen Schriften Wege gebahnt.
Wie eitel der Kanzler Ludewig im historischen Staatsrecht Manches behauptete, wie unvorsichtig Thomasius und Gundling (so sagten die Gegner) mit Manchem hervortraten: ihre, zumal Thomasius' große Verdienste um Rechtspflege, Philosophie des Rechtes, Geschichte u. s. w. sind unverkennbar. In Felder, auf denen man sonst nicht eben selbst zu denken gewohnt war, brachte er eigne Aussichten und erweckte dadurch Anderer freie Gedanken. In seiner Art war Thomasius ein Luther, wenngleich nicht mit Luther's Würde und Reinheit, woran seine Lage Schuld war. Neben und nach ihm wurden Stryck, J. H. Böhmer und andre verdienstvolle Männer Bildner der Lehrer andrer Universitäten.
So der Hippokrates und Galen in Halle, Hofmann und Stahl. Wie entgegengesetzt ihre Systeme waren, Beide führten weiter, der Letzte insonderheit sah Manches dunkel vorher, was die Folgezeit hell aufklärte. Die Universität Halle, ein Edelstein in der Krone ihres Monarchen, hat das Jahrhundert hindurch ihren Glanz erhalten.
Ein andrer dieser Edelgesteine war die königliche Societät der Wissenschaften in Berlin; zwei würdige Namen stehen auf ihrem Grundsteine, der Name der Königin Sophie und Leibniz. Des Letzten Plan zu dieser Societät ist ebenso reich an wachsender Nutzbarkeit als für die Wissenschaften umfassend; es förderte nicht, als man in der Mitte des Jahrhunderts von ihm abwich und eine ausländische Akademie in Deutschland nachbilden wollte. Hätte Leibniz seinen Plan auch in Dresden und Wien zu Stande bringen, die Societäten verbinden und nach einerlei Gesetzen landesmäßig einrichten können, mit deutschem Fleiße wären wir vielleicht andern Ländern in Mehrerem voraus; jetzt blieb dem jungen Königreich die Ehre des Anfangs, dem späterhin so manche Societät der Wissenschaften gefolgt ist. Denn neben, ja selbst auf Universitäten sähe man die Nutzbarkeit von dergleichen Gesellschaften oder Akademien für Deutschland ein. Ohne Inconsequenz und große Nachtheile kann und darf auf Lehrstühlen der Universität nicht Alles sogleich gelehrt werden, was dem Professor ins Hirn kommt; füllte er, zumal wenn er jung ist, mit selbsteignen, eben heut früh erfundenen Meinungen und Hypothesen, mit einem unaufhörlichen »ipse inveni« seine Lehrstunden, so füllte er sie mit Winde; mithin würde er ein verderblich unwissender Lehrer, da doch Unterricht im Brauchbaren, Nützlichen seine Pflicht ist, eigne Erfindung aber nur sein Nebenverdienst sein kann. Zum Fortschritt der Wissenschaften selbst, zu belohnend-aufmunternden, prüfenden Locaten neuer Erfindungen oder Vorschläge trieb Leibniz also mit Recht auf Verbindung der Gelehrten in jeder Wissenschaft unter einander, auf Societäten. Stand und Religion kam dabei in keinen Betracht, sondern Wissenschaft, Werth und Verdienste. Die Sprache seines Vaterlandes schloß er von dieser gemeinschaftlichen Bemühung nicht aus, der er vielmehr treffliche Zwecke verzeichnete. Auch hat sich sogleich von Anfange seine Societät nützlich hierin ausgezeichnet; nach Schottel und Bödiker that der einzige Frisch in Ansehung der deutschen Sprache mehr, als nachher, Wachtern ausgenommen, ein halb Jahrhundert durch gethan ward. So in andern Wissenschaften. Nie verlasse diese Akademie der Geist ihres Stifters!
Selbst im Geschmack, der damals in Deutschland eine fremde Pflanze war, that Brandenburg-Preußen sich hervor. An Canitz hatte es den ersten Dichter, den man zu dieser Zeit sogar mit Boileau und Pope, obgleich entfernt, in einige Parallele setzen könnte. Wie sie liebte er Reinheit der Sprache, guten Geschmack, Lehrgedichte, Satiren, Lieder; Schade, daß uns von ihm, da die Sammlung seiner Gedichte durch fromme Hände ging, manche Scherze vorenthalten und damit der Welt geraubt sind! Eben sie waren das Salz seiner Muse. Stelle Jemand seines edlen Geschlechts diesen Nachlaß, der jetzt Niemand mehr beleidigen kann, aus Papieren ans Licht: gegen Boileau und Pope ist Canitz' Satire immer ein Lämmchen. Seines Standes ungeachtet schämte er sich der Poesie nicht, wurde auch ihrenthalb nicht verachtet; ehrenvoll lebte er an des großen Kurfürsten und Friedrich's I. Hofe. Auch Besser fand daran Aufnahme, Beförderung und Ehre; Seckendorf, der den Lucan übersetzte, war in Halle Kanzler.
Nach einem erprobten Jahrhundert ist also wol Niemand, der der preußischen Krone um so mehr Glück und Glanz wünschte, da sich ringsum während dessen die Lage der Dinge so sehr geändert hat. Rußland ist zu einer Macht gestiegen, die man damals nicht ahnte; verarmt ist Schweden, Polen verschwunden. Auch die west- und mittägliche Seite Europa's hat sich wie sehr verändert! Dürfen wir da nicht der Vorsehung danken, daß sie, ehe menschliche Augen dessen Bedürfniß vorhersahen, in aller Stille einen Baum pflanzte, der ein Jahrhundert hin unter gewaltsamen Stürmen wachsen und dann, vereint mit Oestreich, dessen natürlicher Bundsgenoß Brandenburg ist, ein Theil der Mittelmacht werden sollte, die das feste Land aller deutschen Völker sowol als die nordischen Reiche vor Unterdrückungen fremder Nationen und Sprachen mitbeschützen helfe? Wiche diese Zwischenmacht nordwärts, Oestreich südwärts, wie stünde es um Deutschland, das sodann westwärts die Kaufmanns-Nationen nie retten werden? Feindselig ist daher die Politik Derer, die Oestreich und Preußen als ewige Nebenbuhler, als nie zu versöhnende Gegner betrachten. Der Zwist, der sie trennte, ist fast erloschen, und bald ist die Zeit zu hoffen, da zum gemeinsamen Wohl Europa's, zu Aufrechthaltung der Deutschen und von Deutschen abstammenden Völker ein dringendes Interesse Beide innig verbindet. Zu diesem der ganzen Menschheit ersprießlichen Zweck wird Jedermann Preußen eine breitere, tiefere Basis gönnen, damit die zum Wohl Europa's nöthige Last seinen Unterthanen nicht zu drückend werde.
1. Als der Norden noch in Dunkel lag, war das Bernsteinland Asiaten und Griechen bekannt; von diesen ward es früh mit einer Fabel beehrt. Hier nämlich sank Phaëthon, der das Ende der Laufbahn seines Vaters Apollo, den Ocean, nicht erreichen konnte, gestürzt vom Sonnenwagen, in den Eridanus.Daß der Eridanus die Ostsee sei, hat Hasse wol unwiderlegbar erwiesen, ob er gleich die Geschichte Phaëthon's selbst zu pünktlich gedeutet. (S. »Der aufgefundne Eridanus«, von D. J. G. Hasse. Riga bei Hartknoch, 1796.) Die Hauptpunkte der Fabel sind meines Erachtens: 1) Phaëthon erreichte das Ende seiner Laufbahn, den Ocean, nicht, er stürzte in die Ostsee; 2) Dort weinen seine Schwestern um ihn goldene Thränen, Elektrum. Wer konnte diese weinen, als Töchter der Sonne, deren Strahl und Kraft das Elektrum darstellte? Und um wen konnten sie weinen, als um den Tod ihres hier niedergesunknen Bruders, um den auch der Schwan trauert? See- und schwanenreich ist die Gegend der Ostsee. Wie der Thau, wie das Manna Tropfen des Himmels, so war das Elektrum Thränen der Sonnentöchter, der Heliaden. 3) Aber wie kamen diese nach Norden? Phaëthon mußte aus Aethiopien her dahin die Reise gethan, da seinen Tod gefunden haben u. s. w. – H. Um ihn weinten seine Schwestern, die Heliaden, und wurden in Palmbäume verwandelt; auch als solche weinten sie am Strahl der Sonne goldene Thränen – der Bernstein, electrum. Nach diesen goldnen Thränen schifften die Phönicier weit umher, die Säulen Hercules' hinaus, das Zinnland vorüber bis in den Eridanus, die Ostsee. Der Kostbarkeit dieses seltnen und gesuchten Products wegen, das man höher als Gold schätzte, breiteten sie Fabeln aus; die Griechen kleideten diese nach ihrer Art ein; so entsprang eine Reihe furchtbar-schöner Gemälde. Im Sonnentempel besucht Phaëthon seinen Vater, ihn anflehend mit seiner großen Bitte; dieser verspricht und trauert, daß er versprochen habe. Freudig besteigt der Jüngling den Wagen; wild werden die Rosse auf der Mittagshöhe seiner Bahn; alle Ströme Europa's, Po, Donau, Rhein brennen; die Erd' und der Ocean fleht; am Eridanus wird der Welt Ruhe geschenkt. Da sprießt ein Hain auf mit fließendem Golde. Da wird Phaëthon's Freund, Cyknus, nachher in einen Schwan verwandelt, der auf dem Eridanus schwimmt und seinen Freund beklagt. Welchem Nordlande weihten die Griechen eine solche Fabel? Viele Sagen der Hyperboreer entsprangen daher; denn in dem Lande, wo Bernstein floß, mußten selige Götter oder glückselige Menschen wohnen.
2. Denn der frühe Bernsteinhandel konnte nicht anders als diese Gegend frühe cultiviren. Ein Volk germanischen Stammes, wie Tacitus sagt, den Sueven ähnlich, wohnte hier, das sich Oestier (Aestier) nannte, den Ackerbau und allerlei Lebensarten trieb, ja auch des Bernsteins wegen die Wellen des Meers nicht versäumte.Ob diese Ostländer (Aestier) germanischen Stammes gewesen, da ihre Sprache, nach Tacitus selbst, der britannischen ähnlicher war, bleibe dahingestellt; gnug, daß der Geschichtschreiber sie als ein cultivirteres Volk auszeichnet. – H. Ihnen zur Seite wohnten die wilderen Finnen, die späterhin durch sie cultivirt wurden. Da andre deutsche Stämme auf Krieg und Raub auszogen, saßen sie an der Seeküste, bis sie bedrängt wurden, arbeitsam-ruhig. Der Bernsteinhandel hat also, da Norden ein wilder Wald war, ein Völkchen der Ostsee frühe cultivirt.
3. Zur Zeit der Wanderung der Nationen war Preußen die natürliche Grenze und Wegscheide der Völker. Mochten sie aus Nordost hinab oder zurückgedrängt aus Süden hinaufströmen, da sie meistens den Flüssen nachgingen, so fanden sie hier ihre Grenze, die Ostsee. Wollten oder konnten sie nicht hinüber, so mußten sie bleiben oder sich an diesem Meerbusen wenden. Daher die ungeheure Menge der Völker, die in diesen Gegenden gewohnt oder sie durchzogen haben. Des Grafen Herzberg Abhandlung, daß die Völker, die das Reich der Römer gestürzt, im Norden des alten Deutschlands, vorzüglich in den jetzt preußischen Staaten gewohnt,Berlin 1780. – H. klänge halb als ein Märchen, wenn man dabei an friedliche, ewige Wohnsitze oder gar an eine Autochthonen gebärende Erde gedächte; die Lage dieser Länder selbst aber macht die Erzählung zur Wahrheit. Mochten Völker vom Schwarzen oder kaspischen Meer kommen; wenn sie sich nicht der Donau nachdrängten, fanden sie an der Ostsee entweder einen Ruheort oder ihren Wendezirkel; so kann man sagen: »Völker aus diesen Gegenden haben die Südwelt bezwungen und mit dem römischen Reich Europa umgebildet.« Gothen, Vandalen, Longobarden, Rugier, Heruler – welche Auftritte veranlassen, welche Gemälde geben sie in der Geschichte!
4. Das einheimische Volk der Ostsee, das seinem Bernsteinlande treu blieb, gewann in diesem Zudrange der Nationen eine eigne Gestalt. Für sich selbst, nach dem einhelligen Zeugniß der Geschichtschreiber, war es ein sanftes, mitleidiges Volk, das den Notleidenden zu Hilfe kam und Niemand anfeindete; nothgezwungen mußte es kriegerisch werden. Siehe da den unverkennbaren Charakter der alten preußischen Völker! Von der einen Seite kann es kaum eine sanftere Vorstellungsart in Sprache und Dichtung als die Denkweise ihrer Abkömmlinge, der sogenannten Litthauer und Letten, geben; Idyllen sind ihre Lieder in eintönig-sanften Melodien; eine Baum- und Landpoesie war ihre Religion und häusliche Lebensweise. Voll schmeichelnder Diminutiven ist ihre Sprache, ihr Charakter schlau, fein, milde. Gegen den Andrang der Feinde aber bildete sich in diesem friedlichen Staat eine Kriegsverfassung, die gegen Polen zuerst, dann fünfzig Jahr gegen den deutschen Orden mit fürchterlicher Gewalt stritt. Ihre Religion selbst war kriegerisch worden; der Kriwe, ihr Oberpriester, ein Mund ihrer Götter, war gegen Feinde ein grausamer Druide. Als Stifter dieser Religion nennt man den Waidewutis; möge der Name einen Vorsteher der Wissenschaft oder einen Anführer im Streit bedeuten: er war ein Lykurg seiner Völker, sein Romove ward ein so verehrtes Heiligthum, als es kein Griechentempel je gewesen. Felsenfest hing die Nation an ihrer Religion und Sprache; härtere Kriege sind nie geführt worden, als in welchen Preußen für Freiheit, Sprache, Land und Verfassung stritt. Als im elften Jahrhundert von den Polen Romove zerstört ward, zog sich der Kriwe ins Innere von Litthauen und baute daselbst ein neues Romove, bis Allups, der letzte Kriwe, im fünfzehnten Jahrhundert endlich erklärte, daß seine Götter ihm befohlen hätten, ein Christ zu werden, weil sie ihn nicht länger schützen könnten. Eine Folge merkwürdiger Scenen aus dieser Geschichte wäre eine National-Galerie, in der sich bei dem wildesten Muth die sanfteste Großmuth darstellte. Kriegsgemälde wechselten mit Idyllenscenen.In Merkel's »Vorzeit Livlands«, Berlin 1798, in Baczko's historischen Schriften u. a. sind aus ältern Chroniken und Geschichtschreibern solche Scenen angeführt oder angedeutet. – H. Hätte Preußen Kunstzeiten gehabt, wie die Niederlande, wie Italien, wahrscheinlich hätte sich die Kunst zu Landschaft-, Kriegs- und Seestücken gewandt; auf dem traurigsten Strande hätte sie aus dem Charakter seiner Einwohner Idyllen gemalt.
5. Die Zeiten des frechen Uebermuths, die der deutsche Orden Jahrhunderte hin in Preußen durchlebte, sind keines Pinsels werth; wohl aber sind's die Arbeiten des Fleißes, die einwandernde deutsche und holländische Colonien hier trieben, nicht minder die gothischen Prachtgebäude, die fremde Künstler vom Reichthum des Ordens aufführten. Fast ohne Beispiel ist die Leichtigkeit, mit der sich die Reformation in Preußen einführte. Kaum hatte der Hochmeister sein Ordenskleid angelegt, so stimmte ihm die Nation im Uebergange zum Lutherthum bei, als ob sie zu ihrem alten Glauben zurückkehrte, sie, die einst gegen das Christenthum so wild gefochten hatte. Unter dem Orden war sie mürbe geworden; der evangelische Gottesdienst sang sich ihr ein. Denn kaum hangt vielleicht eine Nation in Europa so sehr an Liedern als diese; statt ihrer alten Daino's kamen jetzt geistliche Gesänge ins Ohr des Volkes.Die »Lebensläufe in aufsteigender Linie«, Berlin 1779, geben sowol hievon als von andern Sitten und Charakterzügen der Preußen treue Gemälde. – H. In Liedern preußischer Dichter, z. B. Simon Dach's, Alberti's u. s. w., zeigt sich der alte Nationalcharakter, furchtbarer Ernst und weiche Klage.
6. »Kein Theil der nordischen Geschichte«, sagt Schlözer,Allgemeine nordische Geschichte. Halle 1771. S. 244. – H. »ist verhältnißmäßig so reich an guten Urkunden, keiner ist in neuern Zeiten so vernünftig und kritisch bearbeitet worden als die preußische Geschichte. Ihr Glück ist, daß in neueren Zeiten fast Alle, die darin gearbeitet, sich in einzelne kleinere Stücke des ganzen Feldes getheilt und jedes Theilchen besonders, folglich vollständig und gründlich bearbeitet haben.« Abermals ein Zug des Nationalcharakters, der sich auch in andern Wissenschaften zeigte. In tiefer Stille arbeitete Copernicus sein Werk aus und offenbarte es nur am Tage seines Todes. So saß Hevelius auf seiner Sternwarte; so sammelten Hartknoch, Prätorius, Klein, Lengnich, Bayer, Lilienthal, Hanov, Baczko, und wie viel Andre! Ihr stiller Fleiß zeichnet sich aus durch Absicht und Ordnung.
7. In dieser Oekonomie gingen der Nation ihre Regenten selbst vor; die Helden ihrer Geschichte verbanden mit thätiger Wirksamkeit Haushaltung. So stehen Friedrich Wilhelm der Kurfürst und König, so Friedrich II. da. Von den ältesten Zeiten an in den verschiedensten Perioden waren und blieben diese Völker arbeitende Bienen, wie sie schon WidewudUeber diesen König der Preußen vgl. Voigt's »Geschichte Preußens«, I. 140 ff. Herder nennt ihn S. 395 Waidewutis. – D. nannte. Die Küste mit ihren hier auslaufenden Strömen munterte sie dazu auf, nicht minder die Beschaffenheit und Einrichtung des Landes. Da in Norden von Arbeit und Kunstfleiß Alles leben, Alles sich mit Wenigem begnügen muß, so entstanden rings um die Ostsee, wo der Adel das Volk nicht erdrückte, gewerbsame Städte, geschäftige Nationen. Ein sichres Meer, eine Freistätte des Handels sollte die durch den Sund verschließbare Ostsee sein, auf welcher kein WikingSeekönige der mittleren barbarischen Geschichte. – H. zerstöre, drohe oder stolze Gesetze gebe.
An die Ostsee
Alter Eridanus, Du, der Gold quillt tief aus dem Abgrund,
Du, den der Sund verschließt, heilig-gesichertes Meer,
Dessen Ufer sich links und rechts zwei Throne vertrauten,
Hier eine Kaiserburg, dort eine Königesstadt,Petersburg und Kopenhagen. – H.
Bleib ein friedlicher Strom, der hyperboreischen Völkern
Stille Gewerbe verleiht, Leidenden Hilfe gewährt!Die Aestier (Ostseebewohner) waren im Alterthum berühmt, daß sie Denen, die zur See Noth litten, Hilfe erzeigten. An den Eridanus setzten die Alten die friedlich-glücklichen hyperboreischen Völker. – H.
Niemals kämpfen auf Dir und um Dich Drachen und Adler,
Schwäne besuchten auf Dir Phaëthon's glänzendes Grab.